OGH 10ObS36/93

OGH10ObS36/9327.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinrich Matzke und Fritz Stejskal (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hedwig H*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Oktober 1992, GZ 31 Rs 135/92-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 12.Juni 1992, GZ 17 Cgs 537/91-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes, das in Ansehung der teilweisen Stattgebung des Begehrens auf Zuerkennung der Ausgleichszulage als unangefochten unberührt bleibt, wird im übrigen, also in Ansehung der Begehren auf Gewährung von höherer Ausgleichszulage samt den Jahresausgleichserstattungsbeträgen und auf Unterlassung der Aufrechnung mit den bezogenen Vorschüssen aufgehoben.

In diesem Umfang wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird insoweit zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 12.3.1911 geborene Klägerin war bis zum 24.3.1987 grundbücherliche Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** der Katastralgemeinde M***** mit dem Grundstück ***** Garten ***** und ***** Baufläche. Hinsichtlich des auf dieser Liegenschaft errichteten Superädifikates (KFZ-Werkstätte, Verkaufslokal und Tankstelle mit zugehörigen Anlagen) bestand zuletzt mit Ing.W***** P***** seit dem 5.5.1959 ein Bestandvertrag, woraus die Klägerin ab 1.1.1987 monatliche Mieteinnahmen von S 2.869 erzielte. Bereits im Jahr 1967 hatte die Klägerin ihrem Sohn ein Grundstück geschenkt, wofür er ihr in einem Notariatsakt freies Quartier (nicht aber Verpflegung) auf Lebensdauer zugesagt hatte. Mit Übergabsvertrag vom 24.3.1987 schenkte sie auch die oben genannte Liegenschaft EZ 3064 der Katastralgemeinde Mödling ihrem Sohn, der die Schenkung annahm und die Liegenschaft mit allen Besitzvorteilen sowie Rechten und Pflichten in sein Eigentum übernahm. Als Stichtag für die Verrechnung zwischen den Vertragsteilen wurde der 1.4.1987 vereinbart. Mit der erfolgten Übergabe und Übernahme standen dem Sohn alle Nutzungen der Liegenschaft zu, er übernahm auch alle Belastungen und Verpflichtungen, die sich aus dem Superädifikat ergaben. Als Grund für diese Schenkung wurde angegeben, daß die Klägerin aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage sei, ihr Eigentum selbst zu verwalten und insbesondere für die Eintreibung der Mieten zu sorgen, die unter größten Schwierigkeiten hereinzubringen waren. Der Sohn übernahm die Liegenschaft aber auch deswegen, um einen schon lange zur Diskussion stehenden Verkauf zu betreiben. Ab der Übergabe der Liegenschaft an den Sohn stellte der Mieter seine Mietzahlungen ein; auf sie wurde später im Zuge der Auflösung dieses Mietvertrages und der dabei vereinbarten Ablöse verzichtet. Mit Kaufvertrag vom 24.2.1989 verkaufte der Sohn der Klägerin als außerbücherlicher Eigentümer die Liegenschaft an die Stadtgemeinde M***** um einen Kaufpreis von S 3,197.600. Daß die Klägerin von diesem Verkaufserlös etwas erhielt, kann nicht festgestellt werden.

Die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft stellte mit Bescheid vom 12.9.1991 die Ausgleichszulage für den Zeitraum vom 1.1.1987 bis 28.2.1989 neu fest, sprach aus, daß die Ausgleichszulage ab 1.3.1989 nicht mehr gebührte, führte den Ausgleichszulagen-Jahresausgleich durch, stellte die Erstattungsbeträge für die Kalenderjahre 1987 und 1988 fest und sprach schließlich aus, daß der Vorschuß gegen die Nachzahlung aufgerechnet und der zuviel bezogene Vorschuß von insgesamt S 62.239,40 mit den zu erbringenden Leistungen verrechnet werde.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin eine höhere Ausgleichszulage zu gewähren, und zwar ohne Anrechnung von Mieteinnahmen. Es vertrat rechtlich die Meinung, daß die Schenkung der Liegenschaft an den Sohn bei Berechnung der Ausgleichszulage außer Betracht zu bleiben habe und die Klägerin auch nicht so behandelt werden könne, als würde sie auch nach der Schenkung die Liegenschaft weiterhin besitzen. Der Grundsatz, daß ein Verzicht auf realisierbares Einkommen zur Abwehr mißbräuchlicher Inanspruchnahme öffentlicher Gelder unbeachtlich sei, beziehe sich nur auf Verfügungen über Forderungsrechte, nicht aber auch auf Verfügungen über dingliche Rechte. Selbst bei der Verfügung über Forderungsrechte könne ein Verzicht auf realisierbares Einkommen nur dann die Ausgleichszulage beeinträchtigen, wenn der Verzicht in rechtsmißbräuchlicher Absicht erfolgt sei und dies vom Versicherungsträger unter Beweis gestellt werden könne. Der Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage sei daher unter Berücksichtigung der von ihr bezogenen Sachleistungen von ihrem Sohn und der ihr noch zuzurechnenden ersten drei Monatsmieten des Jahres 1987 zu berechnen. Der Umstand, daß Mieteinnahmen und auch die Zinsen aus dem Verkaufserlös dem späteren Eigentümer der Liegenschaft zugeflossen seien, sei nicht zu berücksichtigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge. Stünden einem Pensionsberechtigten auf vertraglicher oder gesetzlicher Grundlage Ansprüche mit Einkommenscharakter zu, so sei grundsätzlich davon auszugehen, daß diese Ansprüche tatsächliches Einkommen darstellten und daher bei Feststellung der Ausgleichszulage zu berücksichtigen seien. Der subsidiäre fürsorgeähnliche Charakter der Ausgleichszulage verbiete im allgemeinen die Berücksichtigung der Tatsache, daß der Berechtigte von sich aus auf derartige Leistungen verzichte. Ein Verzicht auf die Geltendmachung zustehender Einkünfte sei nur dann beachtlich, wenn er in der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Erfüllung der Leistung durch den dazu Verpflichteten begründet wäre. Die Schenkung der Liegenschaft an den Sohn der Klägerin könne daher nicht zu Lasten des Versicherungsträgers gehen; die Klägerin müsse sich bei Berechnung der Ausgleichszulage zumindest die bis zur Schenkung erzielte Monatsmiete von S 2.869 sowie die gesetzlichen Beträge für freie Station anrechnen lassen. Die Klägerin habe von 1987 bis 1991 S 112.157,10 an Ausgleichszulage erhalten. Da ihr Anspruch für diesen Zeitraum insgesamt S 111.065,50 betrage, ergebe sich abzüglich eines Krankenversicherungsbeitrages ein Überbezug von S 1.058,90.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob die Schenkung der vermieteten Liegenschaft an den Sohn und der sich daraus ergebende Verzicht auf Einkünfte aus Vermietung auf den Anspruch auf Ausgleichszulage Einfluß hat. Der Oberste Gerichtshof hat sich in jüngster Zeit ausführlich mit dem Problem des Verzichtes auf realisierbare Einkünfte im Ausgleichszulagenrecht auseinandergesetzt und ist in seinen Entscheidungen vom 23.2.1993, 10 Ob S 161/91, und vom 30.3.1993, 10 Ob S 233/92, zu folgenden Ergebnissen gelangt:

Ein Ausgleichszulagenbezieher darf sein Recht, auf Einkünfte in Geld oder Geldeswert zu verzichten, zwar immer ausüben; ein solcher Verzicht ist aber bei der Feststellung seines Anspruches auf Ausgleichszulage dann nicht zu berücksichtigen, wenn er offenbar den Zweck hatte, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen. Wer nämlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt, ist nach § 1295 Abs 2 ABGB dafür verantwortlich, falls dies in Ausübung eines Rechtes geschah, jedoch nur dann, wenn die Ausübung des Rechtes offenbar den Zweck hatte, den anderen zu schädigen, er also sein Recht auf Verzicht in schikanöser Weise mißbraucht. Es ist unbestritten, daß diese Bestimmung über die Verantwortlichkeit für sittenwidriges Verhalten einschließlich Rechtsmißbrauch auch außerhalb des Schadenersatzrechtes anzuwenden ist, sofern es um die Schadensvermeidung geht, insbesondere auch im öffentlichen Recht. Dabei sind zwei Problemkreise zu unterscheiden:

Die sittenwidrige absichtliche Schädigung in Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Rechtsmißbrauch, also das Handeln in (formaler) Ausübung eines von der Rechtsordnung ausdrücklich eingeräumten Rechtes. Im vorliegenden Fall geht es darum, ob die Klägerin das ihr von der Rechtsordnung (§ 1444 ABGB) eingeräumte Recht auf Verzicht offenbar zu dem Zweck ausgeübt hat, den beklagten Versicherungsträger bzw den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen, ob ihr also Rechtsmißbrauch vorzuwerfen ist. Ein solcher liegt nicht erst dann vor, wenn die Absicht des Ausgleichszulagenbeziehers, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen, der einzige Grund des Verzichtes ist, sondern schon dann, wenn das unlautere Motiv des Verzichtes die lauteren Motive eindeutig überwiegt, also so augenscheinlich im Vordergrund steht, daß andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, demnach zwischen den vom Verzichtenden (vorsätzlich) verfolgten und den beeinträchtigten Interessen des Trägers der Ausgleichszulage ein krasses und zu mißbilligendes Mißverhältnis besteht. Ob Rechtsmißbrauch vorliegt, ist eine nach den Umständen des Einzelfalles zu klärende Rechtsfrage. Wie sich insbesondere aus der E 10 Ob S 233/92 ergibt, gelten diese Grundsätze nicht nur für einen unmittelbaren Verzicht auf Ansprüche mit Einkommenscharakter, sondern auch für einen sich erst aus der Verfügung über ein dingliches Recht (Eigentum) ergebenden mittelbaren Verzicht auf solche Einkünfte.

Im vorliegenden Fall ist daher entscheidungswesentlich, in welcher Absicht die Klägerin ihre Liegenschaft, aus der sie - verglichen mit der Höhe ihrer Pension - nicht unbeträchtliche Mieteinkünfte erzielte, ihrem Sohn geschenkt und damit auf Einkünfte aus der Vermietung verzichtet hat. Diese entscheidungswesentliche Frage läßt sich nach den erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen noch nicht abschließend beantworten. Der Umstand, daß ein Ausgleichszulagenbezieher aufgrund seines Alters nicht mehr in der Lage ist, sein Eigentum selbst zu verwalten und für die Eintreibung der Mieten zu sorgen, stellt im allgemeinen keinen allein ausschlaggebenden Grund dar, die Liegenschaft zu verschenken und damit auf Mieteinnahmen zu verzichten, wenn die Haus- und Liegenschaftsverwaltung auf eine andere Person übertragen werden kann. Die Sache ist aber auch deshalb nicht spruchreif, weil die Parteien nicht mit der oben dargelegten Rechtsansicht zu den Auswirkungen eines Verzichtes auf die bei der Ausgleichszulage zu berücksichtigenden Einkünfte überrascht werden dürfen: Beiden Parteien muß Gelegenheit geboten werden, ihr Vorbringen im Sinne der obigen Darlegungen zu ergänzen, wobei auch die Beklagte die Möglichkeit haben muß, allfällige auf einen rechtsmißbräuchlichen Verzicht der Klägerin hinweisende Umstände zu behaupten und zu beweisen. Dabei ist allerdings nicht von einer subjektiven Beweislast einer der beiden Parteien auszugehen (vgl Fasching in Tomandl SV-System 6.ErgLfg 750). Nach § 87 Abs 1 ASGG hat das Sozialgericht sämtliche für die Beurteilung notwendig erscheinenden Beweise von Amts wegen aufzunehmen. Da aber ein rechtsmißbräuchlicher Verzicht des Versicherten oder Pensionisten auf Ansprüche mit Einkommenscharakter den Anspruch auf Ausgleichszulage ganz oder teilweise vernichtet, liegt die objektive Beweislast für die Umstände, aus denen sich ein eindeutiges Überwiegen der unlauteren Motive des Verzichtenden ergibt, bei dem Versicherungsträger, der sich auf einen solchen Rechtsmißbrauch beruft (zur objektiven Beweislast ausführlich die bereits genannten Entscheidungen 10 Ob S 161/91 und 10 Ob S 233/92).

Der Revision war daher im Sinne des in Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages Folge zu geben. Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war auch das erstgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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