OGH 1Ob647/92

OGH1Ob647/9220.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Graf, Dr. Schiemer und Dr. Gerstenecker als weitere Richter in der Vormundschaftssache der ***** 1976 geborenen Dagmar W***** infolge Revisionsrekurses des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11 - Amt für Jugend und Familie 10. Bezirk, Van-der-Nüll-Gasse 20, 1100 Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 15. September 1992, GZ 44 R 510/92-132, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Mödling vom 4. Juni 1992, GZ 1 P 147/91-128, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die Entscheidung des Rekursgerichtes dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Für die aufgrund ihrer außerehelichen Geburt unter Amtsvormundschaft gestandene Minderjährige wurde am 12. Juli 1979 ihre Mutter zur Vormünderin und am 16. Juli 1979 das „Bezirksjugendamt für den 10. Bezirk“ zum besonderen Unterhaltssachwalter bestellt. Die Minderjährige hatte seinerzeit - gemeinsam mit ihrer Mutter - ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sprengel des 10. Wiener Gemeindebezirkes, verlegte diesen Aufenthalt innerhalb von Wien mehrmals und hat diesen nunmehr in Wiener Neudorf im Sprengel des Erstgerichtes. Die Vormundschaftssache wurde von den Bezirksgerichten Favoriten, Innere Stadt Wien und Donaustadt geführt und wird nunmehr wegen der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts der Minderjährigen nach Wiener Neudorf vom Bezirksgericht Mödling geführt. In den Unterhaltsangelegenheiten der Minderjährigen schritt bisher der bestellte Sachwalter, der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie 10. Bezirk ein. Der Vater der Minderjährigen hatte vor der Amtsvormundschaft die Vaterschaft anerkannt und sich zur Leistung eines Unterhaltsbetrages verpflichtet. Er hält sich aber nunmehr seit vielen Jahren im Ausland (Kenia) auf. In Österreich wird er durch einen Rechtsanwalt vertreten, dennoch gestalten sich die Einbringung von Unterhaltsrückständen und das Verfahren über Unterhaltsanträge (beider Seiten) schwierig und umständlich. Derzeit behängt seit langem ein Unterhaltserhöhungsantrag der durch ihren Sachwalter vertretenen Minderjährigen. Die Minderjährige bezieht seit Jahren laufend Unterhaltsvorschüsse.

Der bisherige Sachwalter beantragte beim Erstgericht seine Enthebung und die Bestellung des gemäß § 215 a ABGB zuständigen Jugendwohlfahrtsträgers (Land Niederösterreich-Bezirkshauptmannschaft Mödling-Jugendabteilung) zum Sachwalter, weil letzterer ohne gerechtfertigte Begründung die Übernahme der Sachwalterschaft ablehne.

Das Erstgericht gab diesem Antrag statt.

Infolge Rekurses der Bezirkshauptmannschaft Mödling wies das Gericht zweiter Instanz in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung den Antrag des bisherigen Sachwalters zurück; den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig. Stimme der nach dem Aufenthaltsort des Minderjährigen gemäß § 215 a ABGB zuständige Jugendwohlfahrtsträger der Übertragung der Sachwalterschaft durch den bisher zuständig gewesenen Jugendwohlfahrtsträger nicht zu, bleibe es bei der Zuständigkeit (des bisherigen Jugendwohlfahrtsträgers) aufgrund des früheren Aufenthaltes, weil die genannte Gesetzesstelle im Gegensatz zur alten Rechtslage vor dem KindRÄG (§ 17 Abs 4 JWG 1954) eine Zuständigkeit des Pflegschaftsgerichtes zur Entscheidung eines Zuständigkeits(übertragungs-)streites zwischen zwei Jugendwohlfahrtsträgern nicht vorsehe. Die Lehrmeinung Pichlers (in Rummel 2 Rz 4 zu § 215 a), die Kompetenz des Pflegschaftsgerichtes zur Entscheidung über die Übertragung der Aufgaben eines gerichtlich bestellten Sachwalters an einen anderen zuständig gewordenen, aber zur Übernahme nicht bereiten Jugendwohlfahrtsträger folge nicht aus § 215 a ABGB, sondern aus dem allgemeinen Aufsichtsrecht des Pflegschafts- und Vormundschaftsgerichtes über Vormünder und Sachwalter, finde im Gesetz keine Stütze und könne sich nur auf eine Entscheidung (ÖA 1986, 77 = EvBl 1985/136) zur alten Rechtslage (§ 17 Abs 4 JWG 1954) berufen. Seit dem Inkrafttreten des KindRÄG (am 1. Juli 1989) werde im übrigen gemäß § 212 Abs 2 ABGB der Jugendwohlfahrtsträger nicht mehr aufgrund eines gerichtlichen Beschlusses zum Sachwalter eines Minderjährigen für die Festsetzung und Durchsetzung der Unterhaltsansprüche bestellt, dies erfolge vielmehr schon durch die schriftliche Zustimmung (Antragstellung) des gesetzlichen Vertreters bzw. durch Zustellung eines Beschlusses über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen. Gebe es aber keine gerichtliche Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Unterhaltssachwalter mehr, könne es auch keine „Enthebung und Umbestellung“ geben. Für eine Enthebung des Sachwalters seien im übrigen keine Gründe (wie etwa das Erlöschen des Unterhaltsanspruches) dargetan worden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des bisherigen Unterhaltssachwalters ist berechtigt.

Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, daß die Bestellung eines Jugendwohlfahrtsträgers zum Sachwalter eines Minderjährigen in Unterhaltsangelegenheiten nach der derzeitigen Rechtslage (§ 9 UVG, § 212 Abs 2 ABGB) nicht durch die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes, sondern schon mit der Zustellung eines Unterhaltsvorschüsse gewährenden Beschlusses bzw. mit der Zustimmung (dem Antrag) des gesetzlichen Vertreters erfolgt (RZ 1991/55; EvBl 1991/51; ZfRV 1991, 310; Pichler in JBl 1989, 681). § 215 a ABGB regelt die örtliche Zuständigkeit der Jugendwohlfahrtsträger wie folgt:

„Soferne nicht anderes angeordnet ist, fallen die Aufgaben dem Jugendwohlfahrtsträger zu, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen im Inland seinen Aufenthalt hat. Wechselt der Minderjährige seinen Aufenthalt in den Sprengel eines anderen Jugendwohlfahrtsträgers, so kann der Jugendwohlfahrtsträger seine Aufgaben dem anderen mit dessen Zustimmung übertragen. Hievon ist das Gericht zu verständigen, wenn es mit Angelegenheiten des Minderjährigen bereits befaßt war.“

Diese Bestimmung knüpft im ersten Satz somit in erster Linie an den gewöhnlichen Aufenthalt (§ 66 Abs 2 JN) des Minderjährigen im Inland, und erst bei dessen Fehlen an den (schlichten) Aufenthalt (§ 67 JN) im Inland an, sodaß im vorliegenden Fall davon auszugehen ist, daß infolge Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Minderjährigen nach Wiener Neudorf der für diesen Ort zuständigen Bezirkshauptmannschaft-Mödling-Jugendabteilung die Aufgaben des Jugendwohlfahrtsträgers zufallen, wie dies Schwimann für den Fall der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes als zwingend ansieht (Schwimann, ABGB Praxiskommentar, Rz 3 aE zu § 215 a). Der zweite Satz dieser Bestimmung sieht für den (hier nicht vorliegenden) Fall des schlichten Aufenthaltswechsels des Minderjährigen in den Sprengel eines anderen Jugendwohlfahrtsträgers (den Hauptfall wird etwa eine vorübergehende auswärtige Unterbringung zu Berufsausbildungszwecken darstellen) die im Einvernehmen der Jugendwohlfahrtsträger vorzunehmende Übertragung der Aufgaben und im dritten Satz deren Mitteilung an das bereits befaßte Gericht vor.

Lehnt nun nach der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Minderjährigen der als Sachwalter für dessen Unterhaltsangelegenheiten gesetzlich zuständige (zuständig gewordene) Jugendwohlfahrtsträger die Übernahme und damit die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben ab, unterliegt er insoweit als Vertreter des Minderjährigen (sohin nicht in Ausübung der Hoheitsverwaltung, sondern als gesetzlicher Vertreter) der Jurisdiktion der Gerichte, wie dies Pichler (aaO Rz 4 zu § 215 a) zutreffend nicht aus § 215 a ABGB, sondern aus der allgemeinen Aufsicht der Gerichte über Vormünder und Sachwalter folgert. Dem Revisionsrekurs ist auch zuzugeben, daß zumindest in dem Fall, in welchem der gesetzliche Vertreter der Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers nicht zustimmt oder keine derartigen Antrag stellt, etwa wenn er selbst unterhaltspflichtig wird, gemäß § 213 ABGB das Gericht mangels einer dafür geeigneten Person den Jugendwohlfahrtsträger zu bestellen hat. Mit einer derartigen Bestellung oder (im vorliegenden Fall) Umbestellung regelt das Pflegschaftsgericht nicht unter Verletzung der in Art 94 B-VG angeordneten Gewaltentrennung Zuständigkeitsstreitigkeiten von Verwaltungsbehörden, sondern es entscheidet zur Vermeidung von aus solchen Konflikten für den Minderjährigen drohenden Nachteilen über die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen in den Unterhaltsangelegenheiten aufgrund der anzuwendenden Gesetze.

Diese Erwägungen führen zur spruchgemäßen Entscheidung.

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