OGH 15Os49/93

OGH15Os49/9315.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.April 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Mag.Strieder und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kirschbichler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Halil Ibrahim U***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 23.März 1992, GZ 12 Vr 461/92-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Berufung wegen Schuld wird zurückgewiesen.

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung (wegen Strafe) wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Halil Ibrahim U***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Ihm liegt zur Last, am 5.Februar 1992 in Graz die Daniela Eichtinger mit Gewalt dadurch zur Duldung eines Beischlafs genötigt zu haben, daß er sie auf ein Bett stieß, sie festhielt, gegen ihren Willen ihren Unterleib entblößte, sich auf sie legte und den Geschlechtsverkehr vollzog.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; überdies hat er - neben der Berufung wegen Strafe - auch Berufung "wegen Schuld" angemeldet (S 144).

Die Schuldberufung war zurückzuweisen, weil ein solches Rechtsmittel gegen kollegialgerichtliche Urteile nicht vorgesehen ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist hingegen schon aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund (Z 4) berechtigt.

Edeltraud B*****, die Mutter der Zeugin E*****, hatte in ihrer polizeilichen Vernehmung am 5.Februar 1992 zum Ausdruck gebracht, daß ihre Tochter, die nach einem Selbstmordversuch Medikamente zur Behebung ihrer Depressionen einzunehmen hatte, deshalb "vielleicht unbewußt nicht immer die Wahrheit sagt"; sie hat auch eingeräumt, daß sie bereits seinerzeit (offenbar anläßlich der Erhebungen über den Selbstmordversuch) angegeben hatte, daß ihre Tochter nicht immer bei der Wahrheit bleibt (S 23).

Die unter Anklage gestellte Vergewaltigung soll nach den Angaben der Zeugin E***** am 5.Februar 1992 gegen 10.00 Uhr in einer Wohnung in Graz, Südtirolerplatz 14 erfolgt sein. Etwa drei Stunden zuvor hatte die noch an ihrer - vom Erstgericht als "ausklingend" bezeichneten - Regelblutung leidende Zeugin E***** in der Wohnung des Angeklagten in Graz, Defreggergasse 6a einen - zugestandenermaßen - freiwilligen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten, mit dem sie auch in den Monaten zuvor freiwillig geschlechtlich verkehrt hatte; kurz nach diesem Verkehr hatte sie am gleichen Ort außerdem einen Geschlechtsverkehr mit dem Zeugen G*****. Im Bett in der Wohnung in der Defreggergasse 6a sollen sodann Blutspuren (vom Regelblut der genannten Zeugin) zu sehen gewesen sein. Im Bett in der Wohnung im Haus Südtirolerplatz 14 wurden dagegen bei einer Nachschau durch die Sicherheitsbehörden keine Spuren festgestellt.

Ersichtlich auf der Basis dieser Verfahrensergebnisse beantragte der Verteidiger des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 23.März 1992, in der das Urteil gefällt wurde, die Vernehmung der Edeltraud B***** zum Beweis dafür, daß die Zeugin E***** "in ähnlich gelagerten Fällen bereits die Unwahrheit gesagt hat", weiters die Einvernahme eines jugendpsychologischen Sachverständigen zum Beweis dafür, daß die Genannte "im Zusammenhang mit ihren Depressionen zum Fabulieren neigt", und die Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen zum Beweis dafür, "daß das Bett (zu ergänzen: im Haus Südtirolerplatz 14) nicht blutig war und daher kein Verkehr stattgefunden hatte" (S 117).

Das Schöffengericht wies diese Beweisanträge zugleich mit der Verkündung des Urteils ab, ohne die Gründe hiefür gemäß § 238 Abs 2 StPO im Hauptverhandlungsprotokoll ersichtlich zu machen (S 118); dies wurde erst in der Urteilsausfertigung nachgeholt (S 133 f).

Diese Begründung des bekämpften Zwischenerkenntnisses ist jedoch nicht tragfähig.

Soweit das Schöffengericht damit argumentiert, daß es die Aussage der Zeugin E***** aufgrund des von der Genannten gewonnenen persönlichen Eindruckes für glaubwürdig hält, weshalb die beantragte Vernehmung der Zeugin B***** und die Beiziehung eines jugendpsychologischen Sachverständigen entbehrlich seien, übersieht es, daß die begehrten Beweisaufnahmen gerade dazu dienen sollten, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin zu erschüttern. Der zusätzliche Hinweis des Erstgerichtes auf eine Übereinstimmung mit der Aussage des Zeugen G***** versagt gleichfalls, denn dieser war nicht Zeuge der Tat, sondern zog seine Schlüsse vornehmlich aus Behauptungen und aus dem Verhalten der Zeugin E*****, von der wieder unter Annahme einer Konfabulation, die unter Beweis zu stellen getrachtet wird, nicht ausgeschlossen werden könnte, daß sie auch diesem Zeugen gegenüber wahrheitswidrige Angaben gemacht haben könnte.

Der Antrag auf Vernehmung eines medizinischen Sachverständigen ist vor dem Hintergrund der dargestellten Beweisergebnisse keineswegs - wie das Erstgericht vermeint - unverständlich; zielte er doch erkennbar darauf ab, durch einen medizinischen Sachverständigen dartun zu lassen, daß bei einem Geschlechtverkehr um etwa 10.00 Uhr im Haus Südtirolerplatz 14 gleichermaßen am Bettlaken Blutspuren zurückgeblieben sein müßten wie von jenen beiden Geschlechtsverkehrsakten um etwa 7.00 Uhr im Haus Defreggergasse 6a.

Soweit dieser Antrag mit dem Hinweis auf den "Polizeibericht AS 99" (gemeint: den polizeiärztlichen Befund) abgewiesen wurde, in welchem eine Regelblutung nicht erwähnt wird, wird nicht beachtet, daß dieser Befund rund 10 Stunden nach der Tat aufgenommen wurde. Schlechterdings unzutreffend ist aber die für die Abweisung dieses Beweisantrages gebrauchte Begründung, daß der Zeuge G*****, der (um etwa 7.00 Uhr) mit der Zeugin E***** verkehrte, keine Wahrnehmungen über eine Regelblutung gemacht hätte. In den Vernehmungen dieses Zeugen vor der Polizei, dem Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung finden sich hiezu weder bestätigende, noch verneinende Angaben (S 41, 74, 112 ff) und der Hinweis auf die Blutflecken am Bettlaken in der Wohnung in der Defreggergasse 6a stammt von diesem Zeugen (S 57).

Ob aber in einem Spätstadium der Menstruation ein Zeitunterschied von etwa drei Stunden - allenfalls im Verein mit der behaupteten Einnahme einer besonderen Position bei der Durchführung des Geschlechtsverkehrs - tatsächlich eine Erklärung dafür bieten könnte, daß es beim späteren Geschlechtsverkehr nicht wie bei den beiden früheren zu einer Befleckung des Bettlakens kommen mußte, hätte sich durch die Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen klären lassen, so daß auch diesem Beweisantrag Berechtigung nicht von vornherein abgesprochen werden kann.

Es zeigt sich somit, daß - entgegen der Annahme des Erstgerichtes - durch die Abweisung der Beweisanträge sehr wohl Verteidigungsrechte des Angeklagten beeinträchtigt werden konnten.

Schon deshalb war der Schuldspruch zu kassieren und die Verfahrenserneuerung anzuordnen, ohne daß es noch eines Eingehens auf die weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe bedürfte.

Mit seiner Berufung (wegen Strafe) war der Angeklagten auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Verfahrensgang wird das Erstgericht zu beachten haben, daß eine psychiatrische Explorierung der minderjährigen Zeugin E***** nur mit Zustimmung der gesetzlichen Vertreter dieser Zeugin vorgenommen werden kann (Mayerhofer-Rieder StPO3 § 150 E 50, 56).

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