OGH 10ObS58/93

OGH10ObS58/9315.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Steinbauer als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Schleifer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Izvorinka P*****, ***** vertreten durch Dr. Ladislav Margula, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1210 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchrahm und Dr. Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 15. Jänner 1993, GZ 34 Rs 141/92-47 , womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. August 1992 , GZ 25 Cgs 1120/89-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, die Beklagte ist schuldig, der Klägerin eine Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente zuzüglich Schwerversehrtenrente ab 29. Juni 1989 sowie jeweils einen Kinderzuschuß für den Zeitraum vom 27. Oktober 1989 bis 19. Jänner 1992 und 31. August 1989 bis 22. Dezember 1990 zu gewähren, wird abgewiesen".

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 1. 11. 1988 als Kuvertmaschinenarbeiterin bei der Firma **********GesmbH" beschäftigt. Unternehmensgegenstand ist die Herstellung von Briefumschlägen, Druckereiwaren und ähnlichen Produkten. In N*****befindet sich das Fertigwarenlager. Das Gebäude steht im Eigentum des Unternehmens. Bis Ende 1985 befanden sich dort Firmenbüros. Nach Übersiedlung nach Wien stand das Objekt zum größten Teil leer, wurde jedoch in weiterer Folge jugoslawischen Gastarbeitern des Unternehmens zu Wohnzwecken überlassen. Der ebenfalls im Unternehmen beschäftigte Ehemann der Klägerin ersuchte den Geschäftsführer Karl P*****wiederholt um Überlassung von Wohnräumen in diesem Bürogebäude. In der Folge überließ der Geschäftsführer Karl P*****der Klägerin und ihrem Gatten - ohne Errichtung eines Mietvertrages - Räumlichkeiten, die längere Zeit nicht benützt, ziemlich abgewohnt und renovierungsbedürftig waren, für Wohnzwecke zur Verfügung. Er ordnete an, "sie sollen die Zimmer ausmalen, reinigen, Fenster putzen und ähnliches". Karl P*****erklärte Mile I*****, der als Hausmeister eine Vertrauensstellung genoß und mangels Deutschkenntnissen des Ehepaares P*****für dieses nach außen auftrat, für die zu tätigenden Arbeiten "Zeitausgleich zu gewähren". Diese Zusage wurde weder näher präzisiert noch von der schlecht deutsch sprechenden Klägerin verstanden. Auf Bitten des Ehegatten der Klägerin wurden zum Ausmalen in den Weihnachtsfeiertagen 1988 firmeneigene Farbmaterialien aus dem Materiallager des Unternehmens zur Verfügung gestellt. Es handelte sich um Fassadenfarbe und die dazugehörige Verdünnung. Am 24. und 25. 12. 1988 führten die Ehepaare P*****und I*****sowie weitere Familienangehörige füreinander abwechselnd Mal- und Reinigungsarbeiten durch. Die Verarbeitung der Farbe und des Lösungsmittels im geschlossenen, durch einen Ölofen geheizten Raum führten am 25. 12. 1988 dazu, daß beim Trocknen der Farbe an den Wänden ein zündfähiges Dampf-Luft-Gemisch entstand, das sich, weil es schwerer als Luft war, zu Boden absenkte und um cirka 10.30 Uhr an der Flamme des Ölofens entzündete. Dadurch entstand eine Verpuffung mit Folgebrand. Der Raum stand danach vollständig in Flammen, die auch auf das Nebenzimmer übergriffen. Die Ehefrau des Mile I*****, Radmilla I*****kam im Feuer zu Tode. Die Klägerin erlitt aufgrund des Brandgeschehens schwerste Verletzungen. Die Räumlichkeiten wurden total zerstört. Medizinisch besteht ab einem Zeitpunkt drei Monate nach dem Unfallgeschehen eine MDE von 100 %. Im gemeinsamen Haushalt der Klägerin leben die am 22. 12. 19*****geborene Mirjana P*****und die am 19. 1. 19*****geborene Sladjana P*****.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Unfallgeschehen sei rechtlich dem Schutzbereich der Unfallversicherug zuzuordnen. Die historische Betrachtung des Unfallversicherungsschutzes zeige, daß sich der Versicherungsschutz seit der 3. UVG-Novelle auch auf Unfälle bei häuslicher Verrichtung, zu denen der Versicherte durch den Dienstgeber oder dessen Beauftragten herangezogen wird, erstreckt und nicht nur auf jene Gefahren beschränkt, die aus der Betriebstätigkeit an sich resultierten und dem Betrieb zuzuordnen waren, sondern auch außerhalb der betrieblichen Sphäre liegende Risken, denen der Versicherte ausgeliefert war, und denen er sich nur schwerlich entziehen konnte, umfaßt. Daß Feststellungen darüber, ob die Klägerin bei Ausübung ihrer Tätigkeit private oder betriebliche Zwecke verfolgte, nicht getroffen werden konnten, vermöge eine rechtliche Beurteilung zugunsten ihres Standpunktes nicht zu hindern. Die objektiv erkennbaren Umstände seien betriebsbezogen. Es habe eine Anordnung des Dienstgebers zur Vornahme der von der Klägerin verrichteten und zum Unfall führenden Arbeiten vorgelegen. Die Tätigkeit sei innerhalb des Betriebsgeländes durchgeführt worden. Der Unfall habe sich auf Grund der Gefährlichkeit der Betriebsmittel, die vom Dienstgeber bereitgestellt wurden und über deren Gefährlichkeit sie nicht aufgeklärt worden war, realisiert. Das Ergebnis der Arbeit wäre für den Betrieb des Dienstgebers nützlich gewesen. Das ehemalige Bürogebäude hätte über zwei neu ausgemalte Zimmer verfügt. Im Hinblick auf die allgemein bekannten Kosten des Ausmalens von cirka S 5.000,-- für ein Zimmer sei, wenn auch nur in geringfügigem Umfang eine Wertsteigerung des Objektes eingetreten. Es liege somit ein Arbeitsunfall iS des § 175 Abs 2 Z 3 ASVG vor.

Der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es verwies auf die seiner Ansicht nach rechtlich zutreffende Beurteilung des Erstgerichtes (§ 500a ZPO). Das Ausmalen der Räumlichkeiten sei auf Grund einer Anordnung des Dienstgebers gegen Gewährung eines Zeitausgleiches erfolgt. Es liege daher eine rein betriebliche Tätigkeit vor.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Unfallversicherung bezieht vor allem Gefahren in ihren Schutzbereich ein, denen ein Versicherter als Erwerbstätiger ausgesetzt ist. Das Gesetz umschreibt den Schutzbereich unter anderem mit "Beschäftigung" des Versicherten (§ 175 Abs 1 ASVG) bzw. mit verschiedenen "Tätigkeiten" (z.B. § 175 Abs 2 Z 3 ASVG). Im Vordergrund stehen dabei Ausübungshandlungen einer in die Unfallversicherung einbezogenen Erwerbstätigkeit, die durch zwei Bedingungen charakterisiert sind:

1. Die Tätigkeit muß einem vernünftigen Menschen als Ausübung der Erwerbstätigkeit erscheinen (objektive Bedingung). Es sind Handlungsweisen zu berücksichtigen, die üblicherweise und bei vernünftigem Verständnis der jeweiligen Berufserfordernisse noch durchaus als Berufstätigkeit anzuerkennen sind. Dies sind Handlungsweisen, die in Erfüllung des Arbeitsvertrages verrichtet werden und die der Arbeitgeber auf Grund seiner Weisungsbefugnis anordnen kann. Aber auch solche, zu denen kein Weisungsrecht besteht, die der Versicherte aber auf Grund seiner persönlichen Abhängigkeit nicht ablehnen kann (Dusak, Zur Wechselbeziehung von Schutzbereich und wesentlicher Beziehung in der Unfallversicherung, ZAS 1990, 45 [48]).

2. Die Tätigkeit muß vom Handelnden in den dargestellten Intentionen entfaltet werden (subjektive Bedingung) (Tomandl, Der Schutzbereich der Unfallversicherung, ZAS 1975, 123 [127], Tomandl, System 5. ErgLfg. 279 f; Lauterbach, Unfallversicherung, 204; Dusak aaO 48; SSV-NF 2/143, SSV-NF 5/106).

Der Versicherte muß von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein können, daß die Tätigkeit den Interessen des Unternehmens zu dienen geeignet war. Vorausgesetzt ist dabei, daß diese subjektive Meinung in den objektiv gegebenen Verhältnissen im Einzelfall eine ausreichende Stütze findet, die diese Meinung des Versicherten als berechtigt erscheinen läßt. Erst wenn der Versicherte sich infolge objektiver Umstände in der berechtigten Überzeugung befand, betriebliche Belange zu fördern, besteht die für den Unfallversicherungsbereich notwendige Verknüpfung zum geschützten Risikobereich (für den vergleichbaren deutschen Rechtsbereich Lauterbach aaO, 204, Brackmann Handbuch II 479 h IV, Müller, Judikaturtendenzen in der Unfallversicherung ZAS 1989, 145 [148], SSV-NF 2/143, SSV-NF 5/106).

Neben der auf Grund des Arbeitsverhältnisses geschuldeten Arbeit im engeren Sinn sind auch Arbeiten mitumfaßt, die Ausstrahlungen der Betriebstätigkeit sind, wie beispielsweise betriebsfremde Tätigkeiten des Arbeitnehmers (häusliche oder andere, zu denen der Versicherte von seinem Dienstgeber herangezogen wird) (§ 175 Abs 1 Z 3 ASVG; Tomandl, Schutzbereich der Unfallversicherung aaO, 130; SSV-NF 4/100).

Entscheidend ist aber, daß die auf Weisung des Dienstgebers vorgenommene wenn auch betriebsfremde Tätigkeit fremdwirtschaftlichen Interessen dient und nicht überwiegend vom Eigeninteresse des Versicherten bestimmt ist, weil im letzteren Falle keine Tätigkeit als Versicherter vorliegt (Lauterbach aaO § 539 S. 115/5 f). Das Verhalten ist dann nicht die Ausübung einer Erwerbstätigkeit (Tomandl System 5. ErgLfg. 280, 281 f).

Die Heranziehung zu privaten Diensten durch den Vorgesetzten kann dann unter Versicherungsschutz stehen, wenn der Versicherte berechtigterweise annehmen konnte, noch im Rahmen seines Dienstverhältnisses zu handeln, zur Befolgung der Weisungen verpflichtet zu sein bzw. sie nicht ablehnen zu können (Brackmann aaO 480 w I; Pozdun, Der Unfallsachbearbeiter 108, 5 f). Andererseits ist eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit auch dann nicht versichert, wenn sie vom Arbeitgeber angeordnet wird (SSV-NF 2/89).

Tätigkeiten, die sowohl eigenwirtschaftlichen als auch betrieblichen Interessen dienen, stehen unter diesen Voraussetzungen unter Versicherungsschutz, wenn der dem Unternehmen dienende Teil der Tätigkeit nicht nur Nebenzweck ist, sondern ein wesentlicher Anlaß für die gemischte Tätigkeit (Lauterbach aaO § 539, 115/6). Nur dann kann das Verhalten des Versicherten als Ausübung der Erwerbstätigkeit angesehen werden, auf die es letztlich ankommt (Tomandl System 5. ErgLfg. 281).

Voraussetzung ist daher, daß im Falle einer gemischten Tätigkeit diese dem Unternehmen wesentlich dient und nicht die betrieblichen gegenüber den privaten Interessen erheblich in den Hintergrund treten und gleichsam nur eine Gelegenheitsursache für die Verrichtung der Tätigkeit waren (SSV-NF 3/150, SSV-NF 5/106, SSV-NF 6/24).

Die Überlassung ehemaliger Büroräumlichkeiten für Wohnzwecke durch den Dienstgeber wie auch das Ausmalen ziemlich abgewohnter und renovierungsbedürftiger Räume diente im überwiegenden Maße eigenwirtschaftlichen Privatinteressen des Dienstnehmers im Rahmen seines Wohnbedürfnisses. Den Vorinstanzen kann nicht gefolgt werden, daß das Ausmalen überlassener ehemaliger Büroräume für Wohnzwecke für den Betrieb nützlich war oder Betriebsinteressen diente. Das Ausmalen betraf nicht die Substanz des Objektes und damit nicht vom Dienstgeber durchzuführende Erhaltungsarbeiten. Eine Wertsteigerung trat damit nicht ein. Es handelte sich nicht um Aufwendungen, die eine wesentliche Verbesserung bewirkten, und über die Benützungsdauer hinaus einen objektiven Nutzen zu begründen geeignet waren. Das Ausmalen und Reinigen ist ein Aufwand, der üblicherweise von jedem neuen Benützer von Räumlichkeiten vorzunehmen ist. Mangels einer gesonderten Abrede trifft den Dienstgeber hiezu keine Verpflichtung. Die Kostenersparnis für das Ausmalen kann daher nicht als Nutzen des Betriebes gewertet werden. Üblicherweise ist auch im Rahmen der Vermietung von Wohnungen der Kategorie A, B und C im Anwendungsbereich des MRG nur die Brauchbarkeit zum sofortigen Wohnen ohne gröbere, die Benützung hindernde Mängel erforderlich, bei einer Kategorie D-Wohnung nicht einmal diese (§ 16 Abs 2 MRG). Der unausgemalte Zustand der Räume (andere Arbeiten als Ausmalen, Reinigen, Fenster-putzen wurden nicht in Aussicht genommen), verhinderte eine Benützung nicht. Das Ausmalen diente nur dem individuellen Hygienebedürfnis des Benützers, war aber nicht Voraussetzung für die Benützung.

Nur durch die Gewährung von Zeitausgleich (ob dies auch die Klägerin betraf, ist nicht festgestellt), die Anordnung der zum Unfall führenden Arbeiten durch den Dienstgeber, und die Zurverfügungstellung des Materials ist nach außen hin ein Zusammenhang mit dem Betrieb und dem Dienstverhältnis hergestellt.

Der Zeitausgleich für in überwiegendem Privatinteresse an dienstfreien Tagen vorgenommene Arbeiten bedeutet nur ein Freizeitguthaben des Dienstnehmers, rückt aber das betriebliche Interesse an der Arbeit nicht in den Vordergrund.

Die Anordnung von eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten (Ausmalen) in der Freizeit stellt auch dann nicht den unmittelbaren Kausalzusammenhang mit der Versicherungssphäre her, wenn eine vom Dienstgeber zur Verfügung gestellte Unterkunft betroffen ist, weil eine Verpflichtung des Dienstgebers, das Ausmalen zu besorgen, ebensowenig besteht wie ein betriebliches Interesse an dieser Tätigkeit.

Auch das vom Dienstgeber zur Verfügung gestellte Material hat mit der Risikosphäre des Betriebes als Hersteller von Briefumschlägen und Druckereiwaren und ähnlichen Produkten nichts zu tun, so daß betriebliche Einrichtungen bzw. Umstände der Arbeitsstätte bei der Entstehung des Unfalles nicht mitwirkten und daher kein erhöhtes betriebsbedingtes Gefahrenrisiko geschaffen wurde (SSV-NF 2/76).

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte konnte die Klägerin nie der Überzeugung sein, betriebliche Belange zu fördern noch konnte ihre Tätigkeit als Ausübung der Erwerbstätigkeit angesehen werden. Das zum Unfall führende Ausmalen war daher vom geschützten Lebensbereich nicht umfaßt.

Das Klagebegehren war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit. b ASGG.

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