OGH 6Ob502/93

OGH6Ob502/9325.3.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der antragstellenden Partei Richard T*****, vertreten durch Dr. Herwig Grosch, Dr. Günter Harasser und Dr. Simon Brüggl, Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen den Antragsgegner Land TIROL (LANDESSTRASSENVERWALTUNG), 6010 Innsbruck, Landhaus, vertreten durch Dr. Klaus Mayramhof, Landesbeamter, 6020 Innsbruck, Wilhelm-Greil-Straße 17, wegen Neufestsetzung einer Enteignungsvergütung (Revisionsrekursinteresse S 158.565), infolge Revisionsrekurses der antragstellenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 27.10.1992, GZ 1 b R 204/92-46, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hopfgarten vom 11.8.1992, GZ Nc 608/90-42, aufgehoben wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben. Die Kosten des Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Antragsteller begehrt die Neufestsetzung der im Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 29.6.1990 für die Einlösung seines Grundstückes Nr. 282 in EZ 266 GB W*****festgelegten Vergütung von S 200 pro m2 (insgesamt S 88.200); der Wert der enteigneten Liegenschaft betrage insgesamt S 310.000.

Die Antragsgegnerin sprach sich gegen eine Neufestsetzung mit der Begründung aus, zwischen den Parteien sei ein Entschädigungsübereinkommen zustandegekommen. Überdies entspreche die festgesetzte Vergütung dem tatsächlichen Wert der Liegenschaft.

Das Erstgericht setzte die Enteignungsentschädigung für die eingelöste Fläche von 441 m2 der Gp 282 in EZ 266 GB W*****"einschließlich der darauf befindlichen Bauwerke" mit S 158.565 fest.

Ein Einverständnis des Antragstellers, daß sein Grundstück zu dem vom Sachverständigen im Verwaltungsverfahren ermittelten Preis von S 200 pro m2 abgelöst werden solle, konnte es nicht feststellen; fest stehe nur, daß über einen solchen Ablösepreis verhandelt worden sei. Das in Frage stehende Grundstück ist im aufsichtsbehördlich genehmigten Flächenwidmungsplan der Gemeinde W*****als Freiland ausgewiesen und ist nach dem Schutzzonenplan als Wildbachgefährdungsbereich - gelbe Zone - gewidmet. Das Grundstück wird vom Antragsteller im Rahmen seines angrenzenden Installationsbetriebes als Zwischenlagerplatz und zum Abstellen von Fahrzeugen genützt. Eine Zufahrtsgenehmigung und eine Genehmigung zur Nutzung als Lagerplatz bestehen nicht. Erstere ist seitens der Landesstraßenverwaltung aus Verkehrssicherheitsgründen auch nicht zu erwarten; auch die geplante Errichtung von Parkplätzen wird durch die Straßenverwaltung abgelehnt. Landwirtschaftliche Grundflächen in ähnlicher Größe wären in W*****mit S 100 pro m2 zu bewerten. Unter Berücksichtigung der "bedingten Nutzung als Lagerplatz" - trotz Fehlens einer Zufahrtsgenehmigung ist die Parzelle zu Fuß vom Installationsbetrieb des Antragstellers erreichbar und zur Zwischenlagerung von Installationsmaterial verwendbar - sei aber ein Preis von S 200 pro m2, dh von insgesamt S 88.200, gerechtfertigt. Überdies seien die auf dem Grundstück errichteten Bauwerke, nämlich ein Natursteinbrunnen samt Verrohrung bis zur Brixentaler Ache an der Grundstückgrenze, verlegte Elektrokabel samt Verteilerschacht, eine 20 cm starke Betonplatte samt Rollierung im Ausmaß von 46 m2 zur Lagerung von Baustahlgittern sowie die Anschüttung des Grundstückes im Ausmaß von 11 x 18 m mit Schüttmaterial (um eine ebene Fläche zum Abstellen der Fahrzeuge sowie zur Materiallagerung zu erreichen), gesondert mit insgesamt S 70.365 zu vergüten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Nach § 74 Abs 1 Tiroler StraßenG sei eine gerichtliche Festsetzung der Vergütung ausgeschlossen, wenn zwischen dem Enteigner und dem Enteigneten ein Übereinkommen nach § 69 leg cit zustandegekommen sei. Ein solches Übereinkommen setze als privatrechtlicher Vertrag korrespondierende Willenserklärungen voraus. Im maßgeblichen Verhandlungsprotokoll im Enteignungsverfahren sei neben handschriftlichen Ausführungen darüber, wie an anderer Stelle ein Ersatz für Parkplätze und einen Lagerplatz für den Antragsteller geschaffen werden sollte, unter dem Vordruck "Entschädigung je m2" der Betrag von S 200 eingesetzt, während eine vom Antragsteller im vorliegenden Verfahren vorgelegte Fotokopie diesen Entschädigungsbetrag nicht enthalte. Das Protokoll sei nach dem Vordruck "mit obigem Verhandlungsergebnis sowie den mündlich vorgetragenen und in der Verhandlungsschrift festgehaltenen Leistungsfristen und Nebenbestimmungen einverstanden" vom Antragsteller und einem für die Landesstraßenverwaltung verhandelnden Angestellten unterschrieben. Im Enteignungsbescheid seien die im Protokoll abgegebenen Parteierklärungen durch wörtliche Wiedergabe beurkundet. Daraus könne aber noch nicht ohne weiteres das Zustandekommen einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen den Parteien abgeleitet werden. Die Unterfertigung des Protokolles bedeute nach dessen Inhalt primär die an die Behörde gerichtete verfahrensrechtliche Erklärung, daß das Verfahrensergebnis richtig wiedergegeben sei. Die Einverständniserklärung müsse, um eine privatrechtliche Vereinbarung annehmen zu können, auch objektiv als solche verstanden werden. Dagegen sprächen im vorliegenden Fall alle Hinweise. So habe die Behörde im Spruch ihres Bescheides im Sinne des § 70 Abs 2 lit d Tiroler StraßenG die zu leistende Entschädigung festgesetzt, obwohl ein solcher Ausspruch bei Zustandekommen eines zulässigen Übereinkommens zu entfallen hätte. Es bestehe weiters keinerlei Hinweis dafür, daß die Parteien beim Abschluß des von der Antragsgegnerin behaupteten Übereinkommens auf § 69 Abs 2 Tiroler StraßenG Bedacht genommen hätten. Danach wäre ein Übereinkommen nur zulässig, wenn die Gläubiger bei einer mit Hypotheken belasteten Liegenschaft diesem zustimmten oder die Liegenschaft bei einer Teilenteignung dennoch ausreichende Sicherheit biete. Die einzulösende Grundfläche sei mit Hypotheken belastet. Schließlich fehle auch ein Hinweis, daß der Angestellte der Landesstraßenverwaltung, der das Protokoll unterfertigt habe, von der Antragsgegnerin beauftragt und bevollmächtigt oder als deren Organ befugt gewesen sei, eine entsprechende privatrechtliche Vereinbarung zu schließen. Es sei daher davon auszugehen, daß ein zulässiges Übereinkommen zwischen den Parteien nicht vorliege.

Die Einwände der Antragsgegnerin gegen die festgesetzte Höhe der Entschädigungssumme seien aber berechtigt: Als Grundlage für die Wertberechnung seien die Qualität, der Zustand allgemein, die Eigenschaften des Grundstückes sowie die Verwendungs- und Nutzungsmöglichkeiten entscheidend, denen nach allgemeiner Verkehrsauffassung ein wertbestimmendes Moment zukomme. Bei einer gesetzwidrigen Verwendung einer Liegenschaft könne von einem werterhöhenden Kriterium keine Rede sein; vielmehr minderten konsenslos errichtete bauliche Anlagen den Verkehrswert, wenn die Demolierungskosten den Wert des Abbruchmateriales überstiegen. Nach § 3 Abs 1 der Tiroler Bauordnung seien bauliche Anlagen mit dem Erdboden verbundene Anlagen, zu deren fachgerechter Herstellung bautechnische Kenntnisse erforderlich seien. Nach § 25 lit e und k leg cit bedürften unter anderem Brunnen und auch die Verwendung einer Grundfläche als Materiallagerplatz unter den dort genannten Voraussetzungen einer Baubewilligung. Darüber hinaus dürften bauliche Anlagen nach § 4 Abs 1 im Freiland mit Ausnahme von Sonderflächen nicht auf Grundstücken errichtet werden, die durch Hochwasser bedroht seien, soweit nicht Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefahren technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar seien. Das Tiroler RaumordnungsG gestatte in § 15 Abs 2 im Freiland, ausgenommen Sonderflächen, bauliche Anlagen nur nach Maßgabe der Absätze 3 bis 7. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ließen eine verläßliche Beurteilung darüber noch nicht zu, ob es sich bei dem Brunnen samt dazugehörigen Einrichtungen sowie bei der Stahlbetonplatte, welche vom Erstgericht gesondert bewertet und veranschlagt worden seien, um bauliche Anlagen im Sinne der Tiroler Bauordnung handle und der vom Antragsteller benützte Lagerplatz gemäß § 24 lit b iVm § 3 Abs 12 bewilligungspflichtig seien. Sollte sich herausstellen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Errichtung der Baulichkeiten und die Verwendung der Liegenschaft als Lagerplatz nicht gegeben seien, wäre eine vom Erstgericht in diesem Zusammenhang angenommene Werterhöhung der Liegenschaft nicht gerechtfertigt. Eine unabhängig vom Verkehrswert berücksichtigte Vergütung für die Auffüllung des Grundstückes komme jedenfalls nicht in Betracht, da die mit der ursprünglichen Grundfläche fest in Verbindung gebrachte Aufschüttung allenfalls eine bessere Nutzung der Liegenschaft, wenn auch möglicherweise nur für den Antragsteller selbst, ermögliche und daher den Wert der Liegenschaft an sich erhöhen könne oder für den Antragsteller besondere Vorteile mit sich bringe. Diese seien aber nur dann zu bewerten, wenn die Liegenschaft befugt als Lagerplatz verwendet werde. Das Verfahren sei daher noch ergänzungsbedürftig.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil, soweit überblickbar, eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob ein den Rechtsweg ausschließendes Übereinkommen iSd § 69 Tiroler StraßenG vorliege (die hier gewählte Vorgangsweise sei über den Einzelfall hinaus offenbar üblich) und inwieweit konsenslos errichtete bauliche Anlagen bzw widmungswidrige Verwendung einer Liegenschaft sich auf die Höhe des festzusetzenden Vergütungsbetrages auswirke, nicht bestehe.

Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Frage nach dem Vorliegen eines von den Parteien gewollten Entschädigungsübereinkommens ist eine nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilende Tatsachenfrage, deren rechtliche Beurteilung nach § 863 Abs 1 ABGB zu erfolgen hat, wenn die Verwaltungsbehörde nicht auf eine klare ausdrückliche Entscheidung der Parteien dringt. Da, wie sich aus dem Akt ergibt, die hier gewählte Vorgangsweise keinen Einzelfall darstellt, sondern offenbar bei der Antragsgegnerin üblich ist, sind die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht hat zutreffend ausgeführt, daß der Ausspruch der Verwaltungsbehörde über die Enteignungsentschädigung insofern mehrdeutig ist, als im Spruch "die für die eingelösten Grundflächen zu leistenden Entschädigungen wie folgt festgesetzt u n d die Parteienerklärungen durch wörtliche Wiedergabe des Verhandlungsprotokolles beurkundet" wurden und der Bescheid bloß den Hinweis enthält, daß der Vertreter der Landesstraßenverwaltung und der Antragsteller (mit diesem Verhandlungsergebnis) "einverstanden" gewesen seien. Der Enteignungsbescheid läßt bei dieser Formulierung nicht klar erkennen, ob im hier strittigen Fall der Enteignung des Grundstückes des Antragstellers als eines von vielen im Bescheid genannten Enteigneten auf ein wirksames Entschädigungsübereinkommen verwiesen werden sollte oder aber trotz oder mangels eines solchen Übereinkommens eine Enteignungsentschädigung behördlich festgesetzt wurde. Diese Frage ist aus dem Bescheid nicht eindeutig zu klären, zumal in der Begründung nur ausgeführt wird, daß "zum Teil" Vereinbarungen zwischen der Antragstellerin und den Grundeigentümern zustandegekommen seien, ohne auch nur anzuführen, um welche der insgesamt enteigneten Grundeigentümer es sich dabei handelte. Auch das Protokoll über die Enteignungsverhandlung gibt keine weitere Auskunft; der bloße Hinweis auf ein Einverständnis mit einem Verhandlungsergebnis ist mehrdeutig. Bei dieser Sachlage ist das Recht des Antragstellers auf Anrufung des Außerstreitrichters zu bejahen, weil Undeutlichkeiten im Verfahrensprotokoll und im Verwaltungsbescheid nicht zu seinen Lasten gehen dürfen.

Auch den Ausführungen des Rekursgerichtes zur Höhe der festzusetzenden Entschädigung ist zuzustimmen. Bei Ermittlung des Entschädigungsbetrages kommt es auf die im Zeitpunkt der Enteignung bestehenden Verwendungsmöglichkeiten für das enteignete Grundstück an. Die konkrete wirtschaftliche Verwendungsmöglichkeit ist nach der zu diesem Zeitpunkt bestandenen Sach- und Rechtslage zu beurteilen (8 Ob 625/90). Eine nicht der Rechtslage entsprechende widmungswidrige tatsächliche Verwendung kann sich auf die Höhe der Entschädigung daher nur negativ insoweit auswirken, als die Kosten der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes als entschädigungsmindernd zu berücksichtigen sind. Da im vorliegenden Fall selbst unter der Voraussetzung, daß die Verwendung des Grundstückes als Lagerplatz baubehördlich nicht genehmigungspflichtig wäre (hiezu sind noch nähere Feststellungen erforderlich), mangels der Möglichkeit, eine Zufahrtsgenehmigung zu erreichen, eine Nutzung nur eingeschränkt ohne Verwendung von Fahrzeugen zu Fuß, also wohl nur durch einen Nachbargrundeigentümer, möglich ist, kann dies keinesfalls zu einer Verdoppelung des sonst für gleichartige Freilandgrundstücke gegebenen Verkehrswertes führen. Eine tatsächliche berechtigte Nutzung als Lagerplatz durch den Antragsteller wäre diesem daher nicht durch eine Erhöhung des Verkehrswertes des Grundstückes, sondern in Höhe des ihm konkret durch den Nutzungsausfall entstandenen Nachteiles, allerdings nur im Rahmen eines befugten Gebrauches des Lagerplatzes und nur zur Zwischenlagerung von Gütern, die einen Transport ohne Fahrzeug zulassen, abzugelten.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl Hauer, Tiroler Baurecht, Anm 1 zu § 3 TBO) ist unter einem Bau (Bauwerk) jede Anlage zu verstehen, zu deren Herstellung ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich ist, die mit dem Boden in eine gewisse Verbindung gebracht ist und die wegen ihrer Beschaffenheit die öffentlichen Interessen zu berühren geeignet ist. Unter diesem Gesichtspunkt muß der im vorliegenden Fall errichtete Brunnen jedenfalls als Bauwerk im Sinne des Gesetzes angesehen werden, das infolge der ausdrücklichen Anführung im § 25 lit e TBO jedenfalls einer Baubewilligung bedurft hätte. Hinsichtlich der Stahlbetonplatte samt Rollierung wird eine ergänzende Klärung noch erforderlich sein, wobei auch auf § 15 Abs 2 TROG Bedacht zu nehmen sein wird.

Da der Verkehrswert der Liegenschaft in dem zum Entschädigungszeitpunkt bestehenden Zustand zu ermitteln ist, muß auch deren Ausformung in der Natur miteinbezogen werden. Eine gesonderte Vergütung des zur Beseitigung einer Neigung aufgewendeten Schüttmateriales, das mit der ursprünglichen Grundfläche in eine feste Verbindung gebracht wurde, kommt nicht in Betracht.

Dem Revisionsrekurs war daher keine Folge zu geben.

Die Revisionsrekursbeantwortung war als verspätet zurückzuweisen. Der Revisionsrekurs wurde der Antragsgegnerin am 2.12.1992 zugestellt. Die Frist zur Beantwortung dieses Rechtsmittels ist daher am 16.12.1992 abgelaufen. Die Rechtsmittelbeantwortung wurde erst am 17.12.1992, somit verspätet, zur Post gegeben.

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