OGH 9ObA15/93

OGH9ObA15/9317.3.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Othmar Roniger und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Klägers A***** M*****, Mechanikermeister, ***** vertreten durch Dr.Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, wider die Beklagte P***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Robert Obermann, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wegen S 537.545,03 brutto sA (im Revisionsverfahren S 531.313,36 brutto sA), infolge Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Oktober 1992, GZ 8 Ra 52/92-13, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 1.Oktober 1991, GZ 23 Cga 59/91-8, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der Beklagten wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionsbeantwortung des Klägers wird als verspätet zurückgewiesen.

Beide Teile haben die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob der Kläger wegen seines Verhaltens im Zusammenhang mit seiner Anhaltung in Bulgarien gerechtfertigt entlassen wurde, zutreffend verneint. Es reicht daher insofern aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin, der Kläger habe sich den gewährten Urlaub "erschlichen", so daß seine Entlassung auch im Hinblick auf die voraussichtlich längere Dauer der Anhaltung zu Recht erfolgt sei, entgegenzuhalten, daß sie damit nur zum Teil von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen ausgeht.

Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, beschränkte sich die schriftliche Entlassungserklärung der Beklagten vom 22.Februar 1991 im wesentlichen auf den Vorwurf, daß der Kläger eine erwerbsmäßige Nebenbeschäftigung (Versicherungsvermittlung) ausübe und diese nicht gemeldet habe. Diese Nebenbeschäftigung des Klägers war aber, da ihr kein gesetzliches oder vertragliches Verbot entgegenstand und sie die Arbeitspflichten nicht beeinträchtigte, zulässig. Der Kläger war nicht verpflichtet, der Beklagten seine Nebenbeschäftigung bekannt zu geben (Mayer-Maly-Marhold, Österr Arbeitsrecht I 108; Schwarz-Löschnigg; Arbeitsrecht4, 447; Martinek - M. Schwarz - W. Schwarz, AngG7, 614; Arb 10.017; 9 Ob A 116/91 ua). Der Arbeitgeber kann sich zwar auch noch auf solche Entlassungsgründe berufen, die er vorerst nicht geltend gemacht oder erst nach der Entlassungserklärung erfahren hat, doch müssen diese Gründe im Zeitpunkt des Ausspruches der Entlassung bereits gegeben sein (vgl Kuderna, Das Entlassungsrecht 14f; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 443; Arb 9492 ua).

In erster Instanz machte die Beklagte expressis verbis nur die Entlassungstatbestände des § 27 Z 1 und 4 AngG geltend. Sowohl für den Tatbestand nach § 27 Z 4 AngG als auch für den vom Erstgericht angenommenen Tatbestand nach § 27 Z 5 AngG ist es aber von ausschlaggebender Bedeutung, daß der Kläger am 22.Februar 1991 vereinbarungsgemäß (§ 4 Abs 1 UrlG) Urlaub hatte, so daß er weder die Dienstleistung ungerechtfertigt unterlassen konnte, noch durch eine anderwerte Abwesenheit an der Verrichtung seiner Dienste gehindert war. Diese Entlassungstatbestände setzen aber voraus, daß die Unterlassung der Dienstleistung bzw die Absenz des Arbeitnehmers (im Falle des § 27 Z 4 AngG ohne einen rechtmäßigen Hinderunggrund) eine den Umständen nach erheblche Zeit gedauert haben muß (vgl Kuderna aaO, 94 und 97; Schwarz-Löschnigg aaO, die darauf hinweisen, daß bei fortschreitender Dauer der Dienstverhinderung auch das Ausmaß der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung steigt; Martinek - M. Schwarz - W. Schwarz aaO 626 ff, 640; DRdA 1974, 149 [Hagen]). An diese eine Pflichtwidrigkeit ausschließende Urlaubsvereinbarung war auch die Beklagte gebunden, die von der Vereinbarung nur aus besonders schwerwiegenden betrieblichen Gründen hätte zurücktreten können (vgl Cerny, Urlaubsrecht5, 87).

Abgesehen davon, daß der Arbeitnehmer das Ersuchen um Gewährung des ihm zustehenden Erholungsurlaubs in der Regel nicht begründen und die Urlaubsmotive nicht bekanntgeben muß, trifft es entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht zu, daß sich der Kläger den Urlaub "erschlichen" habe. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatte der Kläger seiner Gattin vielmehr telefonisch mitgeteilt, daß er in Bulgarien "Schwierigkeiten" habe und sie um Vorsprache bei der Beklagten zwecks Urlaubsgewährung ersucht. Daß die Gattin dem Betriebsleiter als Grund für das Urlaubsansuchen einen "Verkehrsunfall in Bulgarien" angab, kann nicht dem Kläger angelastet werden. Der Urlaub wurde am 17.Februar 1991 gewährt, zumal der Kläger noch über genügend unverbrauchten Urlaub verfügte.

Es verbleibt sohin lediglich der Umstand, daß der Kläger am 19. Februar 1991 die telefonische Anfrage des Prokuristen der Beklagten, ob er einen Verkehrsunfall erlitten habe, fälschlich bejahte. Dieses Verhalten reicht jedoch nicht aus, um daraus den Tatbestand der Vertrauensverwirkung im Sinne des § 27 Z 1 dritter Fall AngG (vgl SZ 62/214) ableiten zu können, da nicht jede Unwahrheit Vertrauensunwürdigkeit nach sich zieht. Einerseits relativierte der Kläger seine Erklärung nämlich schon dadurch, daß er wiederholt sagte, er könne am Telefon "nicht frei antworten bzw frei sprechen"; andererseits betraf die Anhaltung im Ausland deren Dauer der Kläger noch nicht absehen konnte, seine mit dienstlichen Belangen nicht in Beziehung stehende Nebenbeschäftigung, die er auf diese Weise hätte preisgeben müssen (vgl Kuderna aaO 89; auch DRdA 86/19 [Petrovic]). Insgesamt wiegt sohin sein Verhalten - objektiv gesehen - nicht so schwer, daß der Beklagten aus diesem Grunde schon am 22. Feber 1991 die Weiterbeschäftigung unzumutbar gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 40 und 50 ZPO begründet. Dem in der Abwehr der Revision der Beklagten erfolgreichen Kläger steht kein Kostenersatz zu, da die Revision schon am 27.November 1992 zugestellt, die Revisionsbeantwortung aber erst am 8.Jänner 1993 zur Post gegeben wurde.

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