OGH 10ObS171/92

OGH10ObS171/924.3.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Richard Warnung (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Pata (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Martha B*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1101 Wien, Wienerbergstraße 15-19, wegen Feststellung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.März 1992, GZ 32 Rs 20/92-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 1.Oktober 1991, GZ 5 Cgs 504/91-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren bis zur Klagezustellung als nichtig aufgehoben. Die Klage wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit von der bei der Beklagten krankenversicherten Klägerin ausdrücklich verlangtem (§ 367 Abs 1 Z 2 ASVG) Bescheid vom 29.1.1991 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Übernahme der im Pflegeheim der Stadt Wien-Lainz ab 5.12.1990 aufgelaufenen Pflegekosten unter Berufung auf § 144 Abs 4 ASVG ab.

Die fristgerechte Klage der schon in erster Instanz qualifiziert vertretenen (§ 40 Abs 1 Z 2 ASGG) Klägerin richtet sich auf Feststellung, daß es sich beim Aufenthalt im Pflegeheim Lainz ab 5.12.1990 um einen Versicherungsfall der Krankheit gemäß § 120 Abs 1 Z 1 ASVG handle. Die Klägerin sei nach einem am 5.11.1990 erlittenen Sehnen- und Wadenbeinbruch bis 5.12.1990 in stationärer Erstbehandlung des Meidlinger Unfallkrankenhauses gestanden und dann wegen Bettenmangels zwecks Weiterbehandlung in einem Kurzzeitpflegebett vorübergehend in das Pflegeheim der Stadt Wien-Lainz eingewiesen worden. Dabei handle es sich um eine Pflegeanstalt für chronisch Kranke, die ärztlicher Betreuung und besonderer Pflege bedürften. Die Klägerin sei jedoch nicht chronisch krank gewesen, sondern in einem komplizierteren und längerdauernden Heilungsprozeß nach einem Beinbruch gestanden, weshalb (die Voraussetzungen des) § 120 Abs 1 Z 1 ASVG gegeben sei(en). Daher könne die Einweisung in die Pflegeanstalt bestenfalls Rechtsfolgen zwischen der Beklagten und dem Krankenanstaltenträger, nicht aber für die Klägerin auslösen.

Die Beklagte wendete ein, daß die Unterbringung in einer Pflegeanstalt für chronisch Kranke, die ärztlicher Betreuung und besonderer Pflege bedürften (§ 2 Abs 1 Z 4 KAG) nach § 144 Abs 4 ASVG nicht als Anstaltspflege gelte. Ob es sich bei der Klägerin während des Aufenthaltes in dieser Anstalt um einen Behandlungs- oder Pflegefall gehandelt habe, sei daher rechtlich nicht relevant. Das "auf Übernahme von Pflegegebühren, also auf die Gewährung von Anstaltspflege gerichtete" Klagebegehren sei daher verfehlt und abzuweisen.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Es traf im wesentlichen folgende unbekämpft gebliebene Tatsachenfeststellungen:

Die am 13.2.1922 geborene Klägerin erlitt am 5.11.1990 beim Seniorenturnen einen Bruch des linken kniegelenknahen Schienbeinknorrens und einen Wadenbeinbruch links unterhalb des Köpfchens. Sie wurde im Rahmen einer stationären Behandlung im Unfallkrankenhaus Meidling vom 5.11. bis 5.12.1990 primär mit einem gespaltenen, nach einer Woche mit einem geschlossenen Oberschenkelgips versorgt. Dann wurde sie an die IV. medizinische Abteilung des Pflegeheimes der Stadt Wien-Lainz transferiert, wo sie bis 31.1.1991 in weiterer stationärer Behandlung stand. Während dieser wurde sie (zunächst) mit Unterstützung durch einen Gehwagen mit Achselabstützung mobilisiert. Durch weitere physikotherapeutische und physikalische Behandlungen konnte ein Gehen mit Unterarmstützkrücken und nach Gipsabnahme mit Stockhilfe erreicht werden, so daß sie nach Erzielung einer ausreichend sicheren Gehfähigkeit aus der stationären Abteilungspflege (nach Hause) entlassen werden konnte. Während der gesamten Zeit wurde auch eine Thromboseprophylaxe mit Marcoumar durchgeführt, um die Gerinnungsfähigkeit des Blutes herabzusetzen. Eine chronische Erkrankung lag nicht vor. Im Pflegeheim Lainz wurde vielmehr eine Rehabilitationstherapie zur Wiedererlangung der Gehfähigkeit vorgenommen, die im (Unfall)Krankenhaus Meidling wegen Bettenmangels nicht durchgeführt werden konnte. Bei der Entlassung aus dem Unfallkrankenhaus war die Gehfähigkeit der Klägerin noch nicht wiederhergestellt. Sie war noch auf einen Rollwagen angewiesen und hätte sich daheim nicht zurechtfinden können. Die Transferierung vom Unfallkrankenhaus in das Pflegeheim wurde "ohne Willen" und ohne Rechtsbelehrung der Klägerin über die sozialversicherungsrechtlich verschiedene Beurteilung der stationären Aufenthalte vorgenommen.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes habe seit dem Unfall vom 5.11.1990 der Versicherungsfall des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG vorgelegen, und die Beklagte hätte zufolge der Art der Erkrankung und notwendigen Wiederherstellungsmaßnahmen die Verpflichtungen nach § 144 Abs 1 leg cit getroffen. Dieser Verpflichtung habe sie sich nicht dadurch entziehen können, daß sie die versicherte Klägerin durch Erfüllungsgehilfen aus Gründen, welche die Versicherte nicht zu vertreten habe, wie etwa Bettenmangel, von der öffentlichen Krankenanstalt, deren Pflegekosten die Beklagte zu tragen habe, in eine Anstalt nach § 144 Abs 4 ASVG habe verlegen lassen, deren Kosten die Versicherte aus eigenem zu tragen habe. Der Ausschluß der Verpflichtung zur Übernahme der Kosten einer Anstaltspflege nach § 144 Abs 4 ASVG sei nur wirksam, wenn die besondere Eigenart der Erkrankung vorliege, für welche diese Sonderanstalten geschaffen worden seien. Diese besonderen Umständen hätten jedoch bei der Klägerin nicht vorgelegen, weil bei dieser eine Krankheit bestanden habe, zu deren Behandlung und Beseitigung die öffentlichen Krankenanstalten nach § 144 Abs 1 ASVG zuständig seien. Dennoch sei das Klagebegehren abzuweisen, weil es nicht auf die Feststellung eines Rechtes gerichtet sei, sondern unzulässsigerweise auf die rechtliche Qualifizierung einer Tatsache. Eine Feststellungsklage sei auch unzulässig, wenn schon eine Leistungsklage möglich wäre. Schließlich decke sich das Klagebegehren nicht mit dem im angefochtenen Bescheid abgewiesenen Begehren.

In der vor allem wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung führte die Klägerin aus, auch wenn man zur Ansicht gelangen sollte, daß es sich beim Versicherungsfall der Krankheit nach § 120 Abs 1 Z 1 (ASVG) um eine rechtlich qualifizierte Tatsache handle, bleibe noch immer die Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteiein und den daraus erfließenden Ansprüchen. Wegen der beschränkten Rechtskraft einer Leistungsklage könnte die Klägerin, von deren Pension die Gemeinde Wien als Rechtsträgerin des Pflegeheimes Lainz 80 % in Anspruch genommen habe, diesen Pensionsanteil nur gegen die Gemeinde geltend machen. Die Klägerin habe schon deshalb ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung des Versicherungsfalles der Krankheit, weil eine erweiterte Rechtskraftwirkung gegenüber dem Rechtsträger des Pflegeheimes oder jedem dafür zuständigen Spital bestünde. Wegen der sukzessiven Kompetenz müsse sich das Klagebegehren nicht mit dem Bescheidbegehren decken. Die erweiterte Manuduktionspflicht hätte dem Gericht die Möglichkeit gegeben, die rechtsfreundlich vertretene Klägerin zu einem richtigen Antrag anzuleiten. Sollte das rechtliche Interesse an der Feststellung aber tatsächlich fehlen, dann wäre die Klage nicht mit Urteil abzuweisen, sondern mit Beschluß zurückzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt.

Es verwies auf die Einschränkung des Anspruches auf Anstaltspflege durch Unterbringung in einem Heim für Genesende bzw in einem Pflegeheim nach § 144 Abs 4 ASVG, weshalb die Verlegung der Klägerin aus dem Unfallkrankenhaus Meidling in das Pflegeheim Lainz medizinisch berechtigt gewesen sei. Daß diese Behandlung bzw Pflege oder Rehabilitation auch im Krankenhaus hätte durchgeführt werden können, spreche nicht dagegen. Anspruch auf Rehabilitation bestehe nämlich nur gegenüber dem Träger der Unfall- bzw der Pensionsversicherung, nicht hingegen gegenüber dem Träger der Krankenversicherung. Der Mangel an Anstaltsbetten möge die Verlegung der Klägerin in ein Pflegeheim um einige (wenige) Tage beschleunigt haben, ändere aber nichts daran, daß die notwendige Pflege iS des § 144 Abs 1 ASVG die Heilung des Knochenbruches, nicht aber die anschließende Mobilisierung umfaßt habe. Die Feststellung einer Tatsache (mit Ausnahme der Urkundenechtheit) und deren rechtliche Qualifikation seien nicht Gegenstand einer Feststellungsklage. Die Klägerin habe kein Leistungsbegehren gestellt; ein solches wäre auch nicht berechtigt. Bei der Möglichkeit eines Leistungsbegehrens sei eine Feststellungsklage unzulässig. Den Ersatzanspruch eines Trägers der Sozialhilfe (§ 324 ASVG) hätte die Klägerin durch ein Leistungsbegehren gegen den Sozialversicherungsträger abwenden können. Ein stattgebendes Feststellungsurteil wäre aber gegen den Sozialhilfeträger wirkungslos. Dies mache das fehlende Rechtsschutzinteresse gegenüber dem Krankenversicherungsträger besonders deutlich. Auf die erweiterte Anleitungspflicht des § 39 Abs 2 ASGG könne sich die qualifiziert vertretene Klägerin ebensowenig berufen wie auf die Prozeßleitungspflicht nach § 182 ZPO, weil die Beklagte auf das verfehlte Klagebegehren schon in der Klagebeantwortung aufmerksam gemacht habe. Eine Wiederholung dieses Hinweises durch das Gericht hätte der Klägerin keine zusätzlichen Anleitungen geben können. Eine amtswegige Umformulierung des Klagebegehrens wäre unzulässig gewesen. Die Klage sei daher zutreffend mit Urteil abgewiesen worden.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die unbeantwortet gebliebene Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 1 Z 2 ASGG zulässig.

(Die folgenden Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des ASVG in der hier anzuwendenden Fassung.)

Sozialrechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (in der hier anzuwendenden Fassung) - die anderen Ziffern dieser Gesetzesstelle sind im vorliegenden Fall nicht anzuwenden - sind Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen ... (§ 354 Z 1).

Nach § 65 Abs 2 Satz 1 ASGG fallen unter den Abs 1 dieser Gesetzesstelle auch Klagen auf Feststellung. Als Feststellung eines Rechtsverhältnisses oder Rechts gilt gemäß Satz 2 des Abs 2 auch diejenige, daß eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits(Dienst)unfalls oder einer Berufskrankheit ist (§ 367 Abs 1).

Nach der bezogenen Bestimmung ist über den Antrag auf Zuerkennung einer Leistung aus der Krankenversicherung ... ein Bescheid zu erlassen, wenn 1. der Versicherungsträger von sich aus ohne Einwilligung des Erkrankten (Versehrten) Anstaltspflege oder Wiederaufnahme der Heilbehandlung verfügt oder wenn 2. die beantragte Leistung ganz oder teilweise abgelehnt wird und der Anspruchswerber ausdrücklich einen Bescheid verlangt. § 367 Abs 1 ist nach Abs 2 leg cit entsprechend anzuwenden bei Entziehung, Versagung, Neufeststellung, Widerruf, Abfertigung oder Ruhen eines Leistungsanspruches ...

Nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG darf ua in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1 leg cit - vorbehaltlich des hier nicht relevanten § 68 - vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. "Darüber" heißt, daß der Bescheid über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch ergangen sein muß (vgl Kuderna, ASGG § 67 Erl 3; SSV-NF 2/67, 5/134).

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte über den (Leistungs)Antrag der Klägerin auf Übernahme der im Pflegeheim der Stadt Wien-Lainz ab 5.12.1990 aufgelaufenen Pflegekosten negativ entschieden, nicht jedoch über ein Feststellungsbegehren abgesprochen, daß es sich bei dem Aufenthalt in diesem Pflegeheim ab 5.12.1990 um einen Versicherungsfall der Krankheit gemäß § 120 Abs 1 Z 1 handle.

Der erkennende Senat hat schon wiederholt ausgesprochen, daß auch die nach § 65 Abs 2 Satz 1 ASGG grundsätzlich zulässigen Feststellungsklagen nach dem (im § 67 leg cit festgelegten) "Prinzip der sukzessiven Kompetenz" ein Verfahren vor dem Versicherungsträger und - abgesehen von den Säumnisfällen des § 67 Abs 1 Z 2 ASGG - einen Bescheid über diese Leistungssache voraussetzen (SSV-NF 2/67, 5/134 unter Bedachtnahme auf Kuderna, ASGG § 65 Erl 13, der sich auf die RV bezieht).

Wird eine Klage erhoben, obwohl die ua im § 67 ASGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, so ist sie nach § 73 leg cit in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen. Die letztgenannte Bestimmung stellt klar, daß es sich bei den darin genannten Voraussetzungen um Voraussetzungen der Rechtswegzulässigkeit handelt. Wenn dem Zurückweisungsbeschluß bereits ein Verfahren vorangegangen ist, ist nach dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG anzuwendenden § 42 Abs 1 JN die Nichtigkeit des Verfahrens mit Beschluß auszusprechen. Eine Zurückweisung der Klage nach § 73 ASGG und ein Ausspruch iS des § 42 Abs 1 JN können jedoch nach dessen Abs 3 nicht erfolgen, wenn dem in Ansehung des Grundes der Nichtigkeit eine von demselben oder einem anderen Gerichte gefällte, noch bindende Entscheidung entgegensteht (Kuderna, ASGG § 73 Erl 1), was jedoch hier nicht der Fall ist.

Aus Anlaß der zulässigen Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren nach § 42 Abs 1 JN als nichtig aufzuheben; die Klage war nach § 73 ASGG zurückzuweisen.

Der in der Berufung behauptete erstgerichtliche Verfahrensmangel der unzureichenden richterlichen Anleitung und Belehrung iS des § 39 Abs 2 Z 1 ASGG und des § 182 ZPO hinsichtlich des Klagebegehrens wurde vom Berufungsgericht verneint und daher - offenbar iS der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (zuletzt SSV-NF 5/116) - in der Revision richtigerweise nicht mehr geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte