OGH 6Ob618/92

OGH6Ob618/9225.2.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friederike F*****, vertreten durch Dr. Klaus und Dr. Ute Messiner, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Hermine W*****, vertreten durch Dr. Hans Paternioner und Dr. Franz Niederleitner, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 65.000 sA (Revisionsstreitwert S 55.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 16.7.1992, GZ 5 R 84/92-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22.1.1992, GZ 24 Cg 76/91-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.348,80 (darin S 724,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wollte im Jänner 1991 von der Beklagten einen handgeknüpften Orientteppich mit der handelsüblichen Bezeichnung Mesched kaufen. Der Teppich wurde von der Beklagten zunächst mit einem Kaufpreis von S 100.000 veranschlagt. Dort, wo in der Wohnung der Klägerin der Teppich aufgelegt werden sollte, befanden sich zwei Teppiche der Marke Isfahan und Hamedan. Die Beklagte schlug vor, diese mitzunehmen, die Klägerin müsse für den Teppich Mesched dann lediglich S 65.000 bezahlen. Mit dieser Vorgangsweise erklärte sich die Klägerin einverstanden. Sie zahlte S 65.000 und erhielt als "Draufgabe" eine kleine Bucharabrücke.

Als die Klägerin aufgrund eingeholter Auskünfte feststellte, daß der erworbene Teppich nicht den von ihr tatsächlich bezahlten Wert aufweise, wollte sie das Geschäft rückgängig machen. Die Beklagte erklärte sich bereit, die beiden übernommenen Teppiche Isfahan und Hamedan zurückzugeben, nicht aber den Teppich Mesched gegen Rückzahlung des Barkaufpreises zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 26.2.1991 und 7.3.1991 erklärten die Klagevertreter die Vertragsaufhebung wegen Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes und Irreführung und forderten die Beklagte auf, den Betrag von S 65.000 und die beiden von der Klägerin übergebenen Teppiche Isfahan und Hamedan zurückzustellen, dies Zug-um-Zug gegen die Aushändigung des Teppichs Mesched. Die Beklagte hat die beiden ihr übergebenen Teppiche zurückgestellt, eine Vertragsaufhebung jedoch verweigert.

Der Teppich Mesched hat einschließlich Umsatzsteuer einen Verkehrswert von S 55.000, der 1960 entstandene Teppich Isfahan weist übliche Gebrauchsspuren auf und ist im derzeitigen Zustand S 30.000, der Teppich Hamedan mit ebenfalls üblichen Abnützungserscheinungen ca. S 70.000 wert.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von S 65.000 mit der Begründung, sie habe den Wertangaben der Beklagten und deren Erklärung eines äußerst günstigen Geschäftes vertraut und erst nachträglich festgestellt, daß sie über den Wert der Teppiche ganz offensichtlich in Irrtum geführt worden sei. Überdies liege eine Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes vor. Die Beklagte habe lediglich die von der Klägerin erhaltenen beiden Teppiche zurückgestellt, sich aber trotz Ungültigkeit des Geschäftes geweigert, in Rückabwicklung den von der Klägerin geleisteten Barkaufpreis zurückzuerstatten. Der abgeschlossene Vertrag bilde eine Einheit. Die Beklagte habe auch keine Bereitschaft gezeigt, durch Reduzierung des Kaufpreises auf den angemessenen Wert das Rechtsgeschäft aufrecht zu erhalten.

Die Beklagte wandte ein, die Klägerin habe den Teppich Mesched um S 65.000 gekauft, weil er ihr gefallen habe. Über Ersuchen der Klägerin habe sie deren beide alten, brüchigen und mit Mottenlöchern versehenen wertlosen Teppiche zur Entsorgung mitgenommen, diese aber über Verlangen der Klägerin wieder zurückgestellt.

Die Beklagte erklärte sich vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz bereit, für den Fall des Vorliegens eines einheitlichen Rechtsgeschäftes zu dessen Aufrechterhaltung einen Geldausgleich von S 10.000 zu zahlen und hat ihrem Vertreter diesen Betrag mit der Weisung übergeben, ihn der Klägerin anzubieten.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von S 65.000 sA Zug-um-Zug gegen Herausgabe des handgeknüpften Orientteppichs Mesched. Rechtlich habe die Beklagte von der ihr in § 934 ABGB eingeräumten Ermächtigung, das auf den gemeinen Wert fehlende nachzutragen, zwar Gebrauch gemacht, die Klägerin habe den Vertrag aber auch wegen Irreführung angefochten. Der Irrtum der Klägerin sei sowohl wesentlich als auch von der Beklagten veranlaßt; der Vertrag daher anfechtbar. In Rückabwicklung des Vertrages sei über Begehren der Beklagten die Zug-um-Zugverpflichtung der Klägerin zur Rückstellung des Erhaltenen in den Urteilsspruch aufzunehmen gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge, erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin S 10.000 sA zu zahlen und wies das Mehrbegehren von S 55.000 sA ab.

Das vorliegende Rechtsgeschäft, bei welchem gebrauchte Sachen in Zahlung gegeben worden seien, sei nicht als Doppelkauf, sondern wegen des einheitlichen Umsatzzieles als einheitliches Geschäft anzusehen. Eine Anfechtung wegen Irrtumes komme nicht in Betracht, weil jedem Vertragspartner die Bewertung seines Leistungsgegenstandes freistehe und ein Irrtum über den Wert zum typischen Vertragsrisiko gehöre, das einer Partei nicht abgenommen werden könne. Wäre die Klägerin im Zweifel gewesen, ob der von der Beklagten geforderte Kaufpreis für den gewünschten Teppich Mesched von zunächst S 100.000, unter Inzahlungnahme der beiden Teppiche der Klägerin sodann S 65.000, im Hinblick auf deren Alter und Erhaltungszustand angemessen sei, wäre es ihr freigestanden, eine nähere Prüfung des Verkehrswertes zu veranlassen. Daß die Beklagte dahin abzielende Absichten der Klägerin bewußt vereitelt und die Kenntnis des wahren Sachverhaltes geradezu verhindert hätte - nur in diesem Fall könnte von List gesprochen werden -, sei nicht festgestellt und auch substantiiert gar nicht behauptet worden.

Bei den festgestellten Wertverhältnissen der beiden Leistungen: S 55.000 (Beklagte) zu S 165.000 (Klägerin) sei eine Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes und damit ein Vertragsaufhebungsgrund gegeben. Die Beklagte habe rechtzeitig vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz ihren Ersatzwillen erklärt. Dies bewirke die Aufrechterhaltung des Geschäftes. Die Klägerin habe nur noch die Zahlung des nach der Rückstellung ihrer beiden Teppiche verbliebenen rechnerischen Abganges von S 10.000 zu fordern. Ihr auf Gestaltungswirkung gerichtetes Leistungsbegehren umfasse auch ein solches auf Zahlung des Ausgleiches. Auf diesen Betrag habe das Urteil zu lauten.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Zulässigkeit eines direkten Zuspruches des Differenzersatzes nach § 934 ABGB und das Fehlen eines auf Vertragsaufhebung gerichteten Rechtsgestaltungsbegehrens in Lehre und Rechtsprechung unterschiedlich behandelt würden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aus jüngerer Zeit besteht, wie das Urteil zu lauten hat, wenn einer Aufhebungsklage wegen laesio enormis in erster Instanz vom Gegner das Anbieten auf Ersatz des Fehlenden auf den gemeinen Wert entgegengesetzt wird. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Die Ansicht der Revisionswerberin, die Aufrechterhaltung eines Vertrages, der wegen laesio enormis angefochten wird, durch Anbieten des Differenzbetrages auf den gemeinen Wert sei nur bis zur - außergerichtlichen - Auflösungserklärung des Verletzten möglich, ist unrichtig, denn bis zur Klärung des wahren Wertes von Leistung und Gegenleistung im Prozeß kann noch gar nicht beurteilt werden, ob das Aufhebungsbegehren berechtigt ist und welchen Betrag der Verkürzende anzubieten hat. Die Erklärung, das Fehlende auf den gemeinen Wert zu ersetzen, ist daher bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz möglich, aber auch nur bis zu diesem Zeitpunkt zulässig (6 Ob 753/81; SZ 61/162). Ist ein Vertrag wegen Verletzung über die Hälfte mit rechtskräftigem Rechtsgestaltungsurteil für aufgelöst erklärt, so kann er durch nachträgliches Anbieten des Preisunterschiedes nicht wieder Gültigkeit erlangen. Die in SZ 6/341 und GlU 4485 vertretene Ansicht, das Gericht werde dann, wenn der Beklagte den im Verfahren ermittelten Unterschiedsbetrag vor dem Urteil anbiete, aber nicht schon zahle, erforderlichenfalls das Urteil dahin zu fassen haben, daß es die Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrages und die Ersatzbefugnis des Beklagten (als facultas alternativa) ausspreche, teilt der erkennende Senat nicht, denn mit der Ausübung der dem Beklagten eingeräumten wahlweisen Ermächtigung der Erklärung, zum Ausgleich bis zum gemeinen Wert bereit zu sein, erlischt das Aufhebungsbegehren und der Verkürzende ist zur Ausgleichsleistung verpflichtet; sein Wahlrecht ist mit der Abgabe der Erklärung erloschen (vgl auch Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 11 zu § 934; Gschnitzer in Klang IV 1, 565). Ist aber das Aufhebungsbegehren erloschen, so kann nicht mehr mit Rechtsgestaltungsurteil die Vertragsaufhebung unter Einräumung eines schon konsumierten Wahlrechtes ausgesprochen werden. Das Urteil hat nur mehr auf Zahlung des Ausgleichsbetrages durch den Verkürzenden zu lauten; ein durch Unterlassung der Klagseinschränkung noch bestehendes Mehrbegehren ist abzuweisen.

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes zum ebenfalls geltend gemachten Aufhebungsgrund des Irrtumes sind zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO). Ein Irrtum über den Wert der Sache ist ein Irrtum im Beweggrund und nur dann relevant, wenn listige Irreführung vorliegt. Dafür bieten aber die Feststellungen und auch das Klagsvorbringen keinen Anhaltspunkt, denn eine bewußte Täuschung der Klägerin oder bewußte Verschleierung des wahren Sachverhaltes durch die Beklagte ist nicht festgestellt. Diese hat lediglich in ihren Prozeßeinwendungen - zur Abwehr des Aufhebungsbegehrens - die Wertlosigkeit der in Zahlung gegebenen Teppiche behauptet.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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