European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0150OS00011.9300000.0211.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Darauf wird der Angeklagte mit seiner Berufung verwiesen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem bekämpften Urteil wurde der Angeklagte Mag.Walter P* des Verbrechens der versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 2.Juni 1992 auf der Fahrt von Sch* nach R* und in R* eine unmündige Person, nämlich den am 18.Juni 1981 geborenen Darko J*, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht zu mißbrauchen versucht, indem er während der Autofahrt (nach R*) ihn über der Hose an den Oberschenkeln betastete und später (in R*) im Schwimmbad ihn schließlich in eine Duschkabine zog und ihn aufforderte, sich gemeinsam auszuziehen.
Darauf, ob durch diese Tathandlungen allenfalls auch (idealkonkurriend) das Vergehen des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB verwirklicht wurde, ging das Erstgericht nicht ein, obwohl die - rechtlich verfehlte - Erklärung der Staatsanwaltschaft anläßlich der Einbringung der Anklageschrift, wonach "im Hinblick auf die Anklageschrift.....von einer Verfolgung wegen § 212 StGB gem. § 34 Abs 2 StPO unter Verfolgungsvorbehalt abgesehen" wird, dem nicht entgegengestanden wäre. Denn ein Absehen von der Verfolgung nach § 34 Abs 2 StPO kommt nur in Ansehung einer (von mehreren) Taten in Betracht, nicht aber in Ansehung einzelner Aspekte der rechtlichen Beurteilung ein und derselben Tat, weshalb im Hinblick darauf, daß das Gericht die angeklagten Tathandlungen ohne Bindung an die in der Anklageschrift enthaltene Bezeichnung zu beurteilen hat (§ 262 StPO), die verfehlte Erklärung des Anklägers keine rechtlichen Wirkungen zu entfalten vermochte.
In den Entscheidungsgründen stellte das Erstgericht fest, daß der wegen der Erkrankung des Pfarrers von Sch* als Aushilfspfarrer eingeteilte Angeklagte die Ministranten J*, K*, M* und R* einlud, mit ihm das Schwimmbad in R* zu besuchen. Das Schöffengericht konstatierte sodann weiters (wörtlich): "Bereits auf der Fahrt von Sch* nach R* griff der Beschuldigte (gemeint: Angeklagte) mehrmals auf die Oberschenkel des J*. Da befragte er ihn, ob dies schön sei, was jedoch von dem genannten Zeugen verneint wurde. Nachdem sich alle umgezogen hatten schwammen alle fünf Personen einige Zeit. Schließlich forderte der Angeklagte den Zeugen J* auf, mit ihm in die Garderobe zu gehen, da er ihm etwas zu sagen habe. Da Darko J* nicht mitgehen wollte, erfaßte ihn der Angeklagte an den Handgelenken und versuchte, ihn in die Garderobe zu zerren, was jedoch nicht gelang. Schließlich zog er ihn in die Dusche und verlangte, daß er die Badehose ausziehe. Hiebei erklärte der Angeklagte dem Zeugen J*, daß man unter Freunden gemeinsam unter die Dusche gehe und auch zusammen die Badehose ausziehe. Vom Vorsatz des Angeklagten war umfaßt, den unmündigen Darko J*, über dessen Alter der Angeklagte Kenntnis hatte, zur Unzucht zu mißbrauchen" (US 3 und 4). Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Schöffengericht - ersichtlich in Ergänzung seiner Sachverhaltsfeststellungen - aus, daß es zu unzüchtigen Handlungen in der Duschkabine "letztlich nicht kam, da J* aus der Kabine flüchten konnte".
Diese Feststellungen stützte das Gericht auf die von ihm als glaubwürdig erachtete Aussage des Zeugen J*, die "in den wesentlichen Passagen" von den drei weiteren als Zeugen vernommenen Ministranten bestätigt worden sei (US 5), womit es auch über die von der beigezogenen Sachverständigen Dr.N*‑V* geäußerten Bedenken hinwegkam, der Zeuge J* könne wegen einer in einem psychologisch äußerst kritischen Alter vorgenommenen Operation im Genitalbereich und der nachhaltigen Warnungen seines Vaters vor Homosexuellen in einer übermäßigen Gespanntheit in Beziehung auf sexuelle Bereiche zu übersteigerten Deutungen von Vorfällen neigen (vgl S 139 ff).
Der vom Angeklagten gegen den Schuldspruch erhobenen, auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.
Was zunächst die behaupteten Vorgänge auf der Fahrt nach R* betrifft, so kann die Berührung der Oberschenkel, also einer geschlechtsneutralen Körperzone, gewiß noch nicht als Unzucht im Sinn des § 207 StGB angesehen werden (Leukauf‑Steininger Komm3 § 207 RN 7), doch kann einer derartigen Handlung - der Ansicht des Beschwerdeführers zuwider - dennoch unter dem Blickwinkel eines, bezogen auf das Vorhaben, erogene Zonen zu betasten, ausführungsnahen Verhaltens und damit des Versuches Bedeutung zukommen (Leukauf‑Steininger aaO RN 24).
Allein dafür fehlt es - wie die Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt - an Feststellungen im erstgerichtlichen Urteil.
Nach der Geschehensvariante, die der Zeuge J* vor der Gendarmerie berichtete - in der Hauptverhandlung wurde er augenscheinlich hiezu nicht befragt ‑, hätte ihm der Angeklagte während der Autofahrt, wenngleich über der Hose, auch auf den Geschlechtsteil (den "Zipfl") gegriffen, was der Zeuge bei der Vernehmung auch sinnfällig demonstrierte (S 25, 33, 35). Damit wäre in dieser Phase die Tat bereits in die Entwicklungsstufe der Vollendung übergegangen.
Das Schöffengericht folgte aber der erwähnten Darstellung des Zeugen J* ersichtlich nicht, und zwar ohne irgendeine Begründung dafür abzugeben, weshalb es dem von ihm als glaubwürdig erklärten Zeugen in diesem Belange nicht zu folgen vermochte.
Von diesem Begründungsmangel abgesehen unterliefen dem Erstgericht in diesem Zusammenhang auch Feststellungsmängel: Es unterließ bei seiner - von der Anklage abweichenden - Annahme einer bloßen Versuchshandlung jegliche Feststellung, weshalb es nicht zur Vollendung kam - die einzige Feststellung im Zuge der rechtlichen Beurteilung über eine Flucht des J* aus der Kabine bezieht sich nicht auf diese Phase des Tatgeschehens ‑, womit auch für eine Beurteilung der Frage, ob dem Angeklagten allenfalls der Strafaufhebungsgrund eines Rücktritts vom Versuch (§ 16 StGB) zugute kommen könnte, eine Grundlage fehlt.
Sollte das Schöffengericht aber - seine dürftigen Ausführungen lassen insoweit nur Mutmaßungen zu - allenfalls von der Ansicht ausgegangen sein, die (nach seinen Feststellungen nicht bis zu einem Betasten des Geschlechtsteils gediehenen) Betastungen der Oberschenkel während der Autofahrt seien ausführungsnahe Versuchshandlungen in bezug auf im Bad von R* vorzunehmende Unzuchtshandlungen, dann mangelt es bei einer solchen Geschehensvariante angesichts der relativen Ausführungsferne an Feststellungen darüber, ob es dem Tatplan des Angeklagten entsprach, durch derartige Handlungen etwa den Knaben für spätere Unzuchtshandlungen im Bad gefügig zu machen.
Als versuchte Unzucht im Bad beurteilte das Schöffengericht inhaltlich seines Urteilsspruches das Hineinziehen des Zeugen J* in eine Duschkabine und die Aufforderung, "sich gemeinsam auszuziehen".
Insoweit rügt der Beschwerdeführer im Ergebnis zutreffend Begründungsmängel.
Angesichts der von der Sachverständigen Dr.N*‑V* berichteten, aus den besonderen Lebensumständen des Zeugen J* resultierenden (und diesem daher nicht abträglich zuzurechnenden) Übersensibilisierung im sexuellen Bereich und einer damit möglichen Mißdeutungsbereitschaft wäre eine besonders sorgfältige Erörterung der Ergebnisse begleitender Beweise erforderlich gewesen. Diesem Gebot wird die pauschalierende Wertung der Aussagen der Zeugen K*, M* und R* nicht gerecht, die - nach der Darstellung des Erstgerichtes - auch beobachten konnten, "wie der Angeklagte versuchte, J* in eine Duschkabine zu zerren bzw ziehen". Denn dabei wird übersehen, daß damit - jedenfalls nach der derzeitigen Aktenlage - gar keine volle Übereinstimmung vorliegt. Die Zeugen M* und K* berichteten nämlich vor der Gendarmerie, daß sich der Angeklagte und J* in eine der "Umkleidekabinen" begaben (S 43 und 51), die, wie das Lichtbild S 79 erweist, deutlich von den Duschkabinen getrennt sind. In der Hauptverhandlung wurde diesem Umstand offenbar keine Beachtung geschenkt, weshalb die Zeugen hiezu nicht näher befragt wurden.
Dazu kommt, daß der Zeuge J* vor der Gendarmerie vorbrachte, der Angeklagte habe eine (Garderobe‑)Tür schließen wollen, was der Zeuge durch Dazwischenstellen eines Fußes verhindert habe (S 29); nach den im Akt befindlichen Lichtbildern sind jedoch sowohl die Umkleidekabinen als auch die Duschkabinen nicht mit Türen, sondern mit Vorhängen versehen (S 79, 83), und es berichtet auch der Zeuge K* von einem Zerren "hinter den Vorhang" (S 53, 133 f).
Neben dem eben erwähnten, vom Beschwerdeführer zutreffend geltend gemachten Begründungsmangel in Ansehung "übereinstimmender" Zeugenaussagen sei der Vollständigkeit halber aber auch auf einen weiteren eklatanten, vom Beschwerdeführer nicht relevierten, Begründungsmangel hingewiesen:
Das Schöffengericht erachtete die Aussage des Zeugen J* als glaubwürdig, ohne eine Einschränkung auf einzelne Teile seiner Aussage vorzunehmen und ohne zu begründen, weshalb ihm nur in Teilen seiner Aussage gefolgt werden könne. Dennoch aber nahm es nicht nur ‑ wie bereits erwähnt - jenen Teil der Aussage des genannten Zeugen nicht als erwiesen an, nach welchem der Angeklagte ihm während der Autofahrt auf den Geschlechtsteil gegriffen habe, sondern überging überdies jenen weiteren Teil seiner Aussage, wonach ihm der Angeklagte während des Schwimmens im Bad unter der Hose auf den Geschlechtsteil gegriffen habe - was von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift ausdrücklich inkriminiert wurde ‑, vollkommen mit Stillschweigen und nahm eine derartige Handlung ersichtlich nicht als erwiesen an, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, weshalb diesem Teil der Aussage nicht gefolgt werden könne.
Damit erweist sich, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, weshalb das bekämpfte Urteil schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zu kassieren und die Verfahrenserneuerung anzuordnen war (§ 285 e StPO).
Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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