Spruch:
Durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 23.Dezember 1992, AZ 24 Ns 1091-1104/92, wurde Khaled A***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Dieser Beschluß des Oberlandesgerichtes wird aufgehoben.
Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der mit 9.600 S (davon 1.600 S USt) bestimmten Beschwerdekosten auferlegt.
Text
Begründung
Gegen Khaled A***** und andere ist beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein Strafverfahren wegen § 12 Abs. 1 und Abs. 3 Z 3 SGG anhängig. Der Genannte wurde am 19.Juni 1992 um 12,30 Uhr auf Grund eines richterlichen Haftbefehls festgenommen (S 89/I); am 21.Juni 1992 wurde über ihn gemäß § 180 Abs. 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO die Untersuchungshaft verhängt (S 157/I).
Mit dem Beschluß vom 23.Dezember 1992, AZ 24 Ns 1091-1104/92, sprach das Oberlandesgericht Wien aus, daß (unter anderem) die über Khaled A***** verhängte Untersuchungshaft bis zu einem Jahr dauern darf (ON 43 des Vr-Aktes).
Dieser Beschluß langte am 28.Dezember 1992 beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein, worauf die Staatsanwaltschaft Wien am 1.Jänner 1993 gegen Khaled A***** Anklage erhob (ON 45 des Vr-Aktes) und die Ausscheidung des Verfahrens gegen den Genannten beantragte; diesem Antrag wurde am 11.Jänner 1993 entsprochen.
Rechtliche Beurteilung
In seiner gegen den oben angeführten Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien fristgerecht erhobenen Grundrechtsbeschwerde macht Khaled A***** geltend, durch diesen Beschluß in dreifacher Hinsicht in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein, nämlich dadurch, daß der Beschluß nach Ablauf der Frist des § 193 Abs. 3 StPO gefällt worden sei, daß der Beschluß lediglich floskelhaft und pauschal begründet worden sei und daher praktisch keine Begründung enthalte, und daß der Gerichtshof zweiter Instanz entgegen dem Gebot, auf eine möglichst kurze Dauer der Haft hinzuwirken, auf die höchstmögliche Dauer der Verlängerung der Haft erkannt habe.
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Da über den Beschwerdeführer die Untersuchungshaft am 21.Juni 1992 verhängt wurde, endete die Sechsmonatefrist des § 193 Abs. 3 StPO mit Ablauf des 21.Dezember 1992 (einem Montag). Aus dem Akt 24 Ns 1091-1104/92 des Oberlandesgerichtes Wien ergibt sich, daß sich der Vr-Akt bereits am 16.Dezember 1992 zur Entscheidung gemäß § 193 Abs. 4 StPO beim Oberlandesgericht Wien befand, weil er an diesem Tag der Oberstaatsanwaltschaft Wien zur Stellungnahme übermittelt wurde. Die Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft langte am 18.Dezember 1992 beim Oberlandesgericht Wien ein. Am 23.Dezember 1992 faßte das Oberlandesgericht Wien den Beschluß, daß die über den Beschwerdeführer verhängte Untersuchungshaft bis zu einem Jahr dauern darf.
Im Zeitpunkt dieser Entscheidung des Oberlandesgerichtes war somit die Frist des § 193 Abs. 3 StPO in Ansehung des Beschwerdeführers bereits abgelaufen, da diese Frist mit Ablauf des 21.Dezember 1992 geendet hatte.
Gemäß § 2 Abs. 1 GRBG ist das Grundrecht auf persönliche Freiheit insbesondere dann verletzt, wenn die Verhängung oder Aufrechterhaltung einer Haft zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht, die Dauer einer Haft unverhältnismäßig geworden ist, die Voraussetzungen einer Haft, wie Tatverdacht oder Haftgründe, unrichtig beurteilt wurden oder sonst bei einer Festnahme oder Anhaltung das Gesetz unrichtig angewendet wurde.
Gemäß Art. I Abs. 2 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Daß (nicht nur die Festnahme, sondern auch) die (weitere) Anhaltung nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise erfolgen darf, bestimmt auch Art. 5 Abs. 1 EMRK.
Bei den Fristen des § 193 Abs. 3 StPO handelt es sich - worauf schon in der im angefochtenen Beschluß (wenngleich in anderem Zusammenhang) zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SSt. 43/38 hingewiesen wurde - um imperative und nicht bloß instruktionelle Fristen, wobei schon damals beigefügt wurde, daß die Verletzung dieser Fristen "unter der Sanktion des § 6 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit stehen kann", mithin gegen das zitierte Staatsgrundgesetz verstößt. Umsomehr muß im Lichte der nunmehr geltenden Verfassungsrechtslage davon ausgegangen werden, daß die Aufrechterhaltung einer Anhaltung über die Fristen des § 193 Abs. 3 StPO hinaus, ohne daß zuvor vom Gerichtshof zweiter Instanz gemäß § 193 Abs. 4 StPO eine längere Dauer der Anhaltung für zulässig erklärt worden ist, dem Gebot, daß die Anhaltung nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise verfügt werden darf, widerspricht und demnach eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit im Sinn des § 2 Abs. 1 GRBG darstellt, die der Oberste Gerichtshof gemäß dem seit 1. Jänner 1993 geltenden Grundrechtsbeschwerde-Gesetz wahrzunehmen hat. Nach Ablauf der Fristen des § 193 Abs. 3 StPO ohne zuvor für zulässig erklärter längerer Dauer der Haft ist nämlich jede Untersuchungshaft eine (grund-)rechtswidrige (siehe abermals SSt. 43/38).
Da das Oberlandesgericht im angefochtenen Beschluß die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über den Beschwerdeführer für zulässig erklärte, obwohl im Zeitpunkt der Entscheidung die Sechsmonatefrist des § 193 Abs. 3 StPO bereits abgelaufen war, ist der Beschwerdeführer im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Diese Grundrechtsverletzung zwingt, ausgehend von der nunmehr geltenden Rechtslage, gemäß § 7 Abs. 1 GRBG zur Aufhebung des in Rede stehenden Beschlusses, ohne daß es eines Eingehens auf die weiteren Beschwerdepunkte bedurfte. Nur der Vollständigkeit halber sei beigefügt, daß eine Verlängerung der Haftdauer auf das höchstzulässige Ausmaß nur dann grundrechtskonform ist, wenn es nach den besonderen Umständen des konkreten Falles, die in der gemäß § 193 Abs. 4 StPO zu treffenden Entscheidung darzulegen sind, unbedingt geboten ist, dieses Höchstausmaß ausschöpfen zu müssen.
Übereinstimmend mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher spruchgemäß zu erkennen.
Das Oberlandesgericht Wien wird nunmehr gemäß § 7 Abs. 2 GRBG vorzugehen haben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 8 GRBG.
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