European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0050OB00116.920.0202.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der Antragsteller und die Antragsgegnerinnen sind (neben anderen Personen) Mit‑ und Wohnungseigentümer des Wohn‑ und Geschäftshauses in D*****.
Der Antragsteller beabsichtigt, in seinen beiden Wohneinheiten, in denen er sein Rechtsanwaltsbüro einrichten will, das mittlere Fenster der westlichen Fassade auszubrechen und durch eine dreiflügelige Glastüre zu ersetzen sowie davor auf dem in Gemeinschaftseigentum stehenden Flachdach (über einem Kaffeehausbetrieb) einen Freisitz im Ausmaß von 3,65 m x 3,2 m zu errichten.
Der Antragsteller begehrte, die Zustimmung der Antragsgegnerinnen zu diesen beabsichtigten Maßnahmen nach § 13 WEG zu ersetzen. Alle übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer hätten der begehrten Maßnahme zugestimmt. Die geplante Änderung stelle weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der Antragsgegner dar (ON 1).
Die Antragsgegnerinnen wendeten ein, daß durch die beabsichtigten Maßnahmen die Fassadengestaltung ungünstig beeinflußt werde. Durch die Errichtung des Freisitzes auf dem Preßkiesdach, das nicht begehbar sei, würde die Dichtheit der Dachhaut nachteilig beeinflußt. Auch eine Schadenssuche auf dem Preßkiesdach sei wegen des beabsichtigten Freisitzes erschwert und mit höheren Kosten verbunden. Auch seien damit optische und akustische Beeinträchtigungen für die anderen Bewohner nicht auszuschließen.
Das Erstgericht gab dem Antrag des Antragstellers bezüglich der Errichtung eines größeren Fensters entsprechend dem vorgelegten Einreichplan statt, wies jedoch den Antrag hinsichtlich der Erstellung eines Freisitzes ab.
Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist nur noch die Ersetzung der Zustimmung der Antragsgegnerinnen zur Errichtung des Freisitzes. Diesen Antrag wies das Erstgericht mit der Begründung ab, es seien zwar auf Grund der von ihm getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen des § 13 Abs 2 Z 1 WEG gegeben, nicht aber diejenigen des § 13 Abs 2 Z 2 WEG. Da für die Änderungen gemeinsame Teile der Liegenschaft in Anspruch genommen würden, müßte die beabsichtigte Änderung (überdies) entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen. Keine dieser Voraussetzungen sei erfüllt. Die Benützung eines an sich nicht als Terrasse gedachten Daches für die Errichtung eines Freisitzes entspreche nicht der Übung des Verkehrs. Es könne auch nicht ein wichtiges Interesse des Antragstellers an der Errichtung des Freisitzes angenommen werden, weil sich die Besprechungsecke der Rechtsanwaltskanzlei direkt hinter dem zu vergrößernden Fenster befinde und nicht anzunehmen sei, daß der Antragsteller als Rechtsanwalt mit seinen Klienten auf eine an sich winzige Terrasse ‑ noch dazu in der Nähe des dort relativ starken Verkehrslärms ‑ gehen werde, um Besprechungen oder ähnliches abzuhalten. Es sei auch nicht klar, wozu etwa Bedienstete des Antragstellers diese Terrasse benötigen würden.
Das Rekursgericht bestätigte den Sachbeschluß des Erstgerichtes und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Es entspreche nicht der Übung des Verkehrs, daß eine Rechtsanwaltskanzlei ‑ im Gegensatz zu einer Wohnung ‑ einen Balkon bzw. einen Freisitz aufweise, weil ja das Freizeitbedürfnis der in einer Rechtsanwaltskanzlei beschäftigten Personen während der Ausübung ihres Berufes keineswegs im Vordergrund stehen könne. Das Interesse der Mitarbeiter des Antragstellers, sich während der Mittagspause im Freien aufzuhalten, sei nicht als wichtig im Sinne des § 13 Abs 2 Z 2 WEG zu beurteilen.
Die im Rekurs erstmals aufgestellte Behauptung, fast alle anderen Wohnungen und Büros in diesem Haus hätten Balkone, stünde mit den im Akt befindlichen Lichtbildern in Widerspruch.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob ein Freisitz für eine Rechtsanwaltskanzlei der Übung des Verkehrs entspreche oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers diene, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Gegen den Sachbeschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß seinem Antrag stattgegeben werde; hilfsweise stellte der Antragsteller einen Aufhebungsantrag.
Beantwortungen des Revisionsrekurses wurden weder von den Antragsgegnerinnen noch von den anderen Mit‑ und Wohnungseigentümern (als weiteren Verfahrensbeteiligten) erstattet.
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Werden für die beabsichtigte Änderung des Wohnungseigentumsobjektes gemeinsame Teile der Liegenschaft in Anspruch genommen, so muß die Änderung überdies (= zusätzlich zu den hier durch die Vorinstanzen unwidersprochen von den Antragsgegnerinnen und den anderen Verfahrensbeteiligten als erfüllt angesehenen Voraussetzungen des § 13 Abs 2 Z 1 WEG) entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen. Da keine der beiden letztgenannten Voraussetzungen erfüllt ist, braucht sich der Oberste Gerichtshof im Rahmen allseitiger rechtlicher Prüfung nicht damit zu befassen, ob die getroffenen Feststellungen zur Beurteilung ausreichen, daß die Voraussetzungen des § 13 Abs 2 Z 1 WEG erfüllt sind.
Der Oberste Gerichtshof hat in der in MietSlg 40.639 (= WoBl 1988, 69/42) teilweise veröffentlichten Entscheidung 5 Ob 55/87, auf die der Antragsteller in der Rechtsmittelschrift Bezug nimmt, ausgesprochen, daß die Vergrößerung einer bereits vorhandenen Terrasse auf das vorgelagerte, über der darunter befindlichen Wohnung angebrachte Flachdach, das im Hinblick auf diese Absicht bereits anläßlich der Errichtung des Gebäudes mit verstärkter Armierung versehen worden war, wegen der schon lange bestehenden Tendenz zur Gestaltung moderner Wohnbauanlagen unter Bedachtnahme auf das steigende Freizeitbedürfnis der Übung des Verkehrs und einem wichtigen persönlichen Interesse des Antragstellers diene (Erhöhung des Wohn‑ und Verkehrswertes), wogegen die dortige Antragsgegnerin in keiner Weise im Wohn‑ und Verkehrswert ihrer Wohnung oder in der Benützung der allgemein zugänglichen Teile der Wohnanlage beeinträchtigt erscheine.
Diese auf ein zu Wohnzwecken benütztes Objekt ganz anderer Ausgestaltung (Terrasse vorhanden; Flachdach bereits im Hinblick auf die beabsichtigte Terrassenvergrößerung ausgestaltet) abgestellte Beurteilung läßt sich nicht auf die hier zu entscheidende Rechtssache übertragen.
Eine Rechtsanwaltskanzlei, also ein Geschäftsraum, wird üblicherweise nicht mit einem Balkon oder einer Terrasse ausgestaltet. Es mag sein, daß es Unternehmer gibt, die für ihr Büro derart ausgestattete Räume bevorzugen oder zumindest derart ausgestattete Räume auch für Bürozwecke erwerben (wie nach dem Vorbringen des Antragstellers es auch in diesem Haus der Fall ist). Dies bedeutet aber noch nicht, daß ein solcher, im wesentlichen der Erhöhung des Freizeitwertes dienender Wohnungsbestandteil auch für Büroräume als verkehrsüblich angesehen werden könnte. Wenn jemand Räume mit solcher Ausstattung auch für Bürozwecke wünscht, dann muß er eben bereits beim Erwerb des Objektes auf eine derartige Ausgestaltung achten. Es kommt daher insbesondere nicht darauf an, ob fast alle anderen Objekte in diesem Haus mit einem Balkon ausgestattet sind oder nicht.
Der Oberste Gerichtshof vermag auch nicht zu erkennen, daß das Rekursgericht unzutreffend ein wichtiges Interesse des Antragstellers an der Ausgestaltung seiner Rechtsanwaltskanzlei mit einem vor einem durchgehenden Fenster befindlichen Freisitz verneint hätte. "Wichtiges Interesse" ist nicht jeder bloße ‑ wenn auch verständliche oder sogar von achtenswerten Motiven getragene (hier: Ermöglichung des "Luftschnappens" für Mitarbeiter während der Pausen) ‑ Wunsch. Tatsachenbehauptungen, die einen bloßen Wunsch zu einem wichtigen Interesse qualifizieren könnten, wurden nicht einmal aufgestellt. Auch die erst im Rechtsmittelverfahren unter Verletzung des Neuerungsverbotes dargelegten, möglicherweise aber als allgemein einsichtig ansehbaren Behauptungen, den Kanzleimitarbeitern könnte durch den Freisitz ein Aufenthalt in der frischen Luft während der Arbeitspausen ermöglicht werden, läßt ein wichtiges Interesse des Antragstellers an der beabsichtigten Ausgestaltung seiner Räume durch Einbeziehung gemeinsamer Teile der Liegenschaft nicht erkennen. Der Unterschied zwischen einem kurzfristigen Aufenthalt von Mitarbeitern des Antragstellers vor dem geöffneten Fenster innerhalb der Räumlichkeiten und demjenigen auf dem vor dem Fenster befindlichen kleinen Freisitz ist in Bezug auf den damit verbundenen Erholungswert während der Arbeitspausen gerade im Stadtbereich minimal. Dieser Unterschied allein vermag daher ein wichtiges Interesse des Antragstellers im Sinne des § 13 Abs 2 Z 2 WEG nicht zu begründen.
Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.
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