OGH 14Os3/93

OGH14Os3/9326.1.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.Jänner 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Massauer, Mag.Strieder und Dr.Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Zawilinski als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Rupert K* und Bernhard G* wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB, AZ U 60/92 des Bezirksgerichtes Tamsweg, über die vom Generalprokurator gegen eine Reihe von prozessualen Vorgängen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, in öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0140OS00003.9300000.0126.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Das Gesetz ist durch folgende Vorgänge verletzt:

1. durch die Durchführung der Hauptverhandlung am 13.Juli 1992 in Abwesenheit des Bezirksanwaltes in den Bestimmungen der §§ 31, 457 StPO und § 4 Abs. 1 StAG;

2. durch die Durchführung der Hauptverhandlung am 13.Juli 1992 ohne Beiziehung eines Schriftführers in der Bestimmung des § 23 StPO;

3. durch die Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form vor Eintritt der Rechtskraft in den Bestimmungen des § 458 Abs. 2 und Abs. 3 StPO;

4. durch das Unterbleiben einer Zustellung des Pauschalkostenbestimmungsbeschlusses vom 13.Juli 1992 an den Bezirksanwalt und die Verfügung der Einhebung dieser Kosten vor Rechtskraft in den Bestimmungen der §§ 77, 78 und 392 StPO;

5. durch das Unterbleiben einer Anhörung der Parteien vor Beschlußfassung über den Gebührenantrag des Sachverständigen in der Bestimmung des § 39 Abs. 1 GebAG.

Diese Gesetzesverletzungen werden festgestellt.

 

 

Gründe:

 

Auf Grund einer Anzeige des Gendarmeriepostens Tamsweg und nach Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragte der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Tamsweg am 27.Mai 1992 die Bestrafung des Rupert K* und des Bernhard G* wegen Vergehens nach § 88 Abs. 1 StGB. Der Bezirksrichter verhandelte darüber zunächst am 30.Juni 1992 in Gegenwart eines die Aufgaben des öffentlichen Anklägers wahrnehmenden Justizbeamten (§ 4 Abs. 3 StAG ?), der beiden Beschuldigten und deren Verteidiger. Diese Hauptverhandlung wurde zur Durchführung eines Ortsaugenscheines unter Beiziehung eines Sachverständigen auf den 13.Juli 1992 vertagt. Bei der an diesem Tag an Ort und Stelle durchgeführten Hauptverhandlung waren außer dem Richter zwar die Beschuldigten, deren Verteidiger und der verkehrstechnische Sachverständige, aber kein Schriftführer und auch nicht der Bezirksanwalt anwesend. Der Richter verlas nach dem Beweisverfahren den Strafantrag des Bezirksanwaltes und fällte nach den Schlußvorträgen der Verteidiger ein schuldigsprechendes Urteil. Der Beschuldigte Bernhard G* verzichtete auf ein Rechtsmittel, der Verteidiger des Beschuldigten Rupert K* gab keine Erklärung ab (S 67). Trotz Anlegung eines (nur vom Richter unterfertigten) Hauptverhandlungsprotokolls wurde ‑ unter Verwendung eines wegen der Neufassung des § 458 StPO durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 überholten Formulars ‑ ein "Protokolls‑ und Urteilsvermerk" verfaßt (eigentlich: das Urteil gekürzt ausgefertigt), den gleichfalls nur der Richter allein unterschrieben hat. Die für eine solche Urteilsausfertigung in gekürzter Form gemäß § 458 Abs. 2 und Abs. 3 StPO geforderte Bedingung, daß die Parteien (also auch der Bezirksanwalt) auf alle Rechtsmittel verzichtet oder innerhalb der hiefür offenstehenden Frist kein Rechtsmittel angemeldet haben, war nach dem geschilderten Prozeßverlauf allerdings nicht erfüllt. Voraussetzung dafür wäre nämlich die prozeßordnungsgemäße mündliche Verkündung des Urteils (§§ 77 Abs. 1, 458 Abs. 1 StPO) auch an den Bezirksanwalt gewesen, weil er erst ab diesem Zeitpunkt den für eine gekürzte Ausfertigung notwendigen Rechtsmittelverzicht abgeben bzw. die Rechtsmittelanmeldungsfrist für ihn zu laufen beginnen konnte. Mangels mündlicher Verkündung des Urteils gegenüber dem Bezirksanwalt hätte ihm dieses gemäß §§ 77, 78 StPO nur durch Mitteilung einer den Vorschriften des § 270 Abs. 1 und Abs. 2 StPO entsprechenden Urschrift bekanntgemacht werden können.

In der Endverfügung vom 3.August 1992, in der somit zu Unrecht das Datum der Urteilsrechtskraft mit 17.Juli 1992 (= 4.Tag nach Urteilsfällung) angeführt wird, wurde die Einhebung der in der Hauptverhandlung vom 13.Juli 1992 bestimmten (S 67 und 70) Pauschalkosten verfügt, obwohl auch dieser Beschluß noch nicht in Rechtskraft erwachsen war. Zwar waren die Akten am 21.Juli 1992 dem Bezirksanwalt zugekommen, doch war dies vom Gericht nur zum Zwecke der Einsichtnahme in den Sachverständigengebührenbeschluß vom 15.Juli 1992 verfügt worden (S 74). Damit war aber keineswegs auch gleichzeitig die Zustellung des Pauschalkostenbestimmungsbeschlusses bewirkt worden, weil die Aktenübermittlung an den Bezirksanwalt weder ausdrücklich noch erkennbar auch zu diesem Zweck erfolgt ist (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 2 zu § 78). Im übrigen hat es das Bezirksgericht unterlassen, vor Beschlußfassung über die Sachverständigengebühren die Stellungnahmen des Bezirksanwaltes und der Beschuldigten zum Gebührenantrag einzuholen (§ 39 Abs. 1 GebAG).

 

Rechtliche Beurteilung

Durch diese Vorgänge ist ‑ wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt ‑ das Gesetz mehrfach verletzt worden:

Gemäß § 31 iVm §§ 447 Abs. 1 zweiter Satz, 457 StPO und § 4 Abs. 1 StAG darf die Hauptverhandlung auch vor dem Bezirksgericht wegen einer von Amts wegen zu verfolgenden Straftat nicht in Abwesenheit des Anklägers stattfinden (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 4 zu § 31; E 15 zu § 276; E 2 zu § 457), mag auch ein Verstoß gegen diese Vorschriften keinen Nichtigkeitsgrund darstellen (aaO E 2 zu § 468 StPO).

2. Zufolge der nach § 447 Abs. 1 StPO auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht anzuwendenden Vorschrift des § 23 StPO muß ‑ von den hier nicht aktuellen Fällen des § 452 Z 6 zweiter Halbsatz StPO abgesehen ‑ jeder "Gerichtssitzung" ein Schriftführer beiwohnen und das Protokoll darüber aufnehmen. Eine ohne Beiziehung eines Schriftführers durchgeführte Hauptverhandlung begründet absolute Nichtigkeit nach § 468 Abs. 1 Z 1 StPO infolge nicht gehöriger Besetzung des Gerichtes (SSt. 34/52 ua).

3. Gemäß § 458 Abs. 2 und Abs. 3 StPO setzt die Ausfertigung eines Urteils in gekürzter Form dessen Rechtskraft voraus. Die Rechtskraft eines Urteils kann aber vor prozeßordnungsgemäßer Kenntnisnahme durch den öffentlichen Ankläger nicht eintreten, auch wenn dem Strafantrag entsprochen wurde. Die Befugnisse des öffentlichen Anklägers gehen über die Anklageerhebung und ‑vertretung hinaus und umfassen auch die Wahrnehmung aller für den Beschuldigten sprechenden Umstände (§§ 3, 465 Abs. 1 StPO). Die Datumsangaben über die Rechtskraft in der Endverfügung und in den Dekreten über die bedingte Strafnachsicht waren daher unrichtig.

4. Auch Beschlüsse über die Bestimmung der Pauschalkosten müssen dem öffentlichen Ankläger, dem dagegen ein Rechtsmittel zusteht (§ 392 Abs. 1 StPO), bekanntgemacht werden (§§ 77, 78 StPO). Vor dieser Bekanntmachung kann die Rechtskraft nicht eintreten und ohne Rechtskraft darf die Einhebung der Kosten nicht verfügt werden.

5. Schließlich bestimmt § 39 Abs. 1 GebAG die Anhörung der Parteien zum Gebührenanspruch des Sachverständigen vor Beschlußfassung darüber.

Alle diese Gesetzesverletzungen wirkten sich allerdings nicht zum Nachteil der Beschuldigten aus, denen vielmehr durch eine Aufhebung des zwar unter Mißachtung einer Reihe von Prozeßvorschriften zustandegekommenen, aber doch sachlich richtigen und von ihnen auch akzeptierten Urteils die Teilnahme an einer neuen Hauptverhandlung mit entsprechender Kostenbelastung zu ihrem Nachteil auferlegt werden müßte. Es konnte daher mit der Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzungen sein Bewenden haben (§ 292 StPO).

 

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