OGH 9ObA270/92

OGH9ObA270/9216.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Herbert Vesely und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** A*****, Friseurin, ***** vertreten durch Dr. Helga HOFBAUER, Rechtsanwältin *****, wider die beklagte Partei H***** I***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wegen S 22.216,48 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 1992, GZ 31 Ra 85/92-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. März 1992, GZ 25 Cga 426/90-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionsbeantwortung wird als verspätet zurückgewiesen.

Beide Parteien haben die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin absolvierte in der Zeit vom 6. Juli 1987 bis 5. Juli 1990 ihre Friseurlehre bei der Beklagten. Das Lehrverhältnis endete mit Ablauf der Lehrzeit, da die Klägerin die Lehrabschlußprüfung nicht erfolgreich ablegen konnte. Im Anschluß an die Lehrzeit war die Klägerin noch vom 6. Juli 1990 bis 31. Juli 1990 als "Friseurgesellin" im Betrieb der Beklagten beschäftigt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die drei Monatsentgelten entsprechende Zahlung von S 22.216,48 brutto sA als Kündigungsentschädigung. Die Beklagte habe ihr Arbeitsverhältnis entgegen der Bestimmung des § 18 Abs 3 BAG zum 31. Juli 1990 gekündigt und somit ungerechtfertigt vorzeitig zur Auflösung gebracht.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie habe ihren Friseursalon verkauft. Die Käuferin habe die Klägerin als Arbeitnehmerin übernommen und "nahtlos" weiterbeschäftigt. Durch diese Vorgangsweise sei der Klägerin kein Schaden entstanden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Im Hinblick auf den Verkauf des Frisiersalons kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin am 6. Juli 1990, sohin einen Tag nach Ablauf der im Lehrvertrag bedungenen Lehrzeit, mit Wirkung zum 31. Juli 1990 auf. Die Käuferin des Unternehmens setzte den Betrieb des Frisiersalons fort. Es kann nicht festgestellt werden, daß zwischen der Übernehmerin und der Beklagten eine Vereinbarung hinsichtlich der Übernahme der Klägerin getroffen wurde. Es kann auch nicht festgestellt werden, daß die Käuferin das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit allen Rechten und Pflichten übernommen hätte.

Die Käuferin des Frisiersalons hatte seit der Eröffnung des Geschäfts vielmehr Personalmangel. Sie trat über eine Mittelsperson an die Klägerin mit dem Angebot heran, bei ihr zu arbeiten. Auf Grund dieses Anbots ist die Klägerin seit 1. August 1990 bei ihr beschäftigt.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Lehrberechtigte gemäß § 18 Abs 1 BAG nur verpflichtet sei, den Lehrling in seinem "erlernten" Beruf weiterzuverwenden. Die Klägerin habe aber den Beruf einer Friseurin gar nicht erlernt, da sie die Lehrabschlußprüfung nicht erfolgreich abgelegt habe. Ihr bestandgeschütztes Arbeitsverhältnis habe somit mit Ablauf der Lehrzeit geendet. Eine Behaltepflicht der Beklagten sei nicht gegeben gewesen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Weiterverwendungspflicht unabhängig vom Bestehen der Lehrabschlußprüfung eintrete. Da es mangels einer Vereinbarung zwischen der Klägerin, der Beklagten, und dem Erwerber des Betriebes zu keiner Arbeitsvertragsübernahme gekommen sei, treffe die Weiterverwendungspflicht die Beklagte als ehemals Lehrberechtigte. Da diese keinen Arbeitsvertrag für die Behaltezeit abgeschlossen habe, hafte sie für den Ersatz des Nichterfüllungsschadens, der durch die Bestimmung des § 1162b ABGB konkretisiert werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der erstinstanzlichen Entscheidung.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Behaltepflicht gemäß § 18 Abs 1 BAG knüpft entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht nur an den Fall der erfolgreichen Ablegung der Lehrabschlußprüfung gemäß § 14 Abs 2 lit e BAG an, sondern auch an den Fall der Endigung des Lehrverhältnisses durch Fristablauf iSd § 14 Abs 1 BAG (vgl. Berger-Fida-Gruber, BAG § 18 Erl 4; DRdA 1992/37 [Gruber] ua). Setzt daher der Lehrling unmittelbar nach dem Ende des Lehrverhältnisses seine Tätigkeit im Betrieb des Lehrberechtigten ohne weitere vertragliche Vereinbarung fort, ist in der Regel ein schlüssig begründetes Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit anzunehmen, das der Arbeitgeber durch Kündigung frühestens zum Ende der Weiterverwendungszeit auflösen kann (Arb 10.672, 10.511 ua).

Im vorliegenden Fall steht außer Streit, daß die Klägerin in unmittelbarem Anschluß an ihr Lehrverhältnis - wenn auch im Kündigungsstadium - noch vom 6. Juli 1990 bis 31. Juli 1990 als "Friseurgesellin" im Betrieb der Beklagten beschäftigt war. Die Beklagte hat sich ihrer Verpflichtung gemäß § 18 Abs 1 BAG daher vorerst nicht entzogen, wie das Berufungsgericht meint, sondern lediglich entgegen dem Gesetz zeitwidrig gekündigt, so daß sie zufolge des Wahlrechts der Klägerin (relative Nichtigkeit) die Folgen einer vorzeitigen Vertragsauflösung iSd § 1162b ABGB zu tragen hat (vgl. Krejci in Rummel ABGB2, §§ 1162a, 1162b Rz 27; Kuderna, Einige Probleme des besonderen Kündigungsschutzes, DRdA 1990, 1 ff, insbesondere 9 und 18 f; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 394 ff; Berger aaO § 18 Erl 7; Arb 10.405, 10.305, 9.344; ZAS 1986/25 [Rebhahn] ua).

Dem Einwand der Revisionswerberin, die Käuferin des Frisiersalons habe die Klägerin "nahtlos" weiterbeschäftigt, so daß der Klägerin kein Schaden entstanden sein könne, weshalb das Klagebegehren auch als sittenwidrig anzusehen sei, ist entgegenzuhalten, daß die Voraussetzungen einer Arbeitsvertragsübernahme nicht vorliegen. Dazu hätte es der vom Berufungsgericht aufgezeigten Vereinbarungen bedurft (Krejci aaO § 1151 Rz 148). Kam aber keine derartige Vertragsübernahme zustande, bestand das durch die Bestimmung des § 18 Abs 1 BAG, den Kollektivvertrag und allenfalls durch die betriebliche Übung hinreichend determinierte Arbeitsverhältnis zur Beklagten fort, das während der gesetzlichen Behaltezeit eigenmächtig nicht wirksam hätte gekündigt werden können (vgl. Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 I 297). Die Veräußerung (auch Stillegung) des Betriebes konnte nur dazu führen, der Beklagten als Lehrberechtigten die im § 18 Abs 1 BAG vorgesehene Weiterverwendungspflicht zu erlassen oder ihr die Bewilligung zur Kündigung zu erteilen (vgl. Floretta aaO; Schwarz-Löschnigg aaO 432 f). Dazu hätte es aber eines Antrags der Beklagten an die im Gesetz genannten Selbstverwaltungskörper bzw. Verwaltungsbehörden bedurft, an deren Entscheidung die Gerichte gebunden gewesen wären (WBl 1988, 372; 9 Ob A 190/92 ua). Da der Ersatzanspruch der Klägerin sohin in der Bestimmung des § 1162b ABGB gründet, hat für die Dauer der ersten drei Monate keine Anrechnung auf das für diese Zeit zustehende Entgelt zu erfolgen; mehr machte die Klägerin auch nicht geltend. Der Umstand, daß es der Klägerin - ohne Zutun der Beklagten - gelungen ist, ein neues Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber einzugehen, ist sohin ohne Belang. Inwieweit die Geltendmachung der gesetzlichen Ansprüche sittenwidrig sein soll, ist auf Grund der Ausführungen der Revisionswerberin nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 40 und 50 ZPO begründet.

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