OGH 9ObA297/92

OGH9ObA297/9216.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Herbert Vesely und Mag.Karl Dirschmied in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** R*****, Lehrling, **********, vertreten durch *****, Rechtsanwältinnen*****, wider die beklagte Partei Dr.J***** J*****, Rechtsanwalt, ***** als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der G***** Handelsgesellschaft mbH, *****, wegen Feststellung (Streitwert im Berufungsverfahren S 124.467,19 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 1992, GZ 33 Ra 71/92-14, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2.Dezember 1991, GZ 16 Cga 590/91-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 4.348,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 724,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 1.8.1989 als kaufmännischer Lehrling im Lehrberuf Einzelhandelskaufmann bei der G***** Handelsgesellschaft mbH, Wien 12., (kurz: "G*****") beschäftigt. Das Lehrverhältnis hätte am 31.7.1992 geendet. Daran hätte sich eine Behaltefrist von vier Monaten gemäß § 18 BAG und von zwei weiteren Monaten gemäß dem Kollektivvertrag der Handelsangestellten angeschlossen.

Mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 29.10.1990 wurde über das Vermögen der Firma "G*****" der Konkurs eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 9.11.1990 erklärte die Klägerin ihren vorzeitigen Austritt gemäß § 25 KO. Seit 15.11.1990 steht sie in einem Lehrverhältnis zur D***** GesmbH.

Der Betrieb des gemeinschuldnerischen Unternehmens wurde bereits am 9.12.1990 faktisch (bis auf eine Ausverkaufstätigkeit in einer Filiale, mit der die Klägerin nichts zu tun hatte) stillgelegt. Mit Beschluß vom 20.11.1990 erteilte das Konkursgericht die Ermächtigung zur Betriebsschließung. Mit Bescheid der Magistratsabteilung 12 vom 15.2.1991 wurde der Gemeinschuldnerin die Gewerbeberechtigung von Amts wegen entzogen.

Mit Eingabe vom 11.12.1990 meldete die Klägerin ihre Forderungen an Lehrlingsentschädigung, Weihnachtsremuneration, Urlaubsentschädigung und Schadenersatz gemäß § 1162 lit b ABGB für die Zeit bis zum Ende der Behaltefrist mit einem Gesamtbetrag von S 259.214,06 brutto = S 224.922,89 netto an.

Bezüglich der Aufgliederung dieses Betrages wird auf die Feststellungen der Vorinstanzen verwiesen.

Die Klägerin beantragte im Konkurs die Feststellung dieser Forderung als Konkursforderung abzüglich eines allenfalls anrechenbaren Einkommens ab 10.2.1991. Der Masseverwalter anerkannte in der Prüfungstagsatzung am 17.1.1991 S 28.570,91 an. Dieser Betrag enthält die rückständige Lehrlingsentschädigung und die aliquoten Sonderzahlungen vom 1.10.1990 bis 9.2.1991 und eine Urlaubsentschädigung für 37 Werktage.

Die Klägerin begehrte gegenüber dem Beklagten die Feststellung, daß die von ihr im Konkurs über das Vermögen der G***** Handelsgesellschaft mbH angemeldeten Konkursforderungen von S 196.391,98 netto außer der bereits anerkannten Forderung von S 28.570,91 netto zu Recht bestehen, dies allenfalls unter Anrechnung dessen, was die Klägerin bis 31.1.1993 verdienen wird. Infolge Anrechnung bisherigen anderweitigen Verdienstes schränkte die Klägerin das Feststellungsbegehren auf den - außer Streit stehenden - Betrag von 140.700,60 netto ein.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; der Gemeinschuldnerin sei mit 15.2.1991 die Gewerbeberechtigung entzogen worden, so daß das Lehrverhältnis spätestens in diesem Zeitpunkt gemäß § 14 Abs 2 lit d BAG geendet hätte. Beim vorzeitigen Austritt eines Lehrlings im Konkurs gemäß § 25 KO seien die einschlägigen Schutzbestimmungen für die Kündigungschutzperiode nicht anzuwenden, weil Lehrlinge in der Verwertung ihrer Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt nicht behindert seien; den Lehrlingen werde der Schutz ausschließlich im Interesse ihrer Ausbildung gewährt; dieser Grund sei durch den eigenen vorzeitigen Austritt wegen Betriebseinstellung im Dezember 1990 weggefallen.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren im Umfang eines weiteren Betrages von S 1.147,52 netto - insoweit unbekämpft - statt und wies das Mehrbegehren auf Feststellung einer weiteren Konkursforderung von S 139.553,08 ab. Auch ein Lehrling habe bei vorzeitigem Austritt nach § 25 Abs 1 KO gemäß § 1162 b ABGB bis zum vereinbarten Ende des Lehrverhältnisses und für die Dauer der daran anschließenden gesetzlichen und kollektivvertraglichen Behaltefrist, grundsätzlich Anspruch auf Ersatz des Schadens, den er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten hatte. Die Betriebseinstellung oder Betriebsauflösung beende für sich allein das Lehrverhältnis noch nicht. Es ende aber gemäß § 14 Abs 2 lit d BAG ex lege, wenn der Lehrberechtigte die rechtliche Befähigung zur Lehrlingsausbildung wegen Entzuges der Gewebeberechtigung verliere; (für die daran anschließende Zeit) komme im Fall einer ex lege-Beendigung des Lehrverhältnisses eine analoge Anwendung des § 1162 b ABGB nicht in Betracht. Da das Lehrverhältnis jedenfalls am 15.2.1991 geendet hätte, gebühre der Klägerin Schadenersatz nur bis zu diesem Zeitpunkt. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, daß die Gewerbeberechtigung erst nach dem Austritt entzogen worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen den abweisenden Teil der Entscheidung des Erstgerichtes nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteige. Der Hinweis der Klägerin auf den Rechtssatz, daß die Kündigungsenschädigung nicht durch nachträglich entstandene Umstände ganz oder auch nur teilweise entfallen könne (Arb 10.407, 10.473), betreffe Sachverhalte, die mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar seien. Die Klägerin habe trotz berechtigten Austritts wegen ex lege-Beendigung des Lehrverhältnisses gemäß § 14 Abs 2 lit d BAG einen über diesen Zeitpunkt hinausgehenden Schadenersatzanspruch nicht mehr mit Erfolg geltend machen können. In einem solchen Fall sei nicht mehr auf das fiktive Ende des Dienstverhältnisses (Beendigung der Lehrzeit bzw Behaltefrist) abzustellen, weil § 14 Abs 2 lit d BAG eine Zäsur bewirke. Eine analoge Anwendung des § 1162 b ABGB komme bei einer Auflösung des Lehrverhältnisses kraft Gesetzes nicht in Betracht.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung (unter Anrechnung weiteren Verdienstes) dahin abzuändern, daß die Konkursforderung mit weiteren S 62.509,71 netto (abzüglich weiteren Verdienstes bis 31.1.1993) festgestellt werde. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, beendet weder die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Lehrberechtigten noch die tatsächliche Einstellung seines Betriebes das Lehrverhältnis kraft Gesetzes (Berger-Fida-Gruber, BAG 291). Erst die Entziehung der Gewerbeberechtigung führt zum Eintritt der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 lit d BAG, nämlich, daß der Lehrberechtigte nicht mehr zur Ausübung der Tätigkeit befugt ist, in deren Rahmen der Lehrling ausgebildet wird. Damit endet das Lehrverhältnis kraft Gesetzes, ohne daß es dazu einer Willenserklärung des Lehrberechtigten oder des Lehrlings bedürfte (Arb 10.567). Bis zu dieser rechtlichen Beendigung des Lehrverhältnisses kann der Lehrling aus einem wichtigen Grund, also im Konkurs auch (unter Wahrung der Frist von einem Monat vom Tag der Konkurseröffnung an) nach § 25 Abs 1 KO austreten (Berger-Fida-Gruber aaO 291; Arb 9.919 [Rechtslage vor BAGNov 1978/232]; Arb 10.246). In diesem Fall gebührt dem Lehrling eine Kündigungsentschädigung, weil das Lehrverhältnis ein befristetes Arbeitsverhältnis (besonderer Art) ist und daher grundsätzlich § 1162 b ABGB zur Anwendung kommt (Kuderna, Einige Probleme des besonderen Kündigungsschutzes, DRdA 1990, 1 [18]; WBl 1989, 190). Der Lehrling ist allerdings nicht verpflichtet, von seinem Austrittsrecht nach § 25 Abs 1 KO Gebrauch zu machen. Selbst im Falle monatelangen Einstellens oder Ruhens des Betriebes dauert das Lehrverhältnis weiterhin so lange, bis es entweder gemäß § 14 Abs 1 BAG durch Fristablauf oder gemäß § 14 Abs 2 BAG ex lege endet (Berger-Fida-Gruber aaO 341). Für die Zeit nach einer ex lege-Beendigung des Lehrverhältnisses gemäß § 14 Abs 2 lit d BAG hat der Lehrling keine weiteren Ansprüche auf Kündigungsentschädigung mehr, weil § 1162 b ABGB (insoweit) bei einer Auflösung des Lehrverhältnisses kraft Gesetzes auch nicht analog anzuwenden ist (Arb 9.844; JBl 1980, 555; Arb 10.567).

Zu Prüfen ist aber im vorliegenden Fall, ob sich die nachträgliche ex lege-Beendigung des Lehrverhältnisses auf die Höhe der Ansprüche des vorher wirksam nach § 25 Abs 1 KO ausgetretenen Lehrlings auswirkt, wie das Erstgericht angenommen hat. Die Revisionswerberin tritt dieser Ansicht mit dem Argument entgegen, daß der Oberste Gerichtshof zweimal ausgesprochen habe, daß bereits entstandene Ansprüche auf Abfertigung (Kündigungsentschädigung) nicht durch nachträglich entstandene Umstände ganz oder auch nur teilweise wegfallen könnten (Arb 10.407 [dort: Abfertigung]; Arb 10.473 [dort:

Kündigungsentschädigung]).

Diesen Ausführungen der Revisionswerberin ist im Ergebnis nicht zu folgen. Richtig ist zwar, daß bereits entstandene Ansprüche grundsätzlich durch nachträglich entstandene Umstände nicht mehr wegfallen oder verringert werden können. Die auf dem vom Obersten Gerichtshof vertretenen Schadenersatzprinzip (dazu Krejci in Rummel, ABGB2, Rz 12 zu §§ 1162 a, 1162 b) beruhende Kündigungsentschädigung wird aber vom Gesetz selbst in ihrer Höhe und ihrer Dauer von dem Zeitraum abhängig gemacht, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der Vertragszeit oder durch ordnungsmäße Kündigung hätte verstreichen müssen (§ 1162 b ABGB; § 29 AngG). Da der Arbeitnehmer das bekommen soll, was ihm ohne ungerechtfertigte Auflösungserklärung des Arbeitgebers oder seine eigene, durch Umstände auf Seiten des Arbeitgebers veranlaßte berechtigte Austrittserklärung zugekommen wäre, ist bei der Begrenzung der Ansprüche auf den (fiktiven) Ablauf der Vertragszeit nicht nur auf den Zeitablauf im Sinne des § 1158 Abs 1 ABGB (bzw § 19 Abs 1 AngG) sondern auch auf vorher tatsächlich eingetretene gesetzliche Endigungsgründe, mit denen ein Verlust aller künftigen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis verbunden ist, Bedacht zu nehmen. Auch die gesetzliche Endigung des Lehrverhältnisses nach § 14 Abs 2 lit d BAG ist ein Ablauf der Vertragszeit im Sinne des § 1162 b

ABGB.

Inwieweit das auch für Abfertigungsansprüche zu gelten hätte, die durch Anrechnung fiktiver Fristen des § 1162 b ABGB (§ 29 AngG) eine Erhöhung erfahren haben (und insoweit nach der älteren Rechtsprechnung als Teil der Kündigungsentschädigung angesehen wurden [anders aber jetzt Arb 10.407]), braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden.

Die Bedachtnahme auf die (nachträgliche, fiktive) rechtliche Beendigung des Lehrverhältnisses gemäß § 14 Abs 2 lit d BAG bei der Bemessung der Kündigungsentschädigung führt zu dem sachgerechten Ergebnis, daß Lehrlinge unabhängig davon, ob sie das Lehrverhältnis (in den meisten Fällen ohne tatsächliche Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeit) bis zur ex lege-Beendigung fortsetzen und daher Ansprüche nach § 1155 ABGB geltend machen können oder vorher nach § 25 Abs 1 KO ausgetreten sind, für denselben Zeitraum forderungsberechtigt sind (vgl auch WBl 1989, 190).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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