OGH 10ObS297/92

OGH10ObS297/9215.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Barbara Hopf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Prager (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Willibald H*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Sylvia Groß-Stampfl, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (Landesstelle Graz), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Weitergewährung der entzogenen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.Juli 1992, GZ 7 Rs 50/92-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 28.November 1991, GZ 23 Cgs 64/91-37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten erster Instanz zu behandeln.

Text

Begründung

Der am 24.März 1938 geborene Kläger, der überwiegend als angelernter Dreher tätig war, bezog ab 1.Jänner 1987 eine bis 31.Dezember 1987 befristete und ab 1.Jänner 1988 eine unbefristete Invaliditätspension von der beklagten Partei. Diese Pension wurde ihm mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. (25.) Jänner 1990 mit Ablauf des Monates Februar 1990 entzogen (§ 99 ASVG).

Das Erstgericht wies das auf Weitergewährung der Invaliditätspension ab 1.März 1990 gerichtete Klagebegehren ab, weil im Gesundheitszustand des Klägers gegenüber dem Gewährungsgutachten eine wesentliche Besserung eingetreten sei und der Kläger mit den vorhandenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten zwar die bisher überwiegend ausgeübte Tätigkeit eines Drehers nicht mehr verrichten, wohl aber auf die Ersatztätigkeit eines Endproduktprüfers verwiesen werden könne. Die wesentliche Besserung des seit mehreren Jahren bestehenden Herzleidens des Klägers wurde darin erblickt, daß die Auswurf- und Pumpleistung des Herzens zugenommen habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Ansicht des Erstgerichtes, daß der Kläger wegen wesentlich gebesserter Herzfunktion nun wieder in seinen Berufen oder gemäß § 255 Abs 1 und 2 ASVG in Verweisungstätigkeiten innerhalb seiner Berufsgruppe einsatzfähig sei. Das eventuelle Hinzutreten eines neuen Leidens sei kein Hindernis für die Entziehung der bisher gewährten Invaliditätspension.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Kläger weist in seiner Rechtsrüge sinngemäß darauf hin, daß die Invaliditätspension nicht entzogen werden könnte, wenn die Leistungsvoraussetzungen für ihre Gewährung bei Erlassung des Bescheides vom 4.März 1988 von vornherein gefehlt hätten, weil dann keine "wesentliche" Änderung der Verhältnisse vorläge. Ob dies der Fall ist, kann nach den erstgerichtlichen und vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen nicht verläßlich beurteilt werden. Es kommt nicht darauf an, welche Tatsachen der Zuerkennung zugrundegelegt wurden, sondern es sind im Verfahren über die Entziehung unabhängig von dem im Zuerkennungsverfahren allenfalls getroffenen Feststellungen neuerlich Feststellungen über die für die Zuerkennung wesentlichen Tatsachen zu treffen. Geht es um die Entziehung einer Leistung aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit, so sind daher zunächst der körperliche und der geistige Zustand des Versicherten und sein Leistungskalkül für die Zeit der Zuerkennung der Leistung festzustellen (SSV-NF 5/5, ebenso 10 Ob S 332/91, 10 Ob S 20/92 = SSV-NF 6/17 - in Druck). Eine Feststellung des Leistungskalküls im Zeitpunkt der Zuerkennung fehlt im vorliegenden Fall überhaupt, weshalb nicht beurteilt werden kann, ob in der Arbeitsfähigkeit des Klägers seither eine Änderung eingetreten ist. Sollte sich das Leistungskalkül seit der Weitergewährung der befristeten Invaliditätspension nicht geändert haben, so stünde dies einer Entziehung der Leistung entgegen. Deshalb leiden die Urteile der Vorinstanzen an einem Feststellungsmangel, der die ausreichende rechtliche Beurteilung der Sache verhindert.

Hat sich durch eine Besserung des Gesundheitszustandes eine Änderung des seinerzeitigen Leistungskalküls in bezug auf die damaligen Leiden ergeben, die den Leistungswerber instandsetzen würde, nunmehr wieder einer geregelten Beschäftigung nachzugehen, so ist der Anspruch neu zu beurteilen und zu prüfen, ob ausgehend vom derzeitigen Zustand unter Berücksichtigung allfälliger zwischenzeitig hinzugetretener Leiden die Voraussetzungen für die Pensionsleistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit noch immer vorliegen. Den Versicherungsträger trifft dabei die objektive Beweislast dafür, daß eine rechtlich relevante Änderung des bei Gewährung der Leistung gegebenen Zustandes eingetreten ist. Ist dies erwiesen, so trifft den Leistungswerber die objektive Beweislast dafür, daß ungeachtet der eingetretenen Besserung, etwa bedingt durch zwischenzeitig neu eingetretene Leidenszustände oder aus anderen Gründen (etwa mit Rücksicht auf einen im Zuerkennungsverfahren nicht geprüften Berufsschutz) die Voraussetzungen für den Anspruch nach wie vor bestehen (10 Ob S 349/91 = SSV-NF 6/7 - in Druck; 10 Ob S 88/92 = SSV-NF 6/53 - in Druck).

Der Revision war daher Folge zu geben. Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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