OGH 7Ob652/92

OGH7Ob652/9210.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Ralph M*****, vertreten durch Dr.Oliver Jungnickel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr.Klemens D*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Theodor S*****, wegen Nichtigerklärung eines Vertrages (Streitwert S 200.000,--) und S 50,-- s.A., infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 17. September 1992, GZ 16 R 132, 133/92-18, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 4.Februar 1992, GZ 25 Cg 46/92-13, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt die Nichtigerklärung eines zwischen ihm und dem Gemeinschuldner abgeschlossenen Abtretungsvertrages über einen Geschäftsanteil an einer GmbH und Zahlung von S 50,-- s.A. Der Beklagte erhob in der Klagebeantwortung die Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes und beantragte die Zurückweisung der Klage. Als Streitigkeit aus dem Gesellschaftsverhältnis falle die Rechtssache in die Kausalgerichtsbarkkeit des Handelsgerichtes. Im übrigen bestritt der Beklagte das Klagebegehren und beantragte die Abweisung der Klage. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 23.9.1991 trugen die Parteien ihre Schriftsätze vor und der Kläger modifizierte sein Klagebegehren. Der Beweisbeschluß wurde der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten und die Tagsatzung auf unbestimmte Zeit erstreckt. Eine Erörterung der Zuständigkeit erfolgte nicht.

Mit Beschluß vom 17.10.1991 sprach das Erstgericht dann seine Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Es folgte dem Standpunkt des Beklagten, daß zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache gemäß § 51 Abs.1 Z 6 JN das Handelsgericht Wien zuständig sei. Der Kläger erhob gegen diese Entscheidung Rekurs und stellte für den Fall der Verwerfung des Rekurses, gestützt unter anderem auf § 230a ZPO den Antrag, die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Handelsgericht Wien zu überweisen.

Das Rekursgericht wies den Rekurs des Klägers als unzulässig mit der Begründung zurück, daß nach § 45 JN nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen, mit denen ein Gericht seine sachliche Unzuständigkeit ausspreche, nur dann anfechtbar seien, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde habe. Diese Voraussetzung liege hier nicht vor.

Mit Beschluß vom 4.2.1992 (ON 13) hob das Erstgericht gemäß § 230a ZPO den Beschluß über die Zurückweisung der Klage auf und überwies die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Handelsgericht Wien.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es den Überweisungsantrag des Klägers abwies. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist.

Rechtlich führte das Rekursgericht aus, daß sowohl ein Überweisungsbeschluß nach § 230a ZPO als auch ein Überweisungsbeschluß nach § 261 Abs.6 ZPO nur dann unanfechtbar sei, wenn die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für einen Überweisungsbeschluß tatsächlich vorlägen. Ergehe dagegen ein Überweisungsbeschluß, der ausdrücklich gegen die Vorschrift des § 230a oder des § 261 Abs.6 ZPO verstoße, so sei dagegen ein Rekurs zulässig. Ein Überweisungsantrag nach § 230a ZPO setze voraus, daß das Gericht seine Unzuständigkeit ausgesprochen habe, ohne daß der Kläger Gelegenheit gehabt habe, einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs.6 ZPO zu stellen. Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu. Der Kläger habe bei der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 23.9.1991 Gelegenheit gehabt, einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs.6 ZPO zu stellen, habe dies jedoch unterlassen. Damit seien die Voraussetzungen für einen nachträglichen Überweisungsantrag nicht gegeben. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß das Erstgericht den Kläger nicht auf die Möglichkeit eines Überweisungsantrages hingewiesen habe. Der § 230a ZPO habe vor allem den Zweck, dem Kläger im Falle einer a-limine-Zurückweisung Gelegenheit zur Wahrung von Fristen zu geben. Keinesfalls sollte mit dieser Bestimmung die Möglichkeit geboten werden, auch noch nach Zurückweisung der Klage nach mündlicher Verhandlung die Überweisung der Rechtssache an ein anderes Gericht zu beantragen.

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, weil die Frage, ob ein Überweisungsantrag nach § 230a ZPO auch ausgeschlossen ist, wenn der Zurückweisungsbeschluß zwar nach mündlicher Verhandlung, aber unter Verstoß gegen § 182 Abs.2 ZPO gefaßt wurde, im Interesse der Rechtssicherheit einer Klärung bedarf.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Nach § 182 Abs.2 letzter Satz ZPO hat der Vorsitzende bei Bedenken gegen die Zuständigkeit des Gerichtes den Parteien vor einer Entscheidung hierüber die Gelegenheit zu einer Heilung der Unzuständigkeit (§ 104 Abs.3 JN) bzw. zu einem Antrag auf Überweisung der Rechtssache an das zuständige Gericht (§ 261 Abs.6 ZPO) zu geben. Wird die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ausgesprochen und die Klage zurückgewiesen, ohne daß der Kläger Gelegenheit hatte, einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs.6 zu stellen, und beantragt der Kläger binnen der Notfrist von 14 Tagen nach der Zustellung dieses Beschlusses die Überweisung der Klage an ein anderes Gericht, so hat das ursprünglich angerufene Gericht die Zurückweisung aufzuheben und die Klage dem vom Kläger namhaft gemachten Gericht zu überweisen, wenn es das andere Gericht nicht für offenbar unzuständig erachtet (§ 230a ZPO). Diesen durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 geschaffenen Bestimmungen liegt die Erwägung des Gesetzgebers zugrunde, Unzsutändigkeitsstreitigkeiten und die Frustrierung von Verfahrensaufwand zu vermeiden; der Kläger soll durch die Zurückweisung der Klage aus einem formalen Grund keinen materiellen Nachteil erleiden (669 BlgNR 15.GP 50 f; 1337 BlgNR 15.GP 12). Die Pflicht des Richters, die Zuständigkeit zu erörtern und auf die Möglichkeit eines Überweisungsantrages hinzuweisen, gilt nicht nur bei Wahrnehmung der Unzuständigkeit von Amts wegen, sondern auch nach Erhebung einer Unzuständigkeitseinrede; sie ist auch im Gerichtshofverfahren und auch gegenüber dem rechtsfreundlich vertretenen Kläger wahrzunehmen (Fasching in JBl. 1982, 77; Fucik in RZ 1985, 261; JBl. 1986, 529).

Richtig ist, daß der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen JBl. 1986, 529 = RZ 1986/61 und 7 Ob 615/84 die Stellung eines Überweisungsantrages nach § 230a ZPO als unzulässig bezeichnet hat, wenn die Zurückweisung der Klage nach einer mündlichen Verhandlung erfolgte. Beiden Entscheidungen lag jedoch ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde. Im Fall der nicht veröffentlichten Entscheidung des Senates 7 war schon in der mündlichen Verhandlung ein Überweisungsantrag nach § 261 Abs.6 ZPO gestellt worden. Die wesentliche Aussage bestand dort darin, daß bei Zurückweisung der Klage unter Nichtbeachtung des bereits gestellten Überweisungsantrages nur die Zurückweisung der Klage mit Rekurs bekämpft werden kann, die Stellung eines weiteren Überweisungsantrages aber ausgeschlossen ist. Im Falle der Entscheidung JBl. 1986, 529 hatte der Oberste Gerichtshof im Rekursverfahren über die Zurückweisung der Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zu entscheiden und nicht über einen nach erfolgter Klagszurückweisung nach einer mündlichen Verhandlung gestellten Überweisungsantrag. Er bediente sich des Rechtssatzes, daß nach Zurückweisung der Klage nach einer mündlichen Streitverhandlung die Stellung eines Überweisungsantrages nach § 230a ZPO nicht in Betracht komme, zur Widerlegung der Ansicht Faschings (ZPR2 Rz 226), die Unterlassung der Verpflichtung des § 182 Abs.2 ZPO, die Unzuständigkeit mit den Parteien zu erörtern, sei zwar ein Verfahrensmangel, doch führe er nicht zur Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses des Erstgerichtes durch das Rekursgericht, weil ja der Kläger die Möglichkeit des nachträglichen Antrages gemäß § 230a ZPO habe. Steht jedoch einer Partei das Rechtsmittel des Rekurses zu (wie im Falle der Entscheidung JBl. 1986, 529), kann dessen Erfolg nicht davon abhängen, ob ihr auch ein anderer Rechtsbehelf offenstünde. Rekurs und Überweisungsantrag können auch kumuliert werden und sind in der vom Kläger bestimmten Reihenfolge zu erledigen (JBl. 1985, 371; Ballon in FS Fasching 60; vgl. auch Fucik aaO 263).

Hier ist die Frage zu entscheiden, ob ein Überweisungsantrag gemäß § 230a ZPO nach Klagszurückweisung nach einer mündlichen Verhandlung auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Richter die ihm durch § 182 Abs.2 2.Satz ZPO aufgetragene Vorgangsweise unterließ. Im Schrifttum wird in einem solchen Fall ein Überweisungsantrag als zulässig erachtet (Fasching ZPR2 Rz 266; Fucik aaO 261; Rechberger-Simotta ZPR3 Rz 434; Simotta in JBl. 1988, 361; Ballon FS Fasching 60). Dieser Auffassung ist jedenfalls für den Fall zu folgen, daß der Richter nach rechtzeitiger Erhebung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit auf diese Frage überhaupt nicht einging und die Verhandlung zur Fassung eines Beweisbeschlusses erstreckte, dann jedoch - überraschend für die Parteien - die sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ausspricht. Schon dem Wortlaut nach ist § 230a ZPO nicht auf den Fall der a-limine-Zurückweisung der Klage beschränkt. Eine solche Beschränkung lag offensichtlich auch nicht in der Absicht des Gesetzgebers (vgl. Simotta aaO 361). Nach dem Regelungszweck der §§ 230a und 180 Abs.2

2. Satz ZPO - der Wahrung des Rechtsschutzes für den Kläger und der Vermeidung frustriertem Prozeßaufwandes - muß das Fehlen der Gelegenheit für den Kläger, einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs.6 ZPO zu stellen, auch dann als verwirklicht angesehen werden, wenn das Gericht, wenn auch nach Erhebung einer Unzuständigkeitseinrede, unter Verletzung der Vorschrift des § 182 Abs.2 ZPO die Tagsatzung allein zur Fassung eines Beweisbeschlusses erstreckt und dann überraschend seine sachliche Unzuständigkeit ausspricht.

Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs.1 ZPO.

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