OGH 15Os150/92

OGH15Os150/9210.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Dezember 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.‑Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch, Dr. Hager und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Munsel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz H* wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 6. August 1992, GZ 10 Vr 3463/91‑16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:E33296

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz H* des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 22. Juli 1991 in Fladnitz im Raabtal Bettina T* durch gefährliche Drohung mit der Entziehung der Freiheit, indem er ihr zu verstehen gab, er werde sich wegen von ihr in seinem Lokal begangener Gelddiebstähle an die Kriminalpolizei in Graz wenden und veranlassen, daß sie in Untersuchungshaft genommen werde, wenn sie sich ihm nicht hingebe, zu geschlechtlichen Handlungen, nämlich zum außerehelichen Beischlaf und zur Ausübung des Oralverkehrs genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf § 281 Abs. 1 Z 4 und 5 a StPO gestützt wird.

In der Hauptverhandlung am 6. August 1992 beantragte der Angeklagte die Vernehmung der Zeugin Gisela Z* „zum Beweise dafür, daß es beim vormaligen Dienstgeber der Bettina T* ebenfalls zu Gelddiebstählen gekommen sei. Nach Vorhalt dieser Diebstähle habe Bettina T* gegenüber dem Gatten der Dienstgeberin Äußerungen gemacht, daß diese einen außerehelichen Geschlechtsverkehr verübt habe“ (S 86, 87). Diesen Beweisantrag wies das Schöffengericht mit Zwischenerkenntnis gemäß § 238 StPO wegen „mangelnder Konkretisierung der aus diesem Beweismittel sich ergebenden positiven Ergebnisse für die Wahrheitsfindung, zumal es sich beim gegenständlichen Beweis um einen Erkundungsbeweis handelt, der im gegenständlichen Verfahren keineswegs zur Beurteilung der Zeugin geeignet ist“ ab (S 87, 88).

Durch die Nichtdurchführung dieses Beweises erachtet sich der Angeklagte zu Recht in seinen Verteidigungsrechten verletzt.

Nach dem Sinngehalt des Antrags sollte durch die Vernehmung der Zeugin Gisela Z* erwiesen werden, daß Bettina T* bei einem früheren Diebstgeber –offenbar einer Frau – Gelddiebstähle begangen und nach deren Aufdeckung dem Gatten dieser Dienstgeberin (ersichtlich wahrheitswidrig und demnach aus Rache) erzählt hat, daß seine Gattin Ehebruch begangen hätte. Damit sollte die Unglaubwürdigkeit der Angaben der Zeugin T* im gegenständlichen Verfahren unter Beweis gestellt werden.

Den Ausführungen im abweislichen Zwischenerkenntnis zuwider handelt es sich bei dem beantragten Beweis um keinen Erkundungsbeweis; ein solcher läge vor, wenn das Gericht lediglich zur Vornahme von Ermittlungen veranlaßt werden soll, um die Frage zu klären, ob von bestimmten Beweisen eine Förderung der Wahrheitsfindung zu erwarten ist (Mayerhofer‑Rieder, StPO3, E 88 zu § 281 Z 4). Davon kann aber nach Lage des Falles keine Rede sein. Denn vorliegend ergibt sich aus dem Beweisthema, daß durch die begehrte Beweisaufnahme dargetan werden soll, daß die belastende Aussage der Zeugin T* deshalb unglaubwürdig sei, weil die Genannte schon einmal, nachdem sie wegen eines Gelddiebstahls bei ihrem Dienstgeber ertappt worden war, sich durch unwahre Behauptungen zu rächen versucht hat. Der Beweisantrag zielte damit keineswegs (bloß) darauf ab, zu klären, ob von einem bestimmten Beweismittel eine Förderung der Wahrheitsfindung zu erwarten ist.

Dazu kommt, daß im schöffengerichtlichen Verfahren die Möglichkeit fehlt, die Beweiswürdigung der Tatrichter anzufechten. Im Lichte des Grundsatzes eines „fair trial“ (§ 6 Abs. 1 MRK) erscheint es daher geboten, gerade in einem Strafverfahren, in dem nur ein einziger Tatzeuge vorhanden ist, die gegen die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen vorgebrachten Argumente einer besonders sorgfältigen Prüfung zu unterziehen (Mayerhofer‑Rieder aaO, E 119, 120 zu § 281 Z 4).

Indem das Erstgericht den darauf abzielenden Beweisantrag des Beschwerdeführers auf Vernehmung der Zeugin Z* abwies, hat es in Nichtigkeit begründender Weise (§ 281 Abs. 1 Z 4 StPO) Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist.

Da demnach die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war der zum Vorteil des Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde schon bei der nichtöffentlichen Beratung Folge zu geben, ohne daß es eines Eingehens auf die weiteren Punkte der Beschwerde bedurfte.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Urteilsaufhebung zu verweisen.

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