OGH 6Ob624/92

OGH6Ob624/9210.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerda R*****, vertreten durch Dr. Friedrich Jöllinger, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Hannes K*****, ***** vertreten durch Dr. Emil Soucek, Rechtsanwalt in Graz, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 14. Juli 1992, GZ R 519/92-21, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom 1. April 1992, GZ 9 C 383/91y-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Ersturteil wieder hergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.433,60 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Umsatzsteuer S 905,60) sowie die mit S 5.064,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 544,-- und Barauslagen von S 1.800,--) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin stellte das Begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, die in seinem Eigentum stehende und auf dem Grundstück der Klägerin Nr. ***** der EZ ***** Grundbuch T***** befindliche Werbetafel sofort zu entfernen. Sie brachte dazu vor, der Beklagte habe mit ihrer Rechtsvorgängerin im Eigentum dieses Grundstückes einen Vertrag geschlossen, der ihn berechtige, auf dem genannten Grundstück an der Hauptstraße 122 für die Zeit vom 29. März 1978 bis 29. März 1988 eine Werbetafel, bestehend aus einer Hartfaserplatte im Ausmaß von 2,4 x 3,6 m, aufzustellen. Mit eingeschriebenem Brief vom 9. September 1987 habe die Klägerin den Mietvertrag entsprechend der vereinbarten halbjährlichen Kündigungsfrist aufgekündigt und die unverzügliche Entfernung der Werbetafel nach Ablauf der Kündigungsfrist begehrt. Der Beklagte verweigere die Entfernung.

Der Beklagte wandte ein, er sei zur Klage nicht passiv legitimiert; das Eigentum an der Werbetafel sei auf die Firma P***** GesmbH & Co KG übergegangen. Bei dem gegenständlichen Vertrag handle es sich um eine Geschäftsmiete, für welche die Übergangsbestimmungen des MRG anzuwenden seien, die außergerichtliche Aufkündigung sei daher nicht rechtswirksam. Damit sei der Vertrag um weitere 10 Jahre verlängert.

Das Erstgericht gab der Klage unter Zugrundelegung folgender wesentlicher Feststellungen statt:

Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch T*****. Der Beklagte hat mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Jahre 1976 eine Vereinbarung getroffen, nach welcher er berechtigt ist, auf der an die Hauptstraße angrenzenden Wiese eine Werbetafel gegen ein jährliches Benützungsentgelt von S 500,-- aufzustellen. Die Vereinbarung wurde vorerst auf die Dauer eines Jahres mit der Möglichkeit geschlossen, den Vertrag 6 Monate vor Ablauf der vereinbarten Mietdauer aufzukündigen. Bei unterbliebener Aufkündigung sollte sich der Vertrag jeweils um die ursprünglich angeführte Dauer von einem Jahr verlängern.

Der Beklagte hat alle von ihm in Österreich aufgestellten Werbetafeln, darunter auch die streitgegenständliche, an die Firma P***** GesmbH & Co KG zur Nutzung überlassen, ist aber weiterhin Eigentümer.

Nach dem Vertragsabschluß - in dem vorgedruckten Formular ist die Grundstücksbezeichnung, deren Fläche und Ausmaß sowie der genaue Standort der Werbetafel nicht ausgefüllt - stellte der Beklagte auf dem Grundstück der Rechtsvorgängerin der Klägerin nahe der Straße, quer zu dieser, ein Stahlgerüst mit Stahlabsicherung auf, auf welchem eine Hartfaserplatte montiert ist, die auf beiden Seiten mit Plakaten beklebt wurde.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, bei dem abgeschlossenen Vertrag handle es sich um einen jeweils auf ein Jahr befristeten Mietvertrag, welcher zu seiner Auflösung einer Kündigung mindestens 6 Monate vor Ablauf der Vertragsdauer bedürfe. Eine außergerichtliche Kündigung sei im vorliegenden Fall ausreichend gewesen, weil die getroffene Vereinbarung nicht den zwingenden Bestimmungen des MRG unterliege. Mangels Ausfüllens der entsprechenden vorgedruckten Teile des Mietvertrages erhebe sich schon die Frage, ob überhaupt eine Grundfläche angemietet werden sollte. Weiters fielen gemäß § 1 MRG Flächenmieten grundsätzlich nicht unter das MRG, es sei denn, solche erfolgten mit dem vereinbarten Zweck der Errichtung eines Superädifikates. Die auf dem Grund der Klägerin aufgestellte Werbetafel sei nicht als Superädifikat zu qualifizieren; bei Superädifikaten handle es sich nämlich regelmäßig um Bauwerke im Sinne von Gebäuden. Es sei bei der gegenständlichen Werbetafel auch die für ein Superädifikat erforderliche feste Verbindung mit dem Boden nicht gegeben. Da keinesfalls eine Grundstücksmiete mit Geschäfts"raum" - Superädifikat vorliege, bestehe keine Notwendigkeit eines Schutzes gleich einer Raummiete. Die außergerichtliche Kündigung sei daher ausreichend gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klageabweisung ab. Die Geltung des MRG beschränke sich grundsätzlich, - anders als jene des MG - auf Räume und umfasse nicht auch unbebaute Flächen. Lediglich die Vermietung von Flächen mit dem vereinbarten Zweck der Errichtung von Superädifikaten für Wohn- und Geschäftszwecke durch den Mieter sei durch die Rechtsprechung der Raummiete gleichgestellt. Unter Superädifikaten im Sinne des § 435 ABGB seien Bauwerke zu verstehen, die auf fremdem Grund in der Absicht errichtet würden, dort nicht stets zu bleiben. Der Begriff eines Bauwerkes sei weiter als jener eines Gebäudes; er umfasse etwa auch Umfassungsmauern, Holzzäune, Eisengitter oder ständige Flaggenmaste. Die Voraussetzungen träfen auch auf eine Werbetafel zu, die somit als Superädifikat anzusehen sei. Die fehlende Absicht, die Werbetafel ständig auf dem Grund der Klägerin zu belassen, ergebe sich schon aus der vereinbarten Kündigungsmöglichkeit. Der Mietvertrag könne daher nur gerichtlich aufgekündigt werden. Die außergerichtliche Kündigung durch die Klägerin sei wirkungslos. Selbst wenn man die Werbetafel nicht als Superädifikat behandeln wollte, sei das Klagebegehren nicht berechtigt: Gemäß § 1 Abs 1 MG seien die Bestimmungen dieses Gesetzes unter anderem auch auf Lagerplätze anzuwenden gewesen. Unter diesen Begriff sei die vorliegende Vereinbarung zu subsumieren. Wegen der befristeten Übergangsregelung des § 49 Abs 1 MRG seien für solche vor Inkrafttreten des MRG abgeschlossene Mietverträge die alten Bestimmungen bis zum 31. Dezember 1988 weiter anzuwenden. Die bereits am 9. September 1987 außergerichtlich erfolgte Kündigung der Klägerin sei daher auch deshalb unwirksam, sodaß das Mietverhältnis nach wie vor aufrecht und das Räumungsbegehren verfehlt sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht zuzulassen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil das Berufungsgericht von den durch Judikatur und Lehre entwickelten Grundsätzen über die Anwendung des Kündigungsschutzes auf durch den Mieter im Einvernmehmen mit dem Vermieter errichtete Superädifikate abgewichen ist. Sie ist auch berechtigt.

Schon während des Geltungsbereiches des MG 1922 (in der zuletzt geltenden Fassung), dessen § 1 den Anwendungsbereich einerseits auf die Miete von Wohnungen und einzelnen Wohnungsbestandteilen (samt etwaigen Nebenflächen) und andererseits auf die Miete von Geschäftsräumlichkeiten aller Art erstreckte, lag es nahe, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zu fordern, daß es sich um "Räumlichkeiten" - also um räumlich abgegrenzte dreidimensionale Gebilde handeln müsse. Durch die vom Gesetz ausdrücklich unter den Geschäftsräumlichkeiten auch angeführten Lagerplätze, die in der Regel gänzlich unbebaut sind, kam es nach dem Gesetzeswortlaut nur darauf an, daß ein bebautes oder freies Grundstück geschäftlichen Zwecken gewidmet war. Die Bestandnahme eines freien Grundstückes zum Zwecke der Errichtung eines geschäftlichen Zwecken gewidmeten Superädifikates war daher als Miete einer "Geschäftsräumlichkeit" nach § 1 MG zu qualifizieren. Wurde eine bloße Grundfläche zum Zwecke der Errichtung eines Bauwerkes in Bestand gegeben, das Wohnzwecken dienen sollte, wäre bei nur grammatikalischer Auslegung des Gesetzes der besondere Schutz für den Mieter nicht gegeben gewesen. Rechtsprechung und Lehre haben daher (vgl. im einzelnen und ausführlich hiezu Bydlinski, Superädifikate und Kündigungsschutz, JBl 1984, 241) diese teleologische Lücke dahingehend geschlossen, daß die mietrechtlichen Schutzbestimmungen per Analogie auch dann anzuwenden sind, wenn ein Grundstück mit dem Zweck der Errichtung eines Superädifikates angemietet wird.

Durch § 1 MRG ist nun klargestellt, daß leere Grundflächen aus dem Begriff der Geschäftsräumlichkeiten ausgenommen sind und nur mehr die Miete von Geschäftsräumlichkeiten aller Art (wie im besonderen von Geschäftsräumen, Magazinen, Werkstätten, Arbeitsräumen, Amts- oder Kanzleiräumen) umfaßt wird. Damit ergab sich aber für die Anmietung leerer Grundflächen zur Errichtung von geschäftlich genutzten Räumlichkeiten als Superädifikat dieselbe Problematik wie nach der alten Rechtslage für Wohnräumlichkeiten. Da der Gesetzgeber bei Unternehmen offenbar würdigt, daß zahlreiche Geschäftstätigkeiten ganz oder teilweise in gemieteten Räumen ausgeübt werden und fehlende Bestandfestigkeit der betreffenden Mietverhältnisse die Unternehmen selbst, die auf eine räumliche Grundlage angewiesen sind, wirtschaftlich instabil macht und das gesamte Unternehmen oder dessen Fortführung gefährden würde (Bydlinski, aaO), kommt auch einer in gemieteten Räumlichkeiten ausgeübten Geschäftstätigkeit der besondere Schutz des MRG zugute, der eine analoge Anwendung der für Superädifikate zu Wohnzwecken entwickelten Judikatur und Lehre auch für zu Geschäftszwecken errichtete Superädifikate erfordert. Der Oberste Gerichtshof hat daher wiederholt ausgesprochen, daß die Miete eines Grundstückes, auf dem vereinbarungsgemäß vom Mieter ein zu geschäftlichen Zwecken verwendetes Superädifikat errichtet wurde, ungeachtet des Wegfalles des Kündigungsschutzes für bloße Lagerplätze weiterhin Kündigungsschutz nach dem MRG genießt (MietSlg. 39/57 mwN). Da die Analogie nur zur Erfüllung einer (echten) Gesetzeslücke zulässig ist und das MRG nur mehr die Raummiete erfaßt, können für den Bereich des MRG nur Superädifikate geschützt sein, die im normalen Sprachgebrauch "Geschäftsräumlichkeiten", also dreidimensional abgeschlossene, geschäftlichen Zwecken dienende Gebilde sind. Andere, allenfalls unter § 435 ABGB fallende "Bauwerke", wie etwa eine Brücke, Zufahrtsrampe, oder, wie hier, ein bloßer Plakatständer, mag dieser gegen Winddruck auch fest im Boden verankert sein, können nach der hier erforderlichen einschränkenden und wertenden Auslegung nicht im Wege der Analogie den Schutzbestimmungen des MRG unterstellt werden (vgl. auch Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht Anm 26 bis 28 zu § 1 MRG; Bydlinski aaO; MietSlg 39/57; WoBl 1990/80).

Auch das Argument des Berufungsgerichtes, wegen der vor dem 31. Dezember 1988 erfolgten außergerichtlichen Aufkündigung sei auf Grund der Übergangsregelung des § 49 MRG altes Recht anzuwenden und die vorliegende Vereinbarung entspreche dann der Miete eines Lagerplatzes, ist unzutreffend. Die Miete eines Lagerplatzes setzt zumindest die Vereinbarung eines bestimmten, genau bezeichneten Areals einer gewissen Größe voraus, auf welchem nach der Verkehrsauffassung eine Mindestmenge größerer beweglicher Sachen deponiert werden kann. Eine solche Vereinbarung wurde nicht getroffen. Im vorliegenden Fall haben sich die Parteien - offenbar nur mündlich, da im schriftlichen Vertrag jede Determinierung überhaupt fehlt - darauf geeinigt, an welcher (nur punktuellen) Stelle des Grundstückes der Klägerin zwei Metallsteher samt Stahlseilabsicherung vom Kläger im Boden befestigt werden dürfen, ohne daß eine darüber hinausgehende zusammenhängende Grundfläche Gegenstand des Vertrages war. Von einem Mietvertrag über einen Lagerplatz oder ein sonstiges unverbauten Grundstückes kann daher keine Rede sein.

Das Erstgericht ist in seiner rechtlichen Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht ganz eindeutig von der fristgerechten außergerichtlichen Aufkündigung ausgegangen. Der Beklagte hat den Erhalt des vorgelegten Kündigungsschreibens vom 9.September 1987 ebensowenig bestritten wie die Richtigkeit der vom Erstgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrundegelegten Tatsachengrundlage.

Das Räumungsbegehren der Klägerin erweist sich daher mangels Anwendbarkeit von Schutzbestimmungen des MG und MRG als berechtigt, sodaß das Ersturteil wiederherzustellen war.

Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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