OGH 12Os112/92

OGH12Os112/9226.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.November 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak, Dr.Rzeszut, Dr.Markel und Dr.Schindler als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr.Ostheim als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rupert J***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht vom 8.April 1991, AZ Bl 67/89, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, der Generalanwältin Dr.Bierlein, des Vertreters der Privatanklägerinnen Emma K***** und Elisabeth S*****, Dr.Philipp, des Angeklagten Rupert J*****, sowie des Verteidigers Dr.Krautschneider, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Landesgericht Eisenstadt als Berufungsgericht hat in der Strafsache gegen Rupert J***** wegen § 111 Abs 1 StGB, AZ U 42/88 des Bezirksgerichtes Oberpullendorf, durch die Unterlassung der Vernehmung des im erstinstanzlichen Verfahren beigezogenen Sachverständigen Mag.Dr.Gerth N***** in der mündlichen Berufungsverhandlung trotz angeordneter Beweiswiederholung das Gesetz in der Bestimmung des § 473 Abs 2 StPO verletzt.

Das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht vom 8. April 1991, AZ Bl 67/89, mit welchem der Berufung der Privatanklägerinnen Emma K***** und Elisabeth S***** gegen das freisprechende Urteil des Bezirksgerichtes Oberpullendorf vom 28.März 1989, GZ U 42/88-18, Folge gegeben, dieses Urteil aufgehoben und der Angeklagte Rupert J***** des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer (bedingt nachgesehenen) Geldstrafe verurteilt wurde, wird aufgehoben, und es wird dem Landesgericht Eisenstadt die neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Privatanklägerinnen aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Oberpullendorf vom 28.März 1989, GZ U 42/88-18, wurde Rupert J***** von der durch (seine beiden Schwestern) Emma K***** und Elisabeth S***** gegen ihn erhobenen Privatanklage wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Es war ihm angelastet worden, Ende Jänner/Anfang Februar 1988 in Stoob durch den (schriftlich erhobenen) Vorwurf der Fälschung einer mit dem Namenszug der Maria J***** (der im Jahre 1985 verstorbenen Mutter des Beschuldigten und der Privatanklägerinnen) versehenen Privaturkunde die Privatanklägerinnen in einer für Dritte wahrnehmbaren Weise eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt zu haben, das geeignet gewesen sei, sie in der öffentlichen Meinung herabzusetzen.

Das Bezirksgericht stellte unter anderem auf Grund des in der Hauptverhandlung verlesenen (S 94) schriftlichen Gutachtens des kriminologischen Sachverständigen Mag.Dr.Gerth N***** fest, daß die angeblich von Maria J***** stammende Unterschrift gefälscht sei (S 109). Das Bezirksgericht nahm ferner an, es seien auch Umstände erwiesen, aus denen sich für den Täter hinreichende Gründe ergeben hätten, die Privatanklägerinnen für die Unterschriftsfälscher zu halten (S 115). Es ging beim gefällten Freispruch davon aus, der Beschuldigte habe zwar den Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB verwirklicht, ihm seien jedoch der von ihm angebotene (S 10, 94) Wahrheitsbeweis wie auch der Entlastungsbeweis des guten Glaubens im Sinne des § 111 Abs 3 StGB gelungen.

Dieses Urteil wurde von den Privatanklägerinnen mit Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld angefochten.

In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 26.März 1990 beschloß das Landesgericht Eisenstadt als Berufungsgericht "Beweisergänzung durch Einholung eines weiteren graphologischen Gutachtens" (S 148). Der dazu bestellte Schriftsachverständige Herbert P***** gelangte unter Berücksichtigung weiterer Vergleichsunterschriften der Maria J***** sowie unter Bedachtnahme auf deren körperliche Beschaffenheit (Amputation der linken Hand) abweichend vom Gutachten des erstinstanzlichen Verfahrens zum Ergebnis, daß Maria J***** "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" die Urheberin der fraglichen Unterschrift gewesen ist (S 171).

In der folgenden Berufungsverhandlung vom 8.April 1991 beschloß das Landesgericht Eisenstadt Beweiswiederholung durch Vernehmung des Angeklagten, der Zeugen Emma K*****, Elisabeth S***** und Ernst W*****, Verlesung der Akten 2 b Cg 639/86 des Landesgerichtes Eisenstadt sowie "Einholung eines graphologischen Sachverständigengutachtens" (gemeint Gutachten des Schriftsachverständigen Herbert P*****, S 118 der bezirksgerichtlichen Akten). Eine Vernehmung des vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen Mag.Dr. N***** durch das Berufungsgericht unterblieb; ebensowenig wurde das von diesem erstellte schriftliche Gutachten verlesen.

Der Antrag des Verteidigers im Hinblick auf die zwei widersprüchlichen Gutachten der beiden Schriftsachverständigen ein "Obergutachten ... durch ein ausländisches Institut" einzuholen, wurde vom Berufungsgericht mit der Begründung abgewiesen, daß der Sachverständige Herbert P***** ein schlüssiges und fundiertes Gutachten an Hand erweiterter Beurteilungsgrundlagen und unter Berücksichtigung des Originals der relevanten Unterschrift abgegeben habe, während dem in erster Instanz tätig gewesenen Sachverständigen Mag.Dr. N***** (nach der insoweit aktenwidrigen Begründung des Gerichtshofes; sh S 15, 67, 69 ff) nur eine Ablichtung der strittigen Unterschrift zur Verfügung gestanden wäre (S 202 f und 208 f der bezirksgerichtlichen Akten).

Mit Urteil vom 8.April 1991, AZ Bl 67/89, gab das Landesgericht Eisenstadt als Berufungsgericht der Berufung der Privatanklägerinnen Folge, hob das angefochtene Urteil auf, sprach gemäß § 476 StPO in der Sache selbst den Angeklagten Hubert J***** des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer (bedingt nachgesehenen) Geldstrafe.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt verletzt, wie der Generalprokurator zu Recht in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, das Gesetz.

Die Berufungsverhandlung über Urteile der Bezirksgerichte hat den Charakter einer neuen, mit erhöhten Garantien für die Ermittlung der Wahrheit und des Rechts ausgestatteten Hauptverhandlung (Foregger-Serini-Kodek5 Erl III; Mayerhofer-Rieder3 ENr 1; beides zu § 463 StPO).

Gemäß § 473 Abs 2 StPO sind in einem solchen Verfahren Zeugen und Sachverständige, die bereits in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht vernommen worden sind, nochmals abzuhören, wenn der Gerichtshof gegen die Richtigkeit der auf ihre Aussagen gegründeten, im Urteil erster Instanz enthaltenen Feststellungen Bedenken hegt oder die Vernehmung neuer Zeugen oder Sachverständiger über dieselben Tatsachen notwendig findet. Hält das Berufungsgericht die Beiziehung eines anderen Sachverständigen für erforderlich, dann ist es verpflichtet, in erster Instanz zum selben Beweisthema vernommene Sachverständige nochmals zu hören, widrigenfalls ein Verstoß gegen die - zwingende - Bestimmung des § 473 Abs 2 StPO vorliegt (Foregger-Serini-Kodek aaO Erl II zu § 473 StPO; Mayerhofer-Rieder aaO ENr 9 und 14 zu § 474 StPO). Daran ändert nichts, daß das im Urteil des Bezirksgerichtes verwertete Gutachten eines Sachverständigen in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung allenfalls bloß durch Verlesung (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) in das Verfahren eingeführt wurde.

Das Landesgericht Eisenstadt als Berufungsgericht hat im vorliegenden Verfahren weder den im Verfahren erster Instanz befaßt gewesenen Sachverständigen Mag.Dr.Gerth N***** vernommen, noch dessen schriftliche Ausführungen (ON 12) - gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO - verlesen. Es verletzte somit (abgesehen von der erwähnten aktenwidrigen Begründung, diesem Sachverständigen wäre lediglich eine Ablichtung der gegenständlichen Urkunde vorgelegen) die zwingende Vorschrift des § 473 Abs 2 StPO.

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angklagten auswirkte, war das Berufungsurteil zu kassieren und dem Landesgericht Eisenstadt die neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Privatanklägerinnen aufzutragen.

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