OGH 9ObA305/92

OGH9ObA305/9225.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Theodor Kubak und Franz Murmann als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** G*****, Schlosser, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wider die beklagte Partei R***** Handelsgesellschaft mbH & Co KG, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wegen S 13.715,63 brutto sA (im Revisionsverfahren S 8.283,77 brutto sA), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. April 1992, GZ 31 Ra 45/92-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. November 1991, GZ 18 Cga 33/91-9, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß es einschließlich des unangefochtenen Teils zu lauten hat:

Das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger S 13.715,63 brutto sA binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 9.152 (darin S 1.512 Umsatzsteuer und S 80 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 4.874,56 (darin S 805,76 Umsatzsteuer und S 40 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 2.175,36 (darin S 362,56 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger den Betrag von S 13.715,63 brutto sA als Differenz des Entgelts für in der Zeit von Juni 1990 bis Februar 1991 geleistete 52 Mehrarbeits- und 342 Überstunden. Nach seinem Grundvertrag stehe ihm ein Stundenlohn von S 85,20 brutto zu. Da ihn die Beklagte schon seit längerer Zeit an die Rudolf F. und E. KG in Wien überlassen habe, sei auf seine Entgeltansprüche der für den Beschäftigerbetrieb geltende Kollektivvertrag für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe (kurz Kollektivvertrag) anzuwenden. Demnach hätte die Beklagte die Überstundengrundvergütung und die Überstundenzuschläge im Sinne des Abschnittes XIV Punkt 12 des Kollektivvertrages (Stundenlohn mal 167 (Monatsstunden): 143 (Überstundenteiler) = Überstundengrundvergütung) ermitteln müssen.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Betrag von S 5.431,86 für Mehrarbeitsstunden sei dem Kläger bereits gezahlt worden. Hinsichtlich der geleisteten Überstunden sei der Kläger im Hinblick auf den vereinbarten höheren Grundlohn mit einem teils 50 %igen und teils 100 %igen Zuschlag ohnehin überkollektivvertraglich entlohnt worden. Bei Anwendung der Berechnungsformel für die Überstundenvergütung nach dem Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes sei nämlich auch vom kollektivvertraglichen Stundenlohn auszugehen, der im Jahre 1990 S 72 brutto und im Jahre 1991 S 77,90 brutto betragen habe; keinesfalls dürfe diesbezüglich der vereinbarte höhere Grundlohn als Basis der kollektivvertraglichen Überstundenberechnung herangezogen werden. Dadurch wäre der Kläger entgegen den Intentionen des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG) als überlassener Arbeitnehmer im Ergebnis sogar bessergestellt als die Stammarbeitnehmer des Beschäftigerbetriebes.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende Feststellungen:

Nach Abschnitt XIV Punkt 12 des für die Jahre 1990 und 1991 geltenden Kollektivvertrags beträgt die Überstundengrundvergütung und Grundlage für die Berechnung des Überstundenzuschlags 1/143 des monatlichen Lohnes (Stundenlohn mal 167) ohne Zulagen und Zuschläge. Der kollektivvertragliche Mindeststundenlohn betrug im Jahre 1990 S 72 brutto und im Jahre 1991 S 77,90 brutto. Nach der Grundvereinbarung hatte der Kläger im Jahre 1990 einen Stundenlohn von S 89,90 brutto und im Jahre 1991 einen solchen von S 95,60 brutto (Beilage B, Seite 19). An der Qualifikation des Klägers hat sich während der Überstundenleistung gegenüber der Normalarbeitszeit nichts geändert. Legt man der Ermittlung des Überstundenentgelts den jeweiligen kollektivvertraglichen Mindestlohn zugrunde, ist der Kläger "lohnbefriedigt". Geht man hingegen bei Anwendung der Berechnungsformel nach Abschnitt XIV Punkt 12 des Kollektivvertrags vom vereinbarten höheren Grundlohn aus, steht dem Kläger die geltend gemachte Entgeltdifferenz zu.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß sich aus dem Diskriminierungsverbot des § 10 AÜG ergebe, daß sich bei einer freiwilligen Überschreitung des Mindestlohnes in Form überkollektivvertraglicher Entlohnung das angehobene Lohnniveau zwangsläufig auch auf alle aus dem Lohn abgeleiteten Ansprüche, also auch auf das Überstundenentgelt auswirken müsse. Der Kollektivvertrag stelle diesbezüglich nicht auf ein "kollektivvertragliches Mindestgehalt", sondern nur auf den "Lohn" ab. Dabei könne es sich nur um den sogenannten Ist-Lohn und nicht etwa um den Soll-Lohn handeln, zumal auch § 10 AZG nur auf den tatsächlich ausgezahlten Lohn Bezug nehme. Gemäß § 10 Abs 1 AÜG habe der Überlasser die überlassene Arbeitskraft entgeltrechtlich zumindest so zu stellen, wie der Beschäftiger auf Grund der anzuwendenden kollektivvertraglichen Normen gegenüber einem von ihm selbst aufgenommenen Arbeitnehmer verpflichtet wäre.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Klagebegehren hinsichtlich eines Teilbetrages von S 8.283,77 brutto sA (Differenz zum Überstundenentgelt) stattgab und das Mehrbegehren von S 5.431,86 brutto sA (bereits bezahlte Mehrarbeit) abwies. Es sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß es allein darauf ankomme, welcher Entgeltbegriff der Berechnung des Überstundenentgeltes zugrundezulegen sei. Dabei sei nicht von § 10 AÜG, sondern von der Bestimmung des § 10 Abs 2 AZG auszugehen, nach welcher der auf die einzelne Arbeitsstunde entfallende Normallohn maßgeblich sei. Die Überstundenarbeit sei im allgemeinen eine Fortsetzung der Normalarbeit. Daraus folge, daß der Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf Zahlung jenes Entgelts habe, das ihm für die während der normalen Arbeitszeit erbrachte und während der Überstundenarbeit fortgesetzte Arbeitsleistung gebühre. Dem Arbeitnehmer stehe somit der für das konkrete Arbeitsverhältnis tatsächlich geltende Lohn (Ist-Lohn) zu. Eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer gegenüber der im AZG vorgeschriebenen Berechnungsart sei nur im Wege eines Kollektivvertrags zulässig. Eine solche Schlechterstellung sei der Bestimmung des Abschnittes XIV Punkt 12 des Kollektivvertrags nicht zu unterstellen. Demgemäß komme es bei der Ermittlung des Überstundenentgelts nach diesem Kollektivvertrag nicht auf den "jeweiligen kollektivvertraglichen Mindestlohn", sondern auf den "monatlichen Lohn" an; dieser Ist-Lohn sei der Berechnung zugrundezulegen.

Gegen den dem Klagebegehren stattgebenden Teil dieses Urteils richtet sich die aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, da es zur Frage der Kumulation einer überkollektivvertraglichen Entlohnung nach der mit dem Überlasser getroffenen Grundvereinbarung (überlassungsunabhängiges Grundentgelt) und einer gegenüber dem AZG günstigeren Überstundenberechnungsformel im Beschäftigerkollektivvertrag noch keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes gibt und dieser Frage erhebliche Bedeutung im Sinne des § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zukommt. Die Revision ist aber auch berechtigt.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist es für den vorliegenden Fall nicht unmittelbar entscheidend, welcher Entgeltbegriff der Ermittlung des Überstundenentgelts nach Abschnitt XIV Punkt 12 des Kollektivvertrags des Beschäftigerbetriebes zugrundezulegen ist, sondern ob diese Kollektivvertragsbestimmung im Verhältnis der Parteien zueinander überhaupt zur Anwendung kommt. Der Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes wirkt nämlich auf das Arbeitsverhältnis der überlassenen Arbeitskraft zum Überlasser nicht unmittelbar ein; er ist nur über den Umweg der Angemessenheit des Entgelts zu berücksichtigen (vgl. Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 161).

Die Höhe des Entgelts der überlassenen Arbeitskraft richtet sich in erster Linie nach dem für den Überlasser geltenden Kollektivvertrag. Besteht, wie hier, kein solcher Kollektivvertrag, so hat die Arbeitskraft jedenfalls Anspruch auf ein angemessenes, auf den Standort des Überlasserbetriebes bezogenes ortsübliches Entgelt (§ 10 Abs 1 AÜG; Martinek-M. Schwarz-W. Schwarz, AngG7 151; DRdA 1992/45 mwH). Mangels gegenteiliger Behauptung ist daher davon auszugehen, daß der mit dem Kläger im Grundvertrag vereinbarte Basislohn zumindest als angemessen zu qualifizieren ist.

Hinsichtlich des Arbeitsentgeltes der Arbeitskraft für die Dauer der Überlassung bestimmt § 10 Abs 1 dritter Satz AÜG, daß bei der Beurteilung der Angemessenheit auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren Arbeitnehmern für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertragliche Entgelt "Bedacht zu nehmen" ist. Dieser Anspruch steht der Arbeitskraft unabhängig davon zu, ob im Überlasserbetrieb ein Kollektivvertrag existiert (vgl. Geppert, AÜG § 10 Erl 4 f).

Bei dieser Bedachtnahme haben allfällige überkollektivvertragliche Ist-Löhne im Beschäftigerbetrieb außer Betracht zu bleiben. Es kommt allein auf die Mindestentgelte des auf den Beschäftigerbetrieb anzuwendenden Kollektivvertrags an. Weiters können aber auch nicht alle Bestimmungen des Kollektivvertrags des Beschäftigerbetriebes, die sich auf den Entgeltanspruch der Arbeitnehmer beziehen - insbesondere soweit sie nicht ziffernmäßig bestimmte Mindestentgelte regeln -, für überlassene Arbeitskräfte unmittelbar und ohne Modifikation angewendet werden, zumal die überlassene Arbeitskraft nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Beschäftiger steht (vgl. Geppert aaO § 10 Erl 9.2; DRdA 1992/46 mwH). Das Herausnehmen einzelner Detailregelungen sowohl aus dem Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes als auch aus der Grundvereinbarung (Rosinentheorie) ist demnach nicht möglich (Leutner-B. Schwarz-Ziniel, AÜG 109).

Die Berechnungsformel für die Überstundengrundvergütung und den Überstundenzuschlag im Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes bezieht sich zwar auf den Entgeltanspruch der Arbeitnehmer im Beschäftigerbetrieb; sie beinhaltet aber keinen selbständigen Anspruch auf ein kollektivvertragliches Mindestentgelt, da sie sich auf den Stundenlohn der Arbeitnehmer im Beschäftigerbetrieb gründet und diesen voraussetzt. Insoweit ist für den Anspruch der überlassenen Arbeitskraft - wie aufgezeigt - aber lediglich der kollektivvertragliche Mindestlohn maßgeblich, so daß es zu keiner Kombination dieser Ermittlungsvariante mit dem höheren Basislohn im Grundvertrag kommen kann. Der Günstigkeitsvergleich, ob das kollektivvertragliche Entgelt im Beschäftigerbetrieb, also auch die Überstundenentlohnung, oder das vereinbarte Überstundenentgelt im Grundvertrag höher ist, ist vielmehr unter analoger Heranziehung der Grundsätze des § 3 Abs 2 ArbVG herzustellen. Es ist zu prüfen, welches kollektivvertragliche Entgelt einem Arbeitnehmer im Beschäftigerbetrieb gebühren würde und welches Entgelt der überlassenen Arbeitskraft für die gleiche Tätigkeit im gleichen Zeitraum auf Grund des Grundvertrages zukommt (vgl. Leutner-B. Schwarz-Ziniel, AÜG 109 f).

Daraus folgt, daß der Kläger nur dann Anspruch auf ein höheres Überstundenentgelt hätte, wenn das auf Grund des Basislohns mit den gesetzlichen oder höheren vereinbarten Zuschlägen ermittelte Überstundenentgelt niedriger wäre, als das im Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes vorgesehene. Ist allerdings dem Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes eine niedrigere Entlohnung zu entnehmen als dem Grundvertrag, bleiben zwar die Entgeltansprüche der überlassenen Arbeitskraft ungeschmälert bestehen (vgl. auch Schrank, Grundfragen des Entgeltanspruches überlassener Arbeitnehmer nach § 10 Abs 1 AÜG, ZAS 1991, 49 ff, 52), es besteht aber kein Anspruch auf die Zahlung der Entgeltdifferenz, die sich aus der Herausnahme des höheren Basislohns iVm einer dem Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes entnommenen bloßen Berechnungsvariante der Überstundenentlohnung ergibt. Da sich der geltend gemachte Anspruch auf Überstundenentlohnung nach den Feststellungen aber ausschließlich auf diese kombinierte Berechnungsvariante stützt (eine allfällige Verletzung anderer zwingender Vorschriften bei Ermittlung des Überstundenentgelts nach dem Grundvertrag wurde nicht behauptet), ist das restliche Klagebegehren entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ebenfalls nicht berechtigt.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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