OGH 11Os112/92

OGH11Os112/9217.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 1992 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Rzeszut, Dr. Hager und Dr. Schindler als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Munsel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alexander D* wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung

I. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. April 1992, GZ 4 d Vr 969/91‑61, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, des Generalanwaltes Dr. Bassler, des Angeklagten sowie des Verteidigers Dr. Herzka zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:E34497

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II. Über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. April 1992, GZ 4 d Vr 969/91‑61, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u ß

gefaßt:

Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die bedingte Nachsicht der mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 11. Dezember 1990, GZ 3 b Vr 518/89‑89, verhängten Freiheitsstrafe von 1 1/2 (eineinhalb) Jahren widerrufen.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch beinhaltenden Urteil wurde der am 22. Juni 1970 geborene Alexander D* - im zweiten Rechtsgang ‑ (I.1.) des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und (I./2.) des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er (I.) am 26. Jänner 1991 in W* Sandra Z* jeweils durch gefährliche Drohung

1. durch die Androhung von Schlägen zur Duldung geschlechtlicher Handlungen, nämlich des Beischlafs, und "des Umstands", daß er ihr mit dem Finger in die Scheide fuhr, genötigt;

2. durch die Äußerung, wenn sie eine Anzeige mache, werde sie schon sehen, was ihr passiere, zur Unterlassung der Anzeigeerstattung wegen der zu Punkt 1. geschilderten strafbaren Handlungen zu nötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft diese Schuldsprüche mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5 a und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, überdies den Strafausspruch ‑ ebenso wie die Staatsanwaltschaft zu seinem Nachteil ‑ mit Berufung. Den gemäß § 494 a Abs 1 Z 2, Abs. 7 StPO zugleich gefaßten Beschluß bekämpft die Staatsanwaltschaft mit Beschwerde.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung in der Hauptverhandlung gestellter, auf die Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Angaben der Belastungszeugin Sandra Z* abzielender Anträge.

Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor.

Die Zeuginnen mit den Vornamen Karoline und Claudia konnten von der Polizei nicht ausgeforscht (S 409 d) und die Aufenthaltsorte der Petra D* und des Musa C* nicht erhoben werden (S 303, 409 c, ON 56, 57, 59, S 409 f, Aussage des Zeugen Christoph B*, S 431). Die Nichtaufnahme von Beweisen infolge Unerreichbarkeit der Beweismittel vermag aber die behauptete Nichtigkeit nicht zu begründen (Mayerhofer‑Rieder StPO3, EGr 104 zu § 281 Abs 1 Z 4 StPO).

Was die vom Erstgericht abgelehnte Vernehmung des Zeugen Herbert T* anlangt, war bei der Beurteilung dieses Beweisanbotes von einer gegenüber der im ersten Rechtsgang (vgl S 183 f) differenziert erweiterten Verfahrensgrundlage auszugehen. Während der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung vom 29. Mai 1991 zum Vorbringen des Beweisantrages ON 19 angab: "Was die Mädchen geredet haben, kann ich nicht sagen, ich bin aufs WC gegangen", deponierte er in der Hauptverhandlung am 9. April 1992 (S 421 f) auf die Frage, ob er etwas davon wisse, daß Sandra (Z*) irgendjemandem gesagt haben soll, sie würde ihn "einidran": "Das habe ich gehört. Ich weiß nicht mehr, wer mir das erzählt hat. Das war an dem Tag, wie ich verhaftet worden bin. Was die Sandra da gesagt haben soll, weiß ich nicht mehr, ich weiß auch nicht mehr, wer mir das erzählt haben soll. Das war, wie wir im Cafe K* waren, die Sandra, Karoline und ich." Auf die weitere Frage, ob Sandra Z* damals überhaupt Gelegenheit gehabt habe, mit Karoline allein zu sprechen, erklärte er: "Ja, ich bin ja aufs WC gegangen, in dieser Zeit hätte die Sandra der Karoline etwas sagen können. Es ist aber richtig, daß ich da mit der Sandra noch nicht gesprochen habe, daß ich mit ihr schlafen will".

Damit ist aber, wie das Erstgericht richtig erkannte ‑ der Argumentation des Angeklagten zuwider ‑ mangels Kenntnis der Zeugin Z* von dem von ihm in Aussicht genommenen Geschlechtsverkehr, der Behauptung, die bezeichnete Äußerung sei als Ankündigung einer (die geschlechtlichen Intentionen des Angeklagten ausnützenden) Verleumdung zu beurteilen, die Grundlage entzogen. Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen T* beruhte somit vom Ansatz her auf nicht plausiblen Prämissen, weshalb seine Abweisung keine Hintansetzung entscheidender Verteidigungsrechte bedeutete.

Soweit die Mängelrüge (Z 5) eine mangelhafte Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite releviert, ohne auf die dazu angestellten, auch die eingeholten Sachverständigengutachten miteinbeziehenden tatrichterlichen Erwägungen (US 6, 7, 10 f) einzugehen, die sowohl den zu I./1 des Urteilsspruchs angenommenen bedingten Vorsatz als auch den zu I./2. konstatierten direkten Vorsatz detailliert und denkmöglich untermauern, entzieht sie sich mangels Substantiierung einer sachbezogenen Erörterung.

Im übrigen erschöpft sie sich nach Inhalt und Zielsetzung unter Übergehung der maßgebenden Beweggründe, aus denen das Erstgericht die wesentlichen Feststellungen auf die erste polizeiliche Geschehensdarstellung der Zeugin Z* stützte (US 8 f) in dem im Nichtigkeitsverfahren gegen kollegialgerichtliche Urteile nach wie vor unzulässigen Versuch, die in einer Gesamtschau der Beweismittel in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) gewonnene und mit den Denkgesetzen in Einklang stehend begründete Überzeugung von der Glaubwürdigkeit der Angaben der genannten Zeugin zu bekämpfen und der leugnenden Verantwortung des Angeklagten zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Fragen, ob sich die Zeugin Z* gewehrt hat oder nicht, sowie ob ihr eine Gegenwehr zumutbar, möglich oder nicht möglich war, betreffen ‑ wie noch auszuführen sein wird ‑ ebensowenig für die rechtliche Beurteilung oder für die Anwendung eines bestimmten Strafsatzes ausschlaggebende Umstände, somit entscheidende Tatsachen, wie die Entwicklung der ersten Kontakte zwischen dem Angeklagten und der genannten Zeugin.

Die weitgehend unsubstantiierte Tatsachenrüge (Z 5 a) bekämpft, soweit sie nicht zusammenfassend die gegen die Abweisung der erörterten Beweisanträge gerichtete Verfahrensrüge wiederholt, (abermals) in unzulässiger Weise die tatrichterliche Beweiswürdigung in Ansehung des Beweiswertes der Aussage der Hauptbelastungszeugin und bedarf mithin keiner zusätzlichen Erwiderung.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) hinwieder verfehlt zunächst eine prozeßordnungsgemäße Darstellung des geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes, weil sie unter dem Gesichtspunkt der vom Erstgericht (anklagekonform) nicht angenommenen Ausübung von Gewalt als Tatmittel und mit der Behauptung, das Erstgericht habe lediglich festgestellt, der Angeklagte habe Sandra Z* mit "Ohrfeigen" bedroht, von aktenfremden Prämissen ausgeht. Entgegen den Beschwerdeausführungen stellten die Tatrichter nämlich fest, daß der Beschwerdeführer sein Opfer, nachdem er die Eingangstür von innen versperrt hatte, mit Schlägen bedrohte, um es in Furcht und Unruhe zu versetzen und für sein Vorhaben gefügig zu machen (Urteilsfaktum I./1. ‑ US 6) und es mit seiner (zu Urteilsfaktum I./2.) inkriminierten Äußerung (ohne weitere Einschränkung) zumindest Mißhandlungen befürchten lassen wollte, um es von der Anzeigeerstattung abzuhalten (US 11). Auf der Basis dieser Feststellungen wertete das Erstgericht die Äußerungen des Angeklagten ‑ im Ergebnis zutreffend ‑ auch als objektiv geeignet, begründete Besorgnis hervorzurufen.

Als gefährliche Drohung im Sinne der Begehungsmittel nach §§ 105 Abs 1 und 202 Abs 1 StGB ist gemäß § 74 Z 5 StGB eine Drohung mit einer Verletzung am Körper, Freiheit, Ehre und Vermögen anzusehen, die geeignet ist, beim Bedrohten mit Rücksicht auf die Verhältnisse und seine persönliche Beschaffenheit oder die Wichtigkeit des angedrohten Übels begründete Besorgnisse einzuflößen. Ist eine Drohung gegen das erstgenannte Rechtsgut gerichtet, so entspricht sie den erwähnten Begriffsmerkmalen des § 74 Z 5 StGB dann, wenn damit eine ‑ zumindest den Voraussetzungen des § 83 StGB genügende ‑ Körperverletzung in Aussicht gestellt wird. Diese Voraussetzungen liegen fallbezogen vor, weil der (nachhaltig) beunruhigende Wirkungsgrad der Androhung von Schlägen und Mißhandlungen auch ohne Erwähnung allfälliger (die Drohung solcherart ausdrücklich aggravierender) Verletzungsfolgen die objektive Eignung miteinschließt, begründete Besorgnis des Tatopfers vor zumindest nach § 83 Abs 2 StGB tatbestandsgemäßen Verletzungsfolgen zu erwecken.

Für die Annahme einer Drohung mit einer Verletzung (bloß) an der Ehre bietet das vorliegende Tatsachensubstrat schon in Ermangelung einer in diesem begrenzten Umfang zu wertenden Willensäußerung des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte.

Die von der Beschwerde vermißten Feststellungen zu den über die Tatbestandsvoraussetzungen des § 202 Abs 1 StGB hinausgehenden, nicht essentielle Tataspekte berührenden Fragen der Gegenwehr des Opfers und ihrer Zumutbarkeit waren ‑ dem Beschwerdestandpunkt zuwider ‑ nicht geboten.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war somit insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten. Dabei wertete es seine geistige Minderbegabung, den Umstand, daß es teilweise beim Versuch geblieben ist und das Alter unter 21 Jahren als mildernd, als erschwerend hingegen die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen.

Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung unter Hinweis auf das den Milderungsumständen innewohnende Gewicht und das Mitverschulden der Zeugin Sandra Z* eine Strafherabsetzung und die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht an. Die Staatsanwaltschaft hingegen beantragt unter Hervorhebung der Vorverurteilung vom 11. Dezember 1990 (unter anderem wegen der Verbrechen des Raubes, der schweren Erpressung, der Notzucht und des Vergehens der Nötigung) und des raschen Rückfalls eine schuldangemessene Erhöhung der Sanktion.

Die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe erweist sich ‑ sämtlichen Berufungsargumenten zuwider ‑ als tat‑ und tätergerecht. Mag es auch zutreffen, daß der Vorverurteilung des Angeklagten erhöhte Bedeutung zukommt, so trägt der erstgerichtliche Strafausspruch in seiner Gesamtheit doch den hier gegebenen präventiven Erfordernissen in angemessener Weise Rechnung, sodaß sich der bekämpfte Strafausspruch als keiner der beantragten Korrekturen bedürftig erweist.

Allerdings kommt der Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den gemäß § 494 Abs 1 Z 2, Abs 7 StPO gefaßten Beschluß des Schöffengerichtes, mit dem unter gleichzeitiger Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre vom Widerruf der im Spruch näher bezeichneten bedingten Strafnachsicht abgesehen wurde, Berechtigung zu, weil insbesondere das einschlägig belastete Vorleben des Angeklagten bei bereits ersichtlich manifester Tendenz zur Gewalt‑ und Sexualdelinquenz den Widerruf zusätzlich zur neuerlichen Verurteilung geboten erscheinen läßt, um Alexander D* wirkungsvoll von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 1 StGB; § 494 a Abs 1 Z 4 StPO).

Auch im Interesse der endgültigen Miterledigung noch offener bedingter Unrechtsfolgen war daher in der Straffrage spruchgemäß vorzugehen (vgl Foregger‑Serini MKK5, § 53 StGB Erl II).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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