European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:E32037
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der dem Angeklagten zu den Punkten 2. und 3. des Schuldspruches angelasteten Taten auch unter die Bestimmung des § 130 erster Fall StGB sowie gemäß § 290 Abs 1 StPO in den Punkten 1. und 4. des Schuldspruches zur Gänze und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen (auch einen unangefochten gebliebenen Freispruch des Angeklagten enthaltenden) Urteil wurde Johann A* wegen des Verbrechens des teils vollbrachten (gemeint vollendeten), teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall und 15 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene, auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die sich ausschließlich gegen die vom Erstgericht angenommene Tatqualifikation der gewerbsmäßigen Diebstahlsbegehung nach § 130 erster Fall StGB wendet, ist begründet.
Das Erstgericht stellte fest, daß der Angeklagte am 31. März 1992 im Kaufhaus "B*" Lebensmittel kaufte und bei dieser Gelegenheit eine Portion Frühstücksfleisch und ein Haarshampon im Gesamtwert von 72,80 S an sich nahm, wobei er beim Versuch, das Geschäft ohne Bezahlung dieser Waren zu verlassen, angehalten wurde. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in einer schlechten finanziellen Lage, beim Einkauf standen ihm nur 50 S zur Verfügung (1.). Am 28. April 1992 stahl er von einem Verkaufsständer eine Sonnenbrille im Wert von 479 S, um damit ein "blaues Auge", das er zu diesem Zeitpunkt hatte, zu verdecken (2.) und am 11. Mai 1992 von dem vor dem Lokal aufgestellten Ständer eines Brillengeschäftes eine Damensonnenbrille im Wert von 499 S, um sie, weil er kein Geld besaß, um 100 S weiterzuverkaufen (3.). Schließlich eignete er sich am 14. Juni 1992 am Autobusbahnhof in W* aus Hunger (S 200 f) eine Einkaufstasche, in der sich Lebensmittel befanden, in diebischer Weise an (4.).
Zu allen diesen Taten nahm das Erstgericht als erwiesen an, daß der Angeklagte jeweils die Absicht hatte, sich durch wiederkehrende Tatbegehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, um hiedurch seinen Lebensunterhalt zumindest teilweise zu bestreiten (S 202). Dies ergebe sich aus der schlechten finanziellen Lage des Angeklagten zu den Tatzeiten, der Faktenmehrheit, der raschen Aufeinanderfolge der Diebstahlstaten und dem durch zahlreiche Diebstahlsvorstrafen charakterisierten Vorleben des Angeklagten (S 202, 203).
Diese Begründung entbehrt bei der konstatierten Sachlage ‑ wie die Mängelrüge zutreffend aufzeigt ‑ der Schlüssigkeit, wobei die in den Fakten 2) und 4) festgestellten Beweggründe geradezu im Widerspruch zu der im § 70 StGB normierten gewerbsmäßigen Absicht stehen und auch im Faktum 1), einer angesichts der Natur des Diebstahls und des als erwiesen angenommenen finanziellen Engpasses zur Tatzeit nach der Lebenserfahrung eher ein Handeln des Angeklagten aus Not oder zur Befriedigung eines Gelüstes (§ 141 Abs 1 StGB), als die konstatierte gewerbsmäßige Absicht indiziert erscheint.
Damit verbleibt nur die Wegnahme einer Sonnenbrille mit dem vom Erstgericht als erwiesen angenommenen Vorhaben, sie um 100 S weiterzuverkaufen (3.). Dieses Faktum allein kann aber gewerbsmäßiges Handeln des Angeklagten im Sinne des § 70 StGB nicht begründen, weshalb auch insoweit eine Kassierung der Qualifikation nach § 130 StGB zu erfolgen hatte.
Da ‑ wie bereits oben angedeutet ‑ beim Diebstahl zum Nachteil der Rosa Maria S* (4.) Tatumstände vorliegen, die darauf hinweisen, daß hier (bloß) der Tatbestand der Entwendung im Sinne des § 141 Abs 1 StGB vorliegt, aber auch beim Diebstahlsversuch zum Nachteil der Firma "B*" (1.) eine Tatbeurteilung als Entwendung naheliegt, in diesem Umfang aber im angefochtenen Urteil die zur abschließenden rechtlichen Beurteilung erforderlichen Feststellungen fehlen, ist das Urteil zu Punkt 1. und 4. des Schuldspruches zum Nachteil des Angeklagten auch mit dem materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10 (bzw 9 lit b) StPO behaftet. Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war dies gemäß § 290 Abs 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen. Angesichts dieser Feststellungsmängel ist es dem Obersten Gerichtshof aber verwehrt, insoweit in der Sache selbst zu erkennen.
Es war demnach das Ersturteil gemäß § 290 Abs 1 StPO in den Schuldsprüchen zu den Punkten 1. und 4. des Urteilssatzes zur Gänze sowie in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten in der Qualifikation der restlichen Diebstähle (2) und 3)) nach § 130 erster Fall StGB zu kassieren (§ 285 e StPO).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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