OGH 7Ob21/92

OGH7Ob21/9229.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Klinger, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Xheladin O*****, vertreten durch Dr.Josef Lechner und Dr.Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in Steyr, wider die beklagte Partei W***** *****-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Walter Lanner, Rechtsanwalt in Steyr, wegen S 200.000,-- s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 20.Mai 1992, GZ 1 R 34/92-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 26.November 1991, GZ 2 Cg 80/91-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 200.000,-- samt 4 % Zinsen seit 19.2.1990 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 92.544,60 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 23.100,-- Barauslagen und S 11.574,10 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Strittig ist, ob die beklagte Partei zum Rücktritt von dem mit der am 22.10.1989 verstorbenen Ehefrau des Klägers abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht berechtigt war.

Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang dem auf Zahlung der Versicherungssumme gerichteten Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen stellten der Kläger und seine Ehefrau am 27.8.1988 einen sogenannten Kombiantrag auf Abschluß einer Lebensversicherung. Das Antragsformular wurde in Anwesenheit des Versicherungsvertreters der beklagten Partei ausgefüllt, und es wurden von diesem die entsprechenden Kreuze in den dafür vorgesehenen Fragespalten gesetzt. Die entscheidungswesentlichen Fragen wurden von der Ehefrau des Klägers wie folgt beantwortet: Die Frage 7 nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden in den letzten 5 Jahren (zB Herz oder Kreislauf, Atmungs-, Verdauungs-, Harn- oder Geschlechtsorgane, Gehirn, Rückenmark, Nerven, Sinnesorgane, Haut, Drüsen, Blut, Milz, Stoffwechselstörungen, Geschwülste, Rheumatismus, Wirbelsäule, Gelenke, Muskeln, Infektionskrankheiten, Allergien) wurde mit Ja beantwortet. Desgleichen die Frage 8, ob die Antragstellerin in den letzten 5 Jahren von Ärzten oder Heilpraktikern untersucht, beraten oder behandelt worden ist. Hiezu wurde zu den Detailfragen nach Art, Ausmaß, Verlauf und Folgen der Krankheit, Zeitraum, Krankenhäuser etc. angegeben: Magengeschwür - keine Operation - 7.1988, Landeskrankenhaus Steyr. Name und Anschrift des Arztes, der über die Gesundheitsverhältnisse am besten unterrichtet ist (Frage 6), wurden angegeben. Die Frage 19, ob die Antragstellerin sonstige Krankheiten, Gebrechen oder Beschwerden hat oder hatte, nach denen nicht ausdrücklich gefragt wurde, wurde mit Nein beantwortet. Der Kombiantrag wurde vom Kläger und seiner Ehefrau unterschrieben. Vor der Antragstellung befand sich die Ehefrau des Klägers vom 3.6.1988 bis 1.7.1988 in stationärer Behandlung des Landeskrankenhauses Steyr.

Bei der Aufnahme gab sie an, daß sie seit etwa 6 Jahren an einem

ulcus duodemi leide. In letzter Zeit seien starke Schmerzen

aufgetreten, im Bereich Oberbauchmitte, ausstrahlend nach links bis

zur Schulter. Die Zusammenfassung der Krankengeschichte über diesen

Krankenhausaufenthalt lautet: "Bei der Patientin ist seit längerer

Zeit ein ulcus duodemi bekannt. Jetzt kommt sie wegen

Oberbauchschmerzen ... In der Gastroskopie und im Magenröngten fand

sich ein sehr großes ulcus ventriculi an der kleinen Kurvatur. Die

histologische Untersuchung der Biopsien ergab keinen Anhaltspunkt für

Malignität.... Wegen Kopfschmerzen wurde ein Schädelröntgen

angefertigt, dabei zeigten sich mehrere etwa linsengroße, scharf

begrenzte rundliche Aufhellungsfiguren, osteolytischen Herden

entsprechend. Ätiologisch kommt ein Plasmozytom, eventuell auch

kleine osteolytische Metastasen in Betracht. Eine völlige

Durchuntersuchung wurde ausgeschlossen. Für ein Plasmozytom fand sich

im Sternalmark, in der Untersuchung des Harns und in der Immunologie

kein weiterer Hinweis. Die übrige Durchuntersuchung ergab keinen

Anhaltspunkt für einen Primärtumor. Eine gezielte Punktation konnte

wegen der Kleinheit der Herde nicht durchgeführt werden. Eine

Kontrollgastroskopie und ein Kontrollmagenröntgen vor der Entlassung

zeige das ulcus fast vollständig abgeheilt. Wegen der Schädelherde

haben wir vorläufig eine Observation beschlossen. Die Patientin wurde

... entlassen. Eine neuerliche stationäre Aufnahme zur

Kontrolluntersuchung der osteolytischen Herde im Bereich des Schädels

ist in drei Monaten vorgesehen." Die Kontrolluntersuchung wurde mit

der Ehefrau des Klägers im Krankenhaus vereinbart. Es wurde ihr von

den behandelnden Ärzten gesagt, daß sie in drei Monaten unbedingt

wieder in das Krankenhaus kommen müsse, daß sie etwas im Schädel

habe. Die Ehefrau des Klägers akzeptierte dies und führte auch ihre

Kopfschmerzen darauf zurück. Daß wegen der Schädelherde Krebsverdacht

besteht, wurde ihr nicht gesagt. Am 23.9.1988 verlangte die beklagte

Partei von der Hausärztin der Ehefrau des Klägers einen ärztlichen

Bericht, in dem das ulcus ventriculi und die Behandlungszeit mit III

87 angegeben wurden. Am 18.11.1988 stellte die beklagte Partei den

Versicherungsschein aus. Wann dieser den Versicherungsnehmern

ausgefolgt wurde, konnte nicht festgestellt werden. Die Ehefrau des

Klägers hielt den vereinbarten Termin für die Kontrolluntersuchung

nicht ein. Sie begab sich erst am 29.11.1988 wieder in das

Landeskrankenhaus Steyr, wo sie am 7.12.1988 operiert wurde. Der

Operationsbericht lautet (auszugsweise): "Nach Eröffnung des

Peritoneums reichlich Ascites, der abgesaugt wird. Es findet sich ein

Magencarcinom an der kleinen Kurvatur mit großen Drüsenpaketen,

außerdem ausgeprägte Netzmetastasen und faustgroße Metastasen in

beiden Ovarien...... Besonderheiten des Falles: Die Patientin war vor

einem halben Jahr wegen ulcus ventriculi durchuntersucht worden.

Zahlreiche Biopsien hatten damals nie Malignitätsverdacht gezeigt....

Schon damals bestand der Verdacht auf Knochenmetastasen im

Schädeldach.......". Jetzt wurde aus dem abermals vorhandenen ulcus

ventriculi das Carcinom bioptisch diagnostiziert, außerdem zeigte die gynäkologische Untersuchung bereits die Ovarialmetastasen. Die Ehefrau des Klägers wurde am 23.12.1988 entlassen, in der Folge ambulant chemotherapeutisch behandelt. Am 7.8.1989 wurde sie neuerlich in das Landeskrankenhaus aufgenommen und am 8.8.1989 neuerlich operiert. Von ihrem Tod erhielt die beklagte Partei am 31.10.1989 erstmals Kenntnis. Daraufhin forderte sie am 2.11.1989 beim Landeskrankenhaus Steyr die entsprechenden Krankengeschichten an, die bei ihr nach mehrmaligen Urgenzen am 13.12.1989 einlangten. Mit Schreiben vom 2.1.1990 erklärte sie den Rücktritt vom Versicherungsvertrag.

Bei seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, daß nach § 16 Abs.3 VersVG der Rücktritt des Versicherers wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht ausgeschlossen sei, wenn die Anzeige ohne Verschulden des Versicherungsnehmers unterblieben ist. Ein Versicherungsnehmer sei dann entschuldigt, wenn er einen an sich erheblichen Umstand für unerheblich zu halten berechtigt gewesen sei. Weder der Kläger noch seine Ehefrau hätten Kenntnis von der letztlich zum Tod führenden Krankheit gehabt. Die Ehefrau des Klägers habe sich wegen des Magengeschwürs in Krankenhausbehandlung begeben und dort auch über Kopfschmerzen geklagt, weshalb sie auch durchuntersucht worden sei. Wenn ihr von den Ärzten gesagt worden sei, daß sie etwas im Schädel habe, weise dies auf keine besondere Ernstlichkeit der Erkrankung hin. Die Ehefrau des Klägers habe ohne weiteres der Meinung sein können, daß die Kontrolluntersuchung im Zusammenhang mit dem Magengeschwür stehe. Dies umso mehr, als sie über den Krebsverdacht nicht aufgeklärt worden sei. Mangels Verschuldens der Versicherungsnehmerin sei daher die beklagte Partei nicht zum Rücktritt berechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig ist. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei Beurteilung der Frage, wann der Versicherungsnehmer bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht entschuldigt ist, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht.

Die Revision ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Versicherungsnehmer hat bei der Schließung des Vertrags alle ihm

bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind,

dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind die Gefahrumstände, die

geeignet sind, auf den Entschluß des Versicherers, den Vertrag

überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen

Einfluß auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer

ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als

erheblich (§ 16 Abs.1 VersVG). Für die Übernahme der Gefahr

erhebliche Umstände können auch subjektive Umstände sein, die die

Entstehung von ersatzpflichtigen Schäden mehr oder weniger

wahrscheinlich machen, auch Tatsachen, die auf Umstände dieser Art

hindeuten oder zu ihrer Feststellung führen könnten, sogenannte

indizierende Umstände. Dazu gehören namentlich in der

Lebensversicherung symptomatische Beschwerden (Prölss-Martin, VVG24

165 f mwN). Feststeht, daß die Ehefrau des Klägers bei ihrem

Krankenhausaufenthalt unmittelbar vor Antragstellung wegen ihrer

Kopfschmerzen einer gesonderten Untersuchung unterzogen wurde und daß

ihr von den behandelnden Ärzten gesagt wurde, sie habe etwas im

Schädel und müsse unbedingt in drei Monaten wieder in das Krankenhaus

kommen. Daß es sich hiebei nach dem Gesagten in der

Lebensversicherung um ins Gewicht fallende indizierende Umstände

handelte, kann ebensowenig zweifelhaft sein wie daß diese von den

ausdrücklich schriftlich gestellten Fragen 7 und 10 des

Antragsvordruckes umfaßt waren. Unerheblich ist, daß die Beschwerden

nach den Untersuchungsergebnissen nicht schon einer bestimmten

Krankheit zugeordnet wurden. In der Lebensversicherung sind

Beschwerden oder Schmerzen grundsätzlich auch dann anzuzeigen, wenn

noch keine bestimmte Krankheit diagnostiziert wurde (VersR 1987,

1125; Schauer, Einführung2 68; Prölss-Martin aaO 167). Die

Rechtsfolge der Rücktrittsmöglichkeit des Versicherers wegen

Nichtanzeige dieser Umstände wäre daher gemäß § 16 Abs.3 VersVG nur

dann ausgeschlossen, wenn die Anzeige ohne Verschulden der

Versicherungsnehmerin unterblieben wäre. Nach Lehre und ständiger

Rechtsprechung sind an die vom Versicherungsnehmer bei Erfüllung

seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt ganz

erhebliche Anforderungen zu stellen. Für eine schuldhafte Verletzung

der vorvertraglichen Anzeigepflicht genügt leichte Fahrlässigkeit

(Schauer aaO 69; Prölss-Martin aaO 171; VersRdSch 1991, 200; VersR

1988, 172; SZ 52/65 ua). Die Auffassung der Vorinstanzen, daß die

Ehefrau des Klägers die Kopfschmerzen mit ihrem Magenleiden in

Zusammenhang bringen konnte und daher entschuldigt sei, ist

abzulehnen. Nach den unmißverständlichen Erklärungen der Ärzte war es

auch für einen Laien bei Anspannung der gehörigen Aufmerksamkeit

leicht erkennbar, daß die Beschwerden bereits einen eigenen

selbständigen Krankheitswert hatten. Die Ehefrau des Klägers konnte daher die Beschwerden nicht für unerheblich halten. Sie hätte bei Anwendung der gehörigen Sorgfalt bei Beantwortung der vom Versicherer gestellten Fragen deren Anzeigepflichtigkeit leicht erkennen können. Den ihm obliegenden Beweis, daß der Umstand, in Ansehung dessen die Anzeigepflicht verletzt wurde, keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles hatte (VersR 1991, 200) hat der Kläger nicht einmal angetreten.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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