OGH 3Ob564/92

OGH3Ob564/9214.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Klinger, Dr.Angst und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag.Josef P*****, vertreten durch Dr.Bernhard Prochaska, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei "***** H***** OHG, *****, vertreten durch Dr.Johann Paul Cammerlander und Dr.Harald Vill, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen restl. S 138.052,54 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 14. Mai 1991, GZ 3a R506, 603/90-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 13. Juni 1990, GZ 17 C 14/90b-8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im Umfang der Bestätigung der Abweisung des Klagebegehrens von S 256.227,49 samt 5 % Zinsen seit 4. Jänner 1990 und 20 % Umsatzsteuer aus den Zinsen als unangefochten unberührt bleibt, wird im übrigen Umfang aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Der Kläger ist Miteigentümer der Liegenschaft EZ 1632 II KG W*****; mit seinem Miteigentumsanteil ist Wohnungseigentum an den Einheiten top 273/1 und 2 und 272/1 und 2 verbunden, die sich im ersten Obergeschoß des Zwischentraktes zwischen den Häusern I***** 100 und 102 befinden und in der Natur eine wirtschaftliche Einheit als Geschäftsräumlichkeit darstellen. Mit Bestandvertrag vom 11. Juni 1974 hatte der Kläger diese Räumlichkeiten im Gesamtausmaß von 153,74 m2 an die beklagte Partei zu einem Mietzins von netto S 60,--/m2 auf unbestimmte Zeit vermietet, sodaß die Monatsmiete im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses S 9.224,40 - zuzüglich der jeweils geltenden Umsatzsteuer - betrug. Der Mietzins war nach dem VPI 1966 mit Ausgangsbasis Indexzahl Mai 1971 wertgesichert. Für die Ermittlung und Geltendmachung der Aufwertungsforderungen vereinbarten die Vertragsparteien folgenden Vorgang: Nach Verlautbarung der Indexzahl für Dezember wird der Vermieter die jeweils aufgewerteten Mietzinsforderungen für die Monate Jänner bis Dezember unter Vergleich der für diese Monate gültigen Indexzahlen des VPI 1966 ermitteln, jene Zahlungen, die die Mieterin als monatlichen Mietzins für die Monate Jänner bis Dezember dieses Jahres geleistet hat, in Abzug bringen und die Differenzforderung (Aufwertungsforderung) mit eingeschriebenem Brief der Mieterin bekanntgeben, welche diesen Betrag binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe zu bezahlen hat. Die Mieterin war verpflichtet, ab diesem Zeitpunkt jenen Betrag als monatliche Miete für die Zeit des laufenden Jahres weiterzuzahlen, welcher sich aufgrund dieser Berechnung für den verflossenen Monat Dezember errechnet hatte.

Nachdem der Kläger sich über Ersuchen der Gesellschafter der beklagten Partei für das Jahr 1981 zur "Einfrierung" des damals aktuellen Mietzinses von monatlich S 13.736,-- verstanden und auch in der Folge bis Dezember 1985 nur diesen Betrag als Mietzins vorgeschrieben und entgegengenommen hatte, erklärte er sich über neuerliches Ersuchen der Gesellschafter der beklagten Partei ab 1986 zu einer weiteren Mietzinsreduktion auf monatlich S 12.000,-- netto einverstanden. Ob ein vom Klagevertreter verfaßtes Schreiben vom 18. Dezember 1985, in welchem unter anderem Hinweise darauf enthalten gewesen sein sollen, daß die Mietzinsreduzierung auf monatlich S 12.000,-- nur bis 31. Dezember 1986 befristet sein und alle sonstigen Vertragsbestimmungen voll aufrecht bleiben sollten, an die beklagte Partei abgegangen und dieser zugekommen ist, konnte nicht festgestellt werden. In weiterer Folge zahlte die beklagte Partei bis einschließlich 1989 eine monatliche Miete von S 12.000,-- zuzüglich 10 % Umsatzsteuer, sohin S 13.200,--, die der Kläger jeweils unbeanstandet annahm.

Erstmals mit Schreiben vom 5. Dezember 1989 machte der Klagevertreter gegenüber dem Beklagtenvertreter für die Jahre 1987 und 1988 eine Wertsicherungsnachforderung in Höhe von S 256.317,-- geltend (die nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist) und teilte unter anderem mit, daß die Nachforderung für das Jahr 1989 nach Vorlage der Indexzahl für dieses Jahr bekanntgegeben werde. Mit weiterem Schreiben vom 19. Februar 1990 bezifferte der Klagevertreter unter Bezugnahme auf die zwischenzeitlich erfolgte Verlautbarung der Indexzahl für Dezember 1989 die Aufwertungsnachforderung für das Jahr 1989 mit S 138.900,--.

Mit Klage vom 16. März 1990 begehrt der Kläger die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung der der Höhe nach mit S 138.052,54 außer Streit stehenden Wertsicherungsnachforderung für das Jahr 1989, die nunmehr allein Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Kläger habe bedingungslos den monatlichen Mietzins ab 1. Jänner 1986 auf netto S 12.000,-- gesenkt und bis einschließlich 1989 nur diesen Mietzins in Rechnung gestellt und unbeanstandet angenommen. Die erstmalig am 5. Dezember 1989 angekündigte und nunmehr eingeklagte Wertsicherungsnachforderung für 1989 stehe damit im Widerspruch, die vereinbarte Zinssenkung könne vom Kläger nicht einseitig rückgängig gemacht werden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es nahm einen konkludenten Verzicht des Klägers auf Wertsicherungsnachforderungen an, weil sein im Zusammenhang mit der Senkung des Mietzinses bis einschließlich 1989 festgestelltes Verhalten im Sinne der Vertrauenstheorie von der beklagten Partei nur in diesem Sinne zu verstehen gewesen sei.

Das Gericht zweiter Instanz sprach in teilweiser Abänderung des Ersturteils dem Kläger den geltend gemachten Wertsicherungsbetrag für das Jahr 1989 zu und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es vertrat die Rechtsansicht, daß mit dem Schreiben vom 5. Dezemer 1989, in welchem der beklagten Partei nach Vorliegen der Indexzahl für (Dezember) 1989 die Nachforderung der Wertsicherungsbeträge von 1989 entsprechend der im Mietvertrag für diesen Fall vorgesehenen Vorgangsweise angekündigt worden sei, vom Kläger (seinem Vertreter) unmißverständlich angekündigt worden sei, daß ungeachtet der bisherigen Vorschreibungen auf die Geltendmachung der Differenzforderung für dieses Jahr jedenfalls nicht Abstand genommen werde. Der Umstand, daß in den vorausgegangenen Jahren die Bekanntgabe der Indexzahl jeweils für den Monat Dezember sowie eine Errechnung von Aufwertungsbeträgen unterblieben sei, könne für die für das Jahr 1989 begehrte Wertsicherungsforderung nicht ins Gewicht fallen. Die beklagte Partei habe ungeachtet der vorher erfolgten linearen Vorschreibung der Mietzinse die vertragsmäßige Geltendmachung einer Aufwertungsforderung nicht ausschließen dürfen; sie habe einen solchen Nachforderungsausschluß (Verzicht) auch nicht nach Treu und Glauben ableiten können. Da der Entscheidung Bedeutung über den Einzelfall hinaus nicht zukomme und zu den behandelten Fragen gesicherte Judikatur bestehe, sei die ordentliche Revision nicht zuzulassen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den stattgebenden Teil des Berufungsurteils gerichtete außerordentliche Revision der beklagten Partei ist zulässig, weil der aufgeworfenen und zu lösenden Frage der Anwendbarkeit zwingender Bestimmungen des Mietrechtsgesetzes auf die festgestellten Mietzins-Wertsicherungsvereinbarungen über den Einzelfall hinaus für die Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt; sie ist auch berechtigt.

Im Verfahren vor den Vorinstanzen wurde die (Nicht-)Anwendbarkeit des Mietrechtsgesetzes auf den vorliegenden Rechtsfall nicht erörtert. Der Kläger hat einen Ausnahmetatbestand von der gemäß § 1 Abs 1 MRG allgemein bei Geschäftsraummiete anzunehmenden Anwendung des MRG ebensowenig behauptet, wie die beklagte Partei sich zur Abwehr der Klagsforderung auf die Anwendung des MRG berufen hat. Vielmehr stellten beide Parteien auf die Beurteilung der im Mietvertrag vom 11. Juni 1974 vereinbarten Vorgangsweise bei Aufwertungsnachforderungen ab, und die beklagte Partei berief sich zur Abwehr der Klagsforderung (nur) auf einen schlüssigen Verzicht des Klägers auf die geltend gemachten Nachforderungen. Auch die Vorinstanzen haben die Frage der (Nicht-)Anwendbarkeit des MRG, insbesondere des § 16 Abs 6, nicht behandelt. Erstmals in der ao.Revision behauptet die beklagte Partei, mangels Berufung des Klägers auf einen Ausnahmetatbestand vom MRG sei "automatisch" von dessen Anwendung auszugehen, sodaß das Klagebegehren schon auf Grund der einhelligen Rechtsprechung zu §16 Abs 6 MRG abzuweisen wäre.

Der Revisionswerberin ist zuzugeben, daß Rechtsprechung und Lehre einhellig die Auffassung vertreten, die grundsätzliche Anwendungsregel des § 1 Abs 1 MRG auf ein den darin genannten Tatbestandsmerkmalen entsprechendes Rechtsverhältnis (wie eine Geschäftsraummiete) könne nur durch Behauptung und Nachweis eines konkreten Ausnahmetatbestandes (§ 1 Abs 2 bis 4 MRG) widerlegt werden (SZ58/145 = MietSlg 37/37 mwN, ua; Würth-Zingher, MRG2 Anm 1 zu § 1; Würth in Rummel 2, Rz 1 zu § 1 MRG mwN). Daß die Unterlassung einer derartigen Behauptung (eines Ausnahmetatbestandes) für sich allein schon die Rechtsfolge der uneingeschränkten Anwendung des MRG zur Folge habe, wie es in der Revision unter Hinweis auf die Auffassung von Instanzgerichten und auf Lehrmeinungen auch für den vorliegenden Fall gefordert wird, muß aber für den vorliegenden Fall abgelehnt werden, weil hier sowohl die Parteien als auch die Gerichte gleichsam stillschweigend vom Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes ausgingen und nur außerhalb des MRG liegende Rechtsargumente verwendeten. Die prozessuale Stellung einer Partei wäre in einem solchen Fall gefährdet und verunsichert, wenn mit ihr die Erfordernisse und Rechtsfolgen derartiger Unterlassungen des Prozeßvorbringens nicht erörtert und sie gleichsam von der "Verschweigungssanktion" überrascht würde.

Im vorliegenden Fall liegt, wie die Revisionswerberin wohl selbst erkennt, der-die Anwendung des § 16 MRG ausschließende-Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 3 MRG nahe: Die Parteien hatten im Mietvertrag (Pt II aA) erklärt, daß dieser nicht dem Mietengesetz unterliege; überdies hat das Erstgericht (von beiden Parteien unbekämpft und insoweit durch die berufungsgerichtlichen Feststellungen nicht korrigiert) festgestellt, daß der Mietvertrag über die "anfangs der Siebzigerjahre errichteten Bestandräumlichkeiten" geschlossen wurde, die-unbestritten-schon damals im Wohnungseigentum standen. Allerdings blieb die zur Annahme des genannten Ausnahmetatbestandes wesentliche Frage ungeklärt, ob der Mietgegenstand in einem Gebäude gelegen ist, das auf Grund einer nach dem 8. Mai 1945 erteilten Baubewilligung neu errichtet worden ist. Diese Frage muß noch mit den Parteien erörtert werden. Aus der in der Revision (nach dem Gesagten zu Unrecht) als überschießend und unmaßgeblich bezeichneten Feststellung des Erstgerichtes ist nämlich diese Voraussetzung des Ausnahmetatbestandes noch nicht zwingend ableitbar. Die Übergangsbestimmung des § 43 Abs 1 MRG gilt nur für Altverträge, die nur dem MRG unterliegen.

Die Sache ist zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung gemäß § 496 Abs 3 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil dadurch weder eine Verzögerung der Erledigung noch ein erheblicher Kostenmehraufwand zu erwarten ist (SZ 58/59; 59/134 ua). Sollte im fortgesetzten Verfahren der genannte (oder ein anderer) Ausnahmetatbestand erwiesen werden und § 16 MRG nicht anzuwenden sein, so besteht gegen die Auslegung der Bestimmungen des zwischen den Streitteilen geschlossenen Mietvertrages über die Wertsicherungsnachforderung durch das Berufungsgericht kein Bedenken, zumal in der Revision dagegen keine stichhältigen Argumente vorgetragen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). War auch zwischen den Parteien die Geltendmachung der Wertsicherungsnachforderung mit eingeschriebenem Brief vereinbart, so reichte doch nach dem Formzweck dieser Abrede ein einfacher Brief (wie hier jener des Klagevertreters an den Beklagtenvertreter vom 19. Februar 1990 = Blg H = Blg 10), dessen Empfang zugestanden wurde (s. ON 15 des Aktes) aus (HS 4365/11; Rummel in Rummel 2 § 884 Rz 6).

Sollte allerdings § 16 MRG anzuwenden sein, so ist das Klagebegehren schon mangels Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen (§ 16 Abs 6 MRG) bei der Einforderung des um die Wertsicherungsbeträge erhöhten Mietzinses und wegen des darnach iS der Rechtsprechung (SZ 59/48; WoBl 1991, 62 uva) unberechtigten Begehrens einer rückwirkenden Wertsicherungsnachforderung abzuweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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