OGH 7Ob592/92

OGH7Ob592/921.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Henrico H*****, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30.Juni 1992, GZ 44 R 251/91-31, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 7. Februar 1992, GZ 16 P 218/90-27, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß dem mj. Enrico H***** für die Zeit vom 1.3.1992 bis 28.2.1994 gemäß § 4 Z 3 Unterhaltsvorschußgesetz (UVG) ein monatlicher Unterhaltsvorschuß von S 2.200,-- gewährt wird. Das Vorschußmehrbegehren wird abgewiesen. Der Unterhaltsschuldner wird zur Zahlung einer Pauschalgebühr von S 1.100,-- verpflichtet.

Text

Begründung

Alois H*****, der Vater des mj. Enrico H*****, befindet sich aufgrund verschiedener Delikte seit 13.8.1990 in gerichtlicher Haft. Dem im Haushalt seiner Mutter lebenden mj. Enrico H***** wurden daher seit 1.11.1990 Unterhaltsvorschüsse gewährt (ON 9), zuletzt in Höhe von S 3.234,-- monatlich. Der Minderjährige ist seit 30.9.1991 als Zimmererlehrling gegen ein monatliches Durchschnittslehrlingsentgeld von S 3.515,-- beschäftigt (ON 24). Mit Beschluß vom 7.2.1991 (ON 27) gewährte das Erstgericht dem Minderjährigen für die Zeit vom 1.3.1992 bis 28.2.1994 den Unterhaltsvorschuß in der bisherigen Höhe wegen Inhaftierung des Unterhaltsschuldners weiter. Die Höhe der Vorschüsse begrenzte es mit dem Waisenpensionsrichtsatz entsprechend dem Lebensalter des Kindes.

Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Rekursgericht dem auf eine Herabsetzung des Unterhaltsvorschusses auf S 2.200,-- monatlich gerichteten Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien nicht Folge. Es erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Rechtlich folgerte es, daß bei einer Vorschußgewährung infolge Inhaftierung des Unterhaltsschuldners nicht dessen Unterhaltsverpflichtung zu substituieren, sondern dem Minderjährigen ein Mindestbedarf zu sichern sei. Die Summe des monatlichen Eigeneinkommens des Minderjährigen und des Richtsatzvorschusses läge 500,-- S unter dem monatlichen Durchschnittsbetrag einer Richtsatzpension aus eigener Versicherung und reiche daher nicht aus, die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten zu decken. Dieser Geldbedarf bestehe aber neben den Betreuungsleistungen der Mutter. Diese könnten daher nicht in einem fixen Bruchteil des Eigeneinkommens vom Vorschuß abgezogen werden. Die Betreuung durch die Mutter werde, solange das Kind durch sein eigenes Einkommen nicht selbsterhaltungsfähig werde, überhaupt nicht reduziert, sondern falle in der bisherigen Höhe stets weiter an. Die Betreuungsleistung der Mutter sei, solange das Kind nicht selbsterhaltungsfähig sei, daher überhaupt nicht zu berücksichtigen.

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien ist berechtigt.

Zunächst ist dem Revisionsrekurswerber darin zuzustimmen, daß die vom Rekursgericht zitierten Entscheidungen EFSlg. 62.609 ff und im besonderen EFSlg. 62.613 zur Lösung der vorliegenden Rechtsfrage nicht herangezogen werden können.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 4 Z 3 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs.2 Z 3 UVG sind in diesem Fall - vorbehaltlich des § 7 UVG - einem Kind ab Vollendung des 14. Lebensjahres 3/4 des im § 6 Abs.1 festgesetzten Höchstbetrages (Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs.1 Buchstabe c lit.bb 1.Fall ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor, § 108 f ASVG) - das sind für 1992 S 3.234,-- - monatlich an Unterhaltsvorschuß zu gewähren. Nach § 7 Abs.1 Z 2 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen des § 4 Z 2 und 3 UVG das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. In den EBzRV 276 BlgNR 15.GP 11 f zur Novelle BGBl. 1980/278, in der unter anderem die Bestimmung des § 7 Abs.1 Z 2 UVG eingeführt wurde, heißt es unter anderem: "....Die Bestimmung (§ 7 Abs.1 in der vor der Novelle geltenden Fassung) ist nach ihrem Wortlaut nur auf Fälle anwendbar, in denen Grundlage der Bevorschussung ein Exekutionstitel ist, nicht also die Gewährung von Vorschüssen nach § 4 Z 3 und 3. Das ist zu Recht als Mangel angesehen worden. Das Gericht kann die Vorschüsse nur entweder in der vollen Höhe der Pauschalbeträge des § 6 Abs.2 gewähren oder sie versagen; die Möglichkeit einer Verminderung der Pauschalbeträge wegen teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes besteht nach herrschender Auffassung nicht. Dieses "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist unbefriedigend. Oft hat ein Minderjähriger ein Einkommen, das ihm die Befriedigung zumindestens eines Teiles seiner Bedürfnisse ermöglicht. Dann vermindert sich auch sein Unterhaltsanspruch. Es ist nicht sachgerecht, in diesen Fällen die vollen Pauschalbeträge des § 6 Abs.2 als Vorschuß zu gewähren. Der § 7 Abs.1 soll erweitert werden:

Werden Vorschüsse nach § 4 Z 2 oder 3 gewährt, so soll das Gericht die Pauschalbeträge des § 6 insoweit herabsetzen könne, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Es verringern sich also die Vorschüsse um die dem Kind anzurechnenden eigenen Einkünfte."

Vom Rekursgericht wurde übersehen, daß gemäß § 7 Abs.1 Z 2 UVG bei Vorschüssen nach § 4 Z 3 UVG im Gegensatz zu den in § 7 Abs.1 Z 1 UVG genannten Vorschüssen das eigene Einkommen des Unterhaltsberechtigten auf jeden Fall vom Richtsatz abzuziehen ist. Die Aufteilung des eigenen Einkommens auf zwei Unterhaltspflichtige ist daher kein Nachteil, sondern ein Vorteil für den Unterhaltsberechtigten. Für die Anrechnung gelten die folgenden Erwägungen.

Nach Lehre und Rechtsprechung (ÖA 1991, 53; SZ 63/101 = ÖA 1991, 77; ÖA 1991, 78, zuletzt 1 Ob 560/92 sowie Pichler in Rummel, ABGB2 § 140 Rz 11a, Schlemmer-Schwimann, ABGB, § 140 Rz 104) ist die Lehrlingsentschädigung (§ 17 BAG) auf den Unterhalt anzurechnen; die Lehrlingsentschädigung fällt unter die nach § 140 Abs.3 ABGB zu berücksichtigenden Einkünfte des Minderjährigen und ist daher, soweit sie nicht der Deckung berufsbedingter Mehraufwendungen dient, dessen eigenes Einkommen. Infolge eigenen Einkommens des Minderjährigen verringert sich daher dessen konkreter Bedarf. Daher wird sein Unterhaltsanspruch auf den Betrag gemindert, der bei Bedachtnahme auf seine eigenen Einkünfte zum Eintritt seiner Selbsterhaltungsfähigkeit fehlt. Ist der Minderjährige jedoch noch auf die Benützung der elterlichen Wohnung angewiesen bzw. bedarf er noch der Betreuung, ist er noch nicht selbsterhaltungsfähig (SZ 63/101; Pichler aaO Rz 12). Könnte der Minderjährige deshalb mit seinem Eigeneinkommen nur jenen Bedarf decken, für den der Geldunterhaltspflichtige aufzukommen hat, und nicht auch den für die Betreuung notwendigen Aufwand bestreiten, so kann nicht etwa nur der zu Geldzahlungen verpflichtete Elternteil zur Gänze befreit werden, sondern es muß ein Anteil am Eigeneinkommen des Minderjährigen auch dem betreuenden Elternteil zugutekommen (SZ 63/101 ua). Das vom Minderjährigen erzielte Einkommen ist somit auf die von den Eltern gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen anzurechnen. Das Gesetz bietet für die Lösung dieser Rechtsfrage, in welchem Verhältnis die beiden Elternteile hiedurch von ihrer Unterhaltsverpflichtung entlastet werden, keine unmittelbare Handhabe. Wohl ordnet § 140 Abs.2 1.Satz ABGB an, der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, leiste dadurch seinen Beitrag, doch bezieht sich diese Bestimmung nur auf das Verhältnis zwischen den beiden Elternteilen (EFSlg. 32.941; Koziol-Welser II9, 252), ohne damit auch deren Beiträge für die Erfüllung der gemeinsamen Unterhaltsverpflichtung den Unterhaltsberechtigten gegenüber zu gewichten. In den Materialien zum Bundesgesetz über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes, BGBl. 1977/403 (JAB, 587 BlgNR 14. GP, 4 f) werden als Betreuungsleistungen zwar nur die Zubereitung der Nahrung, die Instandhaltung der Kleidung und Wäsche sowie die Pflege im Krankheitsfall aufgezählt, der in Wahrheit jedoch viel weitere Begriff der Betreuung umfaßt jedoch nicht nur die für die körperliche Pflege des Minderjährigen notwendigen Leistungen, sondern auch die Überlassung der Wohnung zur Mitbenützung und vor allem auch die geistig-seelischen Erziehungsmaßnahmen, die sich in Geld nicht ausdrücken lassen (Edlbacher in ÖA 1985, 8 f.).

Obwohl der Wortlaut und der Zweck des § 7 Abs.1 Z 1 UVG nicht ident mit § 7 Abs.1 Z 2 UVG ist, worauf die Entscheidungen 4 Ob 549/91 und 1 Ob 560/92 ausdrücklich verweisen, können die dort gewonnenen Erkenntnisse für die Lösung der Frage, welcher Teil der Lehrlingsentschädigung akonto der Betreuungsleistungen der Mutter auf den "Haftvorschuß" anzurechnen ist, herangezogen werden, weil eine ungefähr gleiche Behandlung wie bei Gewährung eines Titelvorschusses anzustreben ist. Einkünfte des Kindes sind daher bei Bemessung des Richtsatzunterhaltes im Zweifelsfall auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen und daher auf die vom obsorgenden Elternteil in natura erbrachten Betreuungsleistungen anzurechnen und in der Regel, wenn also nicht besondere Umstände ein anderes Verhältnis nahelegen, etwa mit der Hälfte des eigenen Einkommens dem Minderjährigen anzurechnen. Die dem mj. Enrico anzurechnenden Einkünfte aus der Lehrlingsentschädigung betrugen im ersten Lehrjahr monatlich im Durchschnitt S 3.515,--. Die Hälfte hievon beläuft sich auf S 1.754,72. Die Differenz auf den im § 6 Abs.2 Z 3 UVG genannten Betrag (der sich im Jahr 1992 mit S 3.234,-- errechnete) betrug daher S 1.480,--. Dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien mit seinem Begehren, die Unterhaltsvorschüsse auf nur monatlich S 2.200,-- einzuschränken, war daher Folge zu geben.

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