OGH 2Ob557/92(2Ob558/92)

OGH2Ob557/92(2Ob558/92)30.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Mario R*****, ***** vertreten durch Dr.Peter Riedelsberger, Rechtsanwalt in Linz, infolge Revisionsrekurses und Rekurses des Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 5.März 1992, GZ 18 R 793,818/91-70, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 13.November 1991, GZ 2 P 59/91-53, bestätigt, und der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 27. November 1991, GZ 2 P 59/91-56, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs und dem Rekurs wird Folge gegeben. Der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Beschlüsse des Erstgerichtes, mit denen die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1.3.1990 bis 31.7.1991 und die Einbehaltung der Vorschüsse für die Monate August bis einschließlich Oktober 1991 angeordnet wurde, aufgehoben werden.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde am 22.6.1979 geschieden, die Obsorge steht der Mutter zu. Der Vater wurde ab 1.7.1979 zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 1.000,-- verpflichtet.

Am 20.3.1990 beantragte das Stadtjugendamt Linz die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses, da der Vater unbekannten Aufenthaltes und der Minderjährige seit 15.1.1990 im Kinderdorf ***** tagsüber untergebracht sei. Dort besuche er die Schule und komme abends zu seiner Mutter zurück. Bei dieser verbringe er auch die Wochenenden.

Mit Beschluß vom 27.3.1990 wurde dem Minderjährigen gemäß § 4 Z 2 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuß in der Höhe von S 2.703,-- (jeweiliger Richtsatz) für die Zeit vom 1.3.1990 bis 28.2.1993 gewährt.

Mit Schreiben vom 7.10.1991 teilte das Kinderdorf ***** mit, daß der Minderjährige vom 15.1.1990 bis 5.7.1991 intern im Kinderdorf zur Pflege und Erziehung untergebracht gewesen sei und sich seit 6.7.1991 in der häuslichen Pflege seiner Mutter befinde.

Daraufhin stellte das Erstgericht mit Beschluß vom 13.11.1991, ON 53, die Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1.3.1990 bis 31.7.1991 rückwirkend ein. Es vertrat die Ansicht, aufgrund der internen Unterbringung des Minderjährigen seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Abs.3 UVG von Anfang an nicht gegeben gewesen.

Mit Beschluß vom 27.11.1991, ON 56, sprach das Erstgericht aus, daß die Vorschüsse für die Monate August 1991 bis einschließlich Oktober 1991 einzubehalten seien,weil aufgrund der rückwirkenden Einstellung ein Übergenuß von rund S 48.300,-- bestehe. Die Auszahlung der Vorschüsse sei daher erst ab 1.11.1991 vorzunehmen.

Das Stadtjugendamt Linz als besonderer Sachwalter (§ 9 UVG) erhob gegen beide Beschlüsse des Erstgerichtes Rekurs. Das Rekursgericht gab diesem Rechtsmittel, soweit es sich gegen den Beschluß vom 13.11.1991, ON 53, richtet, nicht Folge. Dem Rekurs gegen den Beschluß vom 27.11.1991, ON 56, wurde Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Hinsichtlich beider Entscheidungen wurde ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof für zulässig erklärt. Das Gericht zweiter Instanz stellte ergänzend folgenden Sachverhalt fest:

Mit Bescheid des Amtes der oö. Landesregierung vom 15.2.1990, SH 2239-1990/L/Ze, wurde dem Antrag auf Hilfe zur Schulbildung und Erziehung stattgegeben und der Unterbringung des Minderjährigen im Kinderdorf ***** ab 15.1.1990 zugestimmt. Die Mutter des Minderjährigen wurde ab 15.1.1990 verpflichtet, einen Beitrag, der der jeweiligen Höhe der für den Behinderten gewährten staatlichen Familienbeihilfe inclusive Zuschlag für erheblich behinderte Kinder entspricht, derzeit S 102,-- täglich, zu leisten. Die diesen Betrag übersteigenden Kosten der Hilfe zur Schulbildung und Erziehung werden vom Land Oberösterreich übernommen. In der Begründung dieses Bescheides wird unter Verweisung auf den § 8 des oö.Behindertengesetzes 1971 darauf verwiesen, daß die Kosten zur Hilfe der Schulbildung und Erziehung derzeit S 569,-- täglich plus Mehrwertsteuer betragen und vom Land Oberösterreich getragen werden. Bei der Berechnung des Kostenbeitrages sei die staatliche Familienbeihilfe von S 1.550,-- sowie der Zuschlag für erheblich behinderte Kinder von S 1.550,-- berücksichtigt worden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, gemäß § 2 Abs.2 Z 2 UVG idF des KindRÄG bestehe ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nicht, wenn das Kind aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht sei. Der Zweck dieser Bestimmung sei nach den Gesetzesmaterialien und der Judikatur darin zu erblicken, daß sichergestellt werden solle, daß die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Pflegeträger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten treffen, auf den Bund überwälzt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob die Unterbringung des mj. Mario R***** im Rahmen des oö.Behindertengesetzes im Kinderheim ***** eine Maßnahme der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe darstelle oder nicht, sei vom Ziel der Sozialhilfe auszugehen, das die Hilfeleistung zur Führung eines menschenmöglichen Lebens bezwecke. Die Hilfe solle nicht nur bestehende Notlagen beseitigen, sie solle auch vorbeugend und nachgehend gewährt werden. Die Sozialhilfe in diesem Sinne sei nicht nur in den Sozialhilfegesetzen der Länder geregelt; es bestünden für Sondergruppen von Personen oder Notstände besondere Gesetze, wie etwa die Behindertengesetze der einzelnen Länder. Gegenständlich sei dem mj. Mario R***** gemäß § 5 lit.c des oö. Behindertengesetzes 1971 Hilfe zur Schulbildung und Erziehung gewährt worden. Zur Hilfe zum Lebensunterhalt führe § 10 oö. Behindertengesetz aus, daß diese einem Behinderten zu gewähren sei, wenn ihm unter anderem die unter § 5 lit.c des oö.

Behindertengesetzes angeführte Hilfe gewährt werde und sein Gesamteinkommen die Höhe des Richtsatzes nicht erreiche. Dieser Richtsatz betrage nach § 11 oö. Behindertengesetz das Eineinhalbfache des Betrages des Richtsatzes der Sozialhilfe, der für den Behinderten gelten würde. Gemäß § 12 lit.b oö. Behindertengesetz bleibe bei der Feststellung des Gesamteinkommens die Familienbeihilfe und gemäß § 13 oö. Behindertengesetz die Unterhaltsverpflichtung des mit dem Anspruchsberechtigten nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Vaters außer Betracht. Diese Hilfe zum Lebensunterhalt gebühre gemäß § 14 oö.Behindertengesetz in der Höhe jenes Betrages, der das Gesamteinkommen (§ 12) auf den Richtsatz (§ 11) ergänze und sei ab dem der Antragstellung folgenden Monat, frühestens ab dem Einsetzen der Eingliederungshilfe zu gewähren. Soweit die für die Gewährung einer Hilfeleistung nach dem Behindertengesetz erwachsenden Kosten nicht von den unterhaltspflichtigen Angehörigen gedeckt werden könnten, wie im gegenständlichen Fall, seien diese gemäß § 41 oö. Behindertengesetz vom Land zu tragen. Bestehe ein Anspruch auf gleichartige Leistung sowohl nach dem oö. Sozialhilfegesetz als auch nach dem oö. Behindertengesetz, so sei gemäß § 45 oö. Behindertengesetz die Leistung nach dem Behindertengesetz zu erbringen. Aufgrund dieses Regelungsinhaltes des oö. Behindertengesetzes, das im Hinblick auf seinen § 45 im Verhältnis zum oö. Sozialhilfegesetz als Spezialnorm anzusehen sei, erweise sich die Unterbringung des mj. Mario R***** im Kinderdorf ***** als Maßnahme der Sozialhilfe im Sinne des § 2 Abs.2 Z 2 UVG. Durch die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses an den Minderjährigen würde sich sohin der Aufwand, den das Land Oberösterreich aus dem Titel "Hilfe zum Lebensunterhalt" von Gesetzes wegen (§ 10 oö. Behindertengesetz) zu leisten verpflichtet sei, zu Lasten des Bundes reduzieren und sich sohin jene Kostenverlagerung ergeben, die durch die Bestimmung des § 2 Abs.2 Z 2 UVG vermieden werden solle. Nach dem Inhalt des Bescheides des Amtes der oö. Landesregierung sei die Mutter lediglich verpflichtet, einen Betrag, der der jeweiligen Höhe der für den Behinderten gewährten staatlichen Familienbeihilfe inclusive Zuschlag für erheblich behinderte Kinder entspreche, das seien täglich S 102,--, zu leisten. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung der Mutter ergebe sich weder aus dem Inhalt des Bescheides noch den Bestimmungen des oö. Behindertengesetzes. Dadurch, daß die Mutter das Kind des öfteren an den Wochenenden bei sich zu Hause versorge, sowie für Kleidungskosten und für sonstige Kosten ihres Kindes aufkomme, entspreche sie lediglich ihren gesetzlichen Verpflichtungen nach § 140 Abs.1 ABGB. Der den Haushalt führende Elternteil genüge seiner Beitragspflicht nach § 140 Abs.1 ABGB nämlich nur dann, wenn er das Kind tatsächlich betreut. Im konkreten Fall pflege und erziehe die Mutter das Kind aber nicht in ihrem Haushalt. Daß die Mutter das Kind gelegentlich an Wochenenden zu sich nehme, sei nicht als Beitrag des haushaltsführenden Elternteiles gemäß § 140 Abs.2 ABGB zu werten, sondern stelle eine Leistung dar, die während der Ausübung des Besuchsrechtes zu einem Kind von einem Elternteil erbracht werde, dem nicht die Pflege und Erziehung des Kindes obliege. Zusammenfassend ergebe sich, daß sich der Minderjährige aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe in einem Heim befinde, weshalb vom Erstgericht zu Recht der Antrag auf Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen abgewiesen worden sei. Zur Frage, ob Unterhaltsvorschüsse einzubehalten seien, bedürfe es einer Ergänzung des Verfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Minderjährigen gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs bzw. Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Das Rekursgericht geht davon aus, daß der Minderjährige Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 10 oö. Behindertengesetz 1971 bezog. Im Bescheid der oö. Landesregierung, mit welchem dem Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Schulbildung und Erziehung stattgegeben und der Unterbringung des Minderjährigen im Kinderdorf ***** zugestimmt wurde, ist davon allerdings nichts erwähnt, es wird lediglich auf § 8 leg. cit. Bezug genommen. Nach dieser, in der Begründung des Bescheides wörtlich vollständig wiedergegebenen Vorschrift, wird die Hilfe als Abgeltung der durch die Behinderung bedingten Mehrkosten der Schulbildung und Erziehung gewährt; was ohne Rücksicht auf die Behinderung für Unterhalt, Schulbildung und Erziehung aufgewendet werden müßte, haben der Behinderte bzw. die für ihn Unterhaltspflichtigen jeweils selbst zu tragen, und zwar mindestens den Betrag, der der Familienbeihilfe einschließlich des Zuschlages aus dem Grund der Behinderung entspricht. Die Kosten, die das Land Oberösterreich trägt, werden - mögen sie auch relativ hoch sein - im Bescheid ausdrücklich als solche der Hilfe zur Schulbildung und Erziehung bezeichnet, es handelt sich somit lediglich um die durch die Behinderung bedingten Mehrkosten, nicht aber um eine Hilfe zum Lebenunterhalt im Sinne des § 10 oö. Behindertengesetz. Aufgrund des Bescheides ist daher davon auszugehen, daß durch die Leistung des Landes Oberösterreich nicht der volle Unterhalt gedeckt werden sollte. Überdies wurde im Bescheid dem Antrag der Mutter stattgegeben und der Unterbringung des Minderjährigen im Kinderdorf zugestimmt, es handelt sich daher nicht um eine Anordnung der Unterbringung durch die zuständige Sozialhilfebehörde und damit nicht um eine von dieser selbst gesetzte Maßnahme der Unterbringung des Minderjährigen in einem Heim (vgl. EFSlg. 63.646 = ÖA 1991/22).

Eine Maßnahme im Sinne des § 2 Abs.2 Z 2 UVG, die einen Anspruch auf Unterhaltsvorschlüsse ausschließen würde, wurde im vorliegenden Fall somit nicht getroffen. Die Tatsache der Erbringung von Sozialhilfeleistungen reicht aber - abgesehen davon, daß nur die durch die Behinderung bedingten Mehrkosten getragen wurden - ohne Anordnung einer Maßnahme im Sinne des § 2 Abs.2 Z 2 UVG für die Versagung von Unterhaltsvorschüssen nicht aus (EFSlg.63.646 = ÖA 1991/22).

Aus diesen Gründen war der Beschluß des Rekursgerichtes dahin abzuändern, daß die Beschlüsse des Erstgerichtes ersatzlos aufgehoben werden.

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