OGH 10ObS231/92

OGH10ObS231/9229.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Weinke aus dem Kreis der Arbeitgeber und Mag.Wilhelm Patzold aus dem Kreis der Arbeitnehmer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elfriede M*****, vertreten durch Dr.Heinrich Wille, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Leistungen aus der Unfallversicherung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1.Juli 1992, GZ 32 Rs 93/92-18, womit infolge Berufung der klagende Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6.Dezember 1991, GZ 13 Cgs 95/91-14 , bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin aufgrund des Todes ihres Ehemannes Dkfm.Herbert Mauser die Leistungen aus der Unfallversichung im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, besteht dem Grunde nach zu Recht.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin ab 19.11.1990 eine vorläufige Zahlung von 5.000 S im Monat zu erbringen, wobei die bereits fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen zu zahlen sind."

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der Klägerin die mit 21.432,64 S (darin 3.565,44 S Umsatzsteuer und 40 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Ehemann der Klägerin war "Generaldirektor" einer Molkereigenossenschaft. Er bewohnte mit seiner Familie im 10.Stock des Gebäudes, in dem sich der Betrieb der Genossenschaft befindet, eine vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Wohnung. Am 19.11.1990 stieg er gegen 8.00 Uhr auf das Flachdach des Gebäudes, wobei er Halbschuhe mit einer Gummisohle trug. Es wehte zu dieser Zeit ein Westwind mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h. Das mit Wellblech gedeckte Flachdach ist nicht durch ein Geländer abgesichert. Der Ehemann der Klägerin versuchte, mit einer ihm gehörenden Fotoausrüstung von der Nordecke des Flachdaches aus den Innenhof des Gebäudes zu fotografieren. Er näherte sich deshalb der Ostseite des Daches bis auf wenige Zentimeter und dessen Westseite bis auf 25 bis 30 cm, weil es nur von dieser Stelle aus möglich war, den Innenhof aufzunehmen. In der Folge geriet er vermutlich aus dem Gleichgewicht und stürzte vom Dach, wodurch er getötet wurde. Im Innenhof des Gebäudes wurde im November 1990 ein Bauvorhaben, das die Errichtung einer Brücke umfaßte, ausgeführt. Der Ehemann der Klägerin wollte von diesem Bauvorhaben Fotografien aufnehmen, um sie den Teilnehmern einer noch im November 1990 stattfindenden Generalversammlung der Genossenschaft zu zeigen. Es steht nicht fest, ob diese Aufnahmen bei der Generalversammlung auch tatsächlich gezeigt worden wären. Bei der Genossenschaft ist eine Werbeabteilung eingerichtet, die auch mit der Aufnahme von fotografischen Bildern betraut werden kann.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren ab. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der vom Ehemann der Klägerin am 19.11.1990 ausgeführten Tätigkeit und seiner Beschäftigung sei durch eine unzumutbare Risikoerhöhung, für welche die Versichertengemeinschaft nicht einzustehen habe, gelöst worden, weshalb sein Unfall kein Arbeitsunfall im Sinn des § 175 Abs 1 ASVG sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Der Kausalzusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und einem Unfall sei bei einer aufgrund betriebsfremder Motive selbst geschaffenen Gefahr nicht gegeben. Wer sich ohne jeden inneren Zusammenhang mit seiner geschützten Tätigkeit einer leicht erkennbaren Gefahr aussetze und von dieser Gefahr ereilt werde, habe keinen Anspruch auf Leistungen aus der Sozialversicherung. Einer solchen Gefahr habe sich der Ehemann der Klägerin ausgesetzt, weil er sich bei großer Windstärke auf das ungesicherte Flachdach begeben habe, obwohl für die Aufnahmen die Werbeabteilung der Genossenschaft oder ein Berufsfotograf "zuständig" gewesen wären.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat von den Feststellungen des Erstgerichtes auszugehen, zumal sie von der beklagten Partei nicht bekämpft wurden. Nach diesen Feststellungen bildete aber die Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin, die zum Unfall führte, einen Teil seiner die Versicherung begründenden Beschäftigung, weil sie ausschließlich im betrieblichen und nicht auch und damit nicht wesentlich im eigenwirtschaftlichen Interesse verrichtet wurde. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Versicherungsschutz deshalb nicht gegeben sei, weil nach der Organisation des Betriebes andere Arbeitnehmer zur Ausführung der Tätigkeit berufen gewesen wären oder sie auch einem Gewerbetreibenden hätte aufgetragen werden können, ist abzulehnen. Sie findet weder im Gesetz noch im Schrifttum oder in der Rechtsprechung eine Stütze, zumal selbst ein Verhalten, das gegen ein Gebot oder Verbot des Arbeitgebers verstößt, den Versicherungsschutz gemäß § 175 Abs 6 ASVG nicht ausschließt (zum vergleichbaren deutschen Rechtsbereich Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung

72. Nachtrag 485 d).

Das Berufungsgericht bezieht sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach der Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall wegen einer sogenannten selbstgeschaffenen Gefahr fehlen kann. Der Oberste Gerichtshof hat darin schon mehrfach betont, daß dies nur bei einer aus betriebsfremden Motiven selbst geschaffenen Gefahr zutreffen könne (SSV-NF 2/102, 3/81, 4/49, 4/52). Dies ergibt sich im übrigen auch aus den Ausführungen des Berufungsgerichtes, in denen auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Bezug genommen wird. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes waren aber ausschließlich betriebliche und somit keine betriebsfremde Motive dafür ausschlaggebend, daß sich der Ehemann der Klägerin in die Gefahr begab, die zum Unfall führte. Der Oberste Gerichtshof vermag daher die zu einem abweichenden Ergebnis kommende Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht nachzuvollziehen. Dem bei den Vorinstanzen und in der Revisionsbeantwortung anklingenden Argument, das Verhalten des Ehemannes der Klägerin sei völlig unvernünftig und unsinnig gewesen, ist entgegenzuhalten, daß es hierauf bei einer aus betrieblichen Motiven geschaffenen Gefahr nicht ankommt (s die angeführte Rechtsprechung und Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 72.Nachtrag 484 i f), ganz abgesehen davon, daß ein solches Verhalten hier nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes nicht anzunehmen ist.

Der Tod des Ehemanns der Klägerin, der unbestritten in der Unfallversicherung pflichtversichert war (vgl auch Brackmann aaO 71. Nachtrag 470 q II f), wurde somit durch einen Arbeitsunfall im Sinn des § 175 Abs 1 ASVG verursacht, weshalb diese Anspruch auf die im Gesetz für diesen Fall vorgesehenen Leistungen aus der Unfallversicherung hat. Da deren Höhe nicht feststeht, war gemäß § 89 Abs 2 ASGG das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend zu erkennen und der beklagten Partei ab dem Todestag des Versicherten als dem für den Anfall der Leistungen maßgebenden Tag die Erbringung einer vorläufigen Zahlung aufzutragen (vgl SSV-NF 3/58), wobei deren Ausmaß unter sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO aufgrund der dem Versicherungsakt zu entnehmenden Beitragsgrundlagen festgesetzt wurde.

Der Ausspruch über die Verfahrenskosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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