OGH 10ObS159/92

OGH10ObS159/9215.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Oskar Harter (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Bayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friedegund S*****, Kindergärtnerin, ***** vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.Februar 1992, GZ 7 Rs 2/92-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 7. August 1991, GZ 33 Cgs 152/90-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 26.Juni 1990 wurde der Antrag der am 24.Juli 1940 geborenen Klägerin auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension vom 23. März 1990 mit der Begründung abgewiesen, daß Berufsunfähigkeit nicht vorliege.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin die Berufsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe ab 1.April 1990. Sie sei seit Oktober 1961 als Kindergartenhelferin beschäftigt, könne auf Grund näher geschilderter Leidenszustände jedoch diese Tätigkeit nicht weiterhin ausüben. Im Verlauf des Verfahrens brachte die Klägerin vor, sie sei nicht als Kindergartenhelferin, sondern als Kindergärtnerin beschäftigt gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren ab dem 1.November 1990 dem Grunde nach statt und trug der beklagten Partei ab diesem Tag die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von 3.000 S monatlich, ab 1. April 1991 von S 6.000 auf. Das Mehrbegehren für den Zeitraum vom 1. April bis 31.Oktober 1990 wurde abgewiesen. Der Klägerin habe auf Grund einer schwerwiegenden exogenen Belastungssituation (Ableben ihrer Mutter) für die Zeit vom 1.November 1990 bis zum 30.April 1991 eine Arbeitsleistung nicht zugemutet werden können, während ihr für die Zeiträume vom 1.April bis 31.Oktober 1990 sowie ab 1.Mai 1991 alle Arbeiten leichten und mittelschweren Charakters zumutbar (gewesen) seien, wobei aber Arbeiten in und aus gebückter Körperhaltung auf ein Drittel des Arbeitstages einzuschränken und gleichmäßig über diesen zu verteilen (gewesen) seien. Seit 1.Mai 1991 bestehe die weitere Einschränkung, daß der Klägerin zusätzliche Ruhepausen von einer Stunde täglich aufgeteilt auf zweimal 30 Minuten eingeräumt werden müssen, wobei diese zusätzlichen Ruhepausen als Bedingung ihrer Arbeitsfähigkeit anzusehen seien. Daraus folgerte das Erstgericht, daß der Klägerin die Beschäftigung als Kindergartenhelferin nicht mehr zumutbar sei, da Arbeiten in und aus gebückter und vorgeneigter Körperhaltung länger als ein Drittel des Arbeitstages zu verrichten seien. Für den Zeitraum vom 1.April bis 31. Oktober 1990 könne die Klägerin jedoch auf die Tätigkeiten einer Telefonistin oder Hausgehilfin verwiesen werden. Diese Verweisbarkeit liege für den Zeitraum ab 1.Mai 1991 wegen der nunmehr zusätzlich zu fordernden einstündigen Ruhepausen pro Arbeitstag nicht mehr vor, weshalb die Klägerin insgesamt ab 1.November 1990 berufsunfähig sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es treffe nicht zu, daß das Erstgericht festgestellt habe, die Klägerin sei als Kindergartenhelferin beschäftigt gewesen. Es habe vielmehr unbekämpft und nach den Verfahrensergebnissen auch unbedenklich festgestellt, daß die Klägerin seit 1961 bei der Stadtgemeinde B***** als Kindergärtnerin beschäftigt gewesen sei. Damit sei den Ausführungen der beklagten Partei, wonach die Klägerin trotz der geforderten zusätzlichen Ruhepausen noch auf die Tätigkeit einer Hausgehilfin verweisbar sei, der Boden entzogen. Die Tätigkeit einer Kindergärtnerin sei zweifellos als Angestelltentätigkeit einzustufen, wobei die zur Ausübung dieses Berufes erforderlichen Kenntnisse nicht nur durch eine entsprechende Ausbildung, sondern auch durch die Praxis erworben werden könnten. Die Klägerin sei mehr als 28 Jahre als Kindergärtnerin tätig gewesen, weshalb davon auszugehen sei, daß sie sich ohne die vorgesehene Ausbildung die entsprechenden Kenntnisse für die Ausübung dieses Berufes durch die Praxis angeeignet habe. Eine Angestellte dürfe nur auf solche Tätigkeiten verwiesen werden, die eine ihrer schulischen oder praktischen Berufsausbildung ähnliche Ausbildung voraussetzten und nur solche Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern dürften, wie sie von ihr nach der bisherigen Berufslaufbahn zu erwarten seien und über die sie auch tatsächlich verfüge. Auch wenn man davon ausginge, daß die Klägerin eine nach § 255 Abs. 1 ASVG zu beurteilende angelernte Tätigkeit ausgeübt habe, dürfe sie nicht auf Berufe verwiesen werden, durch die sie den Berufsschutz verlieren würde. Die Verweisung der 28 Jahre als Kindergärtnerin tätigen Klägerin auf den Beruf einer Hausgehilfin scheide daher von vornherein aus, so daß es keiner Erörterungen darüber bedürfe, ob die zusätzlich zu fordernden Ruhepausen von einer Stunde täglich der Verweisbarkeit auf die Tätigkeit einer Hausgehilfin im Wege stünden. Als Kindergärtnerin sei die Klägerin nach ihrem Leistungskalkül aber nicht verweisbar.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Die auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache gestützten Revisionsausführungen lassen sich dahin zusammenfassen, das Erstgericht sei ganz offensichtlich nicht von einem Berufsschutz der Klägerin als Kindergärtnerin ausgegangen, sondern habe ihre Verweisbarkeit als Kindergartenhelferin untersucht. Ungeachtet ihrer arbeitsrechtlichen Anstellung als Kindergärtnerin sei die Klägerin mangels jeglicher Ausbildung nur als Kindergartenhelferin anzusehen. Als solche könne sie aber auf die Tätigkeit einer Hausgehilfin verwiesen werden, weil bei dieser Tätigkeit zusätzliche Pausen im Ausmaß von zweimal 30 Minuten täglich möglich seien, ohne daß die Qualität oder die Quantität der erbrachten Dienstleistung darunter leiden würde und ohne daß ein besonderes Entgegenkommen eines Dienstgebers notwendig wäre.

Der beklagten Partei ist darin zuzustimmen, daß das Erstgericht ganz offensichtlich keinen Berufsschutz der Klägerin als Kindergärtnerin angenommen hat, wie sich aus den von ihm festgestellten Berufsbildern der Kindergartenhelferin, der Telefonistin und der Hausgehilfin ergibt. Das Berufsbild der Kindergärtnerin wurde im erstgerichtlichen Urteil ebensowenig beschrieben wie übrigens im berufskundlichen Sachverständigengutachten. Hätte das Erstgericht einen Berufsschutz als Kindergärtnerin bejaht, hätte es die Klägerin für den Zeitraum vom 1.April bis 31.Oktober 1990 nicht auf die Tätigkeit einer Telefonistin oder Hausgehilfin verweisen dürfen. Die gleichwohl vom Erstgericht getroffene Feststellung, die Klägerin sei seit Oktober 1961 als "Kindergärtnerin" der Stadtgemeinde B***** tätig gewesen (nach dem Anstaltsakt seit 1.Juli 1965 im Angestelltenverhältnis), beruht auf einer Bestätigung der Stadtgemeinde B***** (Beilage F), wonach die Klägerin seit Beginn ihrer Dienstzeit ausschließlich in der Eigenschaft als Kindergärtnerin beschäftigt gewesen sei. Es finden sich weder Beweisergebnisse noch Feststellungen darüber, welche Tätigkeiten die Klägerin tatsächlich verrichtet hat, sodaß auch nicht beurteilt werden kann, ob diese Tätigkeiten dem Berufsbild einer Kindergärtnerin oder dem einer Kindergartenhelferin entsprechen. Unbestritten ist lediglich, daß die Klägerin den für Kindergärtnerinnen vorgesehenen Ausbildungsweg (Bildungsanstalten für Kindergärtnerinnen, vgl. § 94 SchulorganisationsG, BGBl. 1962/242) nicht beschritten hat. Dem kommt allerdings keine entscheidende Bedeutung zu. Die Zuständigkeit zur Gesetzgebung und Vollziehung des Kindergartenwesens liegt gemäß Art. 14 Abs. 4 lit. b B-VG bei den Ländern. Die Ausbildung der Kindergärtnerinnen erfolgt hingegen nach bundesrechtlichen Vorschriften (§§ 94 bis 101 SchulorganisationsG), während für die fachlichen Anstellungserfordernisse der Kindergärtnerinnen gemäß Art. 14 Abs. 3 lit. d B-VG dem Bund die Grundsatzgesetzgebung und den Ländern die Ausführungsgesetzgebung zukommt (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des besonderen Verwaltungsrechts2 674 Abschnitt Kindergartenwesen). Nach dem steiermärkischen Kindergartengesetz LGBl. 1966/1959 (aufgehoben und ersetzt durch LGBl. 1991/72) waren an jedem Kindergarten einschließlich der Leiterin mindestens so viele vorschriftsmäßig ausgebildete und geprüfte Kindergärtnerinnen zu bestellen, wie Kindergruppen vorhanden waren. Wurden in einem Kindergarten Helferinnen mit den Verwaltungs- und Reinigungsarbeiten beschäftigt, so konnten sie bei entsprechender Eignung und unter Aufsicht und Anleitung der Kindergärtnerin zu Teilaufgaben bei der Beschäftigung der Kinder herangezogen werden (§ 10 Abs. 1 und 4). Nach dem steiermärkischen Landesgesetz vom 13.Februar 1973 über die fachlichen Anstellungserfordernisse für die vom Land Steiermark oder von den Gemeinden oder Gemeindeverbänden anzustellenden Kindergärtnerinnen ............., LGBl. 1973/58, war fachliches Anstellungserfordernis für Kindergärtnerinnen unter anderem die erfolgreiche Ablegung der Befähigungsprüfung für Kindergärtnerinnen (§ 2). Für die Fälle, in denen keine geeignete Person zur Verfügung stand, die die in Betracht kommenden Anstellungserfordernisse erfüllte, wurden für die auf die Dauer dieser Voraussetzung stattfindende Verwendung in einem kündbaren Dienstverhältnis folgende Anstellungserfordernisse als ausreichend anerkannt: Für die Verwendung an Kindergärten die hinreichende Erfahrung in der Erziehung und Betreuung einer Gruppe von Kleinkindern, für die Verwendung an Kindergärten, in denen die Betriebsdauer im Kalenderjahr 4 Monate nicht übersteigt, Erfahrung in der Betreuung von Kleinkindern und Besuch eines Einschulungslehrganges in der Dauer von mindestens zwei Wochen oder Nachweis einer Hospitier- und Praxiszeit von 4 Wochen in einem Ganztagskindergarten (§ 4). Nach den genannten, allerdings erst nach Beginn der Arbeitstätigkeit der Klägerin erlassenen Rechtsvorschriften wäre also ein Berufsschutz der Klägerin als Kindergärtnerin ungeachtet fehlender schulischer Ausbildung nicht ausgeschlossen. Ob die Klägerin als Kindergärtnerin oder als Kindergartenhelferin beschäftigt war, kann mangels jeglicher Feststellungen über die Art der von ihr verrichteten Tätigkeit nicht beantwortet werden, ist jedoch im Ergebnis aus folgenden Erwägungen rechtlich nicht relevant:

Zunächst einmal ist davon auszugehen, daß der Anspruch eines Pensionswerbers, der trotz seiner Versicherung als Angestellter Arbeitertätigkeiten verrichtet hat, nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG zu beurteilen ist; zwischen dem Versicherten und seinem Arbeitgber darüber getroffene Vereinbarungen, welchem Versicherungszweig eine Tätigkeit zuzuordnen ist, sind ebensowenig bindend wie die im § 14 Abs. 1 Z 1 und 2 ASVG geregelte Zuordnung gewisser Beschäftigungsverhältnisse zur Pensionsversicherung der Angestellten (SSV-NF 3/2 = JBl. 1989, 462 = SZ 62/3 u.v.a.). Ob die Klägerin Angestellten- oder Arbeitertätigkeiten verrichtet hat, läßt sich mangels Feststellungen hierüber ebenfalls nicht beurteilen, doch kann diese Frage auf sich beruhen. Daß die Klägerin im Falle eines Berufsschutzes als Kindergärtnerin gleichgültig, ob man diese Tätigkeit dem § 273 ASVG oder dem § 255 Abs. 1 ASVG unterstellt, nicht verweisbar wäre, ist unbestritten. Die Klägerin hätte in einem solchen Fall Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension. Aber auch wenn man davon ausginge, daß sie als Kindergartenhelferin dem Invaliditätsbegriff des § 255 Abs. 3 ASVG unterliegen würde, müßten die Voraussetzungen für die Erlangung der Berufsunfähigkeitspension bejaht werden: Die nach den Feststellungen unbedingt notwendigen zusätzlichen Arbeitspausen von zweimal 30 Minuten täglich schließen nämlich die Klägerin auch von der einzigen nach Ansicht der beklagten Partei für sie noch in Betracht kommenden Tätigkeit als Hausgehilfin aus. Der erkennende Senat hat zwar wiederholt auf die allgemein bekannte Tatsache verwiesen, daß behinderungsbedingte zusätzliche Kurzpausen in einer täglichen Gesamtdauer bis zu etwa 20 Minuten im allgemeinen in der Wirtschaft toleriert werden, sodaß diese Gruppe von Arbeitnehmern nicht auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und deshalb nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist (vgl. SSV-NF 2/97, 106, 145, 3/107, 4/10, 15; zuletzt 16.Juni 1992, 10 Ob S 39/92). Es ist aber keine allgemein bekannte Tatsache, daß bei Beschäftigung einer Hausgehilfin über gesetzliche Ruhepausen hinaus zusätzliche Pausen von zweimal 30 Minuten täglich toleriert werden. Daß es ausreichend viele Arbeitsplätze von Hausgehilfinnen gibt, auf denen solche zusätzliche Pausen toleriert werden, ist zumindest nicht festgestellt und auch durch keinerlei Beweisergebnisse dokumentiert. Der berufskundliche Sachverständige verwies vielmehr darauf, daß zusätzliche Arbeitspausen in einem solchen Ausmaß von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig seien, daß solche Ruhepausen im normalen Arbeitsleben üblicherweise nicht vorkommen und daß auch eine Hausgehilfin kein freies Ermessen hinsichtlich der Einhaltung von Ruhezeiten habe, da sie ja gezwungen sei, in einer bestimmten Zeit die aufgetragenen Arbeiten durchzuführen (ON 15, S. 2 und ON 19, S. 1). Die Verfahrensergebnisse und die Feststellungen der Tatsacheninstanzen bieten daher keinen Anlaß für die Annahme, daß es ausreichend viele Arbeitsplätze für Hausgehilfinnen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, welche ohne besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers die geforderten Ruhepausen ermöglichen. Damit ist aber die Klägerin auch nicht auf den Beruf der Hausgehilfin verweisbar.

Der Revision war daher im Ergebnis ein Erfolg zu versagen.

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