OGH 10ObS185/92

OGH10ObS185/9215.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Rrichter und die fachkundigen Laienrichter Oskar Harter und Dr.Othmar Roniger aus dem Kreis der Arbeitgeber in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann B*****, vertreten durch Dr.Georg Mandl, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern (Landesstelle Vorarlberg), 1031 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17.März 1992, GZ 5 Rs 6/92-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27.Juni 1991, GZ 34 Cgs 205/90-10, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 23. 11. 1990 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 23. 10. 1990 auf Hilflosenzuschuß ab, weil er nicht ständig der Wartung und Hilfe bedürfe.

In der dagegen erhobenen, als Einspruch bezeichneten Klage werden dauernde, starke Schmerzen an der linken Bauchseite und Beschwerden im linken Knie behauptet. Der Kläger könne sich am linken Fuß keinen Socken oder Stutzen anziehen und mit einem Löffel nichts mehr essen und sei auf fremde Hilfe angewiesen. In der Folge brachte er noch vor, er leide auch an dauernden starken Schmerzen im Hinterkopf. Wegen starken Nachtschweißes müsse er die Leibwäsche oft täglich, die Bettwäsche ein- bis zweimal pro Woche wechseln und wöchentlich mindestens zwei- bis dreimal baden, weil er keine Brause habe. Er könne nicht mit einem Löffel Suppe essen und auch nicht schreiben und brauche wöchentlich mindestens elf bis zwölf Stunden Hilfe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil der Kläger nicht ständig der Wartung und Hilfe bedürfe.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei, dem Kläger vom 23. 10. 1990 an den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Es traf folgende Tatsachenfeststellungen:

Der am (1. 4. 1926 geborene) Kläger leidet an Nierenzysten beidseits, Prostata-Hypertrophie, leichter Coxarthrose und Gonarthrose links, Zustand nach Gallenblasenoperation und Brustkorbprellung, Emphysembronchitis und Bluthochdruck.

Er kann sich selbständig an- und auskleiden, wobei das Anziehen von Socken und Hosen und das Binden des linken Schuhes wegen Schmerzen beim Beugen im linken Hüftgelenk nur erschwert möglich sind. Das Verwenden von Hilfsmitteln (Zange, Schuheisen) bringt insofern Erleichterung, als sich der Kläger dann nicht so weit bücken muß. Bei der Nahrungsaufnahme bestehen wegen des starken Zitterns Schwierigkeiten. Deshalb kann er Suppen und andere flüssige Nahrungsmittel nicht mit einem Löffel essen und ist nicht mehr in der Lage, das Kochen zu erlernen und komplette warme Mahlzeiten zuzubereiten. Weiters benötigt er bei der gründlichen Wohnungsreinigung, bei der Vorbereitung des Heizmaterials (Holzhacken und Schlichten) und mangels einer Waschmaschine beim Waschen der Bettwäsche Hilfe.

Der Kläger bewohnt mit seiner Lebensgefährtin ein altes Holzhaus, das aus vier Zimmern, Küche und Waschküche mit Badewanne besteht. Zum Baden muß das Wasser in einem Heizkessel erhitzt und dann in die Badewanne geschüttet werden. Wegen des Zitterns kann der Kläger das heiße Wasser nicht in die Badewanne schöpfen. Weil er schwer und relativ unbeweglich ist, benötigt er für das Ein- und Aussteigen in bzw aus der Badwanne Hilfe. Gekocht wird elektrisch, Heizen ist nur mit Holz und Kohle möglich. Der Gehweg zwischen Haus und nächster Bushaltestelle dauert etwa eine Dreiviertelstunde. Das nächste Lebensmittelgeschäft und die nächste Apotheke sind nur mit dem Bus erreichbar. Deshalb benötigt der Kläger bei schlechten Witterungsverhältnissen zum Herbeischaffen der Lebensmittel und Medikamente Hilfe.

Der Kläger bezieht eine monatliche Pension von 5.800 S und ist für seine geschiedene Ehegattin und eine noch studierende Tochter sorgepflichtig.

Das Erstgericht nahm an, daß der Kläger wöchentlich (monatlich?) mehr als vierzig Stunden Hilfe brauche. Er brauche täglich zur Zubereitung einer kompletten Mahlzeit, ferner - wegen finanzieller Unzumutbarkeit der Anschaffung einer Waschmaschine und eines Durchlauferhitzers - zum Waschen der großen Wäsche und zum Umschöpfen des Heißwassers aus dem Heizkessel in die Badewanne, für die gründliche Wohnungsreinigung und das Besorgen der Lebensmittel und Medikamente bei schlechten Wegverhältnissen, mit denen wegen der hohen Wohnlage im Montafon über einen längeren Zeitraum des Jahres gerechnet werden müsse, und für die Vorbereitung des Heizmaterials Hilfe, deren Kosten, umsomehr, wenn man den wegen der entlegenen Wohnlage und der damit verbundenen Anreisezeit höheren Aufwand einer Hilfsperson berücksichtige, mindestens so hoch seien wie der Mindesthilflosenzuschuß.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Beweiswürdigung (Tatsachenfeststellung) und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück, wobei es aussprach, daß der Rekurs (an den Obersten Gerichtshof) zulässig ist.

Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Einschränkung des Klägers bei der Zubereitung der Speisen aufgrund der körperlichen Behinderung (Zittern) vorliegt, so daß diese Einschränkung bei der Beurteilung der Hilflosigkeit mitzuberücksichtigen sei. Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt reiche jedoch zu einer abschließenden Beurteilung des notwendigen Betreuungsaufwandes nicht aus. Dieser würde nur dann das für den Hilflosenzuschuß erforderliche Maß erreichen, wenn ständig Hilfe für die Zubereitung der Mahlzeiten notwendig wäre. Die diesbezügliche Feststellung, daß es dem Kläger nicht möglich sei, komplette Mahlzeiten selbst zuzubereiten, bedürfe näherer Aufklärung. Es werde genau zu erheben sein, welche Mahlzeiten der Kläger unter Zuhilfenahme des handelsüblichen Anbotes an Tiefkühlkost und Fertiggerichten ohne fremde Hilfe zubereiten könne.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der unbeantwortete Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Der Rekurs ist nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO iVm § 45 Abs 4 und § 47 Abs 2 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 leg cit zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Die Einschränkungen des Klägers bei der Zubereitung der Speisen können entgegen der Rechtsansicht des Rekurswerbers nur insoweit bei der Beurteilung der Hilflosigkeit berücksichtigt werden, als sie auf seine gesundheitlichen Behinderungen (starkes Zittern der Hände), nicht aber darauf zurückzuführen sind, daß er nicht kochen gelernt hat. Der Hilflosenzuschuß soll einem Rentner oder Pensionisten, der infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht in der Lage ist, lebensnotwendige Verrichtungen selbst zu besorgen, den dadurch entstehenden Mehraufwand wenigstens teilweise abgelten (SSV-NF 1/46 uva). Er ist aber kein Zuschuß zur Abgeltung eines nur durch mangelnde Kochkenntnisse bedingten Mehraufwandes im Zusammenhang mit der Bereitstellung der Mahlzeiten. Der erkennende Senat hat schon zu SSV-NF 4/135 darauf hingewiesen, daß es bei der Beurteilung der Hilflosigkeit nicht darauf ankommt, ob ein Pensionist etwa das Kochen, Waschen oder Bügeln (mangels entsprechender Kenntnisse) erlernen müßte, sondern nur darauf, ob er dazu in der Lage wäre.

Im vorliegenden Fall ist daher - wie das Berufungsgericht unter zutreffendem Hinweis auf die Rechtsprechung des erkennenden Senates ohne Rechtsirrtum ausgeführt hat - näher zu klären, inwieweit der Kläger aus gesundheitlichen Gründen bei der Zubereitung einer seinen Lebensverhältnissen entsprechenden ausreichenden und bekömmlichen Kost beeinträchtigt ist.

Dabei wird auch iS der Ausführungen in der Berufungsbeantwortung und im Rekurs zu prüfen sein, ob der Kläger Dosen oder andere verschlossene Behälter öffnen kann, ob er aus gesundheitlichen Gründen bestimmte Speisen, die er vielleicht zubereiten könnte, essen darf, und ob ihm nach seinen Verhältnissen die fallweise Verwendung von Tiefkühl- und sonstigen Fertiggerichten zugemutet werden kann.

Zur Rekursbehauptung, der Kläger könnte wegen des starken Zitterns keine flüssigen Speisen zu sich nehmen, wird allerdings angemerkt, daß solche Speisen nicht nur mit dem Löffel gegessen, sondern zB auch aus (Schnabel)Tassen getrunken werden können.

Im fortgesetzten Verfahren wird auch noch zu prüfen sein, ob wegen der vom Kläger wiederholt behaupteten starken Schweißabsonderung (ON 6 und Berufungsbeantwortung) eine besondere Reinigung und Pflege des Körpers und der Leib- und Bettwäsche erforderlich ist, aber auch, ob er bei diesen Verrichtungen durch das das Hantieren mit Wasser möglicherweise beeinträchtigende starke Zittern der Hände (vgl dazu die mündlichen Ergänzungen der ärztlichen Sachverständigen ON 9 AS

35) behindert ist.

Wegen der aufgezeigten Feststellungsmängel erweisen sich die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht zur neuerlichen, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällender Entscheidung als richtig.

Daher war dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Vorbehalt der Entscheidung über die Verpflichtung zum Ersatz der Rekurskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO (MGA ZPO14 § 52 E 17).

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