OGH 2Ob40/92

OGH2Ob40/929.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz H*****, vertreten durch Dr.Christian Obist, Rechtsanwalt in Zell am See, wider die beklagten Parteien 1. Willibald M*****, und 2. *****Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** beide vertreten durch Dr.Diethard Hallab, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Feststellung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 24. Februar 1992, GZ R 977/91-20, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom 12.August 1991, GZ 6 Cg 311/91p-14, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Es wird der Revision Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Auf die Kosten des Revisionsverfahrens ist gleich weiteren Verfahrenskosten Bedacht zu nehmen.

Text

Begründung

Am 6.Mai 1990 fuhr der Kläger mit seinem Rennrad auf der 6,2 m breiten Fahrbahn der Bundesstraße 115 A mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h von Leoben in Richtung St. Peter-Freienstein. Die Bundesstraße verläuft in diesem Bereich in flachen, nur teilweise übersichtlichen Kurven, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit beträgt 60 km/h. Der Kläger hielt zum rechten Fahrbahnrand (weiße Randlinie) einen Abstand von 0,5 m ein. An den rechten Fahrbahnrand schließt ein 1,3 m breiter, mit Gras bewachsener Streifen an und neben diesem befindet sich ein 2,5 m breiter asphaltierter Radweg. Dieser beginnt etwa 400 m vor der Unfallstelle und hat eine Gesamtlänge von 3 km. Der Erstbeklagte fuhr mit seinem PKW mit einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h in derselben Richtung und wollte den Kläger überholen. Als sich die linken Räder seines Fahrzeuges bereits im Bereich der Fahrbahnmitte befanden, bemerkte er ein entgegenkommendes Fahrzeug. Er bremste stark und lenkte nach rechts, wodurch es zu einer Kollision mit dem Radfahrer kam, der dabei schwere Verletzungen erlitt.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß ihm die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus dem Unfall zu haften haben, die zweitbeklagte Partei jedoch nur im Rahmen des bestehenden Versicherungsvertrages. Der Kläger brachte vor, er habe den Radweg nicht benützt, weil dieser mit Glassplittern und Scherben übersät und mit Rollsplitt bedeckt gewesen sei, was besonders bei einem Rennrad mit einer erheblichen Gefährdung des Lenkers verbunden sei. Den Erstbeklagten treffe daher das Alleinverschulden am Unfall.

Die Beklagten wendeten ein, den Kläger treffe ein Mitverschulden von 50 %. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr der Vorwurf, der Kläger hätte den Radweg benützen müssen.

Im Schriftsatz vom 5.April 1991, ON 6, beantragte der Kläger die Vernehmung des Zeugen Josef G***** zum Beweis dafür, daß der Radweg am Unfallstag mit einem Rennrad nicht benützbar war. Dieser Zeuge erschien trotz Ladung nicht zur Verhandlung, worauf der Kläger erklärte, auf dessen Vernehmung nicht zu verzichten.

Das Erstgericht gab, ohne den genannten Zeugen vernommen zu haben, dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, daß der Kläger den Radweg deshalb nicht benützt hatte, weil er wußte, daß sich auf diesem, vor allem im Bereich des Ortsgebietes von St. Peter-Freienstein, wo sich überdies eine Baustelle befand, sehr viel Rollsplitt lag und aus diesem Grund an seiem Rad schon einmal ein Reifen geplatzt war. Daraus folgerte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht, daß dem Kläger nicht vorgeworfen werden könne, den Radweg nicht benützt zu haben.

Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Erstgerichtes mit Berufung. Der Kläger führte in seiner Berufungsbeantwortung aus, für den Fall daß die Abänderung bzw. Aufhebung und Zurückverweisung des angefochetenen Urteils in Erwägung gezogen werden sollte, möge darauf Bedacht genommen werden, daß der Kläger auf den (zum Beweis für die Unbenützbarkeit des Radweges) nahmhaft gemachten, jedoch nicht einvernommenen Zeugen Josef G***** nicht verzichten würde.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß die beklagten Parteien nur für 75 % der künftigen Unfallschäden des Klägers haften. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Gericht zweiter Instanz ergänzte das Beweisverfahrens durch "Darstellung des Strafaktes, insbesondere der dort in den Beilagen 2 bis 6 zu ON 2 einliegenden Lichtbilder" und stellte daraus ergänzend fest, daß zur Unfallszeit der Radweg im Unfallbereich für Radfahrer ohne Behinderung benützbar war. Der dieses Thema betreffende Beweisantrag des Klägers wurde nicht erwähnt.

In rechtlicher Hinsicht lastete das Berufungsgericht dem Kläger einen Verstoß gegen die Schutzvorschrift des § 68 Abs 1 erster Satz StVO an, weshalb ihn ein Mitverschulden von einem Viertel treffe.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit außerordentlicher Revision, macht die Anfechtsungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteiles. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Nicht berechtigt sind die Revisionsausführungen, das Berufungsgericht habe ohne Beweiswiederholung eine zusätzliche Feststellung getroffen. Das Berufungsgericht nahm nämlich dadurch, daß es den Strafakt, insbesondere die Lichtbilder "dargetan" hat, eine Beweisergänzung vor. Die Unterlassung eines Beweisbeschlusses hätte gemäß § 196 ZPO gerügt werden müssen (Fasching, Zivilprozeßrecht2, Rz 907). Eine Beweiswiederholung war nicht erforderlich, weil das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichtes nicht abgegangen ist. Ob die Lichtbilder eine ausreichende Grundlage für die ergänzende Feststellung sind, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen kann.

Mit Recht weist der Revisionswerber aber auf seinen Antrag auf Vernehmung des Zeugen Josef G***** hin. Dieser Zeuge war zu dem Thema beantragt worden, über den das Berufungsgericht die ergänzende Feststellung getroffen hat. Das Berufungsgericht hat diesen Beweisantrag, der schon in erster Instanz gestellt worden war und auf welchen in der Berufungsbeantwortung hingewiesen wurde, übergangen. Dies stellt einen Mangel des Berufungsverfahrens im Sinne des § 503 Z 2 ZPO, dem erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommt und der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht führen muß.

Im fortgesetzten Verfahren das Berufungsgericht den Zeugen Josef G***** zu vernehmen haben. Sollte es neuerlich zu dem Ergebnis gelangen, der Radweg sei im Unfallsbereich für Radfahrer ohne Behinderung benützbar gewesen, wird zu klären sein, auf welche Entfernung vor und nach der Unfallstelle sich dies bezieht, insbesondere, ob die Benützbarkeit schon zu Beginn des Radweges gegeben war. Zur Vermeidung eines Widerspruches zu der vom Berufungsgericht übernommenen Feststellung, der Kläger wußte, daß auf dem Radweg sehr viel Rollsplitt lag, wäre auch der Kläger zu diesem Thema neuerlich zu vernehmen und darauf bei den Feststellungen bzw. bei der Beweiswürdigung Bedacht zu nehmen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den § 52 ZPO.

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