OGH 7Ob15/92

OGH7Ob15/923.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Egermann, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Berta S***** KG, ***** vertreten durch Dr.Alexander Wanke, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Gassner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung (Streitwert von S 500.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 15.April 1992, GZ 3 R 56/92-50, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 12.Dezember 1991, gZ 10 Cg 416/89-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 19.069,20 (darin S 3.178,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin betreibt in den ihr von der S***** Österreichischen Warenhandels AG im Erdgeschoß des Hauses B***** 69 untervermieteten Erdgeschoßräumen einen Gemischtwarenhandel. Sie schloß mit der beklagten Partei für diesen Betrieb eine Geschäftsbündelversicherung, die unter anderem auch eine Haftpflichtversicherung umfaßt und der die allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 1986 und EHVB 1986) zugrunde liegen. Mitgemietet ist auch ein Kellerraum, in dem die Klägerin die Kältemaschine für die in den Geschäftsräumen aufgestellten Kühlgeräte untergebracht hat. Der restliche Keller wird vom Hauseigentümer Karl K***** als Tanzlokal verwendet. Im September 1988 wurde in diesem vom Fußboden aufsteigendes Wasser festgestellt. Das Wasser stammte aus einer lecken Leitung der Kühlmaschine der Klägerin. Das Wasser versickerte im Fußboden und nahm mindestens ca. zwei bis vier Wochen (möglicherweise auch mehrere Monate) hindurch seinen Weg unterhalb der Fußbodenkonstruktion bis zur Tanzdiele. Die lecke Leitung gab anfänglich nur ganz wenig Wasser ab. Nach Vergrößerung des Risses spritzte aber das Wasser in Form eines dünnen Strahles weg. Die austretende Wassermenge war aber so klein, bzw. die Einsickerungsfähigkeit des Fußbodens so groß, daß der Wasserspiegel im Aggregateraum nicht das Niveau der Türschwelle erreichte (maximal 70 cm), sondern sich dort nur rund 500 Liter Wasser ansammelten. Von der S***** Landesversicherungs AG als Leitungswasserschadensversicherung erhielt Karl K***** S 267.013,--. Diesen Betrag begehrt diese Versicherung von der Klägerin zurück. Mit dieser Zahlung wurden jedoch nicht alle Schäden K***** abgegolten.

Art.7 Z 9 der AHVB 1986 lautet:

Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an Sachen durch allmähliche Emission oder allmähliche Einwirkung von Temperatur, Gasen, Dämpfen, Flüssigkeiten, Feuchtigkeit oder nichtatmosphärischen Niederschlägen (wie Rauch, Ruß, Staub usw.).

Die Klägerin begehrt von der beklagten Versicherung Deckung für den Schadensfall.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung. Im Revisionsverfahren ist die Einwendung noch streitgegenständlich, daß der Wasserschaden durch allmähliche Emission bzw. allmähliche Einwirkung von Flüssigkeit und Feuchtigkeit entstanden sei (Art 7 Z 9 AHVB 1986).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die beklagte Partei sei hinsichtlich des gegenständlichen Wasserschadens nicht deckungspflichtig, weil der Allmählichkeitsausschluß nach Art.7 Z 9 AHVB 1986 vorliege, über den Tanzkeller hinausgehende Schäden am Haus hätten nicht festgestellt werden können.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es stellte den Wert des Streitgegenstandes als mit S 50.000,-- übersteigend fest und erklärte die Revision für zulässig. Es übernahm die Feststellung des Erstgerichtes. Es folgerte rechtlich, daß der Schaden nicht durch das Bersten eines Rohres, sondern erst mit dem allmählichen Ein- bzw. Durchsickern von im Aggregatsraum angesammeltem Wasser während eines Zeitraumes von mindestens zwei bis vier Wochen hindurch, entstanden sei. Dieser Vorgang stelle keine plötzliche Wassereinwirkung wie bei einem Bruch eines Wasserrohres bzw. Bersten eines Tankes dar. Das spontane Leckwerden der Wasserleitung müsse dem Normalbetrieb der Kühlanlage zugerechnet werden, weil diese Anlage dadurch in ihrer Funktion völlig unbeeinträchtigt geblieben sei. Damit habe die beklagte Versicherung einen Sachverhalt unter Beweis gestellt, der die Anwendung des Ausschlusses nach der Allmählichkeitsklausel rechtfertige.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der klagenden Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach im wesentlichen übereinstimmender Ansicht der Lehre (Prölss-Martin, VVG24, 968; Wussow, AHB7, 340 ff und Bruck-Möller-Johannsen VVG8 IV, 402) und Rechtsprechung (zuletzt VersR 1988, 1086, VR 1987, 86 und 17 mwN) muß die allmähliche Einwirkung iSd Punkt 7 Z 9 der AHVB 1986 (der im wesentlichen ident mit § 4 Punkt I Z 5 der deutschen AHB ist) hinsichtlich der einwirkenden Ursache, nicht aber hinsichtlich des Schadenereignisses gegeben sein. Das Wesen der allmählichen Einwirkung besteht im längeren Vorhandensein einer Ursache in etwa gleichbleibendem Umfang, sodaß der Schaden nicht durch einmalige kurzfristige Einwirkung herbeigeführt werden kann, sondern die Ursache gerade in dem ständigen Einwirken liegt. Der Zweck der Allmählichkeitsklausel ist der Ausschluß von Gefahranlagen, deren Eintritt, Ablauf und Folgen meist unberechenbar sind und bei denen der Nachweis des Schadenursprunges wie der der Verantwortlichkeit oft schwierig ist.

Die Beurteilung des vorliegenden Schadens als Allmählichkeitsschaden durch die Vorinstanzen ist zu billigen. Nach den Feststellungen sickerte das Wasser in den Fußboden und durchfeuchtete diesen nach und nach. Auch die Zunahme der schädlichen Einwirkung erfolgte nach und nach. Gerade diese Art der Schadensentstehung in Form eines kontinuierlichen, gewissermaßen schleichenden Prozesses entspricht aber der Umschreibung des Allmählichkeitsschadens in der Ausschlußklausel des Art 7 Z 9 AHVB 1986 (VersR 1987, 293).

Eine Einschränkung der Allmählichkeitsklausel auf betriebsbedingte Schäden, wie sie Jabornegg (VersR 1987, 56) wünscht, kann dem Wortlaut dieser Klausel nicht entnommen werden. Selbst wenn man, wie Jabornegg, den oben dargelegten Zweck dieser Klausel bezweifeln wollte, ist doch klar, daß der Versicherer das durch die Allmählichkeit bewirkte erhöhte Risiko nicht übernehmen will. Ein abrupt auftretender Schaden wird gewöhnlich sofort erkannt, weshalb Sofortmaßnahmen zur Begrenzung möglich sind. Erfolgt dagegen eine Einwirkung schleichend über längere Zeit, so wird sie unter Umständen erst erkannt, bis der Schaden im Umfang weit über den durch eine plötzliche und sichtbare Einwirkung verursachten hinausgeht. Eine vernünftige Auslegung der Allmählichkeitsklausel unter Berücksichtigung ihres für jedermann klar erkennbaren Zweckes kann daher nicht zu der von Jabornegg gewünschten Einschränkung führen.

Ob die Klausel einer Inhaltskontrolle nach § 879 Abs.3 ABGB standhalten würde, wäre hier an sich schon deshalb nicht zu prüfen, weil eine solche Prüfung höchstens zur Nichtigerklärung der Klausel führen würde, die Nichtigkeit von Vertragsbestimmungen aber nur im Rahmen ihrer - hier nicht erfolgten - Geltendmachung zu prüfen ist (vgl Krejci in Rummel2 Rz 248 zu § 879 ABGB, VersR 1987, 293 ua). Im übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern die Allmählichkeitsklausel unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles den Kläger gröblich benachteiligen sollte. Ihr Wortlaut und ihre Zielsetzung sind eindeutig und bieten zu keinem Zweifel Anlaß. Dem Versicherer steht es frei, bestimmte Risken vom Versicherungsschutz auszunehmen. Voraussetzung ist, daß dies für den Versicherungsnehmer klar erkennbar geschieht, was hier der Fall ist. Würde man den gegenteiligen Standpunkt vertreten, käme man zu dem Ergebnis, daß ein Versicherer grundsätzlich für alle nur denkbaren Schäden einstehen muß, jede Sach- oder Haftpflichtversicherung also einen zwangsweise genormten Inhalt hat. Dies würde dem Prinzip der Vertragsfreiheit widersprechen.

Von einer gröblichen Benachteiligung des Versicherungsnehmers kann keine Rede sein, weil die Versicherung durch die erwähnte Klausel nicht praktisch inhaltsleer wird. Die Klausel nimmt nur einen relativ seltenen Schadensfall von der Versicherung aus. Der Versicherungsnehmer hat also für seine Prämienleistung einen Gegenwert, der gegenüber seiner Leistung nicht erkennbar minderwertig ist.

Der Revision war demnach ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 51 und 50 ZPO.

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