Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird verworfen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Geschworenengerichtes beim Kreisgericht Leoben vom 4. November 1985, GZ 19 Vr 1224/84-93, wurde der am 9.Juni 1944 geborene Angestellte Michael Jörg S***** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach den §§ 75 und 15 StGB schuldig erkannt, weil er am 23.August 1984 in S***** im M***** durch Abgabe von Schüssen aus einem Revolver seine Mutter Anna S***** vorsätzlich getötet und deren Angestellte Gisela K***** vorsätzlich zu töten versucht hatte; er wurde hiefür nach dem § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt, welche er derzeit verbüßt.
Mit dem Beschluß vom 4.Februar 1992, GZ 2 BE 914/91-7, lehnte das Landesgericht für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht die bedingte Entlassung des Michael Jörg S***** aus der Freiheitsstrafe gemäß dem § 46 Abs. 1 StGB vornehmlich aus generalpräventiven Erwägungen ab. Das Vollzugsgericht begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Schwere der Anlaßtat von ausschlaggebender Bedeutung sei; es müsse allen Rechtsunterworfenen aufgezeigt werden, daß die demokratisch zustandegekommenen Gesetze einzuhalten seien und ein Bruch der Rechtsordnung umso strenger geahndet werde, je schwerer der Verstoß gegen diese Rechtsordnung und je wertvoller das betroffene Rechtsgut ist. Es wäre für den überwiegenden Teil der Bevölkerung unverständlich, wenn ein Mörder, der - wie im vorliegenden Falle - nicht nur seine Mutter getötet, sondern auch eine unbeteiligte dritte Person zu töten versucht hat, bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt und wesentlich vor Verbüßung der über ihn verhängten Freiheitsstrafe aus dieser entlassen werde. Die erschreckende Zunahme der Verbrechen gegen Leib und Leben und der Vergehen gegen die körperliche Integrität dürfe hiebei nicht außer Betracht bleiben.
Den gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerden der Staatsanwaltschaft und des Verurteilten gab das Oberlandesgericht Graz mit dem Beschluß vom 19.März 1992, AZ 11 Bs 90/92 (GZ 2 BE 914/91-12 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), nicht Folge. Es schloß sich der vom Erstgericht vertretenen Rechtsansicht vollinhaltlich an und führte dazu noch aus, daß Blutverbrechen im Zusammenhang mit Familienkrisen besonders häufig seien und daher eine verstärkte generalpräventive Ahndung erforderten. Auch sei das öffentliche Interesse an Kapitalverbrechen besonders stark und gehe über den Zeitpunkt der Urteilsfällung hinaus, wobei auch der Zeitpunkt der bedingten Entlassung eines Mörders registriert werde. Von der konkreten Situation ausgehend, könne eine Normentreue anderer Staatsbürger nicht erwartet werden, wenn allein die Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe bereits für eine (bedingte) Entlassung ausreiche.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die erwähnten Entscheidungen des Vollzugsgerichtes und des Beschwerdegerichtes von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes kommt keine Berechtigung zu.
Bei der Entscheidung über eine bedingte Entlassung sind - abgesehen vom Anwendungsbereich des § 17 JGG 1988 - die Erfordernisse der Spezial- und der Generalprävention gleichermaßen zu berücksichtigen (vgl. RZ 1988/89 = EvBl. 1988/147), sodaß (auch schon) nach dem § 46 Abs. 3 StGB die bedingte Entlassung - obwohl ihr im übrigen nichts entgegenstünde - unter Umständen, nämlich dann, wenn besondere Gründe des konkreten Falles solche schwerwiegende Bedenken rechtfertigen, allein aus generalpräventiven Erwägungen abgelehnt werden kann (13 Os 1/92; Leukauf/Steininger, Komm.3, § 46 RN 8; Graff, AnwBl. 1989, S 100 f). Rechtlich verfehlt wäre es, eine bestimmte Tätergruppe vom Anwendungsbereich des Institutes der bedingten Entlassung von vornherein auszunehmen, weil nach den Intentionen des Gesetzgebers eine bedingte Entlassung bei keinem Straftatbestand und bei keiner Tätergruppe aus generalpräventiven Erwägungen unter allen Umständen ausgeschlossen sein soll (13 Os 1/92; RZ 1988/59 = EvBl. 1988,147; Leukauf/Steininger, aaO; Graff aaO).
Die Meinung der Generalprokuratur, im vorliegenden Falle hätten das Vollzugs- und das Beschwerdegericht das Erfordernis dieser besonderen generalpräventiven Gründe verkannt, die Ausführungen beider Gerichte erschöpften sich vielmehr in der Darlegung allgemeiner und im wesentlichen überdies unzutreffender generalpräventiver Erwägungen, denen weder im einzelnen, noch in ihrer Gesamtheit die Qualifikation besonderer Gründe zukomme, trifft nicht zu.
Die beiden Gerichte haben vielmehr die Frage, ob besondere, gegen die bedingte Entlassung sprechende Gründe vorliegen, einzelfallbezogen beurteilt. Sie haben insbesondere auf die Schwere der Tat des Verurteilten verwiesen, der seine Mutter ermordete, deren unbeteiligte Angestellte Gisela K***** durch Abgabe von zwei Schüssen vorsätzlich zu töten versuchte (wodurch diese erheblich verletzt wurde) und sich sodann vom Tatort entfernte, ohne sich um die Opfer weiter zu kümmern (vgl. AS 19 f, 39). Nach dem im Akt 19 Vr 1224/84 des Kreisgerichtes Leoben erliegenden Gutachten des Dr.M***** ergab sich das Motiv der Tat aus der Lebensführung des Täters, seinem damit verbundenen Versagen und einer daraus resultierenden allgemeinen und persönlichen Vernichtungstendenz (II/S 65). Diesen Gründen maßen die Grichte in concreto eine die bedingte Entlassung zum an sich frühestmöglichen Zeitpunkt im Hinblick auf Erfordernisse der Generalprävention absolut ausschließende Bedeutung bei.
Unrichtig ist in diesem Zusammenhang ferner die Rechtsauffassung der Generalprokuratur, es stelle das Verständnis der Bevölkerung für Maßnahmen der Strafrechtspflege kein bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung anzuwendendes Kriterium dar. Es komme unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention vielmehr bloß darauf an, ob sich potentielle Täter durch eine konkrete Enscheidung eines Strafgerichtes in ihren Entschlüsen beeinflussen lassen oder nicht. Damit hat die Generalprokuratur nämlich die negative Seite der Generalprävention im Auge. Maßgebend ist jedoch auch in der Frage der bedingten Entlassung die positive Seite der Generalprävention, dh der Aspekt der Erhaltung und Stärkung der allgemeinen Normentreue (Integrationsprävention, vgl. Leukauf/Steininger, Komm.3 aaO RN 8). Ohne Belang bleiben damit auch die Beschwerdeausführungen zur Entwicklung der Kriminalität gegen Leib und Leben und ihre Bedeutung für den negativen Aspekt der Generalprävention.
Entgegen der Auffassung der Generalprokuratur spricht aber auch der Umstand, daß das Gesetz die Schwere der Tat nur im Zusammenhang mit der bedingten Entlassung aus einer lebenslangen Freiheitsstrafe (§ 46 Abs. 5 StGB) ausdrücklich anführt, nicht gegen die Berücksichtigung dieses Umstandes in den anderen Fällen möglicher bedingter Entlassung. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß im maßgeblichen Abs. 5 des § 46 StGB die Frage der Notwendigkeit einer weiteren Vollstreckung (Fortsetzung des Strafvollzuges aus generalpräventiven Gründen) im Gegensatz zur Fassung der die selbe Frage beim Vollzug zeitlich bestimmter Freiheitsstrafen regelnden Norm des Abs. 3 leg. cit. negativ formuliert ist. Damit wird nichts anderes zum Ausdruck gebracht, als daß in diesen Fällen schon die Schwere der Tat für sich allein einer vorzeitigen Entlassung des Täters aus dem Strafvollzug im Hinblick auf die Erfordernisse der Generalprävention entgegenstehen kann. Bei lebenslanger Freiheitsstrafe wird nämlich - wegen der besonderen Schwere der Tat, die im Ausspruch der höchstmöglichen Strafe ihren Ausdruck fand - der Prüfungsaspekt umgekehrt. Es müssen sich im Zuge der Prüfung nicht (noch andere) besondere Gründe ergeben, die eine bedingte Entlassung ausschließen, sondern es müssen die Umstände des konkreten Falles die an sich schon allein wegen der Schwere der Tat gerechtfertigt erscheinenden Besorgnisse generalpräventiver Natur zu zerstreuen vermögen. Daraus ist aber abzuleiten, daß die Frage der kriminellen Bedeutung (der soziale Störwert) der Tat, wie sie im Speziellen verübt wurde, im Rahmen der Prüfung der Erfordernisse der Generalprävention grundsätzlich und damit sehr wohl auch in Fällen vorzeitiger Entlassung aus zeitlich bestimmten Freiheitsstrafen als ein für die Beurteilung relevanter Aspekt mitzuberücksichtigen ist.
Zusammenfassend ergibt sich also, daß das Landes- und das Oberlandesgericht zulässige und nach der Aktenlage zutreffende (einzelfallbezogene) Kriterien für die Prüfung der Erfordernisse der Generalprävention im Rahmen ihrer Entscheidung über die Rechtfertigung einer bedingten Entlassung des Verurteilten herangezogen haben. Die Frage aber, ob diesen Umständen nach der konkreten Fallgestaltung zutreffend ein die Entlassung zum gegebenen Zeitpunkt ausschließendes Gewicht zugebilligt wurde, entzieht sich als Ermessensentscheidung einer Überprüfung im Wege einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes.
Mithin war wie im Spruche zu erkennen.
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