European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:0060ND00509.920.0804.000
Spruch:
Der vom Bezirksgericht für ZRS Graz verfügten Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Sachwalterschaftssache des M***** an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wird die Genehmigung versagt.
Begründung:
Am 6. 12. 1990 regte das Exekutionsgericht im Rahmen eines gegen den Betroffenen anhängigen Zwangsversteigerungsverfahrens gemäß § 6a ZPO bei der zuständigen Pflegschaftsabteilung des Bezirksgerichtes für ZRS Graz die Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens an. Bei seiner ersten Anhörung am 16. 1. 1991 beantragte der damals nach eigener Angabe in *****, wohnhafte Betroffene, alle seine Prozeßsachen in ein anderes Bundesland zu verlegen und die Sachwalterschaftssachen an ein Gericht in Wien zu delegieren. Zur Begründung verwies er auf seine schon mehrfach vorgetragenen Behauptungen, er werde von einzelnen Richtern ungesetzlich behandelt und einem Kesseltreiben der Justiz ausgesetzt. Der Delegierungsantrag wurde mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 12. 3. 1991, GZ 3 Nd 503/91‑7, abgewiesen. Das Bezirksgericht für ZRS Graz bestellte sodann mit Beschluß vom 5. 4. 1991 (ON 8) einen Grazer Rechtsanwalt zum einstweiligen Verfahrenssachwalter gemäß § 238 Abs 1 AußStrG und zog einen Grazer ärztlichen Sachverständigen bei, dem es den Auftrag zur Erstattung eines schriftlichen Gutachtens erteilte. Dem dagegen erhobenen Rekurs des Betroffenen gab das Rekursgericht mit Beschluß vom 27. 8. 1991 nicht Folge (ON 11), sein dagegen erhobener außerordentlicher Revisionsrekurs wurde mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 24. 10. 1991, GZ 6 Ob 1633/91‑17, zurückgewiesen.
Anläßlich der Befundaufnahme beim ärztlichen Sachverständigen am 30. 1. 1992 gab der Betroffene erstmals an, daß er, weil das Gericht auf ihn einen Psychoterror ausüben wolle, von Graz weggezogen sei und jetzt in *****, wohne; er habe aber noch seine Wohnung in der ***** in Graz. Das Haus selbst habe er seinem Sohn geschenkt; er habe aber den "Fruchtgenuß" so lange er lebe (ON 20 S 70 f). Nach Vorliegen des schriftlichen Gutachtens vom 2. 2. 1992 (ON 20) und des Ergänzungsgutachtens vom 13. 3. 1992 (ON 23) beraumte das Bezirksgericht für ZRS Graz am 26. 3. 1992 die mündliche Verhandlung gemäß § 239 AußStrG für den 23. 4. 1992 an (ON 24). Nachdem aber die Fotokopie eines am 25. 3. 1992 eingelangten Schreibens des Betroffenen an den Gerichtsvorsteher des Bezirksgerichtes für ZRS Graz zum Akt gelangt war, demzufolge er seit einem Jahr seinen ordentlichen Wohnsitz in Wien habe (ON 25), wurde am 9. 4. 1992 der Termin 23. 4. 1992 abberaumt (ON 26). Das Bezirksgericht für ZRS Graz übertrug mit Beschluß vom 10. 4. 1992 die Zuständigkeit zur Besorgung der Sachwalterschaftssache "dem Bezirksgericht für 1050 Wien, weil der Betroffene seit einem Jahr seinen ordentlichen Wohnsitz in ***** hat" (ON 27). Der Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen.
Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien weigerte sich, die Zuständigkeit derzeit zu übernehmen.
Das Bezirksgericht für ZRS Graz legt nunmehr die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirskgericht Innere Stadt Wien ist nicht gerechtfertigt.
Zur Bestellung eines Sachwalters und zur Besorgung der nach den Bestimmungen über die Sachwalterschaft dem Gericht obliegende Geschäfte ist gemäß § 109 Abs 1 JN in erster Linie das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel der Pflegebefohlene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Erscheint diese Zuweisung nach den Umständen des Einzelfalles unzweckmäßig, dann sieht § 111 JN eine Anpassung an die besondere Fallgestaltung vor (RZ 1991, 252; ÖA 1986, 79): Das zur Besorgung der kuratelsbehördlichen Geschäfte zuständige Gericht kann dann von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit zur Gänze oder die Vornahme einzelner Geschäfte einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint und namentlich wenn dadurch die wirksame Handhabung des ihm zugedachten pflegschaftsbehördlichen Schutzes voraussichtlich befördert wird. Dieser Schutz wird auch in Sachwalterschaftssachen in der Regel am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen am besten gewährleistet sein, so daß eine Übertragung der Zuständigkeit insbesondere dann in Betracht kommt, wenn der Pflegebefohlene nach Einleitung des Verfahrens seinen ständigen Aufenthalt und somit den Mittelpunkt seiner gesamten Lebensführung und wirtschaftlichen Existenz in einen anderen Gerichtssprengel verlegt (EFSlg 54.947; 7 Ob 698,699/87; 4 Nd 506/88 ua). Letztlich hängt aber die Prüfung der Voraussetzung einer Zuständigkeitsübertragung immer von der Interessenlage im Einzelfall ab (Gamerith in ÖA 1987, 21). Hier mag zwar der Betroffene in Wien eine Wohnung bezogen haben, er hat aber deshalb nach eigener Angabe seine Grazer Wohnung noch nicht aufgegeben. Der persönliche Aufenthalt einer Person wird nur durch ihre körperliche Anwesenheit, nicht aber durch ein Willenselement bestimmt; er setzt dauerhafte, nicht nur vorübergehende Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt voraus, die sich in einer bestimmten längeren Dauer und Beständigkeit des Aufenthaltes äußern und sich auf objektiv überprüfbare Umstände persönlicher oder beruflicher Art gründen (Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 274; vgl die Regel Nr.9 der Entschließung des Ministerkomitees des Europarates (72) I vom 18. 1. 1972 zur Vereinheitlichung der Rechtsbegriffe "Wohnsitz" und "Aufenthalt": EFSlg 49.197). Eine Person kann danach ihren gewöhnlichen Aufenthalt auch an mehreren Orten haben (4 Nd 506/88). Ob dies auf den Betroffenen zutrifft oder ob er seinen gewöhnlichen Aufenthalt tatsächlich nach Wien verlegt hat, ist im vorliegenden Fall völlig ungeprüft geblieben, weshalb sich die Zuständigkeitsübertragung jedenfalls als verfrüht erweist. Hinzu kommt, daß das Sachwalterschaftsverfahren schon vor mehr als einem Jahr beim Bezirksgericht für ZRS Graz eingeleitet wurde, dieses Gericht sich vom Betroffenen bereits einen persönlichen Eindruck verschafft (§ 237 AußStrG), danach das Verfahren im Sinne des § 238 AußStrG fortgesetzt und auch einen Sachverständigen beigezogen hat, dessen schriftliches Gutachten vorliegt. Mit Rücksicht auf dieses Verfahrensstadium, in dem zunächst überhaupt noch die ‑ nach Abhaltung bloß einer mündlichen Verhandlung (§ 239 AußStrG), in der der Sachverständige sein Gutachten vorzutragen hat (§ 241 Abs 2 AußStrG), ‑ zu fällende Entscheidung darüber ausständig ist, ob das Sachwalterverfahren einzustellen (§ 243 AußStrG) oder ein Sachwalter zu bestellen ist (§ 244 AußStrG), kann eine Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht von vornherein nicht den in § 111 Abs 1 JN genannten Zwecken dienlich sein.
Der Zuständigkeitsübertragung war daher die Genehmigung zu versagen.
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