OGH 7Ob580/92

OGH7Ob580/9230.7.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Franz L***** , 2.) Heinz M*****, 3.) Franz S*****, alle vertreten durch Dr.Johann Quendler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Hammerschlag und Dr.Wilhelm Dieter Eckhart, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 876.070,80 s.A., infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 12.März 1992, GZ 3 R 179/91-15, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes vom 3. Mai 1991, GZ 24 Cg 191/90-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit S 23.109,48 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 3.851,58 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstkläger und der Drittkläger waren bis 31.3.1987, der Zweitkläger bis 30.6.1987 angestellte, danach selbständige Versicherungsvertreter der beklagten Partei. Nach den inhaltlich gleichlautenden Vermittlungsverträgen hatten die Kläger in den von der beklagten Partei betriebenen Versicherungszweigen Versicherungsverträge ausschließlich für die beklagte Partei zu vermitteln. Diese Bestimmung galt als wesentlich im Sinne des § 22 HVG. Die Kläger waren jedoch berechtigt, Anträge, die von der beklagten Partei nicht angenommen wurden, nach Rücksprache mit dieser, anderen Versicherungsunternehmungen zu vermitteln. Die Vermittlungsverträge wurden von der beklagten Partei zum 31.1.1990 gekündigt. Die Kläger begehren eine angemessenen Entschädigung nach § 25 HVG. Hilfsweise stützen sie ihr Begehren auch auf § 6 des Kollektivvertrages für Angestellte der Versicherungsunternehmungen, dessen Abs 1 und 2 folgenden Wortlaut haben:

"Die vereinbarte Folgeprovision bleibt dem Angestellten unter der Bedingung einer ununterbrochenen Dauer des Dienstverhältnisses bei dem gleichen Dienstgeber durch mindestens 3 Jahre gemäß den folgenden Bestimmungen gewahrt, längstens jedoch bis zum Ablauf der ursprünglich vereinbarten Dauer der von ihm selbständig und aufgrund eigenen Werbematerials vermittelten Versicherungsverträge nach Maßgabe des Prämieneinganges; dabei werden nach Beendigung des Dienstverhältnisses eingetretene Prämienzuwächse nicht berücksichtigt. Keineswegs gebührt Folgeprovision, und zwar auch nicht zum Teile für Versicherungen, die dem Angestellten zur Betreuung oder Bearbeitung zugewiesen worden sind (Abs 1). Insoweit dem Angestellten eine Folgeprovision unter Berücksichtigung des Abs 1 zusteht, beträgt diese nach Endigung des Dienstverhältnisses, längstens bis zu seinem Tode, 50 % jener Folgeprovision, auf die der Angestellte Anspruch hätte, wenn noch ein Dienstverhältnis bestünde."

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen betrug die Folgeprovision der Kläger als Angestellte 7 % für das Kraftfahrzeuggeschäft und 10 % für das Elementargeschäft. Als die Kläger den Wunsch hatten, sich selbständig zu machen, setzten sie sich mit der Beklagten wegen der Form der zukünftigen Zusammenarbeit in Verbindung. Es wurde "Ausschließlichkeit" vereinbart und ausdrücklich davon gesprochen, daß § 6 des Kollektivvertrages als aufgehoben zu gelten hat. Nach der diesbezüglichen Bestimmung des Kollektivvertrages hätten die Kläger Anspruch auf 50 % der Folgeprovision gehabt, was bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung eine Folgeprovision von 3,5 % und sonst von 5 % bedeutet hätte. Es wurde jedoch ein Prozentsatz von 18,5 % sowohl für die Abschluß- als auch für die Folgeprovision vereinbart; lediglich in der Autohaftpflicht sollte es bei 7 % bleiben. Es wurde eine Bestandsübernahme vereinbart, und die Provision sollte vom Gesamtbestand berechnet werden. Die Kläger hatten den übernommenen Bestand mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes zu verwalten und auszubauen. Die beklagte Partei war berechtigt, den übertragenen Bestand jederzeit ohne Angabe von Gründen teilweise oder zur Gänze zurückzunehmen. Über die Anwendung des Handelsvertretergesetzes und von der Möglichkeit einer allfälligen Entschädigung nach diesem Gesetz wurde nicht gesprochen. Ab September 1987 hat sich die Situation auf dem Kraftfahrzeughaftpflichtsektor dahin geändert, daß die Prämien freigegeben wurden und die beklagte Partei auf diesem Sektor nunmehr die teuerste Versicherungsanstalt war. Es wurden den Klägern von der Konkurrenz "sozusagen mehrere Kunden weggeschnappt", und es wurden mehrere Verträge gekündigt. Aus dieser Konkurrenzsituation heraus wurden die Kläger im Kraftfahrzeughaftpflichtsektor nunmehr auch für andere Versicherungsanstalten tätig. Der Geschäftsgang der Kläger war für die beklagte Partei nicht zufriedenstellend. Die Kläger erachteten dagegen die Provision als nicht zufriedenstellend und fürchteten, daß kein Provisionsanspruch bestehe, wenn das Vertragsverhältnis ende. Mit 31.5.1989 kam es zu einer Zusatzvereinbarung des Inhaltes, daß die Provision sowohl für neue Geschäfte als auch für Konvertierungen auf 20 % erhöht wurde. Des weiteren wurde eine "Art § 6-Lösung" vereinbart: Für den Fall, daß bei einer dreijährigen Übergangsphase eine Ertragssteigerung erarbeitet wird, sollte den Klägern im Falle der Auflösung des Vertrages die Bestimmung des § 6 des Kollektivvertrages zugutekommen. Der Bestandzuwachs von 22,5 % sollte vom Zeitpunkt Mitte 1989 zum Tragen kommen; man ging ausdrücklich von einer jährlichen Umsatzsteigerung von 7,5 % aus. Für diesen Fall, also für den Fall, daß der Gesamtbestandzuwachs positiv verläuft, wurde vereinbart, daß es den Klägern unbenommen bleiben sollte, ein Kraftfahrzeughaftpflichtgeschäft zur Konkurrenz zu bringen. Den Klägern war es aber in der Folge nicht möglich, diese Vereinbarung einzuhalten. Es kam zu keiner Umsatzsteigerung, sondern es blieb bei der Verminderung des Bestandes. Das Erstgericht stellte ferner detailliert den Eigenbestand der Kläger und den jährlichen Neuzuwachs und den sich daraus ergebenden Umsatzrückgang fest. Ferner traf es Feststellungen über die Höhe der den Klägern von anderen Versicherungsunternehmungen jährlich ausbezahlten Provisionen.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes steht den Klägern kein Anspruch nach § 25 HVG zu. Die Kläger seien nicht vorwiegend mit der Zuführung von Kunden im Sinne dieser Bestimmung beschäftigt gewesen, weil der Umsatz der neu zugeführten Kunden jenen der zugewiesenen Kunden nicht eindeutig überstiegen habe. Die Bestandsübernahme durch die Kläger sei dem Fall einer zugewiesenen Kundschaft gleichzuhalten. Der § 6 des Kollektivvertrages finde keine Anwendung. Jede Nachwirkung desselben müsse nämlich dann enden, wenn mit dem betreffenden Arbeitnehmer eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen werde. Die Nichtigkeit einer derartigen Vereinbarung könne nur vor oder während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses gegeben sein, nicht jedoch nachher.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig ist. Zur Anspruchsgrundlage des § 25 HVG teilte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Ob der Verzicht der Kläger auf die Ansprüche nach § 6 des Kollektivvertrages wirksam sei, bedüfe keiner Prüfung. Die Kläger machten nämlich Ansprüche aus der Zeit ihrer Tätigkeit als selbständige Versicherungsvertreter geltend, und zwar unter Zugrundelegung der von ihnen seit dieser Zeit insgesamt bezogenen Provisionen. Der Anspruch nach § 6 Abs 2 des Kollektivvertrages resultiere aber aus den dem Angestellten zustehenden Folgeprovisionen. Die Kläger hätten daher darlegen müssen, welche Folgeprovisionen ihnen aus ihrer vorangegangenen Angestelltentätigkeit zugestanden seien. In dieser Richtung sei ein Vorbringen nicht erstattet worden.

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revison der Kläger ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorausetzung eines Entschädigungsanspruchs nach § 25 HVG ist, daß der Handelsvertreter ausschließlich oder überwiegend mit der Zuführung von Kunden beschäftigt war. Beizupflichten ist den Vorinstanzen darin, daß nach bisheriger Rechtsprechung eine vorwiegende Beschäftigung dann anzunehmen ist, wenn der Umsatz der neu zugeführten Kunden jenen der zugewiesenen Kunden eindeutig übersteigt (SZ 40/114; SZ 44/96; vgl. auch RdW 1991/2; Jabornegg, HVG 501). Nach der Entscheidung SZ 49/83 genügt es, wenn der Handelsvertreter so viele neue Kunden zuführt, daß der Geschäftsherr daraus auch noch nach Ablauf des Vertragsverhältnisses bedeutende Vorteile erzielen kann. Jabornegg (aaO 502) billigt nach dem Normzweck das Erfordernis des eindeutigen Überwiegens und meint, man wird wohl verlangen müssen, daß mindestens an die 70 % der Umsätze mit den vom Handelsvertreter zugeführten Kunden getätigt worden sind, um von einer überwiegenden Kundenzuführung sprechen zu können. Diesen Rechtsansichten liegt die Fallgestaltung zugrunde, daß der Handelsvertreter, dem ein ohne sein Zutun schon vorhandener, nicht unerheblicher Kundenstock vom Geschäftsherrn zugewiesen wird, und der insoweit nach dem Normzweck gar nicht entschädigt werden soll, darüber hinaus dem Geschäftsherrn neue Kunden verschafft. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Hier geht es darum, daß Angestellte Versicherungsvertreter, die ausschließlich mit der Kundenzuführung betraut waren, sich selbständig machten und als selbständige Versicherungsvertreter auch ihren bisherigen Bestand weiter zu betreuen hatten. Bei einem derartigen Wechsel vom Angestellten zum selbständigen Vertreter kommt es, wie Jabornegg (aaO 503) zu Recht hervorhebt, darauf an, daß das Kriterium der vorwiegenden Beschäftigung mit der Kundenzuführung auch noch im Handelsvertretervertragsverhältnis gegeben ist (vgl. auch Hoyer in ZAS 1966, 134). Dies kann aber im vorliegenden Fall nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht zweifelhaft sein. Das Begehren der Kläger nach § 25 HVG kann daher nicht schon deshalb abgewiesen werden, weil die Voraussetzung der vorwiegenden Beschäftigung mit der Kundenzuführung nicht gegeben ist.

Ein Entschädigungsanspruch nach § 25 HVG steht dem Handelsvertreter jedoch nur dann zu, wenn er nicht durch schuldbares Verhalten dem Geschäftsherrn begründeten Anlaß zur vorzeitigen Lösung oder zur Kündigung des Vertragsverhältnisses gegeben hat. Ein schuldbares Verhalten ist nicht erst bei Vorliegen eines Auflösungsgrundes anzunehmen, sondern ganz allgemein in einem Verhalten zu erblicken, das dem Geschäftsherrn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar erscheinen läßt (HS 7576/45; SZ 18/65; 6 Ob 506/85 ua). Die beklagte Partei erblickt zu Recht in dem von ihr behaupteten und auch festgestellten Verstoß der Kläger gegen die hier auch ausdrücklich als wesentlich im Sinne des § 22 HVG vereinbarte Ausschließlichkeitsklausel ein schuldbares Verhalten. Die gleichzeitige Vertretung eines Konkurrenzunternehmens, insbesondere die Verletzung eines vereinbarten Wettbewerbsverbotes durch den Handelsvetreter stellt in der Regel einen schweren Verstoß gegen die dem Handelsvertreter obliegenden Treuepflichten dar (Schlegelberger-Schröder5 2, 671; Heymann-Sonnenschein, HGB I § 89 a RNr. 14). Der Umstand, daß ab September 1987 durch die Prämienfreigabe auf dem Kraftfahrzeughaftpflichtsektor eine wesentliche Änderung eingetreten ist, rechtfertigte das Verhalten der Kläger nicht. Gerade diese Situation hätte eine verstärkte Anstrengung der Kläger erfordert, mit Hilfe der von der beklagten Partei zur Verfügung gestellten Argumentationshilfe (vgl. AS 73 ON 7) trotz des Konkurrenzdruckes Kunden zu werben oder einer Abwanderung im Kraftfahrzeughaftpflichtbereich entgegenzuwirken. Ein dennoch eingetretener Kundenentgang hätte zwar nicht den Klägern angelastet werden können. Die Zuführung von Kunden an Konkurrenzunternehmungen stellt aber eine Verletzung der Treuepflicht dar, die den Schluß rechtfertigt, daß die Kläger geneigt sind, zur Wahrung ihrer eigenen Interessen die der beklagten Partei einfach zu vernachlässigen. Aus der Bereitschaft der beklagten Partei, im Kraftfahrzeughaftpflichtbereich allenfalls eine Verletzung der Ausschließlichkeitsklausel zu tolerieren, kann nicht abgeleitet werden, daß es der beklagten Partei zumutbar gewesen wäre, das Vertragsverhältnis fortzusetzen. Bei Beurteilung dieser Frage müssen die gesamten Umstände des Einzelfalles gewürdigt werden. Diese Bereitschaft bestand nur unter der Erwartung eines positiven Verlaufes des Gesamtbestandszuwachses. Diese Voraussetzung ist nicht eingetreten. Es blieb vielmehr trotz der von der beklagten Partei zugestandenen erheblichen Verbesserung der Provisionsansprüche der Kläger und einer nach den Umständen zu erwartenden Umsatzsteigerung bei der bereits seit der selbständigen Tätigkeit der Kläger fortlaufend eingetretenen Bestandsminderung. Im Zusammenhalt mit der Reaktion der Kläger auf den verstärkten Konkurrenzdrück im Kraftfahrzeughaftpflichtbereich ist der beklagten Partei zuzubilligen, daß ihr Vertrauen schließlich derart erschüttert wurde, daß ein weiteres gedeihliches Zusammenarbeiten nicht mehr zu erwarten war (vgl. hiezu Jabornegg aaO 495). Im Ergebnis haben daher die Vorinstanzen zu Recht einen Anspruch der Kläager nach § 25 HVG verneint.

Auf ihre Ansprüche nach § 6 Abs 2 des Kollektivvertrages für Angestellte der Versicherungsunternehmungen haben die Kläger verzichtet. Dieser Verzicht ist wirksam. Bei Beurteilung der Rechtswirksamkeit eines vom Dienstnehmer während des Bestehens des Dienstverhältnisses oder anläßlich dessen Beendigung ausgesprochenen Verzichtes auf kollektivvertragliche Ansprüche kommt es entscheidend darauf an, ob der Dienstnehmer dabei noch unter wirtschaftlichem Druck seines Dienstgebers gehandelt hat. Ist dieser Druck, wenn auch noch vor der formellen Beendigung des Dienstverhältnisses, weggefallen, dann steht der Gültigkeit des Vertrages nichts im Wege (Arb 9209 mwN). Dies wird auch von den Revisionswerbern nicht in Abrede gestellt. Ihr Standpunkt, daß sie unter wirtschaftlichem Druck der beklagten Partei gehandelt hätten, kann nicht geteilt werden. In dieser Richtung fehlt es schon an einem entsprechenden Sachvorbringen. Die Kläger wollten sich selbständig machen. Es wäre ihnen freigestanden, unter Wahrung ihrer Ansprüche nach § 6 Abs 2 des Kollektivvertrages, die Tätigkeit von Versicherungsmaklern - ohn ständige Betrauung und ohne damit zusammenhängender Dauerverpflichtung und Ausschließlichkeitsklausel - aufzunehmen. Wenn sie demgegenüber die gewählte Form der Zusammenarbeit als selbständige Handelsvertreter mit der beklagten Partei als für sie wirtschaftlich günstiger erachteten, kann darin ein wirtschaftlicher Druck seitens der beklagten Partei nicht erkannt werden.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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