OGH 12Os29/92-7

OGH12Os29/92-79.7.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Juli 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Rzeszut, Dr. Markel und Dr. Schindler als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Liener als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz R***** wegen des Verbrechens nach § 3 g Abs. 1 VerbotsG über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 10.Oktober 1991, AZ 10 Bs 411/91, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, und des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren AZ 19 Vr 1814/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz wurde gegen den am 20.Juni 1967 geborenen Jus-Studenten Franz R***** die Voruntersuchung wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 3 g Abs. 1 VerbotsG eingeleitet. Am 9. Jänner 1992 wurde wegen dieses Verbrechens gegen ihn die Anklage erhoben. Sein dagegen erhobener Einspruch blieb erfolglos; mit Entscheidung des Oberlandesgerichtes Graz vom 13.Februar 1992, AZ 10 Bs 48/92, wurde der Anklage Folge gegeben. Nach der Aktenlage und der Anklage ist Franz R***** verdächtig, sich auf eine andere als die in §§ 3 a bis 3 f VerbotsG bezeichnete Weise in nationalsozialistischem Sinne betätigt zu haben, indem er nachangeführte Druckwerke verbreitete:

1./ am 17.Mai 1991 in Graz - vor einem Gymnasium durch Verteilung an Schüler - die Zeitschrift "HALT" Nr 58 vom April 1991, in welcher unter dem Titel

"Mauthausen - Scholten - Notruf - Poster! - für Schüler der Oberstufen der AHS!" durch kommentierte Abbildung von sogenannten Gaskammer-Modellen die Tatsache der planmäßigen Massenvernichtung von Menschen durch Giftgas im Konzentrationslager Mauthausen in der Zeit des Nationalsozialismus geleugnet und lächerlich gemacht wird;

2./ am 4.August 1991 in Wien sogenannte Aufkleber mit den Parolen:

"Gib Nazis eine Chance" und "Schluß mit dem Holocaust! oder:

Deutscher willst du ewig zahlen?" durch Anbringen an allgemein zugänglichen Orten;

3./ am 11.September 1991 in Graz gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten Ewald S***** das in der Art eines Partezettels gestaltete Flugblatt mit der Parole: "Gaskammern - sämtliche Gaskammern in Ausschwitz, Birkenau, Majdanek, Treblinka, sowie Mauthausen, Ravensbrück und Dachau stellen miserable Attrappen dar, die von den Alliierten im nachhinein zu musealen und propagandistischen Zwecken eingebaut worden sind - Bitte weitersagen!", durch Verteilen.

Mit dem Beschluß vom 15.September 1991, ON 10, wurde über Franz R***** aus den Gründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 lit a StPO die Untersuchungshaft verhängt. Nach der Haftprüfungsverhandlung vom 25.September 1991 faßte das Landesgericht für Strafsachen Graz den Beschluß auf Fortsetzung der Untersuchungshaft lediglich aus dem Grund der Verdunkelungsgefahr gemäß § 180 Abs. 2 Z 2 StPO unter gleichzeitiger Verneinung des Fortbestehens der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 3 lit a StPO. Gegen diesen Beschluß erhoben in bezug auf die Verneinung des letzteren Haftgrundes der öffentliche Ankläger, in Ansehung der Aufrechterhaltung der Verdunkelungsgefahr aus dem ersteren Haftgrund der Beschuldigte Beschwerden (ON 18 und 22). Mit dem Beschluß vom 10.Oktober 1991, AZ 10 Bs 411/91 (ON 27), gab das Oberlandesgericht Graz der Beschwerde des Beschuldigten Folge und hob die Untersuchungshaft wegen Fortfalls der Haftgründe auf; die Staatsanwaltschaft wurde mit ihrer Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen. Der Beschuldigte Franz R***** wurde am 10. Oktober 1991 enthaftet (ON 25).

Rechtliche Beurteilung

Nach Ansicht des Generalprokurators steht dieser Beschluß insoweit mit dem Gesetz nicht im Einklang, als der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 3 lit a StPO auch mit der Begründung verneint werde, es könne "bei dem dem Beschuldigten angelasteten Verhalten trotz der grundsätzlich hohen Strafdrohung des § 3 g VerbotsG von schweren (oder nicht bloß leichten) Folgen seiner Tat wohl nicht gesprochen werden".

Die gegen diesen Ausspruch gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobene Beschwerde wird wie folgt begründet:

"Mit seiner Verneinung 'schwerer Tatfolgen' setzt sich das Oberlandesgericht in Widerspruch zu seiner in der selben Beschlußbegründung zunächst in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung vorgenommenen Beurteilung der dem Beschuldigten vorgeworfenen Anlaßtaten, wonach 'ernstlich nicht in Frage gestellt' werden könne, daß die Druckwerke, deren Verbreitung dem Beschuldigten zur Last liegt, 'darauf abzielen, die Tatsache der Massenvernichtung von Menschen (auch) durch Giftgas in Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Regimes in Zweifel zu ziehen, und damit objektiv geeignet sind, durch die ersichtlich angestrebte Verharmlosung verbrecherischer Gewaltmaßnahmen des Nationalsozialismus den Tatbestand des § 3 g ... des VerbotsG in objektiver Hinsicht herzustellen' (siehe AS 178 f). Begründeten aber die aus der Verdachtslage, wie sie das Oberlandesgericht in tatsächlicher Beziehung für gegeben ansieht, hervorgehenden Anlaßtaten (zumindest) objektiv das Tatbild einer nationalsozialistischen Betätigung - hier zufolge tendenziöser Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen durch Bezweifelung der Massenmorde durch Giftgas in Konzentrationslagern - dann ist es schlechterdings unbegreiflich, diese Anlaßtaten nicht als solche mit schweren Folgen im Sinne des Haftgrundes nach dem § 180 Abs. 2 Z 3 lit a StPO zu beurteilen. Dieser - bei Prüfung der Tatbegehungsgefahr sowohl für die Anlaß- als auch für die Prognosetat vorausgesetzte - Begriff entspricht jenem (auch) wörtlich gleichlautenden Begriff, der in § 21 StGB bei Entscheidung über die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher für die Prognosetat verlangt wird

(vgl Bertel-Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechts3, Rz 375; derselbe Anw 9/1983, 513). Darnach sind

die - schweren - Folgen der befürchteten Tat nach allen konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu beurteilen, sohin nach Art und Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für die betroffenen Einzelnen, als auch für die Gesellschaft im ganzen, deren Gewicht durch die in der Sozietät bestehenden insofern normativen Wertvorstellungen rechtstreuer Menschen bestimmt wird (Leukauf-Steininger2 RN 13 zu § 21 StGB mwN). Schutzobjekt der Tatbestände nach dem Verbotsgesetz ist die im Jahre 1945 in Österreich wiedererrichtete demokratische, die Menschenrechte sichernde staatliche Ordnung, gemeiniglich der Rechtsstaat. Die Pönalisierung jeglicher nationalsozialistischer (Wieder-) Betätigung in den §§ 3 a, b und d bis f VerbotsG verfolgt demnach den Zweck, ein den Rechtsstaat gefährdendes Wiedererstehen des Nationalsozialismus, jedwede 'nationalsozialistische Umtriebe' bereits im Keim zu ersticken (vgl auch EvBl 1968/68). Eine Handlungsweise die - wovon das Oberlandesgericht in tatsächlicher Hinsicht ausgeht - darauf abzielt, historisch erwiesene Methoden der nationalsozialistischen Massenvernichtung fernab wissenschaftlicher Objektivität in propagandistischer Weise zu negieren, stellt eine nach dem § 3 g VerbotsG tatbildliche nationalsozialistische Betätigung dar (vgl JBl 1991, 464 uva). In dieser Hinsicht hat das Oberlandesgericht auf Grund der von ihm in tatsachenmäßiger Beziehung für gegeben erachteten Verdachtslage das Verhalten des Beschuldigten rechtsrichtig beurteilt. Es hat jedoch verkannt, daß eine dem § 3 g Abs. 1 VerbotsG zu unterstellende Tat angesichts deren konkreten Auswirkungen für die Gesellschaft und deren Mitglieder unter Zugrundelegung der Wertvorstellungen rechtstreuer Menschen geradezu denknotwendig eine solche mit schweren Folgen bedeutet."

Die Beschwerde ist im Ergebnis nicht begründet.

Was unter einer strafbaren Handlung mit schweren Folgen im Sinne des § 180 Abs. 2 Z 3 lit a StPO zu verstehen ist, ist nicht am abstrakten Gewicht des im Tatbild einer Strafnorm vertypten Erfolgs oder der aus ihr abstrakt denkbaren Konsequenzen zu ersehen, sondern in Beachtung aller nach den konkreten Umständen eines Einzelfalles drohenden Auswirkungen einer aktuell zu befürchtenden Tat (EBRV 1971, 105). Gerade die subsidiäre Strafvorschrift des § 3 g Abs. 1 VerbotsG in der dürftigen Kontourierung ihres gesetzlichen Tatbilds (Rittler, Lehrbuch2 S 355 unten - die Beschwerde spricht ua von der "Pönalisierung jeglicher nationalsozialistischer (Wieder)Betätigung in den §§ 3 a, b und d bis f VerbotsG" läßt aber in diesem Konnex § 3 g VerbotsG unerwähnt ! -) ist vollkommen ungeeignet, sie in ihrer abstrakten Fassung ohne Anreicherung durch konkrete, an der dazu ergangenen Judikatur orientierte Beurteilungskriterien auf das Gewicht denkbarer Auswirkungen hin auszuloten.

Insoweit die Beschwerde nun die Ansicht vertritt, daß jede dem § 3 g Abs. 1 VerbotsG subsumierbare Tat "geradezu denknotwendig" eine solche mit schweren Folgen sei (siehe den letzten Satz des Rechtsmittels), stellt sie sich damit auf den Rechtsstandpunkt, daß die im § 3 g Abs. 1 VerbotsG vertypte strafbare Handlung stets eine solche "mit schweren Folgen" darstelle. Damit aber würde das im § 180 Abs. 2 Z 3 lit a StPO normierte Kriterium der schweren Folgen für den Tatbestand nach § 3 g Abs. 1 VerbotsG inhaltsleer.

Da dem Gesetzgeber aber nicht zugesonnen werden kann, daß er im Gesetz inhaltsleere Kriterien festlegt, erweist sich die der Beschwerde der Generalprokuratur solcherart zugrunde liegende Interpretation des Gesetzes als insoweit verfehlt. Auch beim Tatbestand nach § 3 g Abs. 1 VerbotsG ist vielmehr die Frage, ob "schwere Folgen" im Sinn des § 180 Abs. 2 Z 3 lit a StPO zu besorgen seien, weitgehend auf der Grundlage einer konkreten Fallkonstellation zu beurteilen.

Geht man indes angesichts der Bezugnahme in der Beschwerde auf die "Anlaßtaten" und die "Verdachtslage, wie sie das Oberlandesgericht in tatsächlicher Beziehung für gegeben ansieht", davon aus, daß das Rechtsmittel ungeachtet der oben wörtlich zitierten abschließenden Passage zur Frage zu besorgender schwerer Folgen auf den konkreten Umständen dieses Falles basiert, ist der Beschwerde folgendes zu erwidern:

Der Oberste Gerichtshof tritt unter diesem Aspekt zwar all dem bei, was der Generalprokurator - übereinstimmend mit Lehre und Rechtsprechung - über die Rechtsnatur der "schweren Folgen" einer Tat darlegt. Zuzustimmen ist der Beschwerde auch in der Ansicht, daß mit den Tatbeständen nach dem Verbotsgesetz die im Jahre 1945 in Österreich wiedererrichtete demokratische, die Menschenrechte sichernde staatliche Ordnung, gemeiniglich der Rechtsstaat, geschützt werden soll. Schließlich kann es auch nach der Überzeugung des Obersten Gerichtshofs im Lichte der bisherigen Judikatur keinem Zweifel unterliegen, daß darnach eine Handlungsweise, die darauf abzielt, historisch erwiesene Methoden der nationalsozialistischen Massenvernichtung fernab wissenschaftlicher Objektivität in propagandistischer Weise zu negieren, eine nach § 3 g VerbotsG tatbildliche nationalsozialistische Betätigung darstellen kann.

Da es aber nicht auf das abstrakte Gewicht des einer Strafdrohung entsprechenden Erfolgs, sondern auf alle Auswirkungen der konkreten Tat, die zu befürchten ist, ankommt (EBRV 1971, 105) und das in Rede stehende Tatbild nach § 3 g VerbotsG im Sinne der eingangs dargestellten Überlegungen nicht zu jenen Normen zählt, deren Verletzung gewissermaßen eo ipso schwere Folgen nach sich zieht, enthebt das Vorliegen der obigen Prämissen, in denen der Oberste Gerichtshof mit der Beschwerde übereinstimmt, nicht von der Aufgabe zu prüfen, worin vorliegend durch die beschriebenen Propagandaaktionen des Beschuldigten schwere Folgen für das durch § 3 g VerbotsG geschützte Rechtsgut entstehen könnten.

Betrachtet man unter diesem Blickwinkel die seit 1945 erfolgte politische Entwicklung, die dazu geführt hat, daß die parlamentarische Demokratie - anders als etwa in der Zwischenkriegszeit - von der weitaus überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und von allen im Parlament vertretenen Parteien bejaht wird und die diese Regierungsform ablehnenden links- und rechtsextremen Gruppierungen bedeutungslos blieben und legt man andererseits dem Umstand die gebührende Bedeutung bei, daß - wie es die bisherige Judikatur immer wieder belegt - die Untaten des nationalsozialistischen Zwangsregimes einschließlich der planmäßigen Massenvernichtung von Menschen - auch durch Giftgas - in Österreich als "notorisch" gelten können (vgl JBl 1991, 464 uva), darnach mithin allgemein bekannt sind und - abgesehen von einer verschwindenden Minderheit - von niemandem ernsthaft in Frage gestellt werden, ergeben sich durch die propagandistische Äußerung von Ideen über nunmehr nahezu ein halbes Jahrhundert zurückliegende historische Abläufe, wie sie von einer zahlenmäßig unbedeutenden gesellschaftlichen Außenseitergruppe seit langem sterotyp und mit einer geradezu wahnhaften Unbelehrbarkeit, jedoch ohne nachhaltige Auswirkungen auf die kontaktierten Personenkreise welchen Alters auch immer wiederholt werden, mögen sie auch - konkret betrachtet - verletzen, schockieren oder beunruhigen (siehe SZ 62/162 = JBl 1990, 382) schwere (nachteilige) Folgen für die demokratische Grundordnung keineswegs von selbst. Dies zeigt im gegebenen Fall beispielhaft die Reaktion der Schüler, an welche der Beschuldigte nach dem Anklagevorwurf am 17.Mai 1991 die Zeitschrift "HALT" verteilte, nämlich die sofortige Anzeigeerstattung bei der Polizei (S 17).

Da mithin durch die bekämpfte Passage im Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 10.Oktober 1991 das Gesetz nicht verletzt wurde, mußte der unbegründeten Wahrungsbeschwerde ein Erfolg versagt bleiben.

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