OGH 12Os47/92-9

OGH12Os47/92-99.7.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Juli 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Rzeszut, Dr. Markel und Dr. Schindler als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Liener als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manfred Georg R***** wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs. 1 und 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 12.Februar 1992, GZ 8 Vr 447/91-16, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Raunig, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben und dem Erstgericht aufgetragen, sich der Verhandlung und Urteilsfällung über den unerledigt gebliebenen Anklagevorwurf laut Pkt 1., 3. und 4. der Anklageschrift - wonach der Angeklagte Manfred Georg R***** bis zum Sommer 1988 weitere, von den Schuldsprüchen des angefochtenen Urteils nicht umfaßte, den §§ 207 Abs. 1, 212 Abs. 1 und 105 Abs. 1 StGB zu subsumierende Tathandlungen zum Nachteil der Marianne G***** begangen habe - zu unterziehen. Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft im übrigen und jene des Angeklagten werden verworfen.

Den Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 25.November 1941 geborene deutsche Staatsangehörige Manfred Georg R***** (1., 2.) des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs. 1 (erster Deliktsfall) und 15 StGB, (3.) des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs. 1 und 15 StGB und (4.) des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er

1. im Jahre 1986 in Mattighofen die am 14.Dezember 1974 geborene Marianne G*****, sohin eine unmündige Person, am Geschlechtsteil betastet und hiedurch auf eine andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht;

2. im Jahre 1987 (in Mühlbach) die am 28.Dezember 1975 geborene Renate G*****, sohin eine unmündige Person, am Geschlechtsteil zu betasten und hiedurch auf eine andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht zu mißbrauchen versucht;

3. durch die unter 1. und 2. angeführten Tathandlungen seine minderjährigen Pflegekinder Marianne G***** und Renate G***** (richtig - Urteilsseiten 4 und 5 -: unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber den seiner Erziehung unterstehenden minderjährigen Pflegekindern Marianne G***** und Renate G***** diese) zur Unzucht mißbraucht bzw zu mißbrauchen versucht;

4. im Jahre 1986 in Mattighofen Marianne G***** durch gefährliche Drohung, nämlich durch die Äußerung, sollte sie jemandem von den unter 1. angeführten Tathandlungen erzählen, werde er sie schlagen, dazu genötigt, Mitteilungen über die betreffenden sexuellen Verfehlungen an andere Personen zu unterlassen.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpfen die Staatsanwaltschaft aus den Z 5, 7 und 10, der Angeklagte aus den Z 5 a, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs. 1 StPO in den (ergangenen bzw unterbliebenen) Schuldsprüchen mit Nichtigkeitsbeschwerden, beide Prozeßparteien - mit entgegengesetzten Anfechtungszielen - überdies im Strafausspruch mit Berufungen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, daß das Urteil die Anklage nicht erledigt hat (Z 7). In der Anklageschrift (ON 7) werden nämlich dem Angeklagten Manfred Georg R***** innerhalb eines Zeitraumes von Sommer 1986 bis zum Sommer 1988 an Marianne G***** in etwa wöchentlichen Abständen verübte Tathandlungen nach §§ 207 Abs. 1 und 212 Abs. 1 StGB (Punkt 1. und 3. der Anklageschrift) sowie innerhalb derselben Periode im Anschluß an die erwähnten Sexualdelikte gegenüber der Genannten begangene verbale Drohungen nach § 105 Abs. 1 StGB (Punkt 4. der Anklageschrift) angelastet. Dagegen liegen den hiezu ergangenen Schuldsprüchen lediglich Taten zugrunde, die der Angeklagte an Marianne G***** (in den Entscheidungsgründen versehentlich als Monika G***** bezeichnet - US 4) in der ersten Hälfte des Jahres 1986 verübte. Über den darüber hinausgehenden Anklagevorwurf, der - wie erwähnt - weitere, bis zum Sommer 1988 begangene, als Unzucht mit Unmündigen, Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses und Nötigung zu subsumierende Tathandlungen des Angeklagten zum Gegenstand hat, wurde dagegen weder im Urteilsspruch noch in den Entscheidungsgründen abgesprochen.

Ergo war dem Erstgericht gemäß § 288 Abs. 2 Z 2 StPO der Auftrag zu erteilen, sich der Verhandlung und Urteilsfällung über die insoweit unerledigt gebliebene Anklage zu unterziehen, wobei im Falle der Strafbemessung nach einem allenfalls schuldig sprechenden Erkenntnis auf den vorliegenden Strafausspruch gemäß §§ 31, 40 StGB Bedacht zu nehmen sein wird (Mayerhofer-Rieder3 § 288 StPO E 12 a).

Im übrigen erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft jedoch als nicht begründet.

Der Einwand, das Erstgericht habe die Aussage mehrerer Zeugen sowie Ausführungen der Sachverständigen für Kinder- und Jugendpsychologie unberücksichtigt gelassen (Z 5), betrifft nicht erledigte Punkte des Anklagevorwurfs, nicht aber den tatrichterlichen Ausspruch über entscheidende Tatsachen zu den ergangenen Schuldsprüchen. Da aber nur formale Begründungsmängel von Tatsachenfeststellungen mit Mängelrüge bekämpft werden können, vom Erstgericht zur unerledigt gebliebenen Anklage jedoch Konstatierungen nicht getroffen wurden, erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Umfang als nicht gesetzeskonform ausgeführt.

Nicht im Recht ist die Staatsanwaltschaft ferner auch mit ihrer Subsumtionsrüge (Z 10), welche aus den Urteilsannahmen, der Angeklagte habe in der ersten Hälfte des Jahres 1986 Monika (richtig: Marianne) G***** mehrmals auf den Geschlechtsteil zu greifen versucht und einmal den Finger in die Scheide des Mädchens eingeführt (US 4), eine Beurteilung des dem Angeklagten zu 1. angelasteten Tatverhaltens nicht (allein) als vollendete Tatbestandsverwirklichung nach § 207 Abs. 1 StGB, sondern als Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs. 1 und 15 StGB abzuleiten trachtet.

Der geltend gemachte materielle Nichtigkeitsgrund setzt nämlich eine unrichtige Lösung der Rechtsfrage, welche gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, voraus, wogegen hier unter Vernachlässigung der Bestimmung des § 260 Abs. 1 Z 1 StPO (bloß) verabsäumt wurde, den im Rahmen der Urteilsfeststellungen ohnedies konkretisierten teilweisen Tatversuch auch im Urteilsspruch zum Ausdruck zu bringen (das Einführen des Fingers in die Scheide wird im Urteilstenor ersichtlich unpräzise offenbar mit dem Betasten des Geschlechtsteils umschrieben). Ein aus einem Verstoß gegen § 260 Abs. 1 Z 1 StPO resultierendes und (wie hier) unbekämpft gebliebenes Abweichen des (solcherart bloß unvollständigen) Urteilstenors von den Entscheidungsgründen begründet indes (nur) eine formelle Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 3 StPO (Mayerhofer-Rieder3 EGr 41 hiezu; SSt 54/28), die vorliegend jedoch nicht gerügt wurde.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Was die Tatsachenrüge (Z 5 a) gegen die auf die Aussagen der Zeugen Marianne G*****, Renate G***** und Johanna R***** gestützten Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten vorbringt, vermag insgesamt - soweit es sich dabei nicht überhaupt lediglich um eine im schöffengerichtlichen Verfahren der Anfechtung entzogene Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung handelt - keine (geschweige denn erhebliche) Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die - vermeintlich durch keine entgegenstehenden Beweisergebnisse

widerlegten - Angaben der Zeugin Renate G*****, von ihm bloß unbeabsichtigt (nämlich während des Schlafes) über dem Hemd am Bauch berührt worden zu sein, Urteilsfeststellungen in dieser Richtung vermißt (Z 9 lit a), geht er nicht, wie dies zur gesetzmäßigen Darstellung dieses materiellen Nichtigkeitsgrundes erforderlich wäre, von den betreffenden gegenteiligen Konstatierungen des Erstgerichtes aus, sondern bekämpft vielmehr erneut in unzulässiger Weise dessen Beweiswürdigung. Hat doch das Schöffengericht diesen Angaben der Renate G***** ausdrücklich keine Glaubwürdigkeit zuerkannt (US 9, 10) und demgemäß (zumindest bedingt) vorsätzliches Handeln des Nichtigkeitswerbers als erwiesen angenommen.

Mit dem Beschwerdeeinwand, daß unzüchtige Handlungen gegenüber Renate G***** nicht vorlägen und demgemäß alle übrigen angenommenen Straftaten verjährt seien, hält der Angeklagte neuerlich nicht an den gegenteiligen Feststellungen zu den Schuldsprüchen 2. und 3. fest und verfehlt demnach auch insoweit eine dem Gesetz entsprechende Darstellung seiner Rechtsrüge (Z 9 lit b). Von einer Verjährung der im Jahre 1986 zum Nachteil der Marianne G***** verübten Straftaten kann nämlich deshalb keine Rede sein, weil - wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat - durch die im Jahre 1987 an Renate G***** begangenen Unzuchtshandlungen - die die Beschwerde ignorieren möchte - der Ablauf der unabhängig voneinander zu beurteilenden Verjährungsfristen (Leukauf-Steininger3 RN 19 zu § 57 StGB) im Hinblick auf die am 5.August 1991 gegen den Angeklagten eingeleitete Verfolgung (S 2) gehemmt wurde.

Diese Ablaufhemmung der Verjährungsfrist wirkt auch hinsichtlich der vom Angeklagten im Jahre 1986 an Marianne G***** verübten Nötigung, weil diese Nötigung in Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses unter dem Aspekt des aus der autoritativen Stellung des Nichtigkeitswerbers resultierenden Einschüchterungseffektes in sinnfälligem Zusammenhang mit den Unzuchtshandlungen am selben Tatopfer steht. Bei der vorliegenden Fallkonstellation müssen somit beide mit Strafe bedrohten Handlungen auf den gleichen Charaktermangel zurückgeführt werden.

Verfehlt ist aber auch der Einwand, daß dem Beschwerdeführer der Strafaufhebungsgrund des freiwilligen Rüdktritts vom Versuch zustatten käme, weil er nach der durch die Berührung veranlaßten Positionsveränderung der Renate G***** von weiteren Tathandlungen Abstand genommen habe. Dieses Vorbringen vernachlässigt nämlich die Urteilsfeststellung, wonach der Angeklagte nur dadurch an der weiteren Verwirklichung seines Tatvorhabens gehindert wurde, daß Renate G***** eng an ihre Schwester Marianne G***** heranrückte (US 5). Demnach fehlt es aber zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch jedenfalls schon an dem kumulativen Erfordernis seiner Freiwilligkeit. Die Rechtsrüge erweist sich damit mangels Orientierung an sämtlichen tatrichterlichen Feststellungen auch hiezu als nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.

Unzutreffend ist schließlich die Beschwerdeauffassung, daß eintätiges Zusammentreffen der Delikte nach den §§ 207 Abs. 1 und 212 Abs. 1 StGB ausgeschlossen sei, weil "einer dieser Tatbestände durch den anderen Tatbestand" konsumiert werde (nominell Z 9 lit a, sachlich: Z 10). Abgesehen davon, daß die Beschwerde nicht ausführt, welchem der beiden Tatbestände die betreffenden Tathandlungen zu unterstellen wären und daher (auch) insoferne einer gesetzmäßigen Ausführung entbehrt, kommt Scheinkonkurrenz, dem Beschwerdestandpunkt zuwider, hier nicht in Betracht. Die ersten Deliktsfälle der §§ 207 Abs. 1 und 212 Abs. 1 StGB, unter die die festgestellten Unzuchtshandlungen zu unterstellen sind, stehen nämlich zueinander weder im Verhältnis der Spezialität, noch in dem der Subsidiarität oder Konsumtion. Vielmehr erfüllt das konstatierte Tatverhalten beide Tatbestände in echter Idealkonkurrenz, weil nur diese Tatbeurteilung sämtliche Komponenten des verwirklichten Tatunrechtes erfaßt (Mayerhofer-Rieder3 E 22, Leukauf-Steininger3 RN 30 - jeweils zu § 207 StGB). Das angefochtene Urteil ist daher auch insoweit mit keinem Rechtsirrtum behaftet.

Zu den Berufungen:

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach § 207 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten.

Bei der Strafbemessung wurden die Wiederholung der strafbaren Handlungen sowie "die mehrfache Qualifikation und die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen" (ersichtlich gemeint: das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen derselben und verschiedener Art) als erschwerend gewertet, als mildernd hingegen das reumütige Teilgeständnis, die bisherige Unbescholtenheit sowie, daß es teilweise beim Versuch blieb.

Während der Angeklagte seinen Antrag auf Strafreduktion bzw Verhängung einer Geldstrafe im wesentlichen darauf stützt, daß die inkriminierten Taten schon vor längerer Zeit begangen worden seien und er sich seither wohlverhalten habe, strebt die Staatsanwaltschaft unter Hinweis darauf, daß das Geständnis des Angeklagten nur vermeintlich verjährte Taten betraf, er offensichtlich seine Familienmitglieder dahin beeinflußte, keine ihn belastenden Angaben zu machen und Marianne G***** noch heute psychisch an den Folgen seiner Straftaten leide, eine Erhöhung der in Anwendung des § 43 a StGB bloß teilweise bedingt nachzusehenden Freiheitsstrafe an.

Im Ergebnis kommt keiner der Berufungen Berechtigung zu.

Die verhängte Freiheitsstrafe erweist sich - sämtlichen Berufungsargumenten zuwider - den (die Anklage nur teilweise erledigenden, nunmehr) aktuellen Schuldsprüchen zugeordnet, als tat- und tätergerecht. Mag es auch zutreffen, daß dem Teilgeständnis des Angeklagten nur eine eingeschränkte Bedeutung zukommt, so trägt der erstgerichtliche Strafausspruch in seiner Gesamtheit den hier gegebenen spezial- und generalpräventiven Erfordernissen in angemessener Weise Rechnung, ist demnach sowohl der Strafart und der Strafhöhe nach, wie in der bloßen Androhung der Strafe zur Erreichung der Sanktionsziele geboten, aber auch ausreichend und bedarf daher keiner der beantragten Korrekturen.

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