Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden
Partei S 360.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 1,060.000 vom 20.8.1990 bis
19.10.1990 und aus S 360.000,-- seit 20.10.1990 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 152.465,-- bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 20.258,-- Barauslagen und S 22.034,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat mit der beklagten Partei für ihren PKW BMW 750 i eine Kaskoversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug-Kaskoversicherung und die Fahrzeuginsassen-Unfallversicherung (AFIB 1986) und die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug-Elementarkaskoversicherung (EKB 1986) zugrundeliegen. Nach Art.2.4 der EKB werden gestohlene Gegenstände, die erst nach Ablauf eines Monates nach Eingang der Schadensanzeige weder zur Stelle gebracht werden, Eigentum des Versicherers. In der Nacht vom 15. auf den 16.6.1990 wurde der PKW der Klägerin in Italien gestohlen und am 27.7.1990, nach Ablauf der Frist des Art.2.4 EKB, in einem Parkhaus am Hauptbahnhof in München von der Polizei sichergestellt. Das Fahrzeug wies keine Beschädigungen und keine Spuren einer gewaltsamen Öffnung und einer Kurzschließung auf. Es wurde in der Folge veräußert und der Veräußerungserlös der Klägerin zur Verfügung gestellt. Die Klägerin begehrt - nach einer Klagseinschränkung - die Differenz auf die vereinbarte Versicherungsleistung.
Die beklagte Partei beruft sich unter anderem auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen hatte die Klägerin den PKW im März 1990 gekauft. Sie erhielt von der Verkäuferin vier Schlüssel ausgefolgt, darunter einen Notschlüssel, der alle Schlösser am Fahrzeug sperrt. Der PKW hatte serienmäßig eine Zentralverriegelung und eine Diebstahlssicherung (Wegfahrsicherung) eingebaut. Es war ein Bordcomputer vorhanden, in den nach Abstellen des Fahrzeuges eine bestimmte Zahlenkombination eingegeben werden kann, wodurch die Zündung und die Kraftstoffzufuhr ausgeschaltet wird, sodaß eine Inbetriebnahme erst nach neuerlichem Eingeben dieser Zahlenkombination möglich ist. Von dieser Möglichkeit der Sicherung mittels Bordcomputers machten die Klägerin und ihr Ehemann nie Gebrauch, weil sie davon nichts wußten. Sie hatten sich den diesbezüglichen Abschnitt der Betriebsanleitung nicht durchgelesen und waren von der Verkäuferin darüber auch nicht in allen Einzelheiten aufgeklärt worden.
Am 12.6.1990 fuhr die Klägerin mit ihem Ehemann und ihrem Sohn mit dem PKW nach Jesolo auf Urlaub. Der Ehemann der Klägerin lenkte das Fahrzeug und benützte den Autoschlüssel mit der Beleuchtungstaste. Den Notschlüssel verwahrten sie in einem an der Innenseite des Tankdeckels befindlichen Blechbügel. Dies deshalb, weil dem Ehemann der Klägerin bereits früher einmal bei einem Urlaub die Brieftasche gestohlen worden war, in der sich der Autonotschlüssel befunden hatte. Bei einem früheren Fahrzeug (BMW 731 i) hatte der Ehemann der Klägerin bereits bemerkt, daß sich die Schiebestange zum Verschließen des Tankdeckels von außen in wenigen Sekunden mit einem Schraubenzieher mechanisch so verschieben läßt, daß der Tankdeckel ohne Beschädigung geöffnet werden kann.
In Jesolo stellte der Ehemann der Klägerin den PKW auf dem zum Appartement gehörigen, aber nicht abgeschlossenen Parkplatz ab und verschloß den PKW durch Verdrehen des Schlüssels um 90 Grad nach rechts. Die Wegfahrsicherung aktivierte er nicht. Zum Parkplatz hatte jedermann, ohne besonders aufzufallen, Zutritt. Vom Appartement aus konnten die Ehegatten den Parkplatz nicht sehen. In der Folge benützten sie den PKW am Urlaubsort nicht mehr und verwahrten den Autoschlüssel im vesperrt gehaltenen Appartement. Die Klägerin wußte, daß ihr Ehemann einen Notschlüssel an der Innenseite des Tankdeckels verwahrte. Am 15.6.1990 gegen 21 oder 22 Uhr sahen die Ehegatten ihren PKW zum letzten Mal. Am 21.6.1990 bestellte die Klägerin bereits einen neuen BMW 750 i. Ein neuerliches schriftliches Ersuchen der beklagten Partei um die Übersendung sämtlicher Original- und Reserveschlüssel beantwortete die Klägerin am 3.7.1990 mit der Mitteilung, daß sie die geforderten Schlüssel bereits am 21.6.1990 an die Filiale der beklagten Partei in Braunau gesandt habe. Der von den Ehegatten im Tankdeckel verwahrte Notschlüssel wurde nicht mehr aufgefunden.
Das Erstgericht verneinte das Vorliegen grober Fahrlässigkeit.
Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht, bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig ist.
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Begriff der groben Fahrlässigkeit, dessen Vorliegen bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer nach § 61 VersVG zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt, wird in ständiger Rechtsprechung dahin ausgelegt, daß sich das Versehen über das Maß der alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt, sodaß der Eintritt eines Schadens nicht bloß als möglich, sondern als wahrscheinlich vorhersehbar ist; die Sorglosigkeit muß auffallend und ungewöhnlich sein, wie sie nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorzukommen pflegt; dabei sind die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles zu berücksichtigen (SZ 56/166 mwN). Nach Koziol, Haftpflichtrecht2 I 131 ist allerdings mit diesen allgemeinen Formulierungen für den Einzelfall höchstens eine schwache Richtlinie vorgezeichnet; als weitere brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanspannung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht. In diesem Sinn ist für das Versicherungsvertragsrecht anerkannt, daß grobe Fahrlässigkeit gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (Hofmann, Privatversicherungsrecht 105; SZ 56/166). Im Sinne dieses Verständnisses der groben Fahrlässigkeit werden auch in der Rechtsprechung in Deutschland die Gefährlichkeit der Situation (Abstellen eines ungesicherten Fahrzeuges auf unbewachtem Parkplatz durch längere Zeit) und der Wert des Fahrzeuges als Beurteilungskriterien berücksichtigt (vgl. die Fallbeispiele in Stiefel-Hofmann, Kraftfahrversicherung14 RNr.94 zu § 12 AKB, insbesondere S.588).
Der Versicherungsfall kann auch durch Unterlassen herbeigeführt werden. Voraussetzung dafür ist die Tatherrschaft des Versicherungsnehmers. Er muß die Umstände kennen, die den bevorstehenden Versicherungsfall erkennen lassen, seinen Eintritt wahrscheinlich machen und trotzdem Gegenmaßnahmen unterlassen, die möglich, geeignet und ihm zumutbar waren (Stiefel-Hofmann aaO RNr.88).
Es ist allgemein bekannt, daß an bestimmten Orten oder Regionen die Gefahr eines Autodiebstahls erheblich größer ist als an anderen und daß insbesondere fabriksneue oder neuwertige Luxusfahrzeuge bestimmter Marken in besonderem Maße begehrte Diebstahlsobjekte sind. Der PKW der Klägerin gehörte zu dieser Fahrzeugkategorie, er hatte auch erst einen Kilometerstand von rund 4000. Davon ausgehend wäre es bei Abstellen des Fahrzeuges an einem italienischen Urlaubsort durch längere Zeit auf einem unbewachten, frei zugänglichen Parkplatz für jeden nicht ungewöhnlich sorglosen Menschen naheliegend gewesen, Überlegungen zur allfälligen Absicherung des Fahrzeuges anzustellen. Die Durchsicht der Bertiebsanleitung hätte ergeben, daß das Fahrzeug serienmäßig über eine Diebstahlssicherung (Wegfahrsicherung) verfügte, die leicht zu betätigen war und deren Bedienung durch Ausschaltung der Zündung und der Kraftstoffzufuhr die Inbetriebnahme durch Dritte verhindert hätte. Die Klägerin hat sich diese Informationen, obwohl es ihr zumutbar und leicht möglich gewesen wäre, nicht verschafft. Hinzu kommt die der Klägerin bekannte Verwahrung des Reserveschlüssels an einem mittels eines kleinen Schraubenziehers leicht zugänglichen Platz am Fahrzeug. Die sich daraus ergebende Sorglosigkeit der Klägerin ist auffallend und ungewöhnlich im Sinne der oben dargelegten Grundsätze und daher als grob fahrlässig zu qualifizieren.
Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Für die Schriftsätze vom 18.12.1990, 22.1.1991 und 13.2.1991, die im wesentlichen nur die Fristen betreffen, gebührt nur eine Entlohnung nach TP 1. Inwieweit die Kommission vom 14.2.1991 zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war, ist aus dem Akt nicht ersichtlich und wurde auch nicht dargetan (§ 41 ZPO iVm § 54 Abs.1 ZPO).
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