OGH 7Ob13/92

OGH7Ob13/923.7.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Helmut M*****,

2.) Helmut M*****, beide vertreten durch Dr. Walter Rinner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Versicherung*****, vertreten durch Dr. Alfred Thewanger, Dr. Helmut Lenz, Dr. Günther Grassner und Dr. Edgar Mühlböck, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung (Streitwert S 500.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16.Jänner 1992, GZ 6 R 149/91-13, womit infolge Berufung der klagendenParteien das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 22.März 1991, GZ 8 Cg 121/90-7 , teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes im Ausspruch über die Abweisung des Klagebegehrens der erstklagenden Partei wiederhergestellt wird

Die erstklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 23.271,60 bestimmten Prozeßkosten erster Instanz, die mit S 16.690,59 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 31.069,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen der erstklagenden Partei und der beklagten Partei besteht eine Betriebshaftpflichtversicherung, der die EHVB 1978 zugrundeliegen. Nach Abschnitt A Punkt 3. der EHVB ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer, seine gesetzlichen Verrteter oder jene Personen, die er zur Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebes oder eines Teiles desselben angestellt hat, das die Schadenersatzpflicht auslösende Ereignis durch bewußtes Zuwiderhandeln gegen die für seinen Betrieb oder Beruf geltenden Gesetze, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften herbeigeführt hat. Am 20.5.1988 kam es bei einem Bauvorhaben der erstklagenden Partei zu einem Arbeitsunfall, bei dem zwei Personen getötet und mehrere Arbeiter zum Teil schwer verletzt wurden. Die AUVA und Verletzte machen Schadenersatzansprüche geltend. Die klagenden Parteien begehren die Feststellung der Deckungspflicht. Die beklagte Partei macht Leistungsfreiheit nach Abschnitt A Punkt 3. der EHVB geltend.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen wurde das Bauvorhaben V*****-Brücke von der erstklagenden Partei zusammen mit anderen Unternehmen, die eine ARGE gegründet hatten, durchgeführt. Die Unternehmen innerhalb der ARGE arbeiteten eigenverantwortlich, sodaß die erstklagende Partei für die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen bei der Gerüstung selbst verantwortlich war. Aufgrund einer über Verlangen des Arbeitsinspektorates eingeholten Statik war für die Gerüstung ausschließlich gutes Bauholz entsprechend der Ö-Norm B 4100 Teil 2 zu verwenden, wobei die Kanthölzer eine Mindestabmessung von 12 x 12 cm aufweisen mußten. Als Absturzsicherung war unter dem Gerüst ein Sicherheitsnetz vorgesehen. Sowohl dem Zweitkläger als auch dem beim Unfall tödlich verunglückten Partieführer Hermann F***** waren diese Arbeitnehmerschutzmaßnahmen bekannt. Tatsächlich wurde bei der Gerüstung, bedingt duch die großen Flächen, Material verwendet, das dazu gänzlich ungeeignet war und längst ausgeschieden hätte werden müssen. Es wurden Kanthölzer verwendet, die statt 12 x 12 cm Mindestabmessung nur 10 x 10 cm stark waren. Weiters wurde das vorgesehene Sicherheitsnetz unzureichend angebracht. Jedenfalls wurde nicht der gesamte Arbeitsbereich mit einem Sicherheitsnetz abgesichert. Die Arbeiter der erstklagenden Partei arbeiteten bereits seit mehreren Tagen vor dem Unfall ungesichert am Gerüst, da das Netz von vornherein an einer Stelle angebracht war, zu der die Arbeiter erst später kamen. Das Netz hätte stets unter der jeweiligen Position der Arbeiter angebracht werden müssen, was jedoch unterlassen wurde. Dies war zwischen dem Zweitkläger und dem Partieführer so vereinbart. Im übrigen paßte das unzureichend angebrachte Sicherheitsnetz nicht für diese Baustelle, weil es an einer Seite zu kurz war. Der Zweitkläger hielt zudem ein Sicherheitsnetz im Uferbereich (Unfallbereich) nicht für erforderlich. Das Arbeitsinspektorat wies den Zweitkläger ausdrücklich darauf hin, daß der bei der Baustelle montierte Befahrwagen nicht als Ersatz für das Sicherheitsnetz verwendet werden darf. Das Gerüst wurde vom Partieführer Hermann F***** errichtet. Der Zweitkläger war als verantwortlicher Geschäftsführer bei der Gerüstung teilweise anwesend und besichtigte die Baustelle teilweise mehrmals täglich. Sowohl ihm als auch dem Partieführer waren sämtliche, hinsichtlich des Bauvorhabens V***** -Brücke einzuhaltenden behördlichen Vorschriften, nämlich die Verwendung von gutem Kantholz mit 12 x 12 cm Mindestabmessung und die Absturzsicherung der Baustelle mit einem Sicherheitsnetz, bekannt. Der Zweitkläger veranlaßte jedoch weder die Verstärkung des Gerüstes noch die Verwendung des Sicherheitsnetzes durch Umhängen unter die jeweilige Arbeitsposition. Aufgrund dieser Mängel bei der Gerüstung brach am 20.5.1988 ein Kantholz (Mindestabmessung 10 x 10 cm), infolgedessen wegen des fehlenden Sicherheitsnetzes der Kontrollor der Firma I***** und 7 Arbeiter der erstklagenden Partei zu Boden stürzten.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes hat der Geschäftsführer der Versicherungsnehmerin den Versicherungsfall durch bewußtes Zuwiderhandeln iS des Abschnittes A Punkt 3. der EHVB 1978 herbeigeführt. Obwohl dem Geschäftsführer das Erfordernis der Sicherung der Baustelle durch ein Sicherheitsnetz bekannt gewesen sei und er gewußt habe, daß das nicht den gesamten Arbeitsbereich abdeckende Sicherheitsnetz nicht unter die Position der Arbeiter umgehängt worden sei, habe er nicht auf ein Umhängen gedrungen, weil er ein Sicherheitsnetz im Unfallbereich nicht für erforderlich gehalten habe. Desgleichen habe er nicht die Verstärkung des Gerüstes veranlaßt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil im Umfang der Abweisung des Deckungsbegehrens des Zweitklägers, änderte es jedoch hinsichtlich der erstklagenden Partei im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteigt und die ordentliche Revision zulässig ist.

Nach der Ansicht des Berufungsgerichtes kann dem Geschäftsführer der erstklagenden Partei, dem Zweitkläger kein bewußter Verstoß gegen ausdrückliche Sicherheitsvorschriften angelastet werden. Über die Verwendung ungeeigneten Holzes für das Gerüst hätten konkret nur der Polier und die Arbeiter Bescheid gewußt. Dem Zweitkläger habe eine positive Kenntnis, die allein von Belang sei, gefehlt. Fangnetze, die der § 7 der Bauarbeiterschutzverordnung vorschreibe, hätten nur den Zweck, einen Absturz der Arbeiter vom Gerüst hintanzuhalten. Im vorliegenden Fall sei aber das Gerüst selbst eingebrochen. Die beklagte Partei könne sich daher nicht auf Leistungsfreiheit berufen. Das Klagebegehren des Zweitklägers sei aber nicht berechtigt, weil ihm nicht die Stellung eines Mitversicherten zukomme.

Die gegen den stattgebenden Teil der berufungsgerichtlichen Entscheidung gerichtete Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 7 Abs.1 der Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl.1954/267, sind an allen Arbeitsstellen, an denen Absturzgefahr besteht, Einrichtungen anzubringen, die geeignet sind, ein Abstürzen der Dienstnehmer zu verhindern oder ein Weiterfallen hintanzuhalten, wie Arbeitsgerüste, Brustwehren, Schutzgerüste oder Fangnetze. Bei den Bestimmungen der Bauarbeiterschutzverordnung handelt es sich, wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, um Schutzvorschriften im Sinne des Abschnittes A Punkt 3. der EHVB (VersRdSch 1990/227; EvBl.1972/22; 7 Ob 4/87; 7 Ob 47/83 ua). Daß bei der Arbeitsstelle der erstklagenden Partei Absturzgefahr bestand, kann nicht zweifelhaft sein. Andere Sicherungseinrichtungen im Sinne des § 7 Abs.1 Bauarbeiterschutzverordnung waren nicht vorhanden, das Sicherheitsnetz war nicht dort angebracht, wo es die Position der Arbeiter erfordert hätte. Es liegt somit ein Zuwiderhandeln gegen die für den Betrieb der Versicherungsnehmerin geltenden Vorschriften nach Abschnitt A Punkt 3. der EHVB 1987 vor. Ein bewußtes Zuwiderhandeln nach dieser Klausel setzt nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht voraus, daß der Handelnde die Verbotsvorschrift in ihrem Wortlaut oder in ihrem gesamten Umfang kennt. Das Bestehen einer solchen Norm ist nur objektive Voraussetzung der Haftungsbefreiung. Es genügt das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit der Verhaltensweise (VersR 1984, 346; VersR 1961, 526; 7 Ob 8/92). Das Vorliegen eines bewußten Verstoßes des Geschäftsführers der Versicherungsnehmerin kann hier umso weniger fraglich sein, als diesem nach den Feststellungen die Vorschriften über die Sicherung der Baustelle und das Fehlen eines Sicherheitsnetzes gerade im Arbeitsbereich der Dienstnehmer bekannt waren und er dennoch nicht ein Umhängen des (unzureichend dimensionierten) Sicherheitsnetzes unter die jeweilige Arbeitsposition der Dienstnehmer veranlaßte. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die gemäß § 7 Abs.1 der Bauarbeiterschutzverordnung vorgeschriebenen Sicherungseinrichtungen nur bezwecken, einen Absturz eines Arbeiters vom Gerüst zu verhindern, nicht aber den Nachteilen eines Gerüsteinsturzes vorzubeugen, kann in dieser allgemeinen Form nicht geteilt werden. Schon aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt sich, daß die dort erwähnten Einrichtungen auch das Ziel verfolgen, ein Weiterfallen hintanzuhalten, sodaß es grundsätzlich bedeutungslos ist, durch welches Ereignis das Abstürzen eines Dienstnehmers ausgelöst wird. Im vorliegenden Fall stürzte überdies das Gerüst nicht zur Gänze ein. Es brach ein nicht hinreichend starkes Kantholz des Gerüstes, sodaß wegen des fehlenden Sicherheitsnetzes ein Kontrollor und 7 Arbeiter zu Boden stürzten. Das Fehlen des Sicherheitsnetzes war somit mitursächlich für den eingetretenen Schaden. Eine Risikobeschränkung, wie im Falle des Abschnittes A Punkt 3. der EHVB 1987, kommt aber bereits zum Tragen, wenn eine der adäquaten Ursachen des Schadens zu den ausgeschlossenen zählt (Prölss-Martin, VVG24 308 mwN).

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben und es kann unerörtert bleiben, ob es sich bei der vom Arbeitsinspektorat eingeholten Statik (die nicht die erstklagende Partei betraf) um eine Vorschrift im Sinne des Abschnittes A Punkt 3. der EHVB handelte und auch in Ansehung der Dimensionierung der Gerüstteile ein bewußter Verstoß gegen behördliche Vorschriften vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Über den Kostenersatzanspruch der beklagten Partei gegen den Zweitkläger ist rechtskräftig abgesprochen. Es ist daher nur mehr über die Kostenersatzpflicht der erstklagenden Partei zu entscheiden. Von den Prozeßkosten erster Instanz von S 46.543,20 (darin enthalten S 7.757,20 Umsatzsteuer) entfallen S 23.271,60, von den Kosten des Berufungsverfahrens von S 33.381,19 (darin enthalten S 5.563,53 Umsatzsteuer) S 16.690,59 auf die erstklagende Partei. Die Kosten des Revisionsverfahrens (in denen S 12.000 Barauslagen und S 3.178,20 Umsatzsteuer enthalten sind) hat dagegen die erstklagende Partei zur Gänze zu tragen, weil nur mehr ihr Begehren Gegenstand des Revisionsverfahrens war.

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