OGH 15Os78/92-6

OGH15Os78/92-62.7.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.Juli 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Liener als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Erwin R***** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Schöffengericht vom 7.Februar 1992, GZ 29 Vr 277/91-45, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen wird der Akt dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem bekämpften Urteil wurde Erwin R***** der Verbrechen (A/) des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB und (B/) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB sowie der Vergehen (C/) des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB und (D/) der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Emmersdorf

(zu A/) von Anfang 1985 bis zum 29.März 1986 zu wiederholten Malen mit seiner am 30.März 1972 geborenen unmündigen Stieftochter Maria S*****, nunmehr verehelichte H*****, den außerehelichen Beischlaf unternommen;

(zu B/) am 10.Februar 1991 die am 26.Februar 1977 geborene unmündige Sabine R***** dadurch, daß er sich mit entblößtem Glied auf das in einem Bett liegende Mädchen setzte und sein Glied auf den Unterleib des Mädchens drückte, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht;

(zu C/) nachgenannte Minderjährige zur Unzucht mißbraucht, und zwar

I. von Anfang 1985 bis Juni 1990 - somit teilweise auch durch die zu A/ bezeichneten Handlungen - zu wiederholten Malen seine minderjährige Stieftochter, die am 30.März 1972 geborene Maria S*****, nunmehr verehelichte H*****, durch Vornahme des Beischlafes und

II. am 10.Februar 1991 sein minderjähriges Kind, die am 26. Februar 1977 geborene Sabine R*****, durch die unter B/ angeführte Tat;

(zu D/) am 7.Februar 1991 Anna R***** durch Verdrehen des Kopfes und Zu-Boden-Werfen, wodurch sie Prellungen im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft nach dem Inhalt seiner Rechtsmittelschrift nur die Schuldsprüche zu A/ und C/I (hier bloß für die Zeit bis zum 29.März 1986) sowie zu B/ und C/II mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 5 und 5 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Das Schöffengericht begründete die Urteilsfeststellung zu den Fakten A/ und C/I, wonach der Angeklagte mit seiner Stieftochter Maria S***** bereits vor dem 30.März 1986, mithin vor Vollendung ihres 14.Lebensjahres, Geschlechtsverkehr hatte, mit deren Angaben vor der Gendarmerie (S 35 ff) und vor dem beigezogenen Sachverständigen Oberarzt Dr. L***** (S 295), die es jeweils einer eingehenden kritischen Würdigung unterzog (US 7 ff).

Indem der Beschwerdeführer in seiner Mängelrüge (Z 5) die Behauptung aufstellt, die Feststellung einer Tatbegehung auch vor dem 30.März 1986 sei "aufgrund einer einzigen" Niederschrift vor der Gendarmerie getroffen worden, entfernt er sich demnach vom Inhalt des Urteils, das sich eben nicht nur auf diese "einzige" Niederschrift stützte, und bringt somit insoweit einen Begründungsmangel nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung.

Soweit er aber in bezug auf die Zeitangaben der Zeugin H***** vor der Gendarmerie "Nachforschungen" und "Überprüfungen bezüglich der präzisen Schulbesuchsdaten durch Beischaffung der Schülerbeschreibungsbögen" vermißt, macht er abermals keinen Begründungsmangel prozeßordnungsgemäß geltend, sondern behauptet eine Unvollständigkeit der Erhebungen, womit er der Sache nach eine Mängelrüge (Z 4) ausführt, wozu er jedoch mangels eines im Verfahren erster Instanz gestellten, auf Erhebungen dieser Art abzielenden Antrages nicht legitimiert ist.

Mit den von der Gendarmerie erhobenen Krankenhausaufenthalten der Anna R*****, der Ehefrau des Angeklagten (S 17), mußte sich das Schöffengericht entgegen den Beschwerdeausführungen nicht auseinandersetzen, weil weder aus den Angaben der Zeugin H***** vor der Gendarmerie (S 35 ff) noch aus jenen der Zeugin Anna R***** (S 27) - entgegen einer mißverständlichen Bemerkung in der Strafanzeige des Gendarmeriepostenkommandos Melk

(S 17) - abgeleitet werden kann, daß ein Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und seiner Stieftochter ausschließlich während der Krankenhausaufenthalte seiner Frau stattfand; hatte doch die Zeugin H***** angegeben, vor dem 1987 erfolgten Antritt ihrer Lehre etwa 20-mal im Jahr Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten gehabt zu haben und erst danach weniger oft (S 39), und den ersten Sexualkontakt mit dem Angeklagten gehabt zu haben, als Anna R***** gerade zur Post gegangen war (S 295); aus der Aussage der Anna R***** (S 27) hinwieder läßt sich nichts anderes entnehmen, als daß sie während eines Krankenhausaufenthaltes durch eine Bemerkung der sie besuchenden Zeugin H***** zur Überzeugung kam, daß der Angeklagte mit dieser wieder - also erneut auch während dieses Krankenhausaufenthaltes - geschlechtliche Beziehungen gehabt habe.

Die weiteren Ausführungen der Mängelrüge zu den Fakten A/ und C/I, die den Beweiswert der Zeitangaben in der Aussage der Zeugin H***** vor der Gendarmerie bezweifeln, stellen sich als im Rechtsmittelverfahren gegen kollegialgerichtliche Urteile nach wie vor unzulässiger Versuch der Bekämpfung der Beweiswürdigung des Schöffengerichtes nach Art einer Schuldberufung dar und führen somit den angerufenen Nichtigkeitsgrund nicht prozeßordnungsgemäß aus.

Das zuletzt Gesagte gilt auch für die Ausführungen der Mängelrüge zu den Urteilsfakten B/ und C/II, in denen der Beschwerdeführer den Wahrheitsgehalt der Aussage seiner Tochter Sabine R***** vor der Gendarmerie (S 67 ff) in Frage stellt und dem Schöffengericht eine "Mißachtung" des Gutachtens des Sachverständigen Oberarzt Dr. L***** über die Aussagefähigkeit dieser Zeugin vorwirft.

Das Schöffengericht bezog nämlich die Umstände der sich wegen der Persönlichkeit der Sabine R***** schwierig gestaltenden, jedoch durch Pausen und Gespräche über Belanglosigkeiten aufgelockerten Vernehmung vor der Gendarmerie ebenso in seine beweiswürdigenden Überlegungen mit ein (US 13) wie die aus dem Sachverständigengutachten ersichtliche, vornehmlich durch die akute Konfliktsituation bedingte massive psychische Belastung dieser Zeugin (US 21 f), womit es durchaus zureichend seiner formalen Begründungspflicht nachkam.

Inwieweit dem Urteil aber (sonst) eine "unzureichende, unvollständige und widerspruchsvolle Begründung" anhaften soll, vermag der Beschwerdeführer nicht deutlich und bestimmt zu bezeichnen.

Auch die Tatsachenrüge (Z 5 a) versagt.

Das Verhalten der Zeugin Anna R***** und insbesondere deren Versuche, ihre Töchter zu Falschaussagen zu bestimmen, hat das Schöffengericht einer eingehenden Wertung unterzogen (US 13 ff) und es hat die Schuldsprüche in den bekämpften Urteilsfakten eben nicht auf die höchst widerspruchsvollen Aussagen dieser Zeugin gestützt, sondern auf die Aussagen der Zeuginnen Maria H***** und Sabine R***** vor der Gendarmerie. Mit dem Hinweis auf die Verhaltensweise der Anna R***** zeigt der Beschwerdeführer somit keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen auf.

Aber auch der vom Beschwerdeführer behauptete Umstand, daß die Zeuginnen Maria H***** und Sabine R***** vor der Gendarmerie nicht über ein Entschlagungsrecht belehrt worden sein sollen, dort ohne Beiziehung einer Vertrauensperson vernommen wurden und diese Vernehmungen eine "übergebührliche Länge" erreicht hätten - damit wird außer acht gelassen, daß die Aussage der Zeugin Sabine R***** festgestelltermaßen wiederholt durch beruhigende Pausen unterbrochen wurde - lassen Bedenken der in Rede stehenden Art nicht aufkommen, zumal das Schöffengericht die nachfolgenden Widerrufe dieser Aussagen - von denen die Zeuginnen teils in der Hauptverhandlung, teils in der Exploration durch den Sachverständigen wieder abrückten - lebensnah mit dem Bestreben der auf diese Zeuginnen einwirkenden Anna R*****, eine Enthaftung ihres Ehemannes zu erreichen, erklärte.

Welche Ergebnisse des "sonstigen Beweisverfahrens" erhebliche Bedenken gegen die Tatsachenfeststellungen des Schöffengerichtes begründen könnten, unterläßt der Beschwerdeführer deutlich und bestimmt zu bezeichnen; insofern wird daher der angerufene Nichtigkeitsgrund nicht prozeßordnungsgemäß dargestellt.

Nur der Vollständigkeit halber sei beigefügt, daß mit jenen Ausführungen der Mängelrüge (Z 5), mit welchen das Unterbleiben bestimmter Erhebungen (und damit der Sache nach - wenngleich formal unzulässig - eine Nichtigkeit nach Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO) reklamiert wird, in keiner Weise dargetan wird, daß das Gericht in gravierender Weise gegen die Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung verstoßen habe und deshalb auf der Basis der bisherigen Verfahrensergebnisse erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen bestünden (vgl NRsp 1988/236), weshalb mit diesem Vorbringen für den Beschwerdeführer auch unter dem Aspekt der Z 5 a der zitierten Gesetzesstelle nichts zu gewinnen ist.

Aus den angeführten Gründen war daher die Nichtigkeitsbeschwerde schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285 d Abs. 1 Z 1 und 2 StPO iVm § 285 a Z 2 StPO).

Die Entscheidung über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten fällt demnach in die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien (§ 285 i StPO).

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