Spruch:
Das Gesetz ist verletzt
1. durch den Vorgang, daß das Protokoll über die Hauptverhandlung durch einen Vermerk ersetzt und das Urteil in gekürzter Form ausgefertigt worden ist, in den Bestimmungen der §§ 458 Abs. 2 und Abs. 3 iVm § 488 Z 7 StPO;
2. durch den Vorgang, daß die Bekanntmachung des Urteils an den gesetzlichen Vertreter des jugendlichen Beschuldigten unterlassen worden ist, in der Bestimmung des § 38 Abs. 2 JGG.
Dem Landesgericht Linz wird aufgetragen, ein der Vorschrift des § 271 Abs. 1 bis Abs. 3 StPO entsprechendes Protokoll über die Hauptverhandlung herzustellen, das Urteil nach Maßgabe des § 270 Abs. 2 StPO auszufertigen und es dem gesetzlichen Vertreter bekanntzumachen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 11.November 1991, GZ 35 E Vr 1404/91-10, wurde der am 2.Februar 1974 geborene Jugendliche Danilo J***** des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB schuldig erkannt und zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt. Seine im Inland aufhältigen Eltern und gesetzlichen Vertreter Milos J***** und Cvija J***** waren trotz ordnungsgemäßer Benachrichtigung zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Das Protokoll über die Hauptverhandlung wurde durch einen Vermerk ersetzt, das Urteil in gekürzter Form ausgefertigt. Das Gericht lehnte die von der Staatsanwaltschaft beantragte Zustellung einer Urteilsausfertigung an die gesetzlichen Vertreter mit der Begründung ab, daß deren Rechte gemäß § 38 Abs. 5 Z 2 JGG auf den Verteidiger übergegangen seien, dem die Entscheidung auch mit Wirkung für die Eltern des Beschuldigten durch mündliche Verkündung vor Gericht bekanntgemacht worden sei (ON 18).
Rechtliche Beurteilung
Die Ersetzung des Protokolls über die Hauptverhandlung durch einen Vermerk, die Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form und die Unterlassung der Bekanntmachung des Urteils an den gesetzlichen Vertreter stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Der gesetzliche Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten ist nach Maßgabe des § 38 JGG zur Mitwirkung am Strafverfahren berechtigt. Gemäß § 38 Abs. 2 erster Satz JGG sind ihm ua gerichtliche Entscheidungen, mit denen der Jugendliche einer strafbaren Handlung schuldig gesprochen, die Strafe bestimmt, die Haft verhängt oder aufgehoben oder eine bedingte Strafnachsicht oder bedingte Entlassung widerrufen wird, bekanntzumachen. Die Rechte des gesetzlichen Vertreters mit Ausnahme des Rechtes, auf die Ergreifung von Rechtsmitteln gegen ein Urteil zu verzichten, stehen gemäß § 38 Abs. 5 Z 2 JGG in der Hauptverhandlung dem Verteidiger zu, wenn trotz ordnungsgemäßer Benachrichtigung kein gesetzlicher V ertreter erschienen ist.
Dieser Übergang der Rechte des gesetzlichen Vertreters auf den
Verteidiger gilt somit nur für die Dauer der Hauptverhandlung und ist
nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes inhaltlich insofern begrenzt,
als ein (ausdrücklicher oder stillschweigender) Verzicht des
Verteidigers auf das eigenständige Recht des gesetzlichen Vertreters
zur Anfechtung des Urteils (§ 38 Abs. 3 JGG) nach dieser
Substitutionsregelung keinesfalls in Betracht kommt (aM scheinbar
Jesionek-Held JGG 1988 Anm 1 zu § 38 Abs. 5, jedoch mit
mißverständlicher Begründung). Um diese Rechtsmittelbefugnis aber
überhaupt ausüben zu können, ist - unter der einschränkenden
Bedingung des § 38 Abs. 2 JGG, daß nämlich sein Aufenthalt bekannt
und im Inland gelegen ist - eine Bekanntmachung des Urteils an den
gesetzlichen Vertreter erforderlich. Die Bekanntmachung des Urteils
an den Verteidiger durch mündliche Verkündung vor Gericht kann daher
für den gesetzlichen Vertreter die Frist zur Abgabe von
Rechtsmittelerklärungen nicht in Gang setzen. Das Recht des
gesetzlichen Vertreters eines jugendlichen Beschuldigten auf
Bekanntmachung des Strafurteils gemäß § 38 Abs. 2 JGG geht somit
nicht auf den Verteidiger über (vgl SSt 35/24, ÖJZ-LSK 1975/148 =
EvBl 1976/43 = RZ 1975/81, ÖJZ-LSK 1977/350 zur vergleichbaren
Vorgängerbestimmung des § 39 JGG 1961 idF JStRAG BGBl 1974/425;
Bertel, Strafprozeßrecht3 Rz 254).
Im gebenenen Fall konnte dem gesetzlichen Vertreter das Urteil nicht durch mündliche Verkündung vor Gericht bekanntgemacht werden, weil er bei der Hauptverhandlung nicht anwesend war. Es hätte ihm daher gemäß §§ 38 Abs. 2 JGG, 77 Abs. 1 StPO eine Urteilsausfertigung an dessen bekannter Anschrift im Inland zugestellt werden müssen. Mangels einer solchen Bekanntmachung konnte er aber über seine Rechtsmittelbefugnis nicht verfügen, weshalb auch die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ersetzung des Hauptverhandlungsprotokolls durch einen Vermerk und für die Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form nicht gegeben waren, haben doch nicht die (dh sämtliche) Parteien auf alle Rechtsmittel verzichtet oder innerhalb der hiefür offenstehenden Frist kein Rechtsmittel angemeldet (§ 458 Abs. 2 StPO). Demgemäß sind auch die dem Urteil nachfolgenden, zu Unrecht von dessen Rechtskraft ausgehenden Beschlüsse, Anordnungen und Verfügungen, insbesondere die Endverfügung vom 18.Dezember 1991 (ON 12) wirkungslos.
In Stattgebung der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde waren die aufgezeigten Gesetzesverletzungen festzustellen und dem Landesgericht Linz die zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes erforderlichen Verfahrensschritte aufzutragen.
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