OGH 14Os76/92

OGH14Os76/9230.6.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juni 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner, Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Massauer und Dr.Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Liener als Schriftführerin in der Strafsache gegen Arpad P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Geschwornengericht vom 9.März 1992, GZ 12 a Vr 538/91-39, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr.Fabrizy und des Verteidigers Dr.Gahleithner jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen, die die Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlages bejaht haben, beruhenden angefochtenen Urteil wurde Arpad P***** des Verbrechens des Totschlags nach dem § 76 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er sich am 18.Mai 1991 in B***** in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, seinen Vater Dr.Arpad P***** dadurch zu töten, daß er diesen zu Boden stieß, mit beiden Händen seinen Kopf erfaßte und den Kopf mehrmals mit großer Gewalt gegen den Badewannenrand und auf den Boden schlug.

Rechtliche Beurteilung

Den jeweils auf § 345 Abs. 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Die Staatsanwaltschaft rügt die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags und führt aus, daß die Gemütsbewegung des Angeklagten nicht als heftig und keinesfalls als allgemein begreiflich zu beurteilen gewesen wäre. Die nach den Umständen zu erwartende Ablehnung seines Wunsches, der Vater möge ihm und seiner Freundin die Reise nach Florida finanzieren, hätte nicht eine Aufregung herbeiführen können, die imstande war, die sittliche Hemmschwelle, die gegen die Tötung seines Vaters bestand, zu überwinden. Der Entschluß, seinen Vater zu töten und die Ausführung dieses Entschlusses sei jedenfalls nicht allgemein verständlich.

Allgemein begreiflich ist eine heftige Gemütsbewegung, wenn das Verhältnis zwichen dem sie herbeiführenden Anlaß und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, das heißt, wenn ein Mensch von durchschnittlicher Rechtstreue sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsbewegung geraten.

Soweit die Staatsanwaltschaft daher bemängelt, daß die Handlungsweise des Angeklagten keinesfalls allgemein verständlich sei, geht sie von einer falschen Rechtsansicht aus, denn nur die Entstehung der heftigen Gemütsbewegung, also das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlaß und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand, nicht aber auch die Tatreaktion als solche muß allgemein begreiflich sein (Leukauf-Steininger3 RN 11 zu § 76 StGB und die dort angeführte Literatur und Judikatur).

Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandung damit verantwortet, daß er bei der Tat von einem sehr starken Gefühl des "Außer-Sich-Seins" und der Verzweiflung darüber, sich nicht wehren bzw. der Situation nicht entrinnen zu können, getragen gewesen sei (Band I S. 325). Aus den Äußerungen des Angeklagten sowie aus dem objektiven Geschehensablauf gewann auch der psychiatrische Sachverständige Univ.Prof.Dr.Gerhard Kaiser die Überzeugung, daß die Tat sehr wohl auf Grund einer heftigen Gemütsbewegung geschehen sei (Band I S. 395). Zahlreiche Zeugen haben auch übereinstimmend in der Hauptverhandlung über den jahrelang schwelenden schweren und umfassenden Konflikt zwischen Vater und Sohn berichtet (vgl. dazu Leukauf-Steininger3 RN 8 zu § 76 StGB). Da somit in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden (§ 314 Abs. 1 StPO), die nicht nur einen Affektausbruch im Sinn einer heftigen Gemütsbewegung, sondern auch die allgemeine Begreiflichkeit dieser Gemütsbewegung als möglich erscheinen ließen, war die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags durchaus gerechtfertigt (vgl. auch Moos im WK, § 76 Rz 45-47).

Verfehlt ist aber auch die Beschwerde des Angeklagten, mit der er die Unterlassung der Stellung weiterer Fragen an die Geschwornen, die eine für ihn günstigere Beurteilung seines Verhaltens erlaubt hätten, rügt. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers mangelt es am entsprechenden Tatsachenvorbringen für eine Zusatzfrage nach Notwehr. Nach seiner Verantwortung war der - von ihm behauptete - tätliche Angriff seines Vaters längst beendet, als er diesem die tödlichen Verletzungen zufügte: Darnach habe ihn sein - bereits am Boden liegender - Vater nur angeschrien, worauf er ihn lange und sehr stark geschüttelt und geschlagen haben müsse (Band I/S. 322, 326, 338 f). Diese Verantwortung findet im gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachten ihre Deckung, das ein Zupacken direkt am Kopf des Opfers und ein mehrfaches Aufschlagen des Schädels auf dem Fliesenboden mit enormer Wucht für wahrscheinlich hält (Band I/S. 387 f). Daß er einen gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff seines Vaters abwehren wollte, wird vom Angeklagten für den Zeitpunkt seiner Aggressionshandlung gar nicht behauptet. Als Motiv für diese tödliche Beendigung der Auseinandersetzung gab er vielmehr an, er habe seinem Vater wehtun wollen, weil auch er ihm wehgetan habe (Band I/S. 325). Damit erübigte sich aber auch eine Fragestellung sowohl nach Putativnotwehr als auch nach Notwehrüberschreitung.

Der Angeklagte bemängelt ferner, daß die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs.1 und 2, zweiter Fall, StGB unterlassen wurde. Aber auch für eine solche Fragestellung fehlt ein hinreichendes Vorbringen in der Hauptverhandlung. Der Beschwerdeführer hatte sich nämlich nie dahin verantwortet, daß es ihm darauf angekommen sei, seinem Vater eine schwere Verletzung zuzufügen; vielmehr lief seine Verantwortung darauf hinaus, ärgere Verletzungen seines Vaters nur in Kauf genommen (Band I/S. 336), aber nicht gedacht zu haben, daß er ihn so schwer verletzt habe (Band I/S. 327). Demgemäß bekannte er sich in den Hauptverhandlungen vom 21.November 1991 und vom 9.März 1992 inhaltlich nur des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang schuldig. Diesem Tatsachenvorbringen ist der Schwurgerichtshof aber durch Stellung einer Eventualfrage nach § 86 StGB ohnedies nachgekommen.

Die unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten waren daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach dem § 76 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Jahren.

Bei der Strafbemessung wurde als erschwerend die brutale Begehungsart an einem nahen Angehörigen und das Verhalten nach der Tat, als mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel gewertet.

Gegen die Höhe der Strafe richtet sich sowohl die Berufung des Angeklagten als auch die der Staatsanwaltschaft.

Beiden Berufungen kommt keine Berechtigung zu.

Die von der Staatsanwaltschaft ins Treffen geführte brutale Begehungsart der Tat wurde vom Erstgericht ohnehin als erschwerend gewertet.

Der Angeklagte meint, daß das Erstgericht als weiteren Milderungsumstand berücksichtigen hätte müssen, daß er sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tat hat hinreißen lassen. Da jedoch dieser Umstand Voraussetzung für die privilegierte Beurteilung der Tat als Totschlag und nicht als Mord ist und somit die Strafdrohung bestimmt, kann er bei einer Verurteilung nach § 76 StGB nicht als mildernd gewertet werden (§ 32 Abs. 2 1. Satz StGB). Ein reumütiges Geständnis des Angeklagten, de den Tötungsvorsatz stets leugnete, liegt nicht vor. Auch wenn die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten einige von der Norm abweichende Züge aufweist, kann von einem abnormen Geisteszustand, nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr.Gerhard Kaiser, der eine weitgehende Abweichung von der Norm ausschloß (Band I, S. 131, 133), keine Rede sein. Den Milderungsgrund nach § 34 Z 2 StGB, der nur vorliegt, wenn der Täter bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht, hat das Erstgericht bereits angenommen.

Mildernd war auch noch sein, wenn auch nicht sehr ins Gewicht fallender, Beitrag zur Wahrheitsfindung.

Hingegen ist das Verhalten des Angeklagten nach der Tat im vorliegenden Fall nicht erschwerend.

Bei der Schwere der Tat und den Umständen ihrer Begehung überwiegen die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe nicht beträchtlich. Das außerordentliche Milderungsrecht wurde zu Recht nicht angewendet. Das vom Geschwornengericht gefundene Strafmaß entspricht vielmehr der Schuld des Angeklagten und dem Unrechtsgehalt der Tat.

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