OGH 14Os72/92-11 (14Os73/92-11)

OGH14Os72/92-11 (14Os73/92-11)30.6.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.Juni 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Liener als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mustafa B***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Jänner 1992, GZ 3 b Vr 10014/91-35, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig mit dem Urteil gemäß § 494 a StPO gefaßten (Widerrufs-)Beschluß nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Johannes Leon zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und es werden das angefochtene Urteil (ausgenommen der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung) sowie der mit dem Strafausspruch in untrennbarem Zusammenhang stehende Widerrufsbeschluß aufgehoben; gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO wird insoweit in der Sache selbst erkannt:

Mustafa B***** ist schuldig, er hat am 22.September 1991 in Wien im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter dem Helmut R***** mit Gewalt gegen dessen Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, nämlich dadurch, daß er ihn gegen eine Hausmauer drückte und ankündigte, sein Messer zu ziehen, falls er ihm kein Bargeld aushändige, eine Geldbörse samt einem Bargeldbetrag von ca. 500 S mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei die Raubtat ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes begangen wurde und nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat.

Er hat hiedurch das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB begangen und wird hiefür nach § 142 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren verurteilt. Gemäß § 53 Abs. 1 StGB wird die mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 27.August 1991, AZ 26 Bs 359/91, zu den Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18. September 1990, GZ 3 b E Vr 7481/90-22, und vom 19. Dezember 1990, GZ 3 c E Vr 11.445/90-23, ausgesprochene bedingte Entlassung des Mustafa B***** widerrufen.

II. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

III. Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die zu I. getroffene Entscheidung verwiesen.

IV. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mustafa B***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 22.September 1991 in Wien im einvernehmlichen Zusammenwirken mit einem unbekannt gebliebenen Komplizen dem Helmut R***** mit Gewalt gegen seine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben eine Geldbörse samt einem Bargeldbetrag von ca. 500 S mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung abgenötigt, indem er den Genannten gegen eine Hausnische drückte, von ihm Geld forderte und ankündigte, sein Messer herauszuziehen, falls er ihm kein Bargeld aushändige.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklgte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 4, 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der teilweise Berechtigung zukommt.

Unbegründet ist zunächst die Verfahrensrüge (Z 4), mit welcher der Beschwerdeführer eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte aus dem Unterbleiben einer Entscheidung des Schöffengerichtes über seinen in der Hauptverhandlung vom 22.Jänner 1992 gestellten Antrag, den - von der Vorsitzenden danach durch gezielte (Einzel-)Fragen abgehörten - Zeugen Helmut R***** zur Darstellung eines zusammenhängenden Ablaufes der Geschehnisse im Sinn des § 167 StPO zu verhalten (S 168), ebenso abzuleiten sucht wie aus der Ablehnung der in derselben Hauptverhandlung beantragten Vornahme eines Lokalaugenscheines am Gelände des Wiener Südbahnhofes, die dem Zweck dienen sollte, "dort den Jugoslawen" (gemeint: den unbekannten Mittäter) auszuforschen (S 172 iVm S 112).

Denn abgesehen davon, daß der Zeuge R***** in der Hauptverhandlung vom 5.November 1991 ohnehin - prozeßordnungsgemäß - in der vom Angeklagten reklamierten Form vernommen worden ist (S 105 ff) und die Bestimmung des § 167 (iVm § 248) StPO ausdrücklich die ergänzende Befragung von Zeugen (zur Behebung von Dunkelheiten oder Widersprüchen) vorsieht, mangelt es vorliegend auch schon an der Grundvoraussetzung zur (erfolgreichen) Geltendmachung des relevierten Nichtigkeitsgrundes, nämlich der Hintansetzung von Verfahrensgrundsätzen durch ein gegen den Antrag oder Widerspruch des Beschwerdeführers gefälltes Zwischenerkenntnis des Gerichtshofes (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO3 E 4, 6 zu § 281 Z 4). Nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls hat der Verteidiger zwar zunächst eine zusammenhängende Schilderung der Ereignisse durch den Zeugen begehrt (S 168), sich aber in der Folge weder gegen die Art der Befragung durch die Vorsitzende verwahrt noch eine Beschlußfassung durch den Schöffensenat über die Zulässigkeit der von ihm in der Beschwerde mißbilligten Form der Fragestellung beantragt; er hat vielmehr selbst von seinem Fragerecht (§ 249 Abs. 1 StPO) Gebrauch gemacht, ohne daß den bezüglichen Fragen ein Hinweis auf eine Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten durch die vorangegangene Vernehmung entnommen werden könnte. Um aber im gegebenen Zusammenhang die formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 4 StPO zu schaffen, wäre es Sache des Beschwerdeführers gewesen, in der Hauptverhandlung entsprechende Anträge zu stellen und eine darauf bezughabende Beschlußfassung des Schwurgerichtshofes zu erwirken (§ 238 StPO).

Die zur Auffindung des unbekannten Komplizen begehrte Vornahme eines Ortsaugenscheines hinwieder hat das Erstgericht mit Recht als aussichtslosen Beweis beurteilt (S 172 iVm US 16), wozu noch kommt, daß das bezügliche Beweisbegehren der Sache nach auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis, nämlich die Veranlassung von Ermittlungen zur Auffindung des Mittäters, dessen Ausforschung vom Erstgericht ohnehin (erfolglos) versucht worden ist (ON 21) - hinausläuft (Mayerhofer-Rieder aaO E 88, 102, 104). Der behauptete Verfahrensmangel liegt demnach nicht vor.

Aber auch die Mängelrüge (Z 5) ist nicht zielführend.

Entgegen dem eine undeutliche, widersprüchliche bzw. unzureichende Begründung des Urteils reklamierenden Beschwerdevorbringen konnten die Tatrichter die entscheidungswesentlichen Feststellungen hinsichtlich der im einvernehmlichen Zusammenwirken der beiden Täter erfolgten Abnötigung der Geldbörse des Helmut R***** mit Gewalt und durch Drohung gegen dessen Person auf die nach eingehender Analyse gemäß § 258 Abs. 2 StPO) als glaubwürdig beurteilten (im Kern stets gleichbleibenden) Angaben des Tatopfers stützen (US 8 ff). Dabei hat das Schöffengericht die von der Beschwerde ins Treffen geführten Divergenzen in den Bekundungen des Zeugen R***** ohnedies in den Kreis seiner Erwägungen miteinbezogen; die Abweichungen in den Bekundungen des Zeugen zur Frage, ob ihm die Geldbörse von einem der beiden Täter abgenommen wurde oder ob er diese unter dem Eindruck der zum Einsatz gebrachten Tatmittel selbst herausgegeben hat, trifft zudem angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit der beiden - den Gewahrsamsbruch bewirkenden - alternativen Begehungsformen des § 142 Abs. 1 StGB (Wegnahme oder Abnötigen) keinen entscheidungswesentlichen Umstand. In Wahrheit unternimmt der Beschwerdeführer mit dem Vorbringen in der Mängelrüge bloß den Versuch, die Beweiskraft der Aussage des Zeugen Richter in Zweifel zu ziehen und seiner die Raubtat leugnenden Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen; solcherart erschöpft sich das bezügliche Vorbringen aber in einer im schöffengerichtlichen Verfahren - nach wie vor - unzulässigen Bekämpfung der Beweiswürdigung.

Im bisher erörterten Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Begründet ist allerdings die Beschwerde insoweit, als in der Subsumtionsrüge (Z 10) die Beurteilung der Tat als bloß "minderschwerer" Raub im Sinn des Abs. 2 des § 142 StGB reklamiert wird.

Diese privilegierte Form des Raubes setzt voraus, daß die Raubtat ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes begangen wurde, nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und es sich um keinen schweren Raub (§ 143 StGB) handelt. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen (Foregger-Serini4 Anm. V zu § 142; Leukauf-Steininger Komm.3 § 142 RN 27 ff und die dort zitierte Judikatur).

Das Erstgericht hat die Raubtat nur deshalb nicht dem § 142 Abs. 2 StGB unterstellt, weil es die Geringfügigkeit des Wertes der Raubbeute - auch unter Bedachtnahme auf opferbezogene Faktoren (US 6, 20 f) - verneint hat.

Nach den Urteilsfeststellungen des Schöffengerichts wurde dem Raubopfer eine neuwertige Geldbörse (Anschaffungspreis 400 S) samt 600 S Bargeld abgenötigt (US 5), ihm jedoch über sein Andringen sogleich ein Betrag von 100 S aus der Beute wieder zurückgegeben.

Die Beurteilung der Frage der Geringwertigkeit einer Sache ist grundsätzlich nach objektiven Gesichtspunkten, gegebenenfalls unter Berücksichtigung opferbezogener Faktoren vorzunehmen (vgl.

SSt. 46/71 und 15 Os 52/91; Kienapfel BT II2 § 141 RN 13-15 und

Allgem. Vorbem RN 98; Leukauf-Steininger Komm3 aaO RN 31). Nur in

letzterer Hinsicht können demnach (auch) subjektive Kriterien

maßgebend sein. Die Grenze, bis zu welcher im allgemeinen (noch)

von einem geringen Wert einer Sache gesprochen werden kann, ist

(nunmehr) bei (maximal) 1.000 S anzusetzen (vgl. EvBl. 1989/112 =

NRsp 1989/121; EvBl. 1991/33 = NRsp 1990/253 ua).

Unter Zugrundelegung dieses objektiv-individualisierenden Bewertungsmaßstabes ist die gegenständliche, den relevanten Betrag von 1.000 S nicht übersteigende Raubbeute (noch) als Sache geringen Wertes einzustufen. Der Umstand, daß das Raubopfer nach den erstgerichtlichen Feststellungen in relativ bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebte (US 21), steht der Annahme der Privilegierung nach Lage des Falles nicht entgegen. Helmut R***** bezog nach den Urteilsannahmen aus seiner beruflichen Tätigkeit ein Einkommen von immerhin 10.000 S (US 6) und hat seinen eigenen Angaben zufolge vor der Tat mehrere Lokale aufgesucht, um dort zu zechen (S 29). Da sohin Umstände, nach denen das Opfer durch die Tat überdurchschnittlich schwer getroffen worden sein könnte, nicht vorliegen, sprechen auch opferbezogene Faktoren nicht gegen die Anwendung des § 142 Abs. 2 StGB.

Aber auch die übrigen für die Privilegierung vorausgesetzten Umstände sind nach den Urteilsfeststellungen erfüllt: Die gegenständliche Tat wurde ohne Anwendung erheblicher Gewalt begangen, weil die zum (kurzen) Zurückreißen und Gegen-die-Wand-drücken (US 5) des 25-jährigen männlichen Tatopfers notwendige Körperkraft sowohl für sich allein als auch in ihrer Gesamtauswirkung nicht als Einsatz von vehementer physischer Kraft beurteilt werden kann (Leukauf-Steininger aaO § 142 RN 28). Über den Sachentzug hinausgehende Folgen (vgl. hiezu NRsp 1990/214) hat die Raubtat nicht nach sich gezogen. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Umständen, die eine Unterstellung der Raubtat unter eine der Qualifikationen des § 143 StGB indizieren könnten, liegen nicht vor.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Bei der dadurch erforderlich gewordenen Neubemessung der Strafe (nach § 142 Abs. 2 StGB) wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend zwei einschlägige, die Voraussetzungen des § 39 StGB erfüllende Vorstrafen und den raschen Rückfall, als mildernd hingegen die teilweise Schadensgutmachung. Davon ausgehend entspricht - angesichts der Wirkungslosigkeit bisheriger Abstrafungen - die bereits vom Erstgericht (nach § 142 Abs. 1 StGB) verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren der personalen Schuld und dem Unwert der nunmehr vorliegenden (privilegierten) Raubtat.

Die vom Angeklagten in der Berufung (auch) angestrebte bedingte Nachsicht der Strafe kommt nicht in Betracht. Der Rückfall des Angeklagten knapp vier Wochen nach der bedingten Entlassung aus wegen einschlägiger Delinquenz verhängter Freiheitsstrafen läßt die Annahme, eine bedingte Nachsicht (auch nur eines Teiles) der Strafe werde genügen, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, nicht mehr zu.

Außerdem war - wie auch schon vom Erstgericht verfügt - die eben erwähnte bedingte Entlassung zu widerrufen. Denn angesichts des sehr raschen Rückfalls in gleichartige Delinquenz bedarf es des Vollzuges der ausgesprochenen (restlichen) Freiheitsstrafen zusätzlich zu der nunmehr verhängten, um den Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

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