OGH 14Os81/92-6

OGH14Os81/92-623.6.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Juni 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Liener als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz Johann K***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 25. März 1992, GZ 15 Vr 892/91-58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz Johann K***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 15.Mai 1991 in Truttendorf Anita P***** mit gegen sie gerichteter Gewalt, indem er ihr Schläge versetzte und ihr die Kleidung vom Leib riß, zur Duldung des Beischlafes genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 4, 5, 5 a und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Schon der Mängelrüge (Z 5) kommt Berechtigung zu.

Zur Widerlegung der (die zuvor bezeichneten Nötigungsmittel leugnenden) Verantwortung des Angeklagten, er habe mit Anita P***** bereits während des (dem verfahrensgegenständlichen Vorfall unmittelbar vorangegangenen) Zusammenwohnens wiederholt geschlechtlich verkehrt, so sei es auch am 15.Mai 1991 (in dem bezüglichen Waldstück) zu einem Geschlechtsverkehr gekommen, dem sich P***** nicht widersetzt habe, zur Anzeigeerstattung sei es deshalb gekommen, weil er es im Verlauf eines Streites abgelehnt habe, Anita P***** finanziell zu unterstützen bzw. die Genannte endgültig in seine Wohnung aufzunehmen (US 18), stützte sich das Schöffengericht in erster Linie auf die Aussage der genannten Zeugin, der es "in eingeschränktem Maß", nämlich soweit die Gewaltanwendung durch objektive Beweismittel erhärtet wurde, Glauben schenkte.

Mit Recht macht die Beschwerde in diesem Zusammenhang - unter dem Gesichtspunkt einer unvollständigen und offenbar unzureichenden Begründung - geltend, das Erstgericht hätte sich mit den gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin P***** sprechenden Argumenten eingehend auseinandersetzen und zum Ausdruck bringen müssen, warum es den bezüglichen Verfahrensergebnissen nichtsdestoweniger eine für die Beweisführung ausreichende Verläßlichkeit beigemessen hat (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO). Obwohl das Gericht nach § 258 Abs. 2 StPO in der Beweiswürdigung vollkommen freie Hand hat, ist es jedoch verpflichtet, im Urteil - bei sonstiger Nichtigkeit - darzulegen, daß es alle vorgekommenen entscheidenden Beweismittel gewürdigt habe, und zu erörtern, wie es über die seinen Feststellungen entgegenstehenden Beweistatsachen hinweggekommen ist und, wenn es sich für die Glaubwürdigkeit der Aussage eines Zeugen entscheidet, in der Begründung auch zu sagen, warum es die in die entgegengesetzte Richtung weisenden Ergebnisse des Beweisverfahrens für belanglos oder weniger überzeugend hält; wegen Unvollständigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen ist demzufolge ein Urteil dann nichtig (Z 5), wenn das Gericht bei der Feststellung einer entscheidenden Tatsache in der Hauptverhandlung erörterte Tatsachen oder aufgenommene Beweise oder sonst im Beweisverfahren hervorgekommene Umstände mit Stillschweigen übergeht oder ungewürdigt läßt (Mayerhofer-Rieder StPO3 ENr. 57, 58, 60, 61, 62, 65, 66 zu § 281 Z 5).

Vorliegend hat das Schöffengericht zwar zum Ausdruck gebracht, daß es sich bei der Zeugin P***** um eine problematische und labile Persönlichkeit handelt und daß ihre Absicht darauf gerichtet gewesen ist, Männer auszunützen. Dies nahm das Erstgericht zum Anlaß, der Aussage der genannten Zeugin, der Angeklagte habe ihr die Hände am Rücken gefesselt, die Strumpfhose um ihren Hals geschlungen und sie außerdem bedroht, er werde sie erwürgen und das Gesicht "zerschlagen", den Glauben zu versagen (US 14, 15).

Entgegen der Darstellung des Schöffengerichtes, der Aussage der Zeugin P***** nur in jenen Punkten Glauben zu schenken, die durch "objektive Beweismittel erhärtet" würden, worunter es den Verlust der Brille des Tatopfers und den Umstand erblickte, daß die Kleidung der Anita P***** beschädigt war, nahm es als Nötigungsmittel insbesondere (auch) das Versetzen von Schlägen an (US 1, 12), obwohl das Urteil an anderer Stelle davon ausgeht, daß die der Zeugin vom Angeklagten zugefügten Schläge "keine sichtbaren Merkmale" hinterlassen haben (vgl. US 15, 19).

Berechtigt ist die Beschwerde aber auch, wenn sie ins Treffen führt, daß die Urteilsgründe zunächst mehrere Punkte aufzählen, die gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin P***** sprechen könnten, ohne daß diese Umstände einer abschließenden Würdigung unterzogen worden wären. So hat das Schöffengericht, ersichtlich dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. SCRINZI folgend, zum Ausdruck gebracht, daß die zwar minderbegabte, jedoch über ein außerordentlich dienstbares und präzises Gedächtnis verfügende Zeugin P***** bei der Befragung über den verfahrensgegenständlichen Vorfall unsicher wirkte und Widersprüche in ihren Angaben vor der Polizei und dem Gericht mit einem Verdrängen zu erklären versuchte, obwohl nach den Ausführungen des genannten Sachverständigen (Gutachten ON 28 iVm S 303 ff) eine Reihe von Widersprüchen keineswegs auf Verdrängung zurückgeführt werden könnten (US 8). Vollkommen ungewürdigt blieben auch folgende vom Sachverständigen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugin aufgezeigten, in den Urteilsgründen indes ohne entsprechende Würdigung bloß wiedergegebenen Umstände, daß nämlich bei der Zeugin P*****, die in der Hauptverhandlung das gleiche Verhalten an den Tag gelegt habe wie bei ihrer Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. SCRINZI (US 8), die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden könne, daß sie aus einem Streit heraus, der sich mit dem Angeklagten wegen der Beschaffung eines Kleides bzw. der Bezahlung von Schulden entwickelte, "aus Vergeltung dann die Anzeige" erstattet habe, ferner daß der erste Geschlechtsverkehr bei einer Frau selbst dann, wenn er freiwillig erfolgte, zumindest vorübergehend eine aggressive Haltung gegen den Mann auslösen könne, daß also nach dem ersten Geschlechtsverkehr die Partnerin das Gefühl haben könne, sie sei zu dem Akt mehr oder weniger gezwungen worden, wobei es im Sinn einer Verteidigung des eigenen Selbstwertgefühles zu einer derartigen "Umbereitung eines Erlebnisses" kommen könne (US 9), daß die genannte Zeugin erwartet habe, daß ihr der Angeklagte ein neues Kleid kaufen und ihre Schulden regeln werde (US 19), sowie schließlich, daß Anita P***** dem Zeugen Ernst M***** an einem Donnerstag oder Freitag telefonisch mitgeteilt habe, "das ganze zurückziehen" zu wollen, wobei sie in Aussicht stellte, sie gehe erst am Montag zum Richter, der Angeklagte solle noch "ein bisserl braten" (US 17), und daß sie sich bei Gericht (am Amtstag) über die Geltendmachung von Schmerzengeldansprüchen erkundigt habe (US 18 iVm S 181).

Demzufolge wäre das Schöffengericht jedenfalls gehalten gewesen, diese vom Sachverständigen Dr. S***** aufgezeigten Erklärungsvarianten für das Verhalten der Zeugin P***** im einzelnen einer abschließenden Würdigung zu unterziehen, dies umsomehr, als der Sachverständige in der Haupterhandlung abermals auf die zuvor wiedergegebene Problematik betreffend die Person der genannten Zeugin ausdrücklich hingewiesen hat (S 303 f). Solcherart hätte sich das Schöffengericht nicht - wie dies letztlich geschah - mit dem bloßen Hinweis auf die Stützung der in Rede stehenden Zeugenaussage "durch objektive Beweismittel" begnügen dürfen; es wäre vielmehr nach Lage des Falles verpflichtet gewesen, zu den einzelnen, zuvor wiedergegebenen - in den Urteilsgründen letztlich ungewürdigt gebliebenen - Umständen beweiswürdigend Stellung zu nehmen.

Die von der Beschwerde zutreffend gerügte Unvollständigkeit der Urteilsbegründung macht die bekämpfte Entscheidung nichtig nach der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO.

Da sich sohin zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war über die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 e StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen. Auf das übrige Beschwerdevorbringen brauchte demnach nicht mehr eingegangen zu werden.

Mit seiner durch die Urteilsaufhebung gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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