OGH 16Os19/92-9

OGH16Os19/92-912.6.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.Juni 1992 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden, durch die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller, Dr. Kießwetter und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager und Dr. Schindler als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lendl als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Josef L***** wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach dem § 302 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 9.Jänner 1992, GZ 7 Vr 752/89-25, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Jerabek, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Grund zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 5.November 1936 geborene Landesbeamte Dr. Josef L***** wurde des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach mißbrauchte er im Herbst 1989 als Beamter der Bezirkshauptmannschaft ***** mit dem Vorsatz, den Staat an seinem konkreten Recht auf Bestrafung von Verwaltungsübertretungen zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich, daß er es unterließ, der Strafabteilung der genannten Bezirkshauptmannschaft die ungenehmigte Errichtung und Betreibung eines Schmelzofens durch die A***** GesmbH anzuzeigen.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen wurde der als Gewerbereferent der Bezirkshauptmannschaft ***** unter anderem auch für die Bewilligung von Betriebsanlagen verantwortliche Angeklagte Ende Jänner 1989 im Zuge des über Antrag der A***** GesmbH anhängig gemachten Verfahrens zur Genehmigung eines Betriebsstättenausbaues in Ranshofen mit der telegraphisch erhobenen Forderung der "Gemeinschaft der Rauch- und Umweltgeschädigten" auf sofortige Einstellung bereits im Gang befindlicher, behördlich nicht genehmigter Bauarbeiten zur Erweiterung der Umschmelzgießerei des genannten Unternehmens konfrontiert. Mit Schreiben vom 31. Jänner 1989 forderte er die A***** GesmbH zur Stellungnahme auf und verfügte ferner die Übermittlung einer Kopie dieses Telegramms auch an die Strafabteilung der Bezirkshauptmannschaft; ob dieser das Telegramm tatsächlich zugekommen ist, konnte nicht objektiviert werden.

Anläßlich einer in den Räumlichkeiten der A***** GesmbH durchgeführten mündlichen Verhandlung am 28.Februar 1989 erlangte der Angeklagte davon Kenntnis, daß das in Rede stehende Erweiterungsprojekt bereits zu 90 % realisiert und mit seiner Fertigstellung binnen ca vier Wochen zu rechnen war. Im Zuge eines am 21.September 1989 durchgeführten Lokalaugenscheines stellte er fest, daß - wie dies von der erwähnten Interessengemeinschaft zuvor schriftlich behauptet worden war - ungeachtet der noch fehlenden gewerberechtlichen Genehmigung zur Errichtung ein neuer Schmelzofen tatsächlich bereits in Betrieb genommen worden war. In Kenntnis des Umstandes, daß wegen der offenkundigen Tatbestandsverwirklichung nach § 366 Abs. 1 Z 3 GewO noch kein Verwaltungsstrafverfahren anhängig war, unterließ es der Angeklagte nach Überzeugung der Tatrichter wissentlich, seiner ihm kraft Amtes obliegenden Anzeigepflicht nachzukommen, wobei dieser wissentliche Mißbrauch vom zumindest bedingten Vorsatz getragen war, den Staat in seinem konkreten Recht auf Strafverfolgung wegen einer Verwaltungsübertretung zu schädigen.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 5 a und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung des Antrages auf Vernehmung des Strafreferenten der Bezirkshauptmannschaft ***** Dr. Johann G*****, der bestätigen sollte, daß er das in Rede stehende Telegramm der Gemeinschaft der Rauch- und Umweltgeschädigten im Sinne der vom Beschwerdeführer getroffenen Anordnung auch tatsächlich erhalten habe.

Diese Beweisaufnahme konnte jedoch ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten unterbleiben: Zum einen bestritt Dr. G***** vor dem Untersuchungsrichter den Erhalt des Telegramms mit Nachdruck (AS 52), sodaß vom Beschwerdeführer bei Antragstellung darzutun gewesen wäre, inwiefern nunmehr eine konträre Aussage erwartet werden könnte, zum anderen fehlt dem geltend gemachten Beweisthema, wie das Erstgericht im Ergebnis zutreffend erkannte (S 101), von vornherein jegliche Entscheidungsrelevanz. Die in diesem Zusammenhang maßgebliche Urteilsannahme der Kenntnis des Beschwerdeführers davon, daß in der tataktuellen Zeitspanne, sei es auch allenfalls aus Verschulden der Strafabteilung, kein Verwaltungsstrafverfahren gegen einen Verantwortlichen der A***** GesmbH anhängig war, wird hiedurch nämlich nicht berührt.

Die von der Mängelrüge (Z 5) sachlich als unzureichend begründet kritisierte, für sich allein nicht entscheidungswesentliche (im übrigen einer unmißverständlichen Einlassung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung folgend, siehe S 87) Feststellung (US 4), dem Beschwerdeführer sei die mangelnde Eignung des von ihm an die Strafabteilung übermittelten Telegramms, ohne weitere, dessen Inhalt konkretisierende, sachbezogene Unterlagen ein Strafverfahren in Gang zu setzen, "klar" gewesen, ist nämlich im Kontext mit der weiteren (entscheidungswesentlichen) Urteilsannahme zu verstehen, daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Lokalaugenscheines am 21. September 1989 wußte, daß ein den genehmigungslosen Betrieb des fraglichen Schmelzofens betreffendes Strafverfahren nicht anhängig war (US 7) und dessen ungeachtet untätig blieb, wobei er die Vereitelung des staatlichen Strafverfolgungsanspruches zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand.

Soweit der Beschwerdeführer dieser Feststellung seine mehrfach wiederholte Verantwortung entgegenhält, die Erstattung einer Anzeige nur infolge extremer Arbeitsüberlastung unterlassen bzw in der Annahme, ein Strafverfahren sei bereits anhängig, für entbehrlich gehalten zu haben, bekämpft er lediglich die formell einwandfrei begründete Beweiswürdigung der Tatrichter, die diesen Angaben ausdrücklich den Glauben versagten (US 8 ff, insbes. US 10) und sich dabei nicht nur auf das Eingeständnis des Beschwerdeführers, zum fraglichen Zeitpunkt von der "Bearbeitung des Falles nichts gewußt" (S 89) und auf die verfügte Weiterleitung des Telegramms bereits "vergessen" zu haben (S 95), sondern vor allem auch auf ein an den Landeshauptmann Dr. R***** gerichtetes Schreiben des Angeklagten vom 4.Dezember 1989 stützen konnten, in dem er die Abstandnahme von der Einleitung eines Strafverfahrens allein mit der "nicht zur Gänze der A***** anlastbaren Verzögerung des (gewerberechtlichen) Verfahrens" rechtfertigte (S 231 f des Aktes AZ 5296 der Bezirkshauptmannschaft *****). Der in diesem Zusammenhang erhobene, nur ein Detail der beweiswürdigenden Erwägungen betreffende Einwand, der Aussage des Beschwerdeführers ließe sich in ihrer Gesamtheit ungeachtet der Verwendung des Wortes "vergessen" nur entnehmen, daß er bei der Verfassung des Schreibens an die seinerzeitige Weiterleitung des Telegramms "nicht gedacht habe", bedarf schon angesichts des identen Bedeutungsinhaltes dieser Worte keiner weiteren Erörterung.

Dem weiteren Vorbringen zur Mängelrüge zuwider ist es für die Lösung der Schuld- und Rechtsfrage auch ohne Belang, ob der Beschwerdeführer die eingangs erwähnte mündliche Verhandlung am 28. Februar 1989 leitete und den Lokalaugenschein am 21. September 1989 "selbst ansetzte und dazu auch einige maßgebliche Sachverständige mitnahm", oder (US 5) lediglich jeweils daran teilnahm; diese urteilsfremden Spezifizierungen korrespondieren im übrigen mit der dem Schuldspruch ohnedies zugrunde gelegten Annahme, daß der Beschwerdeführer vom genehmigungslosen Betrieb des in Rede stehenden Schmelzofens in seiner amtlichen Funktion als zuständiger Gewerbereferent Kenntnis erlangte.

Mit der Tatsachenrüge (Z 5 a) wendet sich der Angeklagte im wesentlichen, insoweit unter Wiederholung der Argumentation der Mängelrüge, gegen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite im Zusammenhang mit der vom Erstgericht angenommenen mangelnden Eignung des erwähnten Telegramms, ohne entsprechende Konkretisierung ein Strafverfahren in Gang zu setzen. Damit werden aber keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit dieser dem Ausspruch über die Schuld unter anderem zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen erweckt, vielmehr wird nur der im schöffengerichtlichen Verfahren nach wie vor unzulässige Versuch unternommen, den zur Überzeugung der Tatrichter führenden kritisch-psychologischen Vorgang nach Art einer Schuldberufung zu bekämpfen. Ins Leere geht dabei insbesondere auch der (im Zuge der Beschwerdeausführung mehrfach wiederholte) Hinweis auf die kraft Gesetzes normierte Verpflichtung der bei der Bezirkshauptmannschaft ***** eingerichteten Strafabteilung, ein einmal eingeleitetes Strafverfahren von Amts wegen fortzusetzen und für die gebotene Konkretisierung des Sachverhaltes zu sorgen. Vorliegend fehlt es nämlich an der Prämisse eines bereits anhängigen Strafverfahrens, welcher Umstand dem Beschwerdeführer nach (bei der gegebenen Fallgestaltung unbedenklicher) Überzeugung der Tatrichter auch bekannt war.

In der Rechtsrüge (Z 9 lit a) wirft der Beschwerdeführer dem Erstgericht vor, "willkürlich Schriftstücke aus dem Verwaltungsakt herausgepickt und zu Feststellungen zusammengeformt", dabei allerdings aus "irriger Rechtsansicht" zahlreiche für die Beurteilung des Anklagevorwurfes maßgebliche Feststellungen verabsäumt zu haben, die in der Beschwerde weitwendig aufgelistet werden und sich als im wesentlichen lückenlose Wiedergabe der Amtshandlungen des Beschwerdeführers im Zuge des in Rede stehenden gewerberechtlichen Bewilligungsverfahrens bis zu dem am 21. September 1989 durchgeführten Lokalaugenschein erweisen. Dieses Vorbringen verkennt, daß dem Angeklagten nicht etwa die amtsmißbräuchliche Führung dieses Verfahrens an sich, sondern vielmehr allein die Unterlassung angelastet wird, den im Zusammenhang damit erkannten Verdacht eines strafbaren Verstoßes gegen die Gewerbeordnung der zu dessen Ahndung zuständigen Strafabteilung zur Kenntnis zu bringen.

Soweit die Beschwerde ferner die Feststellung vermißt, daß die Weiterleitung des erörterten Telegramms der Gemeinschaft der Rauch- und Umweltgeschädigten nicht nur von ihm verfügt, sondern dieser Weisung angesichts eines im Gewerbeakt ersichtlich gemachten Vermerkes auch augenscheinlich entsprochen wurde, übersieht sie die unmißverständliche tatrichterliche Konstatierung, daß ein Strafverfahren im konkreten Fall jedenfalls nicht eingeleitet wurde und der Angeklagte tatzeitbezogen davon Kenntnis hatte (US 7). Die mangelnde Relevanz der vermißten Feststellung liegt somit klar auf der Hand.

In gleicher Weise konnte das Erstgericht auch die vom Beschwerdeführer (nicht nur aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a, sondern undifferenziert auch aus jenen der Z 5 und 5 a des § 281 Abs. 1 StPO) aufgeworfene Frage offen lassen, seit wann der während des Lokalaugenscheins vom 21.September 1989 objektivierte genehmigungslose Betrieb bereits andauerte, weil dieser Umstand für den tataktuellen Vorwurf des Verschweigens der festgestellten Deliktsverwirklichung irrelevant ist.

Wenn der Beschwerdeführer in der Rechtsrüge neuerlich die bereits zu Beginn des gewerberechtlichen Bewilligungsverfahrens verfügte Telegrammübermittlung an die Strafabteilung ins Treffen führt und daraus unter dem Aspekt der von ihm erwarteten amtswegigen Fortsetzung des Verwaltungsstrafverfahrens den Schluß zieht, daß die Unterlassung der neuerlichen "nur behördenintern wirksamen" Information keinen Amtsmißbrauch darstellte, entfernt er sich vom Urteilssachverhalt, demzufolge ihm die Tatsache der Nichtanhängigkeit eines Strafverfahrens zum inkriminierten Zeitpunkt unzweifelhaft bekannt war. Unter Zugrundelegung dieser Prämisse steht die Verpflichtung des Beschwerdeführers, die Strafabteilung unverzüglich von dem beim Lokalaugenschein festgestellten Sachverhalt in Kenntnis zu setzen, aber außer Frage, war er doch als zuständiger Gewerbereferent Garant für die Einhaltung der Gewerbeordnung, die in Ansehung der Ahndung der dort normierten Verwaltungsübertretungen keinerlei Ermessensspielraum offen läßt. Da die - nach Lage des Falles (insbesondere auch im Hinblick auf die letztlich eingetretene Verjährung) - einer Rechtsverletzung durch aktives Tun gleichzusetzende Unterlassung (Mayerhofer-Rieder3, E 34 zu § 2 StGB) nach den Urteilsannahmen auf einem wissentlichen Befugnismißbrauch des mit Schädigungsvorsatz untätig gebliebenen Beschwerdeführers beruhte, erweist sich der Schuldspruch nach § 302 Abs. 1 StGB in rechtlicher Hinsicht als unbedenklich. Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten gemäß § 302 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 37 Abs. 1 StGB eine gemäß § 43 Abs. 1 StGB bedingt nachgesehene Geldstrafe von 100 Tagessätzen a 400 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen.

Dabei wertete es als erschwerend keinen Umstand, als mildernd hingegen die Unbescholtenheit des Angeklagten und sein Wohlverhalten durch mindestens zwei Jahre.

Mit ihrer gegen diesen Strafausspruch gerichteten Berufung strebt die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung der Strafe im wesentlichen mit der Begründung an, das Erstgericht habe von der Bestimmung des § 41 Abs. 1 StGB keinen Gebrauch gemacht, weshalb eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu verhängen gewesen wäre. Bei Ausmessung der Strafe mit lediglich 100 Tagessätzen sei weder dem Schuldgehalt der Tat noch Erfordernissen der Generalprävention Rechnung getragen worden.

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat, den Besonderheiten des Falles Rechnung tragend, die Strafzumessungsgründe im wesentlichen zutreffend angeführt und auch richtig gewertet.

Das Ausmaß der (zutreffend ohne Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 Abs. 1 StGB - vgl LSK 1977/157; NRsp 1991/252 = JusE 1991/745) in Anwendung des § 37 Abs. 1 StGB ausgesprochenen Geldstrafe erweist sich als tat- und tätergerecht.

Im Hinblick auf die schon dem Schuldspruch beizumessende "Signalwirkung" des Urteils treten spezial- aber auch generalpräventive Aspekte der verhängten Geldstrafe, deren gemäß § 43 Abs. 1 StGB bedingte Nachsicht von der Staatsanwaltschaft (ebenso wie die Höhe des Tagessatzes) nicht bekämpft wurde, in den Hintergrund, sodaß der Strafausspruch der beantragten Korrektur nicht bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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