OGH 3Ob506/92

OGH3Ob506/9210.6.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Redl und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller

1. Hermine G*****, und 2. Franz G*****, wegen einvernehmlicher Scheidung der Ehe, infolge Revisionsrekurses der Antragsteller gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Rekursgerichtes vom 17.Jänner 1992, GZ 1 R 387/91-9, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hartberg vom 11.September 1991, GZ Sch 22/91-6, bestätigt wurde, den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Antragsteller begehrten gemeinsam die Scheidung ihrer Ehe, der drei Kinder entstammen. In der über ihren Antrag anberaumten Verhandlung schlossen sie für den Fall der Scheidung ihrer Ehe eine Vereinbarung im Sinn des § 55a Abs 2 EheG, in der unter anderem festgelegt wird, daß die Eltern "die elterlichen Rechte und Pflichten, d.h., die Obsorge für die ehelichen Kinder" auch nach der Scheidung gemeinsam ausüben. Im Anschluß daran wird einvernehmlich festgehalten, daß der Vater mit zwei der Kinder in der Ehewohnung verbleibt und daß die Mutter ihren Wohnsitz schon in einer anderen Ortschaft genommen hat und dort mit dem dritten Kind verbleiben wird.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Scheidung der Ehe ab. Die Ehe könne nicht geschieden werden, wenn die gemäß § 55a Abs 2 EheG hinsichtlich der gemeinsamen Kinder getroffene Vereinbarung dem Wohl der Kinder widerspreche und deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gerichtlich genehmigt werde. Dies sei hier aber der Fall, weil die Eltern infolge der zwischen ihren Wohnorten bestehenden Entfernung von etwa 40 km die Pflege und Erziehung der Kinder nicht gemeinsam besorgen und sich auch bei der Vertretung und der Verwaltung des Vermögens der Kinder in Meinungsverschiedenheit verwickeln könnten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Vereinbarung, daß beiden Eltern die Obsorge für die Kinder zukommen solle, widerspreche dem § 177 Abs 2 ABGB. Eine offenkundig gesetzwidrige Regelung könne aber bei teleologischer Auslegung des § 55a Abs 2 EheG nicht zum Gegenstand der eine wesentliche Voraussetzung für die Scheidung bildenden Vereinbarung gemacht werden. Durch eine gesetzeskonforme Vereinbarung solle nach der Absicht des Gesetzgebers das Entstehen von Streitigkeiten nach einer einvernehmlicher Scheidung vermieden werden; gerade Streitigkeiten wären aber bei vorhersehbarer Versagung der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung die Folge.

Der von den Antragstellern gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 55a Abs 2 EheG darf die Ehe nur geschieden werden, wenn die Ehegatten eine schriftliche Vereinbarung unter anderem über die Zuteilung der aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten für den Fall der Scheidung dem Gericht unterbreiten oder vor Gericht schließen. Hinsichtlich des Rechtes auf persönlichen Verkehr mit gemeinsamen Kindern können die Ehegatten vereinbaren, daß sie sich die Regelung vorbehalten. Daß die für eine solche Vereinbarung allenfalls erforderliche gerichtliche Genehmigung noch nicht vorliegt, ist gemäß dem nachfolgenden Abs 3 zweiten Satz für den Ausspruch der Scheidung nicht zu beachten.

Der erkennende Senat ist wie schon die Vorinstanzen der Auffassung, daß die Ehe auch dann nicht geschieden werden darf, wenn die dem Gericht unterbreitete oder vor Gericht geschlossene Vereinbarung zwar den nach § 55a Abs 2 EheG erforderlichen Inhalt hat, aber nicht zu erwarten ist, daß die darin hinsichtlich der gemeinsamen minderjährigen Kinder enthaltenen Bestimmungen gerichtlich genehmigt werden. Der Wortlaut des § 55a Abs 3 zweiter Satz ABGB steht damit nicht in unlösbarem Widerspruch, weil die Anordnung, daß die allenfalls erforderliche gerichtliche Genehmigung noch nicht vorliegen müsse, nichts darüber aussagt, wie vorzugehen ist, wenn mit der gerichtlichen Genehmigung nicht gerechnet werden kann. Hiezu ist dem Bericht des Justizausschusses zu Art II Z 3 EheRÄndG, mit dem § 55a EheG geschaffen wurde, zu entnehmen (916 BlgNR 14.GP 8 f), daß der im Zusammenhang mit der Einführung der einvernehmlichen Ehescheidung vorgesehenen Verpflichtung der Ehegatten zur vergleichsweisen Regelung bestimmter Scheidungsfolgen die Erwägungen zugrundelag, damit nach der Scheidung zwischen den Ehegatten langwierige und aufwendige Verfahren über die Scheidungsfolgen zu vermeiden. Zu der Regelung, daß der Ausspruch der Scheidung das Vorliegen der allenfalls erforderlichen gerichtlichen Genehmigung nicht voraussetze, wird ausgeführt, daß das Pflegschaftsgericht erfahrungsgemäß solche Vereinbarungen genehmige, weil eine vom übereinstimmenden Willen beider Eltern getragene Regelung im allgemeinen auch dem Wohl des Kindes entspreche, und daß deshalb die mit der Einholung der Genehmigung verbundene Verfahrensverzögerung in keinem Verhältnis zu dem Nutzen einer solchen Regelung stünde.

Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich daher, daß auch der Gesetzgeber davon ausging, die gerichtliche Genehmigung werde im allgemeinen erteilt werden, und daß er es im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens nur in Kauf nahm, daß ausnahmsweise die Genehmigung versagt wird. Es kann aber durchaus davon ausgegangen werden, daß er den Ausspruch der Scheidung für jene Fälle nicht als zulässig ansah, in denen mit der Versagung der Genehmigung zu rechnen ist. In einem solchen Fall steht nämlich schon fest, daß der Zweck, der mit der im Gesetz festgelegten Verpflichtung der Ehegatten zur vergleichsweisen Regelung bestimmter Scheidungsfolgen erreicht werden soll, nämlich die Vermeidung von Verfahren über die Scheidungsfolgen, nicht erreicht werden kann. Sowohl die teleologische als auch die historische Auslegung des § 55a Abs 2 und 3 EheG führen daher zu dem Ergebnis, daß die Ehe dann nicht geschieden werden darf, wenn zu erwarten ist, daß die Vereinbarung, welche die Ehegatten hinsichtlich der gemeinsamen minderjährigen Kinder dem Gericht unterbreiten oder vor Gericht schließen, gerichtlich nicht genehmigt werden wird (ebenso Pichler in ÖA 1991, 56 und offensichtlich auch Verschraegen, Die einverständliche Scheidung in rechtsvergleichender Sicht, insb 533 und 537).

Von dieser Ansicht ging der Oberste Gerichtshof offensichtlich schon in seiner Entscheidung ÖA 1991, 54 = EvBl 1991/99 = JBl 1992, 75 aus. Er war darin allerdings für einen mit dem hier zu beurteilenden vergleichbaren Sachverhalt der Meinung, es könne nicht von vornherein gesagt werden, daß die - zwar nicht den Buchstaben des § 177 Abs 1 ABGB, jedoch dessen Intentionen, nämlich der Förderung des Kindeswohls, gerecht

werdende - Vereinbarung der im Sinn des § 55a EheG scheidungswilligen Ehegatten über die gemeinsame Ausübung der Obsorge pflegschaftsgerichtlich nicht genehmigt werden könne, ziehe man etwa nur den durch § 177 Abs 3 ABGB neu geregelten Fall zum Vergleich heran, daß geschiedene Eltern noch weiterhin mit ihren Kindern in häuslicher Gemeinschaft leben und solcherart die gemeinsame Ausübung der Obsorge in einem wegen der örtlichen Nähe des Wohnsitzes beider Elternteile vergleichbaren Fall möglich sei.

Diese Entscheidung wurde von Pichler (ÖA 1991, 55 f) abgelehnt. In der Zwischenzeit hat der Oberste Gerichtshof ebenfalls schon entschieden (27.8.1991, 5 Ob 536/91 = JUS-EXTRA 1991/888), daß die Obsorge für die gemeinsamen Kinder beiden geschiedenen Elternteilen gemeinsam nur für den Fall des Bestehens einer dauernden häuslichen Gemeinschaft zugeteilt werden dürfe. Eine Auslegung des § 177 Abs 3 ABGB dahin, daß auch im Fall des Nichtbestehens einer dauernden häuslichen Gemeinschaft zwischen den geschiedenen Ehegatten die Zuteilung der Obsorge an beide Elternteile gemeinsam erfolgen könnte, verbiete sich aus dem Gesetzeswortlaut selbst und sei auch generell vom Wohl der Kinder her gesehen nicht erforderlich. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung ebenso wie zu der mit ausführlicher Begründung ergangenen Entscheidung 3 Ob 514/92 an. Sie bedeutet für den hier zu entscheidenden Fall, daß davon auszugehen ist, die vor dem Erstgericht geschlossene Vereinbarung über die Zuteilung der Obsorge an beide Eltern, die nicht in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben, werde gerichtlich nicht genehmigt werden. Die Vorinstanzen haben den Antrag auf Scheidung der Ehe daher zutreffend abgewiesen.

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