OGH 10ObS71/92

OGH10ObS71/9226.5.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Karl Heinz Kux aus dem Kreis der Arbeitgeber und Franz Eckner aus dem Kreis der Arbeitnehmer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Irene Sch*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Gewährung einer Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17.Oktober 1991, GZ 12 Rs 102/91-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23.Juli 1991, GZ 13 Cgs 94/91-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde in der Zeit vom 1. bis 11.2.1991 von einem Vertragsarzt der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse wegen einer Grippe behandelt, wobei vereinbart wurde, daß sie den Krankenschein nach Abschluß der Behandlung vorlegt. Am 18.2.1991 kam sie zu Sturz und erlitt dabei einen Knöchelbruch, als sie an ihrer Arbeitsstätte während einer Arbeitspause zu der vom Arbeitgeber hiefür bestimmten Stelle ging, um einen Krankenschein zu beheben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin aus Anlaß des Unfalls vom 18.2.1991 eine Versehrtenrente von 20 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Der Unfall sei nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung gestanden, weil die Behebung des Krankenscheins ausschließlich privaten Zwecken gedient habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Da Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzuordnen seien, könne auch der Weg zur Behebung eines Krankenscheins nicht geschützt sein. Die Behebung eines Krankenscheins falle überdies in den Bereich der Erledigung von Vermögensangelegenheiten, weil sie nur dazu diene zu vermeiden, daß der Versicherte die Kosten der Heilbehandlung selbst tragen müsse. Auf dem Weg zur Behebung des Krankenscheins habe auch kein durch die Erwerbstätigkeit bedingtes erhöhtes Risiko bestanden, weshalb ein Arbeitsunfall nicht deshalb vorliege, weil die Klägerin Opfer einer in der betrieblichen Risikosphäre ihren Ausgangspunkt nehmenden Kausalkette geworden sei.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind und nicht schon deshalb bei ihrer Durchführung Versicherungsschutz anzuerkennen ist, weil sie zugleich der Erhaltung und der Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit auch den Interessen des Unternehmens dienen (SSV-NF 2/113). Aus diesem Grund versagt auch das von der Klägerin in der Berufung noch vorgetragene, in der Revision allerdings ohnedies nicht wiederholte Argument, die Behebung des Krankenscheins sei auch im Interesse des Arbeitgebers gelegen gewesen, die Ausbreitung der Grippe hintanzuhalten. Da der Krankenschein nur dazu dient, um die Krankenbehandlung durch einen Vertragsarzt oder eine eigene Einrichtung (Vertragseinrichtung) des Versicherungsträgers in Anspruch nehmen zu können (vgl § 135 Abs 3 ASVG), und die Krankenbehandlung selbst nicht wesentlich betrieblichen Interessen dient, kann auch das Besorgen des Krankenscheins nicht wesentlich solchen Interessen dienen und daher im ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung stehen (vgl zum Erfordernis der wesentlichen Bedeutung für die betrieblichen Interessen SSV-NF 3/150, 4/167, 5/10 ua). Durch die - im privaten Interesse gelegene - Aufnahme des Weges zum Besorgen des Krankenscheines wurde dieser Zusammenhang vielmehr unterbrochen (vgl SSV-NF 4/65), weshalb der Versicherungsschutz für diesen Weg unabhängig von der betrieblichen Tätigkeit zu beurteilen ist. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn die Behandlungsbedürftigkeit auf die die Versicherung begründende Beschäftigung zurückgeht (aM allerdings anscheinend SSV-NF 2/113) oder die Behandlung die unmittelbar anschließende Fortsetzung dieser Beschäftigung ermöglichen soll, ist hier nicht zu prüfen, weil dieser Fall nicht vorliegt.

Das Besorgen eines Krankenscheins kann auch nicht dem Abholen des dem Versicherten gebührenden Entgelts gleichgestellt werden, weil es sich dabei um den Austausch der Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis handelt. Da es also um die Erfüllung der dem Arbeitgeber obliegenden Zahlungspflicht geht, dient der Empfang des Entgelts wesentlichen Interessen des Betriebes (ähnlich Brackmann, Handbuch des Sozialversicherungsrechts II 483 e). Aus diesem Grund ist nichts daraus zu gewinnen, daß der Gesetzgeber in dem durch die

32. ASVGNov BGBl 1976/704 geschaffenen § 175 Abs 2 Z 8 ASVG auch den mit der unbaren Überweisung des Entgelts zusammenhängenden Weg unter Versicherungsschutz gestellt hat.

Ohne Bedeutung ist ferner, daß der Dienstgeber gemäß § 361 Abs 3 ASVG zur Ausstellung von Krankenscheinen für die bei ihm beschäftigten Versicherten und für Angehörige dieser Versicherten verpflichtet ist. Dabei handelt es sich nicht um eine Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis, weshalb sie mit der Pflicht zur Bezahlung des Entgelts nicht verglichen werden kann. Der Dienstgeber handelt vielmehr als Vertreter des Krankenversicherungsträgers, der dem Versicherten die ärztliche Hilfe zu gewähren und die für die Inanspruchnahme der ärztlichen Hilfe gemäß § 135 Abs 3 ASVG erforderliche Urkunde zur Verfügung zu stellen hat. Die Grundlage für die Ausstellung des Krankenscheins durch den Dienstgeber bildet daher das zwischen dem Versicherungsträger und dem Versicherten bestehende Versicherungsverhältnis und nicht das zwischen dem Dienstgeber und dem Versicherten bestehende Arbeitsverhältnis, weshalb die Pflicht des Dienstgeber zur Ausstellung des Krankenscheins nicht bewirkt, daß das Besorgen des Krankenscheins in ursächlichem Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung steht. Dies wäre aber gemäß § 175 Abs 1 ASVG Voraussetzung dafür, daß ein Unfall, der sich im Zusammenhang mit dem Besorgen des Krankenscheines beim Dienstgeber ereignet, als Arbeitsunfall angesehen werden könnte.

In der Bundesrepublik Deutschland hat das Bundessozialgericht mit dem Urteil vom 30.3.1962 BSGE 17, 11 ausgesprochen, daß das Besorgen eines Krankenscheines unfallsversicherungsrechtlich in der Regel dem dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Besorgen einer Lohnsteuerkarte vergleichbar sei. Er hat dies "jedenfalls" auch für den Fall bejaht, daß der Krankenschein im Büro des Hauptbetriebes abgeholt wurde und der Beschäftigte zur Empfangnahme des Krankenscheines seine in einem Nebenbetrieb gelegene Arbeitsstätte verlassen mußte und außerhalb derselben verunglückte. Der erkennende Senat vermag aber im Zusammenhang mit dem Besorgen eines Krankenscheins keinen Grund zu finden, der dafür spricht, daß ein Unfall, der sich auf dem Weg zwischen zwei Betriebsstätten des Arbeitgebers des Versicherten ereignet, anders als ein Unfall zu behandeln ist, zu dem es auf einem innerhalb einer Betriebsstätte zurückgelegten Weg kommt. Das Bundessozialgericht hat sein Urteil allerdings auch damit begründet, daß das Versicherungsverhältnis in der Krankenversicherung eine bloße Folge des Beschäftigungsverhältnisses gewesen sei; es habe den Inhalt nicht berührt, vor allem habe keine Verpflichtung des Arbeitgebers bestanden, an der Besorgung des Krankenscheines mitzuwirken, vielmehr habe diesen der Versicherte zu lösen (§ 187b RVO). Diese - in der Folge durch das Lohnfortzahlungsgesetz dBGBl 1969 I 946 aufgehobene (vgl nunmehr § 15 Abs 2 SGB V ) - Bestimmung sah vor, daß der Versicherte für die Krankenhilfe einen Krankenschein zu lösen hat; sie entsprach daher § 135 Abs 3 ASVG. In der RVO war allerdings keine dem § 361 Abs 3 ASVG entsprechende Bestimmung über die Verpflichtung des Dienstgebers zur Ausstellung des Krankenscheines enthalten. Wie schon erwähnt wurde, ist der erkennende Senat aber der Meinung, daß auch diese Bestimmung den Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses nicht berührt, weil sie nur Ausfluß des zwischen dem Versicherten und dem Krankenversicherungsträger bestehenden öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnisses und nicht des Beschäftigungsverhältnisses ist.

Die angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichtes wurde im Schrifttum der Bundesrepublik Deutschland - soweit dies überblickt werden kann, einhellig - gebilligt, wobei zum Teil noch andere Entscheidungen des Bundessozialgerichtes oder anderer Gerichte ins Treffen geführt und die vom Bundessozialgericht noch gemachten Vorbehalte nicht übernommen, sondern allgemein das Besorgen eines Krankenscheines jedenfalls dann, wenn die Behandlungsbedürftigkeit des Erkrankten nicht auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist, nicht als dem Schutz der Unfallversicherung unterliegend angesehen wurde (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II 484oI und 485f, dort allerdings mit der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in Zusammenhang gebracht; Gitter in Bley ua, SGB/Sozialversicherung-Gesamtkommentar § 548 RVO 65.TL 26/11; Etmer-Schulz, RVO I § 548 35.ErgLfg 44; Podzun, Der Unfallssachbearbeiter3 Kennzahl 111, 3; Lauterbach-Watermann, Unfallversicherung3 Rz 54 zu § 548). Der erkennende Senat ist daher der Meinung, daß die von ihm vertretene Rechtsansicht auch durch die Rechtsprechung und das Schrifttum der Bundesrepublik Deutschland gestützt wird.

Gemäß § 175 Abs 2 Z 2 ASVG idF der 50.ASVGNov BGBl 1991/676 sind allerdings Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem Weg von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte oder der Wohnung zu einer Untersuchungs- oder Behandlungsstelle (wie freiberuflich tätiger Arzt, Ambulatorium, Krankenanstalt) zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe und anschließend auf dem Weg zurück zur Arbeits(Ausbildungs)stätte oder zur Wohnung ereignen, sofern dem Dienstgeber die Stätte der Untersuchung bzw Behandlung bekannt gegeben wurde. Zu prüfen ist, ob dieser Tatbestand auf den zum Besorgen eines Krankenscheins zurückgelegten Weg analog anzuwenden ist. Der Umstand, daß die Tatbestände im § 175 Abs 2 ASVG erschöpfend aufgezählt sind, schließt für sich allein zwar die analoge Anwendung noch nicht aus (vgl MietSlg 37.818; RZ 1990/59; JUS 1992/969 ua). Voraussetzung ist aber, daß eine planwidrige Unvollständigkeit, also eine nicht gewollte Gesetzeslücke, vorliegt (SZ 57/194; SSV-NF 2/82 ua). Hiefür läßt sich aber kein ausreichender Anhaltspunkt finden.

Der Oberste Gerichtshof vermag allerdings dem Berufungsgericht nicht darin zu folgen, daß es sich bei der Behebung von Krankenscheinen bloß um die Erledigung von Vermögensangelegenheiten handelt. Die Klägerin weist in der Revision mit Recht darauf hin, daß ein in der Krankenversicherung Pflichtversicherter bei Eintritt des Versicherungsfalles der Krankheit gemäß § 117 Z 2 ASVG Anspruch auf Krankenbehandlung hat und gemäß § 135 Abs 3 ASVG zur Vorlage eines Krankenscheins verpflichtet ist, wenn er aufgrund dieses Anspruchs ärztliche Hilfe erhalten will. Das Besorgen des Krankenscheines dient daher der Geltendmachung eines Anspruchs auf Leistungen der Krankenversicherung aus dem Versicherungsfall der Krankheit, der aber nicht zu den vermögensrechtlichen Ansprüchen zu zählen ist. Daß der Versicherte auch ärztliche Hilfe erhalten kann, wenn er diesen Anspruch nicht geltend macht, ist in diesem Zusammenhang ohne jede Bedeutung. Das Besorgen des Krankenscheines zählt deshalb nicht unmittelbar zur Erledigung von Vermögensangelegenheiten, es ist ihr aber gleichzuhalten.

Auch wenn das Besorgen des Krankenscheines der Geltendmachung des Leistungsanspruchs aus der Krankenversicherung dient, ist noch nicht gesagt, daß der hiefür zurückgelegte Weg dem Weg zur Inanspruchnahme der ärztlichen Hilfe gleichgestellt werden kann und muß. Würde man dies bejahen, so müßte auch der Weg geschützt sein, den ein Versicherter unternimmt, um sich Geld für eine Krankenbehandlung durch einen Wahlarzt (vgl § 131 Abs 1 ASVG) zu beschaffen. Es kann dem Gesetzgeber aber ohne ausdrückliche Regelung nicht unterstellt werden, daß er auch solche Wege, und damit auch nicht, daß er die dem Besorgen eines Krankenscheins dienenden Wege unter Versicherungsschutz stellen wollte, weshalb die analoge Anwendung des § 175 Abs 2 Z 2 ASVG grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Ob eine Ausnahme zu machen ist, wenn der Krankenschein unmittelbar vor Antritt des Weges zur ärztlichen Untersuchungsstelle besorgt wird, muß nicht erörtert werden, weil dies auf die Klägerin nicht zutrifft.

Ebensowenig kann § 175 Abs 2 Z 7 ASVG unmittelbar oder analog angewendet werden, weil unter "lebenswichtigen persönlichen Bedürfnissen" nur solche verstanden werden können, deren Befriedigung keinen größeren Aufschub duldet. Dazu gehört aber das Besorgen eines Krankenscheines, wie nicht zuletzt die in den Krankenordnungen der Krankenversicherungsträger vorgesehene Möglichkeit, einen Vertragsarzt gegen nachträgliche Vorlage des Krankenscheines in Anspruch zu nehmen, zeigt, nicht. Daß der Unfall auch nicht auf eine besondere Betriebsgefahr zurückgeht, hat schließlich schon das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Entscheidung SSV-NF 2/76 und auf Müller in ZAS 1989, 150 richtig erkannt; dagegen wird in der Revision nichts mehr vorgebracht.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 54 ZPO. Die Klägerin hat den Ersatz der Kosten zwar begehrt, ein Verzeichnis der Kosten aber nicht vorgelegt.

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