OGH 2Ob19/92

OGH2Ob19/9229.4.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josefine S*****, vertreten durch Dr. Volkmar Ternulz, Rechtsanwalt in Mureck, wider die beklagten Parteien 1. Veronika K*****, und

2. ***** Versicherung, ***** beide vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Annemarie Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, wegen

S 173.000 sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 12. Februar 1992, GZ 2 R 263/91-40, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 17.September 1991, GZ 11 Cg 431/88-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ist gleich weiteren Verfahrenskosten Bedacht zu nehmen.

Text

Begründung

Am 29.Mai 1985 erlitt die damals 39 Jahre alte Klägerin bei einem Verkehrsunfall einen Bruch der rechten Speiche, der nicht ohne Komplikationen verheilte. Die Klägerin war damals nicht berufstätig, sie hatte jedoch die Zusage, ab 1.Juni 1985 in einem Gasthaus als Kellnerin gegen einen Nettolohn von S 8.000 monatlich arbeiten zu können. Sie konnte diese Stelle wegen des Unfalles nicht antreten. Im September und im November 1985 versuchte sie, als Kellnerin zu arbeiten, mußte die Tätigkeit aber jeweils wegen Schmerzen wieder aufgeben. Die Schadenersatzansprüche der Klägerin bis einschließlich Oktober 1986 wurden bereits abgegolten. Ein Antrag und eine Klage auf Gewährung einer Invaliditätspension wurden abgewiesen, wobei davon ausgegangen wurde, der Klägerin sei die Tätigkeit einer Serviererin zumutbar.

Die Klägerin begehrt nunmehr für die Zeit vom 1.November 1986 bis 31. Oktober 1988 den Ersatz eines Verdienstentganges von S 173.000. Sie brachte vor, in diesem Zeitraum arbeitsunfähig gewesen zu sein.

Die Beklagten wendeten ein, eine Arbeitsaufnahme der Klägerin wäre aus familiären und anderen Gründen auch ohne den Unfall nicht zu erwarten gewesen. Der Klägerin wäre jedenfalls ab Anfang 1987 ein Arbeiten als Serviererin möglich und zumutbar gewesen.

Das Erstgericht sprach der Klägerin den begehrten Betrag von S 173.000 sA zu. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Im Jahre 1987 bestand noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin von 30 %, ab Anfang 1988 besteht eine solche von 20 %. Aus medizinischer Sicht wäre der Klägerin mit Jahresanfang 1987 die Aufnahme einer Arbeit als Kellnerin möglich gewesen. Hätte sie eine derartige Tätigkeit verrichtet, wäre es im Jahr 1987 aber sicherlich zu einer vermehrten Schmerzhaftigkeit des rechten Handgelenkes und des rechten Unterarmes gekommen. Ab Jahresanfang 1991 kann von der Klägerin die Tätigkeit einer Kellnerin ohne Schmerzen durchgeführt werden. Bis zu diesem Tag hätte die Klägerin bei der Tätigkeit einer Kellnerin nicht nur Beschwerden sondern auch Schmerzen gehabt. Durch das Nicht-Arbeiten sind der Klägerin im November und Dezember 1987 S 20.716, im Jahr 1987 S 86.484 und von Jänner bis Oktober 1988 S 66.249, insgesamt daher S 174.449 an Arbeitsentgelt entgangen.

Im Rahmen der Beweiswürdigung verwies das Erstgericht auf das medizinische Sachverständigengutachten sowie auf das Gutachten des Sachverständigen für Berufskunde, nach welchem der Klägerin die Tätigkeit einer Kellnerin nur unter besonderer Anstrengung und unter Gefährdung ihrer Gesundheit möglich gewesen wäre.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, einem Arbeitnehmer könne nicht zugemutet werden, eine Arbeitstätigkeit unter Schmerzen zu erbringen.

Die Beklagten erhoben gegen das Urteil des Erstgerichtes Berufung, in welcher sie die "Feststellung" bekämpften, die Klägerin hätte nur unter besonderer Anstrengung und unter Gefährdung ihrer Gesundheit arbeiten können. Die Beklagten strebten folgende Feststellung an: "Mit Jahresanfang 1987 wäre der Klägerin die Aufnahme ihrer Arbeit als Kellnerin wieder möglich gewesen, dies mit gewissen Schmerzen und Beschwerden bei ganz bestimmten Tätigkeiten als Kellnerin. Ab Jahresanfang 1988 ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin mit 20 % zu bemessen. Der Klägerin wäre ab Jahresanfang 1987 jedenfalls die Aufnahme ihrer Arbeit als Kellnerin möglich und zumutbar gewesen. Tatsächlich hat die Klägerin lediglich im Jahr des Unfalles, sohin 1985, versucht, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Erst Anfang 1991 hat sie wieder versucht, einen halben Tag zu arbeiten, und zwar im Gasthaus Z*****. Auch dort war die Hand noch geschwollen, sie hat nicht mehr weitergearbeitet. Also zu einem Zeitpunkt, wo nach übereinstimmender Ansicht Dr.Trutnovsky als auch Dr.Gert Glaser jedenfalls die Aufnahme einer Arbeit möglich gewesen wäre."

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Zur Beweisrüge führte das Gericht zweiter Instanz aus, die von den Beklagten begehrten Ersatzfeststellungen seien nicht entscheidungswesentlich. Daß die Klägerin während des klagsgegenständlichen Zeitraumes nicht wieder versucht habe, eine Arbeit als Serviererin aufzunehmen, sei ohnehin nicht strittig. Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht den Sachverhalt dahin, die unfallskausale Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei im hier interessierenden Zeitraum nicht gänzlich behoben gewesen, die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei noch mit 30 bzw 20 % anzusetzen gewesen. Nur der völlig wiederhergestellte Verletzte müsse beweisen, daß er trotzdem nicht in der Lage gewesen sei, einen Arbeitsplatz zu finden, an dem er einen seinem früheren Einkommen (hier: dem zu erwartenden fix vereinbarten Einkommen) entsprechenden Verdienst hätte erzielen können (ZVR 1980/154; SZ 51/91; ZVR 1977/43). Hingegen sei es nach ständiger Rechtsprechung Sache des Schädigers, zu behaupten und zu beweisen, daß der in seiner Erwerbsfähigkeit noch teilweise beeinträchtigte Geschädigte seinen Verdienstentgang hätte verringern können, aber eine konkrete Erwerbsgelegenheit ausgeschlagen habe (ZVR 1987/113 mwN). Diesen Beweis hätten die Beklagten gar nicht angetreten, weshalb das angefochtene Urteil zu bestätigen sei.

Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit außerordentlicher Revision, machen den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen die Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin stellt den Antrag, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig und auch berechtigt. Richtig ist, daß nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zwischen dem Fall der verbliebenen teilweisen Erwerbsfähigkeit und dem der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit im früheren Ausmaß zu unterscheiden ist. Im ersteren Fall müßte, um eine Verletzung der Schadensminderungspflicht annehmen zu können, der Schädiger den Nachweis erbringen, daß der Geschädigte eine ihm nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ohne zureichende Gründe ausgeschlagen habe. Im zweiten Fall hingegen ist dem wiederhergestellten Verletzten zuzumuten, daß er sich um die Wiedererlangung des früheren oder eines gleichwertigen zumutbaren Arbeitsplatzes bemüht. In diesem Fall der Wiedererlangung der früheren Arbeitsfähigkeit wäre es unbillig, vom Schädiger zu verlangen, daß er den Geschädigten auf die allfällige Möglichkeit der Wiedererlangung des entsprechenden Arbeitsplatzes besonders hinweist (SZ 51/91; ZVR 1980/154; 2 Ob 59/86; vgl auch ZVR 1961/177; ZVR 1973/92; ZVR 1977/43; 8 Ob 198/81). In den Fällen, in denen einem Geschädigten, dessen Erwerbsfähigkeit nicht wieder voll hergestellt war, Verdienstentgang deshalb zuerkannt wurde, weil der Schädiger die Ausschlagung einer konkreten Erwerbsmöglichkeit nicht nachgewiesen hatte, handelt es sich im allgemeinen um solche, bei welchen ein Berufswechsel bzw eine Umschulung erforderlich gewesen wäre. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht darum, ob der Klägerin ein Berufswechsel bzw eine Umschulung zumutbar wäre und ob sie auch tatsächlich die Möglichkeit hätte, in einem anderen Berufszweig eine Anstellung zu finden. Maßgebend ist vielmehr, ob die Klägerin die Tätigkeit einer Kellnerin, die sie ohne den Unfall ausgeübt hätte, wieder verrichten könnte. Die Klägerin hat nicht behauptet, wegen des Unfalles einen Arbeitsplatz als Kellnerin nicht finden zu können, sondern steht auf dem Standpunkt, sie sei in der Zeit, für die sie Verdienstentgang begehrt, erwerbsunfähig gewesen und habe daher die Tätigkeit einer Kellnerin nicht verrichten können. Aus diesem Grund muß davon ausgegangen werden, daß die Klägerin einen Arbeitsplatz als Kellnerin, der ihr angeboten worden wäre, nicht angenommen hätte, weshalb den Beklagten daraus kein Nachteil erwachsen kann, daß sie der Klägerin keinen konkreten Arbeitsplatz namhaft macht.

Wäre die Klägerin in der Lage gewesen, die Tätigkeit einer Kellnerin wieder auszuüben, ohne daß dies gesundheitliche Nachteile oder doch ins Gewicht fallende Beschwerden und Schmerzen zur Folge gehabt hätte, dann wäre ihr eine derartige Tätigkeit zuzumuten gewesen, ein Anspruch auf Verdienstentgang stünde ihr nicht zu. Die bisherigen Feststellungen reichen nicht aus, um dies verläßlich beurteilen zu können. Bei den Ausführungen des Erstgerichtes darüber, daß der Klägerin die Tätigkeit einer Kellnerin nur unter besonderer Anstrengung und unter Gefährdung ihrer Gesundheit möglich gewesen wäre, handelt es sich nicht um Feststellungen sondern um die im Rahmen der Beweiswürdigung erfolgte Wiedergabe aus dem Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen. Festgestellt wurde zwar, daß es bei der Tätigkeit einer Kellnerin im Jahre 1987 zu einer erhöhten Schmerzhaftigkeit des rechten Handgelenkes und des rechten Unterarmes gekommen wäre und daß die Klägerin auch noch 1988 bei der Tätigkeit einer Kellnerin nicht nur Beschwerden sondern auch Schmerzen gehabt hätte. Andererseits wurde aber auch festgestellt, der Klägerin wäre mit Jahresanfang 1987 "aus medizinischer Sicht" die Aufnahme einer Arbeit als Kellnerin möglich gewesen. Dies würde wohl dafür sprechen, daß die Schmerzen und Beschwerden keinesfalls gravierend gewesen wären. Es sind daher genaue Feststellungen darüber erforderlich, welche Tätigkeiten einer Kellnerin Schmerzen und Beschwerden hervorgerufen hätten, ob eine Kellnerin derartige Tätigkeiten vermeiden kann und, wenn dies nicht der Fall ist, wie oft solche Arbeiten verrichtet werden müssen. Weiters ist klarzustellen, wie intensiv Schmerzen gewesen wären, wie lange sie angehalten hätten und welcher Art auftretende Beschwerden gewesen wären. Erst wenn ergänzende Feststellungen in diesem Sinne getroffen wurden, kann beurteilt werden, ob der Klägerin die Ausübung der Tätigkeit einer Kellnerin zumutbar gewesen wäre.

Es ist nicht erforderlich, auf die Revisionsausführungen zur Frage medizinischer bzw berufskundlicher Aspekte der Arbeitsunfähigkeit und zur Frage der Definition der wirtschaftlichen und medizinischen Arbeitsfähigkeit einzugehen. Die oben angeführten Feststellungen sind von den Tatsacheninstanzen zu treffen, die dann zu beurteilende Frage, ob der Klägerin die Tätigkeit einer Kellnerin zugemutet hätte werden können, ist eine solche der rechtlichen Beurteilung.

Die Urteile der Vorinstanzen mußten somit zur Verfahrensergänzung aufgehoben werden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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