Spruch:
Durch das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 5. Februar 1990, GZ 9 c E Vr 620/89-9, und durch das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 25.April 1990, AZ 22 Bs 137/90 (= GZ 9 c E Vr 620/89-15), in seinem das Ersturteil bestätigenden Teil wird das Gesetz in der Bestimmung des § 223 Abs. 2 StGB verletzt.
Die genannten Urteile, jenes des Oberlandesgerichtes Wien nur in seinem bestätigenden Teil, werden aufgehoben und es wird die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Gründe:
Mit Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 5. Februar 1990, GZ 9 c E Vr 620/89-9, wurde der am 4.Jänner 1919 geborene Pensionist Franz P***** des Vergehens der Urkundenfälschung nach dem § 223 Abs. 2 StGB schuldig erkannt, weil er im Frühjahr 1989 in I***** vorsätzlich eine falsche Urkunde, nämlich einen Initiativantrag gemäß § 16 der NÖ Gemeindeordnung, auf welchem Waltraude D***** die Unterschrift des Franz D*****, des Manfred D***** und der Silvia D*****, Waltraud L***** die Unterschrift der Sylvia S*****, der Monika L*****, der Maria L*****, des Rudolf S***** und des Gerald H*****, sowie er selbst die Unterschrift der Maria P***** und der Johanna H***** nachgemacht hatten, im Rechtsverkehr zum Beweise einer Tatsache, nämlich der Unterschriftsleistung der genannten Personen, gebrauchte.
Mit Urteil vom 25.April 1990, AZ 22 Bs 137/90 (= ON 15 der erstgerichtlichen Akten) gab das Oberlandesgericht Wien (nach Beweiswiederholung durch Verlesung der Akten - AS 114) der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld teilweise Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes, das im übrigen unberührt blieb, in seinem die Unterschriften der Maria P***** und der Johanna H***** betreffenden Teil und im Strafausspruch auf und sprach den Angeklagten im Umfang der Aufhebung gemäß dem § 259 Z 3 StPO frei. Im übrigen wurde der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge gegeben und der Angeklagte mit seiner Strafberufung auf die durch die Teilaufhebung und den Teilfreispruch erforderliche Strafneubemessung verwiesen.
Das (durch das Oberlandesgericht Wien abgeänderte) Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 5.Februar 1990, GZ 9 c E Vr 620/89-9, und das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 25.April 1990, AZ 22 Bs 137/90, in seinem den Schuldspruch des Erstgerichtes bestätigenden Teil stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Vorauszuschicken ist, daß das in § 16 Abs. 2 der NÖ Gemeindeordnung 1973 normierte Initiativrecht (und das im § 16 Abs. 3 NÖ Gemeindeordnung 1973 geregelte Anfragerecht) grundsätzlich jedem Gemeindemitglied (§ 16 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung 1973) zusteht. Dieses demokratische Recht der Gemeindemitglieder findet in § 16 Abs. 4 NÖ Gemeindeordnung 1973 eine Einschränkung u.a. dahin, daß nur Initiativen (und Anfragen) zu behandeln (bzw zu beantworten) sind, "wenn sie von mindestens so viel wahlberechtigten Gemeindemitgliedern unterstützt werden, als bei der letzten Gemeinderatswahl Stimmen für ein Gemeinderatsmandat erforderlich waren". Fehlt es an einer ausreichenden Unterstützung, steht es den Gemeindeorganen frei, solche Initiativen (oder Anfragen) zu behandeln (oder - nach freiem Ermessen - nicht zu behandeln). Demgemäß hat der Bürgermeister einen nach Absatz 2 (oder Absatz 3) eingebrachten Antrag der Gemeindewahlbehörde zur Prüfung zu übermitteln, ob die Personen, die den Antrag unterstützen, wahlberechtigt sind (Abs. 4).
Der NÖ Gemeindeordnung ist - entgegen der Meinung des Erstgerichtes (US 5; 7) - weder zu entnehmen, daß "nur jene Personen den Antrag unterfertigen dürfen, welche im Wählerverzeichnis aufscheinen", noch daß "nur eigenhändige Unterschriften gültig seien". Letzteres Erfordernis scheint auch das Oberlandesgericht Wien zu verneinen, soweit es seinen Teilfreispruch auf den Umstand stützt, daß der Angeklagte den Antrag auf Ersuchen (US 4), sohin im Auftrag und mit Ermächtigung der Johanna H***** und der Maria P***** mit beider Namen unterfertigte (US 6, 7). Die - dazu im Widerspruch - im Zusammenhang mit dem Schuldspruch vertretene Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, es ergäbe sich "aus dem Wesen und der Bedeutung eines Initiativantrages die Eigenhändigkeit einer solchen Unterfertigung" (US 6; Feststellungen US 4), findet in der Rechtsordnung keine Deckung, zumal § 16 NÖ Gemeindeordnung nicht einmal Schriftlichkeit der Unterstützungserklärung verlangt. Die Unterzeichnung des Antrages für einen anderen mit dessen Namen ist daher mangels eines Eigenhändigkeitsgebotes an sich - objektiv - nicht rechtswidrig.
Nach Lage des Falles kommt daher der subjektiven Tatseite ganz besondere Bedeutung zu. Insoweit geht das Berufungsgericht (nach Beweiswiederholung, so doch) mit Bezug auf die unterinstanzlichen Urteilsfeststellungen davon aus, daß das Erstgericht Konstatierungen, wonach Franz D*****, Manfred D*****, Silvia D*****, Sylvia S*****, Monika L*****, Maria L*****, Rudolf S***** und Gerald H***** - mögen sie auch "die Ansicht über die Notwendigkeit einer Arztstelle (in Messern) unterstützt haben" - vom Initiativantrag wußten oder gar "mit dessen Unterfertigung in ihrem Namen zur Zeit der Unterfertigung einverstanden waren", nicht getroffen hat (und nach der Aktenlage mit mängelfreier Begründung auch gar nicht hätten treffen können; US 7, 8). Das Oberlandesgericht meinte aber in rechtlicher Hinsicht, daß "Auftrag oder Ermächtigung" zur Unterzeichnung in fremdem Namen "bereits im Zeitpunkt der Unterschriftsleistung vorliegen müssen" (US 7); es bejahte "die Täuschung über die Identität des Ausstellers" (US 6) und bestätigte
den - rechtsirrig ausschließlich auf das Erfordernis eigenhändiger Unterschriftsleistung abstellenden - Schuldspruch des Erstgerichtes.
Damit läßt das Oberlandesgericht Wien die subjektive Tatseite in Wahrheit außer acht. Gingen nämlich Waltraude D***** und Waltraud L***** bei Unterfertigung des Initiativantrages davon aus, daß ihre Familienangehörigen, deren "Ansichten" über die Notwendigkeit einer Arztplanstelle in Messern sie kannten und in deren Namen sie den Antrag unterzeichneten, diese Eingabe - wären sie anwesend gewesen - desgleichen unterzeichnet hätten, hielten sie sich also für ermächtigt und rechneten sie mit der Zustimmung zu ihrem Tun (AS 45 ff, 51 ff), dann fehlt es jedenfalls am Vorsatz, Organe der Gemeinde über die ("geistige") Urheberschaft der Erklärungen zu täuschen. Ging demgemäß auch der Angeklagte bei der Weiterleitung des Initiativantrages an die Gemeinde davon aus, daß die solcherart Vertretenen den Antrag - wären sie anwesend gewesen - auch selbst unterschrieben hätten (vgl erneut AS 45 ff; 51 ff), dann mangelt es auch bei ihm an der subjektiven (auf Identitätstäuschung gerichteten) Tatseite (vgl hiezu Foregger-Serini MKK5 § 223 StGB Erl II, S 523).
Da den beiden Urteilen (ersichtlich infolge des den Untergerichten in der Frage eines Eigenhändigkeitsgebotes unterlaufenen Rechtsirrtums) die erforderlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite in die eine oder andere Richtung nicht zu entnehmen sind, ist eine abschließende Beurteilung, ob dem Angeklagten das Vergehen der Urkundenfälschung nach dem § 223 Abs. 2 StGB zur Last fällt, nicht möglich.
Der von der Generalprokuratur wegen Verletzung des Gesetzes in der Bestimmung des § 223 Abs. 2 StGB gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher stattzugeben und gemäß § 292 StPO wie im Spruch zu erkennen.
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