OGH 13Os31/92-6

OGH13Os31/92-68.4.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.April 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Kuch, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Weixelbraun als Schriftführer in der Strafsache gegen Paul G***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 StGB iVm §§ 6, 33, 34 und 37 MedienG über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 5.August 1991, AZ 27 Bs 262/91, nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, in öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Verteidigers Dr. Johannes Fontanesi, jedoch in Abwesenheit des Privatanklägers und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 5.August 1991, AZ 27 Bs 262/91 (GZ 9 c E Vr 4382/90-29 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien), verletzt, soweit damit aus Anlaß der Beschwerde des Privatanklägers gemäß dem § 15 StPO der angefochtene Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.April 1991, ON 17, aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wurde, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 15 und 80 Abs. 2 StPO.

Dieser Beschluß und alle darauf beruhenden Verfügungen des Erstgerichtes werden aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien die Entscheidung über die Kostenbeschwerde des Privatanklägers (ON 27) aufgetragen.

Text

Gründe:

Im Privatanklageverfahren AZ 9 c E Vr 4382/90 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde die Hauptverhandlung für den 10. April 1991 (11.00 Uhr) anberaumt und die Ladung des Privatanklägers, des Beschuldigten und dessen Verteidigers verfügt (ON 14). Die Ladung des Privatanklägers wurde vom Postamt zunächst mit dem Vermerk zurückgesandt, "Empfänger laut Vormerk bis 31.Juli 1991 ortsabwesend" (ON 15). Der Einzelrichter verfügte daraufhin die Zustellung gemäß dem § 8 Abs. 2 ZustellG, worauf die Ladung am 6.April 1991 hinterlegt wurde. Zur Hauptverhandlung erschien der Privatankläger nicht, worauf der Einzelrichter mit Beschluß das Verfahren gemäß dem § 46 Abs. 3 StPO und dem § 8 Abs. 3 MedienG einstellte und dem Privatankläger die Kosten des Verfahrens gemäß dem § 390 StPO auferlegte (ON 17).

Der Privatankläger, der die Ladung offenbar am Nachmittag des 10. April 1991 behoben hatte (siehe AV ON 18 a), beantragte die neuerliche Anberaumung einer Hauptverhandlung, weil die Ladung nicht gesetzmäßig zugestellt worden sei (ON 19). Der Einstellungsbeschluß samt der Bestimmung der Pauschalkosten wurde ihm sodann (neuerlich gemäß dem § 8 Abs. 2 ZustellG) zugestellt (ON 21) und am 25.Juni 1991 persönlich ausgefolgt (ON 25).

Die Beschwerde des Privatanklägers gegen diese Beschlüsse (ON 27) wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. August 1991, 27 Bs 262/91, als unzulässig zurückgewiesen, der angefochtene Beschluß jedoch aus Anlaß der Beschwerde gemäß dem § 15 StPO aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen (ON 29). Offenbar aus diesem Grund unterblieb eine Entscheidung über die - zulässige (§ 392 StPO), allerdings nicht näher begründete - Kostenbeschwerde. Das Oberlandesgericht stellte - zutreffend - fest, daß das Erstgericht nach Aufruf der Sache richtigerweise nicht mit Beschluß, sondern mit freisprechendem Urteil zu entscheiden gehabt hätte. Diesfalls wäre dem Privatankläger, wie das Beschwerdegericht weiter ausführte, ein Berufungsrecht zugestanden, wogegen im Gerichtshofverfahren eine Beschwerde (hier gegen den Einstellungsbeschluß) unzulässig ist, wenn sie im Gesetz - wie im konkreten Fall - nicht vorgesehen ist. Im Hinblick auf die Vorschrift des § 79 Abs. 2 StPO sei überdies eine Hinterlegung nach dem § 8 Abs. 2 ZustellG nicht zulässig gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Diese Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien steht, soweit sie gemäß dem § 15 StPO unter Aufhebung des Einstellungsbeschlusses des Erstgerichtes eine Verfahrensfortsetzung anordnete, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Zunächst ist festzuhalten, daß das Oberlandesgericht zu der ergriffenen Maßnahme gemäß dem § 15 StPO nicht befugt war. Nach dieser Gesetzesstelle haben die Oberlandesgerichte (ua) die Aufsicht über die Wirksamkeit der Strafgerichte ihres Sprengels zu führen und über die Beschwerden gegen sie zu entscheiden, soweit nicht der Rechtszug ausdrücklich untersagt oder anders geordnet ist. Die Reichweite dieses Aufsichtsrechtes und die daraus entspringende Befugnis des Oberlandesgerichtes, auch in Fällen, in denen der Rechtszug ausdrücklich untersagt oder jedenfalls eine Beschwerde nicht eingeräumt ist, erstinstanzliche Entscheidungen abzuändern oder aufzuheben, wurde in der Judikatur bisher vielfach divergierend beurteilt. Allgemein anerkannt ist aber, daß die Oberlandesgerichte nicht befugt sind, in bereits erworbene Rechte Dritter einzugreifen (vgl. EvBl. 1959/183, 1960/269, 1975/305). Keinesfalls dürfen solche Beschlüsse in Ausübung des Aufsichtsrechtes zum Nachteil des Beschuldigten ergehen. Dies zeigt auch ein Vergleich mit der Vorschrift des § 114 Abs. 3 StPO, wo eine solche Beschränkung ausdrücklich normiert ist und mit den Befugnissen des Obersten Gerichtshofes in den Fällen eines amtswegigen Vorgehens nach dem § 290 Abs. 1 StPO und bei Befassung mit einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach dem § 292 StPO (vgl. auch den § 477 StPO). Es wäre mit dieser Grundtendenz der Strafprozeßordnung, amtswegiges Einschreiten zum Nachteil des Beschuldigten nicht zuzulassen, unvereinbar, gerade den Oberlandesgerichten nach dem § 15 StPO Eingriffe in bezug auf an sich der Rechtskraft fähige gerichtliche Entscheidungen (selbst wenn diese auf einer unrichtigen, gesetzwidrigen Vorgangsweise des Erstgerichtes beruhen) zu gestatten, wenn sich diese Eingriffe zum Nachteil des Beschuldigten auswirken. Bereits die - wenngleich zustimmend von Platzgummer (Grundzüge3, 35) und Bertel (Grundriß3, Rz 806, 215) zitierte - Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien RZ 1985/85 verstieß gegen diese grundlegende Beschränkung. Sie mißachtete die dem Beschuldigten aus der Beschwerdeentscheidung erwachsenden Nachteile ebenso wie nunmehr die vorliegende Entscheidung.

Nach der Strafprozeßordnung sind die Rechte des Privatanklägers in mehrfacher Beziehung beschränkt, was dazu führt, daß selbst die Geltendmachung eines Zustellmangels in einer Berufung gegen ein auf der Vermutung des Rücktritts von der Anklage beruhendes freisprechendes Urteil mangels eines entsprechenden Nichtigkeitsgrundes aussichtslos, ein aus dem gleichen Grund gefaßter Beschluß des Gerichtshofes erster Instanz auf Einstellung des Verfahrens unanfechtbar ist und letztlich auch ein Wiedereinsetzungsrecht des Privatanklägers nicht besteht.

Im vorliegenden Fall ging das Beschwerdegericht - anders als im Falle RZ 1985/85 - aber auch zu Unrecht davon aus, daß eine rechtswirksame Zustellung an den Privatankläger nicht erfolgt sei und damit ein Akt der Rechtsverweigerung vorliege.

Die Vorladung des Privatanklägers zur Hauptverhandlung ist gemäß dem § 79 Abs. 2 StPO entweder diesem selbst oder seinem bestellten Vertreter zuzustellen. Diese Zustellung hat zu eigenen Handen des Empfängers zu erfolgen (Abs. 3), sohin nach den §§ 13, 21, 17 ZustellG (RS blau). Auf die Zustellung an Privatankläger ist aber gemäß dem § 80 Abs. 2 StPO unter anderem auch der § 8 ZustellG anzuwenden. Demnach hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nichts anderes bestimmen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Die dem Erkenntnis des Oberlandesgerichtes Wien anscheinend zugrundeliegende Annahme, der § 79 Abs. 2 StPO stelle eine "andere Bestimmung" im Sinne des § 8 Abs. 2 ZustellG dar, trifft nach der Systematik des VIII. Hauptstücks der StPO nicht zu; der § 80 StPO enthält vielmehr eine nähere Ausgestaltung des grundsätzlich im § 79 StPO angeordneten Zustellvorganges. Da vorliegend der Privatankläger gegenüber dem Postamt erklärt hatte, bis 31.Juli 1991 ortsabwesend zu sein, was eine Hinterlegung nach dem § 17 ZustellG unmöglich machte, wäre er verpflichtet gewesen, dem Gericht eine andere Abgabestelle zu nennen. Da er dies unterließ, ordnete das Gericht zu Recht die Hinterlegung ohne Zustellversuch nach den §§ 8 Abs. 2, 23 ZustellG an.

Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß der in der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien erwähnte Fall des § 50 Abs. 2 StPO nicht gegeben war, weil der PrivatanKläger nach der Aktenlage und der Kenntnis des Einzelrichters (vgl. AS 69 a) - entgegen seiner Mitteilung gegenüber dem Postamt (ON 15) - nicht "ortsabwesend" war, sondern nur seine bisherige Abgabestelle - für einen längeren Zeitraum - verlassen hatte, ohne für eine andere Zustellmöglichkeit Sorge zu tragen. Eine Aufforderung im Sinne dieser Gesetzesstelle wäre nach Lage des Falles abermals nicht zustellbar gewesen, ihre Nichtbefolgung überdies sanktionslos. Im übrigen wurde durch die Erlassung des ZustellG die Bestimmung des § 50 Abs. 2 StPO weitgehend bedeutungslos.

Das Oberlandesgericht Wien hat somit ohne gesetzliche Ermächtigung den auf der unwiderlegbaren Vermutung des Rücktritts des Privatanklägers von der Anklage nach dem § 46 Abs. 3 StPO beruhenden Einstellungsbeschluß des Einzelrichters zum Nachteil des Beschuldigten aufgehoben, sodaß diese Entscheidung des Oberlandesgerichtes ihrerseits der Aufhebung (welche das Wiederinkrafttreten des Einstellungsbeschlusses bewirkt) verfallen muß. Daher hat das Oberlandesgericht nun über die Kostenbeschwerde zu entscheiden.

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