OGH 6Ob516/92

OGH6Ob516/9225.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Bianca B*****, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft St***** als Unterhaltssachwalter, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Steyr vom 27.Jänner 1992, GZ 6 R 1/92-17, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Steyr vom 4. Dezember 1991, GZ P 76/91-11, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit dem am 6.12.1990 in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Bezirksgerichtes Steyr vom 18.10.1990, GZ 1 C 131/90-4, wurde festgestellt, daß die am 1.9.1990 geborene Bianca K***** (nunmehr B*****) kein eheliches Kind des Huseyin K***** ist, dessen Ehe mit der Kindesmutter Gabriele B***** mit Wirkung vom 15.5.1990 geschieden worden war. Am 11.2.1991 wurde die Vaterschaft des Helmut K***** durch Anerkenntnis vor der Bezirkshauptmannschaft St***** festgestellt. Mit vollstreckbarem Vergleich vom gleichen Tag verpflichtet sich der Vater bis auf weiters zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 1.600 S. Auf diesen Unterhaltsanspruch der in der Obsorge ihrer Mutter befindlichen Minderjährigen gegen ihren Vater wurden mit Beschluß vom 22.8.1991 (ON 5) für die Zeit vom 1.8.1991 bis 31.7.1994 Vorschüsse im Sinne der §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Höhe von monatlich 1.600 S bewilligt.

Am 27.11.1991 langte die Mitteilung des Jugendwohlfahrtsträgers ein, die Mutter verbüße seit ca November 1991 unter Mitnahme der Tochter eine Strafhaft im kreisgerichtlichen Gefangenenhaus W*****.

Das Erstgericht stellte aufgrund seiner Erhebungen fest, daß die Mutter tatsächlich am 22.10.1991 im kreisgerichtlichen Gefangenenhaus W***** eine fünfmonatige Strafhaft angetreten hatte, aus der sie aber bereits wieder infolge der bevorstehenden Weihnachtsamnestie entlassen werden könnte. Die Tochter Bianca befindet sich bei der Mutter im kreisgerichtlichen Gefangenenhaus W*****. Aufgrund dieses Sachverhalts faßte das Erstgericht den Beschluß auf Einstellung der Unterhaltsvorschüsse rückwirkend mit Ablauf des Monats Oktober 1991, also mit Wirkung vom 1.11.1991. Es war der Auffassung, daß das UVG zwar zum vorliegenden Fall nichts aussage, die Mitnahme eines Kindes in die Strafanstalt aber einer Übernahme in die öffentliche Pflege im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 UVG vergleichbar sei, weil die Anstalt gemäß § 74 Abs 3 StVG für den Unterhalt des Kindes aufzukommen habe. Um eine Doppelversorgung zu vermeiden, seien daher auch in einem solchen Fall die Vorschüsse einzustellen.

Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Fall, daß sich ein Kind bei seiner Mutter in einer Strafanstalt befindet, sei mit dem in § 2 Abs 2 Z 1 UVG genannten Ausschließungsgrund für einen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse vergleichbar. So wie einem Kind, das mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebe, regelmäßig schon dadurch der Unterhalt erbracht werde, habe auch der Bund dem Kind einer Strafgefangenen in der Strafanstalt den Unterhalt zu leisten. Es gehe aber nicht an, daß derselbe Rechtsträger, der dem Kind schon in der Strafhaft der Mutter den Unterhalt reiche, darüberhinaus auch noch Unterhaltsvorschüsse leiste. Analog zu § 2 Abs 2 Z 1 UVG komme es auch in diesem Fall auf die Höhe der Kosten der Kindesversorgung in der Anstalt nicht an.

Der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters ist nicht berechtigt.

Zunächst ist darauf zu verweisen, daß die Entscheidung - wenngleich sie auch von der Lösung einer im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG erheblichen Rechtsfrage abhängt - nur mehr Vorschüsse für zwei Monate betrifft, ist die Mutter der Minderjährigen doch nach der Aktenlage in der Zwischenzeit bereits am 18.12.1991 aus der Strafhaft entlassen worden (ON 16), worauf das Erstgericht dem Kind mit Beschluß vom 23.1.1992 wieder Vorschüsse in Titelhöhe für die Zeit vom 1.1.1992 bis 31.12.1994 gewährt hat (ON 15).

Rechtliche Beurteilung

Welche Auswirkungen es auf einen bewilligten Titelvorschuß nach dem UVG hat, wenn eine weibliche Strafgefangene ihr unterhaltsvorschußberechtigtes Kleinkind bei sich behält, war bisher weder Gegenstand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes noch derjenigen der Gerichte zweiter Instanz aus den letzten drei Jahren. Allerdings wurde bereits für den Fall der Verhängung der Untersuchungshaft über den unterhaltsvorschußberechtigten Minderjährigen selbst ausgesprochen, daß dies in der Regel nicht die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse, wohl aber - unter der Voraussetzung, daß dadurch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse von nicht bloß vorübergehender Dauer eingetreten ist -, deren Herabsetzung rechtfertigt (JBl 1980, 209), was jedoch keinesfalls für die erste Zeit nach der Verhängung der Haft zutrifft (Jus-Extra 1991/826). In der letztgenannten Entscheidung wurde auch das Vorliegen einer in Analogie zu § 2 Abs 2 Z 2 UVG auszufüllenden echten Gesetzeslücke (ua) mit dem Hinweis darauf verneint, daß während der Untersuchungshaft nicht in gleicher Weise für die Bedürfnisse des Minderjährigen gesorgt werde wie dies bei einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendwohlfahrt der Fall sei (3 Ob 536/91, insoweit von der Veröffentlichung nicht umfaßt). Gerade darin liegt aber der entscheidende Unterschied zum vorliegenden Fall:

Gemäß § 74 Abs 2 StVG dürfen weibliche Strafgefangene, denen das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder zusteht, diese bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres, in Ausnahmefällen auch längstens bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres bei sich behalten. Solange eine Strafgefangene ihr Kind bei sich behält, hat gemäß § 74 Abs 3 StVG die Anstalt auch für den Unterhalt des Kindes zu sorgen. Die Kosten dafür sind vorläufig vom Bund zu tragen, auf den insoweit auch Alimentationsansprüche des Kindes gegen einen Dritten kraft Gesetzes übergehen. Den Fall, daß eine weibliche Strafgefangene ihr Kleinkind bei sich behält, wodurch die gesetzliche Verpflichtung des Bundes ausgelöst wird, auch für den Unterhalt des Kindes zu sorgen, hat der Gesetzgeber des UVG nicht bedacht. Er ähnelt zwar entgegen der Meinung des Rekursgerichtes nicht dem Tatbestand des § 2 Abs 2 Z 1 UVG, wohl aber im Sinne der zutreffenden Ausführungen des Erstgerichtes demjenigen des § 2 Abs 2 Z 2 UVG, weil auch bei Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung (wie ein Kinderdorf oder eine sozialpädagogische Wohngemeinschaft iS des § 12 Abs 1 Z 5 JWG: 3 Ob 536/91) aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht - wenn auch auf Kosten der Länder - für den Unterhalt des Minderjährigen und nicht bloß - wie bei dessen Untersuchungs- oder Strafhaft - für die notwendigsten Lebensbedürfnisse gesorgt ist. Für ein solcherart aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendwohlfahrt untergebrachtes Kind hat aber der Gesetzgeber einen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse schlechthin, also auch dann ausgeschlossen, wenn die Kosten seiner Unterbringung die ihm gegenüber seinen Eltern oder sonstigen Dritten nach bürgerlichem Recht zustehenden Unterhaltsansprüche unterschreiten. Die Ratio für einen derart generellen Ausschluß von Unterhaltsvorschüssen kann daher nur darin liegen, daß das Kind in diesen Fällen ohnehin bereits aus öffentlichen Mitteln voll versorgt wird. Das trifft aber auch auf den im UVG nicht geregelten Fall zu, daß eine Strafgefangene ihr Kleinkind bei sich behält, weil auch dieses auf Kosten des Bundes in der Anstalt voll zu versorgen ist. Die planwidrige Unvollständigkeit des UVG ist daher durch Analogie zu § 2 Abs 2 Z 2 UVG zu schließen (Koziol-Welser I8 25 f; Bydlinski in Rummel, ABGB2 Rz 4 zu § 7 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Demnach sind aber die gewährten Unterhaltsvorschüsse gemäß § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG rückwirkend mit Ablauf des Monats, in dem die Mutter ihre Strafhaft unter Mitnahme des Kindes angetreten hat, wegen nachträglichen Wegfalls einer der Voraussetzungen ihrer Gewährung mit Recht eingestellt worden, weshalb dem Revisionsrekurs ein Erfolg versagt bleiben mußte.

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